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2. Ich glaube

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Wer oder was ist eigentlich dieses „Ich“, das da von seinem Glauben spricht? Ist es die „Seele“, die sich der menschlichen Sprachorgane als Werkzeug bedient? Ist es der „Geist“, der sich hörbar Ausdruck verschafft? Ist das „Ich“ der ganze Mensch – Leib, Geist und Seele? Wie kommt das Ich-Bewusstsein überhaupt zustande?

Verschiedene Antwortversuche sind im Laufe der menschlichen Geistesgeschichte auf die Frage nach dem Ich gegeben worden4:

 Das Ich ist Ausdruck des Bewusstseins seiner selbst: ich zweifle, ich denke, ich entscheide, ich handle – und ich bin mir dessen bewusst.

 Das seiner selbst bewusste Ich erkennt sich als bezogen auf anderes, vor allem auf ein menschliches, aber auch auf ein transzendentes, jenseitiges Du. Der Mensch wird am Du zum Ich (Martin Buber). Der Mensch ist eine „offene Person“, ein dialogisches Wesen.

 Das menschliche Ich ist nicht plötzlich von einem Augenblick auf den anderen dagewesen. Es hat sich vielmehr in einem „sehr allmählichen Übergang“ aus dem Stadium des unbewussten Existierens (Embryo, Kleinkind) zum seiner selbst bewussten Ich entwickelt. Der Mensch ist Person-in-Evolution, Person-im-Werden.

 Das Ich ist nicht „Herr im eigenen Haus“ (Sigmund Freud). Es ist bestimmten Ansprüchen und Anforderungen aus seinem Inneren, aus dem Unterbewusstsein („Es“), und von außen („Über-Ich“) ausgesetzt. Diese muss es miteinander versöhnen und in Einklang zu bringen suchen („Was ‚Es‘ ist, soll ‚Ich‘ werden“).

 Im Bekenntnis des Glaubens schwingen alle diese Aspekte mit.

 „Ich“ spreche ein bewusstes Ja zu den darin niedergelegten Glaubensaussagen. Mein Verstand hat das aufgenommen und kritisch geprüft, was „ich“ im Bekenntnis als Glaubensinhalte benenne. „Ich“ allein bin verantwortlich für meine mit vollem Bewusstsein gesprochenen Aussagen.

 „Ich“ bekenne meinen Glauben nicht nur für mich selbst im stillen Kämmerlein, sondern auch in der Öffentlichkeit. „Ich“ lege damit Zeugnis ab vor anderen Menschen und für andere Menschen, die diese Worte hören und die so zur Stellungnahme herausgefordert werden. Sie können sich dem An-Spruch meines Bekenntnisses öffnen oder verschließen. Sie können meine gläubig-bekennenden Worte überhören oder ignorieren, kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen oder brüsk ablehnen, nachdenklich erwägen oder freudig annehmen.

 „Ich“ bekenne meinen Glauben aber auch vor Gott. „Ich“ bezeuge antwortend meine Dankbarkeit für das in der Geschichte auf vielfache Weise ergangene und erfahrbar gewordene Gotteswort. „Ich“ bekunde mein Verwundern und Staunen über die machtvolle Schöpfungstat Gottes, über seine Zuwendung zu den Menschen in Jesus von Nazaret, über das heilbringende Wirken des Gottesgeistes in Zeit und Welt.

 „Ich“ lebe in der langen Tradition des allmählichen Erwachens von Religion. „Ich“ weiß mich verbunden mit den Uranfängen der Menschheit, in denen geschaffene Wesen tastend suchend und dunkel ahnend in ihren Bestattungsriten zum Ausdruck brachten, dass ihre Hoffnungen über das irdische Leben hinausreichen. „Ich“ weiß mich wegen der allmählichen Entwicklung des Menschen aus dem Tierreich, ja aus der materiellen Welt überhaupt, verbunden mit allen Geschöpfen dieser Welt. Darum kann und darf „ich“ mich nicht zum absoluten Herrscher über Tiere und Pflanzen, über Rohstoffe und Ressourcen, über Wasser und Ackerboden aufspielen und sie nach Gutdünken ausbeuten und zerstören. Wenn „ich“ vor Gott und Menschen meinen Glauben an Gott, den „Schöpfer des Himmels und der Erde“, bezeuge, kann „ich“ mir nicht absolute Verfügungsgewalt über „Himmel und Erde“ anmaßen.

 „Ich“ bin in meiner inneren Freiheit und Selbstbestimmung eingeschränkt und ständig gefährdet. „Ich“ weiß darum, dass Glaube und religiöse Erfahrung auch unbewusste Voraussetzungen haben und dass deswegen in die Äußerungen des Glaubens neurotische Störungen und Ängste, irrationale Wünsche und Strebungen, Elternbindung und Kindheitsfixierungen, psychodynamische Mechanismen und Gewohnheiten einfließen können, die gar nicht immer sofort als solche zu erkennen sind.

Weil das Ich des Menschen ein derart komplexes und vielschichtiges Gebilde darstellt, ist zu erwarten, dass die unterschiedlichen Komponenten nicht immer im richtigen Verhältnis auszubalancieren sind. Es kann und wird vorkommen, dass der eine oder andere Aspekt entweder ständig dominiert oder zumindest in gewissen Situationen, zu bestimmten Zeiten, bei gegebenen Anlässen die Oberhand gewinnt. Das geschieht nicht nur aufgrund der individuellen Verfassung des einzelnen, sondern auch aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht, zu einem Beruf oder in Abhängigkeit von einer modischen Zeitströmung. Meine Erlebnisse und Erfahrungen, meine gewordene und gewachsene Persönlichkeit fließen, ob ich es will oder nicht, in meine bewusste Auseinandersetzung mit dem Glauben ein. Das mag ich begrüßen oder bedauern. Es bleibt eine Tatsache.

Das Glaubensbekenntnis der Kirche ist immer und überall mein höchst individuelles, ureigenes, durch mein Ich begrenztes und eingefärbtes Bekenntnis.

Die großen Themen des christlichen Glaubens

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