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Maltechniken
Оглавление„Colores floridi“
Der römische Polyhistor Plinius d. Ä. beklagte in Buch XXXV seiner im Jahr 77/78 fertiggestellten Naturgeschichte den arg pompösen Malereistil seiner Zeit. Jene Bilder, so schrieb er, gelten als wertlos, zu deren Herstellung nicht eine Menge kostbar-bunter, exotischer, angeblich aus Ägypten, Numidien und Indien stammender Farbstoffe – colores floridi nennt er sie – aufgewendet wird (Zinnober, Armenischblau, Indigo, Purpurrot u. Ä.). Der Architekt Vitruv schlug im späten 1. Jahrhundert v. Chr. im VII. Buch seines Traktats De architectura den gleichen Ton an und verurteilte die entsprechende Verschwendungssucht als dekadent und der römischen Tugend der Schlichtheit widersprechend.
Nicht nur der auf sinnliche Pracht abzielende, nein, auch ein bewusst bescheidener Farbgebrauch, einer, der sich statt „blühender Buntheit“ auf gedämpfte Töne beschränkte, fand im Laufe der Kunstgeschichte immer wieder seine Anhänger. Im 13. und 14. Jahrhundert stand beispielsweise italienischen Malern je nach Auftragslage der Modus einer sich materiell ärmlich gebenden Malerei zur Verfügung. Die vornehmlich für den Franziskanerorden, einen Bettelorden, praktizierte religiöse Tafelmalerei gehorchte – anfangs – offensichtlich der aus der Antike übernommenen Rhetoriklehre. Sie unterschied zwischen Stil-Lagen. Die bescheidenste und von den Franziskanern geteilte Haltung nahm das genus humile oder submissum ein, eine mittlere Ebene besetzte das genus modicum, während das genus grande die Rolle des Erhabenen ausfüllt. Das genus humile manifestiert sich nicht zuletzt im Gebrauch bestimmter Materialien für bestimmte Bildthemen, vor allem Erinnerungsbilder an den heiligen Franziskus, also durch „Erdfarben“ oder erdige Temperafarben.
Mumienbildnisse – Enkaustik
So etwas wie eine Bildrhetorik mittlerer Höhe vermittelte, allerdings nicht im Trecento, die Enkaustik. In vielen Museen trifft man auf frappierende Porträts, auf die sogenannten Mumienbildnisse aus dem hellenistisch-römerzeitlichen und frühchristlichen Ägypten, die einst einem mumifizierten Toten vor das Gesicht gebunden waren. Sie fanden sich vorwiegend in der heutigen Oase Fayum in der Libyschen Wüste. Ihr Hauptkontingent stammt aus dem Zeitraum zwischen dem 2. und 4. nachchristlichen Jahrhundert. Eine eigentümliche Entrücktheit kennzeichnet die Gesichter mit den groß in eine jenseitige Welt blickenden Augen. Es handelt sich um Gedächtnisbilder und heroisierte Bilder – mit so viel Naturalismus, wie der Anspruch auf historische Erinnerung erfordert, und sehr viel mehr Idealität, um die spirituelle Erhöhung des Individuums und um die Durchlässigkeit des Bildes auf solche Überrealität hin zu visualisieren. Der überraschend frische Zustand der bemalten Tafeln hängt zum einen mit dem konservierenden Wüstenklima zusammen, zum anderen mit der Wachstechnik ( Enkaustik), in der die meisten Beispiele ausgeführt sind. Dabei muss die Malfläche ebenso erwärmt werden wie der doppelendige Bronzespatel, mit dem die Verarbeitung der in warmem oder flüssigem Zustand den Bildern aufgetragenen Wachsfarbmasse vorgenommen wird. Die Technik kann lasierend, deckend und pastos eingesetzt werden. Sie hat den Vorteil, weder zu einer Vergilbung noch zum Nachdunkeln zu führen oder Risse in der Farbmasse zu bilden. Sie widersteht der Feuchtigkeit – kurz: Sie garantiert eine erstaunliche Haltbarkeitsdauer. Die Symbiose der Farben mit dem Wachs verleiht dem Kolorit zudem einen matt schimmernden Oberflächenglanz, der den ästhetischen Gesamteindruck sublimiert. Man darf sagen, dass die Wachsmalerei in der Antike die Technik war, die den Möglichkeiten der sehr viel späteren Mischtechniken, besonders was die Wiedergabe der menschlichen Haut betrifft, zu der auch malerische Schraffuren beitrugen, am nächsten kam.
Noch lange hat man die Enkaustik-Technik beibehalten, sie lässt sich anhand von Ikonen des 6. und 7. Jahrhunderts im Katharinenkloster auf dem Berg Sinai nachweisen und noch im 9. Jahrhundert in den Kunstzentren des Byzantinischen Reiches. Dann allerdings verschwand sie mehr oder weniger von der Bildfläche, um nur noch gelegentlich im 19. Jahrhundert ihrer Haltbarkeit wegen für Wandbilder aufgegriffen zu werden.
Nicht verschwunden sind die Glas- und die Wandmalerei. Doch da deren künstlerisch-ästhetische Erscheinung besser im Kontext ihres Anbringungsortes zu verstehen ist, gehe ich erst später auf sie ein. Im Folgenden beschäftige ich mich stattdessen mit den ästhetischen Auswirkungen dreier anderer genera pingendi, von denen zwei, das Aquarell und das Pastell, die Grenze zur Zeichnung überschreiten können. Den Anfang aber macht eine der erfolgreichsten, weil variabelsten Maltechniken, die Ölmalerei.