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Das Aquarell
ОглавлениеDas Aquarellieren ist eine Version des Malens mit Wasserfarben. Letztere sind Farben, bei denen das pulverisierte Pigment in Wasser verdünnt oder gelöst und dann auf eine Malfläche übertragen wird, wo es nach dem Auftrocknen farbige Stellen bildet. Der Terminus „Aquarell“, vom lateinischen aqua („Wasser“) abgeleitet, begegnet erstmals im 18. Jahrhundert. Er bezeichnet einen Sachverhalt, der freilich sehr viel älter ist. Das späte Aufkommen des Begriffs weist darauf hin, dass damals mit dieser Art des Malens auch eine kategorial neue Art des Sehens und der Wiedergabe des Gesehenen verknüpft wurde.
Abb. 5 Jan van Eyck: Madonna des Kanonikus Joris van der Paele, 1436, Öl auf Holz, 122 × 157 cm, Brügge, Groeningemuseum.
Das Aquarell entfaltet dort die in ihm angelegten phänomenalen Qualitäten am besten, wo es die Durchsichtigkeit, die Transparenz seiner Farben kultiviert. Die Aquarellfarbe reflektiert nicht, verglichen mit der Ölfarbe, das auftreffende Licht an der Oberfläche, dieses dringt vielmehr zum weißen Papiergrund durch und wird von dort durch die nicht deckenden Farbschichten hindurch wieder zurückgeworfen. Die lasierte Farbe erhält so eine gewisse Duftigkeit, die sie atmosphärisch wirken lässt. Die optische Leichtigkeit des Aquarells ist das willkommene Äquivalent für die Wiedergabe flüchtiger, transitorischer Seheindrücke und spontaner Sinnesreaktionen.
Lavieren
Das rasche, nasse Anlegen des Pinselstrichs ist dafür ebenso eine Voraussetzung wie der Umstand, dass der Aquarellist am besten dort den Papiergrund frei lässt, wo in der Ölmalerei das hellste Licht bzw. Glanzlichter auftreten würden, und dass er von diesen Weißstellen Schritt für Schritt zu den dunkelsten Passagen hinmalt. Freilich, das „reine“ Aquarell, das jedes Deckweiß vermeidet und alle Farben transparent und lasierend verwendet, bleibt in der Geschichte dieser Maltechnik relativ selten. Zumeist herrscht die Kombination dreier verschiedener Verfahren vor: des lasierenden Übermalens, der Farbmischung und schließlich der Farblavierung. Im ersten Fall wird ein Farbstrich gesetzt und nach dem Trocknen mit einem anderen Farbstrich übermalt; der primäre Strich bleibt sichtbar, wird aber farbig durch den überlagernden Strich modifiziert. Im zweiten Fall mischt man zwei oder mehrere Farben in etwas Wasser zum gewünschten Farbton, ehe man ihn aufs Papier setzt – was allerdings die Farbe stumpfer macht. Unter Lavieren versteht man das rasche Nass-in-Nass-Malen auf dem Papier. Solches Lavieren erwähnt bereits der oben zitierte Cennino Cennini um 1390 in seinem Malereitraktat. Identische Effekte kann man auch dadurch erzeugen, dass man das Papier mit Wasser tränkt und anschließend die Farbe in dieser Nässe verfließen lässt.
Dürers Aquarelle
Seit dem 15. Jahrhundert begegnet man zunehmend aquarellierten Illustrationen in nun auch schon auf Papier (mit dem sich Aquarellfarben besser verbinden als mit Pergament) geschriebenen Handschriften und parallel dazu trifft man auf die buchunabhängige aquarellierte Federzeichnung, wie wir sie etwa von dem Italiener Pisanello kennen. Einen noch beeindruckenderen Höhepunkt stellen dann die insgesamt 34 erhaltenen Aquarelle Albrecht Dürers dar. Einige der schönsten malte er während seiner ersten Italienreise, die neuesten Erkenntnissen zufolge nicht 1494, sondern etwa zwei Jahre später stattfand. Auch während und nach der zweiten Venedigreise rund zehn Jahre später wird Dürer aquarelliert haben, etwa die Weidenmühle (Federzeichnung, Aquarell und Deckfarben; Paris, Bibliothèque Nationale), eines der herrlichsten Stücke in der Geschichte des Mediums: stupend die Behandlung des Lichtes und der Farbreflexe, von noch nie dagewesener Atmosphärik – eine topografische Aufnahme, die alle Details in die organische Ganzheit und Raumqualität neuzeitlicher Landschaftsauffassung einbindet. Niemand vorher war mit Wasserfarbe so frei und doch so treffsicher umgegangen. Dürer, so könnte man meinen, kostete die Flüchtigkeit des Seheindrucks aus, gab sich einer von der Lust am Augenschein getragenen Schönheit hin. Gelegentlich hat er die Komposition großzügig vorskizziert, das Gros seiner Landschaftsaquarelle brachte er jedoch ohne Vorzeichnung direkt aufs Papier. Indes, Dürer war kein Impressionist avant la lettre. Zweifellos setzen seine Aquarelle einen innovativen Blick auf die Natur voraus. Ob als Mittel zum Zweck oder als Selbstzweck, wird kontrovers beurteilt. Einerseits unterstreicht man die subsidiäre Funktion jener Aquarelle, viele von ihnen seien ja „nur“ Studienmaterial gewesen. Andererseits klassifiziert man sie als autonome, bildmäßig geschlossene Kompositionen. Eine solche autonome Bildkraft stritt man den Tier- und Pflanzenaquarellen Dürers nie ab. Das 1503 datierte Aquarell, samt Deckfarben und Weißhöhung, Das Große Rasenstück (Wien, Grafische Sammlung Albertina) geht auch ikonografisch über ein Studienblatt unendlich weit hinaus. Und das Gleiche gilt für das ebenfalls Deckfarben und Weißhöhung verwendende Blatt mit dem Feldhasen von 1502 (gleichfalls in der Albertina)
Grand Tour
Einen zweiten Höhepunkt in der Geschichte des Mediums bringt die englische Aquarellmalerei des 18. und frühen 19. Jahrhunderts mit sich. Den wichtigsten Anstoß gab jene gesellschaftliche Mode, die Erziehung junger Lords und Gentlemen mit einer Reise durch den Kontinent nach Italien abzuschließen. Meist begleiteten die Herrschaften auf ihrer Grand Tour Aquarellmaler, deren Bilderserien nicht selten die Aufgabe des späteren Touristenfotos übernahmen. Die verbreitete frühindustrielle Herstellung von Aquarellfarben in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts hatte zur bequemen Verfügbarkeit der Malmaterialien geführt, die vor allem auf Reisen willkommen sein musste und die Beliebtheit des Aquarellkastens als Requisit professioneller Maler und Amateurlandschafter noch wachsen ließ.
William Turner
Die Reisen zu malerischen Attraktionen, in die wildromantische Alpenwelt, ins Rheinland und in die pittoresken Regionen Italiens, vor allem in die römische Campagna oder den Golf von Neapel, aber auch das neue Interesse an heimatlichen Stimmungsregionen – etwa in Schottland – hatten einen unvergleichlichen Aufschwung englischer Landschaftsmalerei von circa 1800–1840 und eben auch des Aquarellierens zur Folge. In London konstituierte sich 1804 die Society of Painters in Water Colours (gefolgt 1831 von der New Society of Painters in Water Colours). Zu ihrem Kreis gehörte auch William Turner. Dieser heute weltberühmte Künstler spitzte die dem Aquarell innewohnenden Möglichkeiten aufs Äußerste zu, indem er nicht zuerst die Zeichnung auftrug, sondern mit dem Pinsel – nass in nass – den farbigen Bildgrund in großen Zügen anlegte und dann erst ein paar Details präzisierte, mit dem Ergebnis einer sich in Farb- und Lichtenergien auflösenden Erscheinungswelt.
Tunisreise
Die Attraktivität der Aquarelltechnik erreichte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert schließlich ihren dritten Höhepunkt. Unter den Künstlern der in München gegründeten Expressionistengemeinschaft Der Blaue Reiter befragte bekanntlich Kandinsky die autonome Existenz der Farbe, ihre „spirituelle“ Musikalität und geistig-psychische Wirkungsweise besonders konsequent. Folgerichtig wurden für seine experimentellen Absichten die leichtflüssigen Aquarellfarben zum optimalen Ausgangsmaterial. Und auch für August Macke und für Paul Klee, die sich, wie wir hörten, im Sommer 1914 in Tunesien aufhielten, war es das lichterfüllte Aquarell, das die Atmosphäre jener nordafrikanischen Landschaften am besten in ganzer Intensität spiegelte. Während Klee damals die Wasserfarben zu schwereloser, sanft verfließender Transparenz poetisierte, gestaltete Macke aus ihnen emailartig kostbare, leuchtende Flächen auf dem Weiß des Papiergrundes, mit denen er auch thematisch irdische Paradiese beschwor. Die in die Annalen der Kunstgeschichte eingegangene Tunisreise war wahrhaft zu einer Sternstunde der Aquarellmalerei avanciert.