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2.1 Komplexität der Wirtschaftsprozesse und Entscheidungen

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Globale wirtschaftliche Vernetzung

In der Gegenwart sind die internationale Arbeitsteilung und die damit verbundene weltweite Kooperation sowie die weltweite Konkurrenz derart fortgeschritten, dass es nahezu keine abgeschlossenen Handlungsräume mehr gibt. Alles hängt buchstäblich mit allem zusammen. Der in der Chaostheorie berühmt-berüchtigte Flügelschlag des Schmetterlings, der Stürme auslöst, oder das Fallen eines Reiskorns, das ein Beben auslöst, sind angemessene Bilder für die Wechselwirkung, die über alle Ländergrenzen, Kontinente und Kulturen hinweg stattfindet und die von den einzelnen lokalen Akteuren nicht selten wie ein unausweichliches Schicksal gesehen wird, das sie kaum beeinflussen können und dem sie mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind. Die Entscheidung der schwedischen Konzernzentrale von Nokia z.B. lässt eine rumänische Stadt aufblühen und beschert vielen einzelnen Familien am neuen Standort Arbeit, Wohlstand und eine veränderte Lebensweise, sie lässt aber gleichzeitig mit der Werksschließung am alten Standort die entlassenen deutschen Arbeiter und unter Umständen eine ganze Region geschockt und relativ ärmer zurück; denn nicht nur das Werk mit der Endmontage eines Produkts ist betroffen. Die Wertschöpfungsketten können sich über viele Länder und Kontinente erstrecken. Damit ist auch die gegenseitige Abhängigkeit all derer gewachsen, die beteiligt sind. Eine Naturkatastrophe in Asien, ein Streik der Transportarbeiter, die betrügerische Manipulation eines Managers im Veredelungsbetrieb, das fehlende Umweltbewusstsein bei einem der Rohstofflieferanten, all dies hat direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation des Herstellers und des Verkäufers eines Produktes. Denn die moralischen Verfehlungen im Verlauf der Wertschöpfungskette werden am Ende diesen zugerechnet, und der Verlust der moralischen Reputation hat wirtschaftlich spürbare Auswirkungen auf das Kaufverhalten der Konsumenten und auf die Investitionsbereitschaft der Kapitalgeber.

Die zunehmende Komplexität der wirtschaftlichen Prozesse und damit auch der Entscheidungen, die getroffen werden müssen, zeigt sich auch in neuen Formen der Kooperation. Wenn zum Beispiel in der Automobilindustrie die Wettbewerber von Opel Bedenken dagegen anmelden, dass der Zulieferer Magna als Investor einsteigen will, weil ihr Zulieferer damit gleichzeitig zum Autohersteller und damit zum Konkurrenten auf dem Markt avanciere, dann klingt das zunächst plausibel. Einem Konkurrenten kann man nicht das technische Know-how und die Kernkompetenzen zur Verfügung stellen, die der Zulieferer in einer auf Gedeih und Verderb verbundenen Produktionskette schon deshalb haben muss, damit die Zusammenarbeit reibungslos funktioniert. Was man also dem Zulieferer schon im eigenen Interesse mitteilen muss, das möchte man aus verständlichen Gründen dem Wettbewerber vorenthalten. Gleichwohl sieht die Realität heute schon so aus, dass viele Firmen diese Doppelrolle als Zulieferer und Wettbewerber in Personalunion spielen. Die US-amerikanische Literatur kennt dieses Phänomen unter dem Namen „Coopetition“ (aus cooperation und competition).

In unserem Zusammenhang ist von Interesse, dass diese neuen Formen der Zusammenarbeit mit Wettbewerbern und des Wettbewerbs mit Zulieferern ganz neue Unsicherheiten im Verhalten und in den Erwartungen mit sich bringen. Da Gesetze und Justiz hier wenig ausrichten können, weil die Verstöße schwer nachweisbar sind und die Mühlen der Justiz zu langsam arbeiten, muss die Moral in die Bresche springen. Es kommt umso mehr darauf an, mit ihrer Hilfe die Verhältnisse zu stabilisieren. Vertrauen, Vertragstreue, Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit, Integrität und gewonnene Reputation gewinnen deshalb an Bedeutung, weil es entweder keine Regeln gibt oder aber keine staatliche Instanz in der Lage ist, die notwendigen Garantien für ein regelgerechtes Verhalten zu übernehmen. Moral, gewinnt erstens schon deshalb an Bedeutung, weil die neue Komplexität der Verhältnisse es unmöglich macht, mit den bisherigen Instrumenten Verhaltenssicherheit zu erreichen. Die Situation stellt sich allerdings durchaus ambivalent dar. Unternehmen können versuchen, sich dank der Globalisierung dem Einfluss und den Sanktionsmöglichkeiten von Staaten zu entziehen, indem sie lokale Regelungen bevorzugen, die bedingt vorteilhafter für sie sein können. Diese können sich aber schon nach kurzer Zeit ändern, und außerdem stellen Global Player fest, dass sie, sofern sie z.B. an der US-amerikanischen Börse notiert sind, faktisch weltweit den in den USA geltenden Maßstäben ausgesetzt sind. Ebenso ist heute eine Externalisierung von Kosten immer weniger möglich, dank umfassender gesetzlicher Regelungen und dank einer aufmerksameren Öffentlichkeit, die inzwischen nahezu weltweit funktioniert. Angesichts dieser Entwicklungen liegt eine freiwillige Normeneinhaltung nahe.

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