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2.2 Individualisierung und Zunahme der Subjektivität

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Die Bedeutung der Moral wächst zweitens durch die Individualisierung und die Zunahme der Subjektivität, welche die modernen Gesellschaften kennzeichnen.

Die Konsequenzen für das Wirtschaftsleben sind umfassend und lassen sich schon an wenigen Beispielen deutlich machen. Hervorgehoben seien hier nur die veränderte Rolle der Mitarbeiter und die wachsende Bedeutung einer moralisch sensiblen Öffentlichkeit.

Folgen von Arbeitsteilung und Spezialisierung

Im Zuge der zunehmenden Arbeitsteilung und Spezialisierung wächst die gegenseitige Abhängigkeit und damit auch die Bedeutung, welche dem einzelnen Mitarbeiter zukommt. Das beginnt mit dem Schaden, den Einzelne anrichten können, das betrifft aber auch positiv die Kreativität und die Verlässlichkeit jedes Einzelnen, welche erst den wirtschaftlichen und geschäftlichen Erfolg eines Unternehmens ermöglichen. Entsprechend sorgfältig versuchen die Unternehmen, die besten und fähigsten Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. In dem Maße, wie sie selbst flexibel sein müssen, um auf die schnell wechselnden Anforderungen der internationalen Märkte reagieren zu können, sind sie auch auf flexible Mitarbeiter angewiesen, die sich mit dem Unternehmen und seinen Zielen identifizieren. Die großen und mittleren Unternehmen, die früher ihre Mitarbeiter häufig ein Leben lang beschäftigten und mit Vorliebe auch die nächste Generation aus den Familien ihrer Mitarbeiter rekrutierten, konnten sich auf deren Loyalität verlassen, so wie sich umgekehrt die Mitarbeiter auf ihr Unternehmen verlassen konnten und dessen Werte teilten. Heute impliziert die gewünschte Flexibilität auch die Notwendigkeit, dass Mitarbeiter den fortwährenden Anpassungsprozessen des Unternehmens an die Marktlage zum Opfer fallen und freigesetzt werden. Zur Flexibilität gehört deshalb auch die Fähigkeit, sich einen neuen Arbeitsplatz oder einen neuen Beruf zu suchen. Das schwächt die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich auf die Ziele des Unternehmens voll und ganz einzulassen. Aus der neuen Flexibilität entstehen Konflikte moralischer Art, die sich je nach Standpunkt sehr unterschiedlich darstellen. Als z.B. der Handy-Hersteller Nokia 2008 überraschend ankündigte, sein Werk in Bochum zu schließen, wirkte jedenfalls der Leitspruch des Unternehmens „Wir verbinden Menschen“ auf die von der Schließung Betroffenen wie blanke Ironie. Aus Sicht der Arbeiter und der betroffenen Region, die natürlich sehr lokal ist, verletzt ein Unternehmen, das zunächst Subventionen annimmt, dann aber nach Auslaufen der Verpflichtungen die Region wieder verlässt, obwohl die erwirtschaftete Rendite ordentlich ist, seine Loyalitätspflichten gegenüber der Belegschaft und der Region. Durch die Solidarität der Arbeiter und den Druck der öffentlichen Empörung wurde immerhin erreicht, dass das Unternehmen die sozialen Folgen seiner Entscheidung mit Millionenbeträgen abfedern musste. Aus Sicht des Unternehmens hatte die Entscheidung, die Produktion in ein neues Werk in das EU-Land Rumänien zu verlegen, allerdings nichts Anstößiges. Der Konkurrenzdruck auf dem umkämpften Markt für Mobiltelefone sowie die enormen Risiken, die damit für die beteiligten Firmen verbunden sind, zwingen aus wirtschaftlicher Sicht dazu, alle Möglichkeiten der Effizienzsteigerung wahrzunehmen. Moralisch betrachtet ist auch nicht zu sehen, dass die lokale oder regionale Sicht einer globaleren oder universalen Betrachtungsweise überlegen ist. Im Gegenteil wiegt der Wohlstand, welcher der ärmeren rumänischen Region in Zukunft zufließen wird, vermutlich insgesamt gesehen die Verluste, welche die Ruhrgebietsregion hinnehmen muss, bei Weitem auf. Im Übrigen zeigte aber die Kommunikationspolitik des Unternehmens, dass die Unternehmensleitung auf der einen Seite und Belegschaft und öffentliche Wahrnehmung auf der anderen eine völlig andere Sprache sprachen. Beide redeten lange aneinander vorbei, weil sie offensichtlich auf einem anderen Stern oder besser: in einer anderen „moralischen Landschaft“ lebten (vgl. [I–13], S. 32f.).

Einführung in die Wirtschaftsethik

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