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Der Eigenwert der Farben

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Viele Eigenschaften der Farben und der malerischen Farbverwendung wirken zusammen, um sie als eigenwertige Kräfte verstehen und empfinden zu können. Nur einige wenige seien in der folgenden Skizze aufgeführt: Da ist zuerst die Differenz von Primär- und Sekundärfarben. Rot, Blau, Gelb und Weiß sind die Primärfarben, da auf keine Weise aus anderen Farben zu ermischen, während umgekehrt aus ihren Mischungen eine breite Skala von Farbtönen entstehen kann, darunter freilich in der Malpraxis sehr oft auch stumpfe bis schmutzige Töne. Neben ihrem Charakter als Elementar- oder Sekundärfarbe ist jede Farbe ferner auch durch ihren Helligkeits- oder Dunkelheitsgrad bestimmt – also durch die Valeurs oder Tonwerte. Je zahlreicher diese Abstufungen in einem Gemälde auftreten, je feiner aufeinander abgestimmt, desto ausgeprägter wird die harmonische Wirkung der Valeur- oder Tonmalerei sein. Allerdings diente die Farbtönung im Verein mit den Farbmischungen dazu, die Eigenwertigkeit, die Eigenmächtigkeit der Farben zu brechen. Denn Tonmalerei und Mischfarben standen im Gegensatz zur Leucht- und Buntkraft der Farben, die die mittelalterliche Malerei liebte und die viele Strömungen der modernen Malerei wieder kultivieren.

Wassily Kandinsky

Die Haltung des Malers und des Betrachters gegenüber dem farbigen Eigenwert müssen nicht, können aber mit den Traditionen der Farbsymbolik übereinstimmen – in den Grenzen einer bestimmten Kultur und einer bestimmten Zeit. Diese Präzisierung ist notwendig, denn Angehörige anderer Kulturen sehen anders und dechiffrieren andere Symbolüberlieferungen in den Farben. Als Beispiel für das angesprochene Wechselspiel möge das Gelb dienen. Ihm haftet nicht selten auch wirkungspsychologisch ein unguter Beigeschmack an, parallel zur oben angesprochenen tradierten Negativsymbolik. Kandinsky schrieb dem Gelb, wenn es als stechende Farbe begegnet, beunruhigende Wirkungen zu, es rege den Betrachter auf und impliziere einen gewalttätigen Charakter. Ja, er geht so weit, helles Gelb „als farbige Darstellung des Wahnsinns“ einzustufen. Die Psychiatrie ist ihm gelegentlich gefolgt und hat Gelb als Farbe der Schizophrenie interpretiert. Vincent van Goghs hochgradige Empfänglichkeit für die Farbe Gelb könnte, wie in solchem Zusammenhang ab und zu vermutet wurde, durch seine psychische Erkrankung verschärft worden sein.

Andererseits schrieb der Maler, Kunstpädagoge und Farbtheoretiker Johannes Itten, 1919–1923 Lehrer am Bauhaus in Weimar, einem bestimmten Gelb die Fähigkeit zu, die höchste Sublimierung der Materie durch die Macht des Lichtes auszudrücken. Allerdings gelte das nur für jenes Gelb, das sich dem Gold annähert, nicht für anderweitige Tonlagen. Angesichts solcher Ambivalenzen bescheidet sich Itten mit dem Fazit, die expressive Eigenart der Farben sei definitorisch kaum festzulegen.


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