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Die Ölmalerei
ОглавлениеDas Wesen der Farbe an sich ist der Ansicht des antiken Philosophen Platon zufolge identisch mit einer allem Körperlichen entströmenden Flamme. Ähnlich qualifizierte rund tausend Jahre später der mittelalterliche Enzyklopädist Isidor von Sevilla in seinen Etymologiae, die bei seinem Tod 636 noch nicht ganz fertiggestellt waren, die Farbe als gefangen gehaltenes Sonnenlicht.
Apelles
Sowohl in der Antike als auch im Mittelalter galt eine Farbe um so höherrangiger, je lichthaltiger sie war, genauer gesagt: je glänzender sie war, je stärker sie aufgrund ihrer materiellen Konsistenz das Licht reflektierte. Der berühmteste Maler der Antike, Apelles, tat der Überlieferung nach alles, um die Oberflächen seiner Bilder durch Lasieren, Schleifen und Polieren erglänzen zu lassen. Vielleicht noch weiter ging die Lichtmetaphysik des christlichen Mittelalters, die allem Glanz Teilhabe an höchster spiritueller Existenz zuschrieb. Konsequenterweise sollte sich auch die Farbigkeit zu höchstmöglicher, also „glänzendster“ Gestalt steigern, weswegen lange Zeit Mosaiken und Goldgründe, in der Gotik die Glasmalerei den Primat bei der Ausstattung der Kirchen beanspruchten. Und auch aus den Miniaturen mittelalterlicher Handschriften leuchten die Farben ungebrochen und schattenlos in klar abgegrenzten Flächen, sodass sie ihr eigenes Licht auszusenden scheinen.
Im Reich der Tafelbilder übernahm die Ölmalerei eine vergleichbare, wenn auch modifizierte Rolle.
Die Erfindung der Ölmalerei
Wann genau diese Maltechnik entwickelt wurde, ist nicht mit Exaktheit festzustellen. Jedenfalls lange vor Jan van Eyck, dem die Tradition die Erfindung zugeschrieben hat. Mit zu den ältesten bekannten Beispielen gehören zwei beidseitig bemalte Heiligentafeln, wohl von einem Retabel aus dem Wormser Dom (jetzt in Darmstadt, Hessisches Landesmuseum), die um 1260 zu datieren sind. Wann auch immer die Ursprünge der Technik anzusiedeln sind, seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts waren ihre Folgen jedenfalls gewaltig. Die glatten, edelsteingleichen Oberflächen bei Bildern Jan van Eycks und dessen aufs höchste verfeinerte Detailmalerei ließen sich – durch die Verdickung des Öls, den Zusatz von Harzen und die Herstellung komplizierter Mischungen auf der Palette – problemlos in das Zusammenspiel sowohl von kräftigem Impasto als auch von subtiler Lasierung umsetzen.
Bei der Ölmalerei wird als Bindemittel für die Farbpigmente Öl verwendet, was sie nur für Tafel-, nicht für Buchmalerei und so gut wie gar nicht – trotz einiger weniger gegenteiliger Experimente, u.a. in Leonardo da Vincis berühmtem Abendmahl-Fresko – für die Wandmalerei geeignet macht.
Seit den Künstlerbiografien des italienischen Malers, Architekten und Kunstschriftstellers Giorgio Vasari, die in erster Auflage 1550, in zweiter – wie schon erwähnt –, erweiterter Version 1568 erschienen, galt der Niederländer Jan van Eyck als Erfinder der Ölmalerei. Laut Vasari soll Jan, da ihm ein auf Holz gemaltes Gemälde beim üblichen Trocknen in der Sonne auseinanderbrach, mit einem Firnis experimentiert haben, der auch im Schatten trocknen könne. Er entwickelte ein Bindemittel zum Anreiben der Farben, das wesentlich haltbarer und leichter zu handhaben war als die herkömmlichen Temperabindemittel und einen brillanten Oberflächenglanz der Farben garantierte.
Temperafarben
Der Hinweis auf Temperafarben erfordert an dieser Stelle einen kleinen Exkurs. Die Bezeichnung „Tempera“ kommt vom lateinischen temperare („vermischen“). Was hier vermischt wird, sind, grob gesagt, denn es existiert eine Unzahl von Rezepturen, wasserlösliche und wasserunlösliche Bindemittel in einer Emulsion, z.B. eine wässrige Leimlösung, die mit Leinöl verbunden wird. Wächst bei der Tempera der Anteil der Öle oder Harze innerhalb der Wasserfarbe stark an, nähert sie sich als „fette Tempera“ – d.h. wasserunlöslich und nur mit Öl zu vermalen – mehr oder weniger eng der Ölmalerei an. Umgekehrt kann sich eine Ölfarbe durch Zusatz von Emulsion in Tempera verwandeln, d.h. derart „mager“ werden, dass sie sich zuletzt mit Wasser vermalen lässt. Der Arzt Urso von Salerno hat gegen Ende des 12. Jahrhunderts möglicherweise als Erster die unterschiedlichen Techniken der Öl- und der mit dem Saft von Feigenschösslingen gemischten Eitempera beschrieben. Offenbar griff man im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts immer häufiger zur Kombination beider Techniken, sodass sich Gemälde noch des 16. Jahrhunderts vielfach kaum der einen oder anderen Kategorie – Tempera oder Öl – zuweisen lassen (man spricht dann in der Regel von „Mischtechnik“).
Ölmalerei und Bindemittel – Antonello da Messina
Vasari behauptet von van Eyck, dieser habe die Zusammensetzung seiner Bindemittel bis ins hohe Alter hinein als Geheimnis gehütet, bis er es seinem Schüler Rogier van der Weyden und dann dem eigens zu diesem Zweck aus Italien angereisten Antonello da Messina anvertraute. Diese Notiz löste eine der umfangreichsten maltechnischen Diskussionen in der Geschichte der europäischen Kunst aus. Man neigt mittlerweile dazu, das eigentliche Geheimnis weniger in der Erfindung eines innovativen Bindemittels zu sehen als vielmehr im komplizierten, aber konsequenten Aufbau der Malerei, der die Ölfarben des damaligen Typs in optimaler Weise zum Leuchten brachte. Insgesamt relativiert die aktuelle Forschung Jan van Eycks Anteil an der Herausbildung der Ölmalerei, ohne ihm indes seine zukunftsweisende Relevanz abzuerkennen. Schon Gotthold Ephraim Lessing hatte, als er die Entdeckung einiger Teile des Malereimanuskriptes Schedula diversarum artium des Theophilus Presbyter, von der oben die Rede war, in der Herzoglichen Bibliothek von Wolfenbüttel 1774 mit der Einleitung „Vom Alter der Ölmalerei“ veröffentlichte, Vasaris Geschichte als Märchen entlarvt und bewiesen, dass der Gebrauch von Ölfarbe für die Malerei bei weitem älter ist als von Vasari behauptet. Doch Jan van Eyck und seine Zeitgenossen haben sie, und hierin wird man Vasari Recht geben, zu einem ersten und gleich zu einem unüberbietbaren Höhepunkt geführt, dadurch, dass die Farbe nicht sofort und in einem einzigen Prozess (alla prima) aufgetragen wird, sondern in einem langwierigen Verfahren in mehreren Schichten (Lasuren), von dunkleren zu helleren Tönen hin. Weil die tieferen Lagen durch die oberste Schicht gleichsam durchschimmern, vermögen sie eine schier unbegreifliche Leuchtkraft hervorzuzaubern. Auch der Name Antonello da Messina taucht bei Vasari nicht ganz grundlos auf. Denn die neue flämische Technik fand im Italien der dreißiger und vierziger Jahre des 15. Jahrhunderts Eingang ins Œuvre von Filippo Lippi und in das des Antonellos. In den fünfziger Jahren des 15. Jahrhunderts machte sich in Mailand der Architekt Antonio Averlino, genannt Filarete, an die erste umfassende Darstellung der Ölmalereitechnik, in der er Jan van Eyck und Rogier van der Weyden als Hauptexponenten anführte.
Madonna des Kanonikus van der Paele
Man nehme als Beispiel für die darstellerischen und lichtästhetischen Möglichkeiten der Ölmalerei das 1436 von Jan fertiggestellte Altargemälde Madonna des Kanonikus Joris van der Paele (Abb. 5). Das gemalte Licht, das auf die Dinge trifft, verdeutlicht, umschreibt, modelliert hier die unterschiedlichsten Materialien – Leinen, Seide, Wolle, Brokat, Haar, Pelz, Glas, Holz, Marmor –, indem es auf deren stoffliche Qualität und deren unterschiedliche Oberflächenreize reagiert. Wie allerfeinste Materie durchdringt es selbst die Schattenpartien und vermittelt so einen Luftraum zwischen den Körpern, die sämtlich aus einer gemeinsamen Beleuchtungsquelle erhellt werden. Das Glitzern der Juwelen an dem Gewand der Jungfrau Maria, der steife Brokat des Ornats des heiligen Donatus, der Glanz der Ritterrüstung des heiligen Georg, der wollige Teppich, die Butzenscheiben und die glänzenden Marmorsäulen werden in den Eigenheiten ihrer Oberflächen in schier unbegreiflicher Perfektion vor uns ausgebreitet. Und der Schimmer konkretisiert sich in höchster illusionistischer Perfektion dort, wo er spiegelnd zurückgeworfen wird – etwa der rote Mantel der Madonna an verschiedenen Stellen der polierten Georgsrüstung.
Ölfarben lassen sich lasierend in vielen zarten Schichten übereinanderlegen – was ihre Lichthaltigkeit und Leuchtkraft zu höchster Effizienz zu steigern vermag. Sie können aber auch pastos aufgetragen werden – man denke an Rembrandts Farbrelief (vgl. Abb. 1) –, und sie können in allen erdenklichen Mischungsverhältnissen auftreten, also statt der eigenwertigen Leuchtkraft der Farben ihre darstellungswertige „Plastizität“ unterstreichen.