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6. Glaube und Unglaube

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In vielen Teilen der Welt ist der Glaube an einen persönlichen Gott, ja an „Gott“ überhaupt im Schwinden. Er verdunstet gleichsam. Man braucht den Gottesglauben gar nicht argumentativ zu bekämpfen, schon gar nicht mit nackter Gewalt, wie das in früheren Zeiten manchmal geschah. (Allerdings meinten auch manche Vertreter des Glaubens an einen persönlichen Gott, diesen mit Gewalt propagieren, verteidigen und die Leugner verfolgen zu müssen). „Gott“ kommt außerhalb der Kirchen und in manch wohlfeiler politischer Rede kaum noch vor in dieser Welt. Man hat sich ohne ihn arrangiert. Und man kann gut damit leben. Gott ist zu einer Marginalie geworden. Der „Fehl Gottes“ (M. Heidegger10) schmerzt nicht.

Für viele gläubige Menschen, die es von Kindheit an gewohnt waren, wie selbstverständlich von Gott zu reden, ist dieses fast lautlose Verschwinden Gottes ein Rätsel und eine Anfechtung zugleich. Sie stellen sich die Frage: Wie konnte das geschehen? Wie lässt sich das erklären?

Die Zeiten eines politisch motivierten Unglaubens sind wohl vorbei. Mit dem erklärten Ziel, durch die Überwindung der Religion eine neue Stufe in der Entwicklung des menschlichen Geistes herbeizuführen. Atheistische Propaganda wurde in der unverhohlenen Absicht betrieben, die Religion aus dem Leben der Menschen und aus der Geschichte zu eliminieren – manchmal auch unter Zuhilfenahme politischer Macht und polizeilicher Gewalt.

Ganz überwunden ist diese Mentalität freilich noch nicht. Erst in jüngster Zeit haben einige Veröffentlichungen Aufsehen erregt, die den Glauben an Gott als unvernünftig und hinterwäldlerisch diffamieren. Religion und Glaube sollen im Namen der Wissenschaft und Humanität endgültig ausgetrieben werden. Religiöser Glaube wird als ein Gift dargestellt, das Gewalt, Terror und Unfreiheit unter den Menschen verbreitet habe.

Ein Beispiel für diese Einstellung liefert ein Kinderbuch mit dem Titel: „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“11. Es trägt den bezeichnenden Untertitel: „Ein Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen.“ Darin werden, bunt illustriert, das Judentum, das Christentum und der Islam einem kleinen Ferkel vorgeführt und dabei lächerlich gemacht – das Judentum in der Gestalt eines gereizten und aggressiven Rabbi, das Christentum durch einen feisten Bischof, der Islam durch einen nicht minder primitiven Imam.

Weite Verbreitung fand das 2007 in Deutschland erschienene Buch „Der Gotteswahn“12 des Evolutionsbiologen Richard Dawkins. Schon der Buch-Titel möchte offenbar deutlich machen: Wer an Gott glaubt, leidet unter Wahnvorstellungen. Gottgläubige können gemeingefährlich werden. Sie brauchen dringend Hilfe, um von ihrer Neurose befreit zu werden. Leider ist der Stil des Buches alles andere als nüchtern-aufklärerisch. Dawkins schreibt nicht als einer, der die abendländische Geistesgeschichte abwägend betrachtet, sondern als eifernder, manchmal geradezu geifernder Propagandist des Atheismus. Er gefällt sich darin, den christlichen Glauben zu dämonisieren und alles Große und Wegbereitende an dessen Geschichte konsequent zu verschweigen.

Es gab eine lange Zeit, in der ein Atheismus nahezu undenkbar schien. In der Bibel begegnen uns Texte, die ein beredtes Zeugnis davon ablegen, dass die Menschen durchaus mit Gott haderten, dass sie ihm Vorwürfe machten, ja dass sie ihn verwünschten. Aber das Dasein Gottes zu bestreiten erschien undenkbar. Das allgemein bekannte Beispiel dafür ist das Buch Ijob. Auch im gesamten Mittelalter war es geradezu eine Selbstverständlichkeit, an Gott zu glauben. Erst in der Neuzeit begann sich vor allem der praktische Atheismus mehr und mehr auszubreiten.

Dafür gibt es mehrere Gründe:

 Für den Menschen war bisher die Begegnung mit der Schöpfungswirklichkeit aufgrund ihrer Durchsichtigkeit zum Schöpfer hin eine Quelle religiöser Erfahrung. Der Aufschwung der Naturwissenschaften führte dazu, dass vieles von dem, was man bisher einem „göttlichen“ Wirken zuschrieb, durchaus mit den schlichten Mitteln des Verstandes erklärbar wurde. Die Natur verlor weithin ihren Geheimnischarakter. Damit hatte sich auch die Möglichkeit der religiösen Erfahrung entscheidend geändert. Die Welt wurde ohne ihn verständlich und auch immer mehr beherrschbar. „Gott“ musste sich immer weiter an den Rand zurückziehen. Es machte sich eine Tendenz breit, allein das empirisch Nachweisbare als das im Wissen Feststellbare und im Handeln Verfügbare zu betrachten. Methodisch wurde in Technik und Wissenschaft so vorgegangen, als ob es Gott gar nicht gäbe. Wenn aber der Raum für „Gott“ immer enger und immer schmaler wird, bleibt auch das Fragen nach ihm aus.

 Die Geisteswissenschaften bemühten sich darum, eine Welt- und Geschichtserklärung vorzulegen, die den Gottesgedanken ausschließt und die Hintergründe für das Entstehen der Gottesidee aufzeigt. „Gott“ wurde als Bezeichnung für etwas betrachtet, welches unter das „Unsagbare“ fällt (L. Wittgenstein) oder für dessen Entstehen uns die „seinsgeschichtlichen“ Voraussetzungen fehlen (M. Heidegger).

 Das aufkommende Industriezeitalter nahm vor allem die arbeitende Bevölkerung derart in Beschlag, dass die Gottesfrage durch den Kampf ums tägliche Überleben völlig in den Hintergrund gedrängt wurde. Ein Industriearbeiter, der 10 oder 12 Stunden am Tag arbeiten muss, fragt nicht mehr nach Gott. Oder er verzweifelt an einem Gott, der von der Not der Menschen, von ihrer Ausbeutung und Unterdrückung keine Notiz zu nehmen scheint.

Aber auch der Atheist kann der Versuchung zum Glauben nicht ganz entrinnen. Verantwortlicher Atheismus ist alles andere als bequem. Denn er weiß nicht, ob er seinen eigenen Einsichten in allen Lebenslagen gewachsen sein wird. Ob ihn nicht doch die „Gottbedürftigkeit“ des Menschen in extremen Situationen einholen und zum vielleicht unausgesprochenen und uneingestandenen Glauben bringen wird. Wie einer unter den unerträglichen Qualen der Folter seine Liebsten verraten kann, ohne dass sie ihm deswegen plötzlich weniger lieb wären, so könnten im Leid manche Überzeugungen oder Einsichten schwinden, ohne dass deren Inhalte selbst weniger überzeugend oder einsichtig werden.

„Der Glaubende wie der Ungläubige haben, jeder auf seine Weise, am Zweifel und am Glauben Anteil, wenn sie sich nicht vor sich selbst verbergen und vor der Wahrheit ihres Seins. Keiner kann dem Zweifel ganz, keiner kann dem Glauben ganz entrinnen; für den einen wird der Glaube gegen den Zweifel, für den anderen durch den Zweifel und in der Form des Zweifels anwesend. Es ist die Grundgestalt menschlichen Geschicks, nur in dieser unbeendbaren Rivalität von Zweifel und Glaube, von Anfechtung und Gewissheit die Endgültigkeit seines Daseins finden zu dürfen.“13

Die großen Themen des christlichen Glaubens

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