Читать книгу Der Stand der Dinge - Odd Klippenvåg - Страница 14

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Ein ganzes Leben zwischen bäuerlichen Antiquitäten, und dann bin ich hier gelandet!

Anne, diese Freundin von Inger ... «Zuerst haben mich diese Dinge als Kunstgegenstände eigentlich nicht interessiert», erzählte ich ihr, «aber als ich den Laden von Onkel Gustav übernommen hatte, wurde das anders.» Und ich verbreitete mich darüber, wie diese Gebrauchsgegenstände, ein Esstisch zum Beispiel, ein Hängeschrank mit Rosenmuster oder ein Bierhuhn, ihren Charakter änderten. Wie sie neues Leben bekamen, wenn sie sich aus Nutzgegenständen in Kunst verwandelten. «Überleg mal», sagte ich. «Wie die Zeit uns von denen trennt, die diese Dinge hergestellt und benutzt haben; jetzt sind es die Gegenstände selbst, die uns verbinden.» – «Ja», antwortete Anne. «Wir hatten auf unserem Gebirgshof in Kvam allerlei solche Dinge.» Ich war überrascht darüber, was sie da sagte, dass sie aus Gudbrandsdalen kam, aber mir wurde klar, dass ich immer schon gehört hatte, dass sie einen ganz eigenen Klang in der Stimme hatte, einen abgeschliffenen Akzent, der nicht aus dem Gebiet von Oslo kam, aber ich hatte mir keine Mühe gegeben, diesen Akzent unterzubringen. Ich wollte ihr allerlei Fragen über den Hof stellen, aber sie stand auf, um auf die Toilette zu gehen. «Wie findet ihr sie?», fragte Inger, als Anne verschwunden war. «Sie ist reizend», sagte Annar, «richtig reizend.» – «Ja, das ist sie», sagte auch ich. «Du musst sie gut behandeln, Inger.» Schon berauscht vom Wein, war Inger plötzlich wieder so ernst wie zu Beginn ihres Besuches, als sie uns ihre Freundin vorgestellt hatte. «Aber sicher ist sie reizend», sagte sie. «Ich liebe sie.»

Und nur wenige Tage zuvor, am Heiligen Abend ... Annar war so überrascht, dass er sich fast sein weißes Hemd mit Kaffee bekleckert hätte, als ich fragte, ob er sich daran erinnern könne, wie er zum ersten Mal auf mich aufmerksam geworden sei. «Das ist ja eine seltsame Frage», sagte er und brachte die Tasse auf der Untertasse in Sicherheit. «Warum willst du das gerade jetzt wissen?» – «Weil es mich interessiert», antwortete ich nur. Er fuhr sich über das Kinn und wartete ein wenig, ehe er antwortete: «Nein, weißt du was, das weiß ich nicht mehr.» – «Gar nichts?», fragte ich, um ihn unter Druck zu setzen. «Absolut nicht», sagte er. Aber nachdem er aufgestanden war und das Fenster geschlossen hatte, kam es dann: «Jedenfalls kann ich das nicht mit einer bestimmten Episode in Verbindung bringen, es kommt mir eher vor wie ein Zustand. Ich habe dich von meinem Zimmer aus gesehen, schon als ich noch ganz klein war.» – «Woran erinnerst du dich?», fragte ich. «Ich weiß noch, dass du vom Lieferwagen aus allerlei Dinge in den Schuppen getragen hast», sagte Annar und lächelte. «Truhen, Regale und bemalte Schränke. Manchmal hattest du jemanden zur Hilfe, und im Sommer warst du oft oben ohne.»

Erst später, als Anne von der Toilette zurückgekommen war und vor der Vitrine stand, änderte sich alles. «Jetzt müssen wir es ihnen sagen, Anne», sagte Inger. «Oder nicht?» – «Wenn du willst», sagte Anne und drehte sich zu uns um. Inger griff nach ihrem Cognacglas, und nachdem sie getrunken hatte, sagte sie: «Wir haben beschlossen, ein Kind zu bekommen, Anne und ich!» Die Nachricht ließ die Zeit stillstehen, so kam es mir vor. «Nun sagt doch was!», rief Inger. «Klatscht in die Hände!» Also riss ich mich zusammen und gratulierte. «Das ist aber eine Überraschung», sagte ich. Annar sprang auf und schenkte Cognac nach, und wir stießen alle an. «Aber wie wollt ihr das machen?», fragte Annar dann. Diese Frage führte zu neuer Stille, und in dieser Stille setzte Anne sich ziemlich schnell in den Sessel. «Es gibt Spender», sagte Inger. «Wir können ins Ausland fahren.» – «Und wer soll das Kind austragen?», fragte Annar. «Anne natürlich», antwortete Inger. «Ich bin zu alt.» Ich versuchte, der gedämpften Jazzmusik zu lauschen, die aus der Stereoanlage kam, aber es ging nicht. Ich fühlte mich seltsam angespannt durch all das, was ich hier erfahren hatte. Warum, überlegte ich. Wenn Inger und Anne sich Kinder wünschen, geht mich das doch eigentlich gar nichts an. Mir ging erst auf, wie sehr ich mich da irrte, als Inger nun sagte: «Das Einfachste wäre es, wenn du, Annar, Vater werden wolltest, wir haben uns das überlegt, weißt du.» – «Ich?!», sagte Annar wie aus allen Wolken gefallen. «Meint ihr das ernst?»

«Sicher meinen wir das ernst», antwortete Inger. Annar sah mich fragend an, hilflos, aber ich wandte mich ab, ich sah Annes Hand an, die Caros Fell streichelte. Das hier habe ich nicht gehört, dachte ich, ich weigere mich, es zu glauben. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte sie alle sitzen lassen, aber nun fragte Inger: «Was meinst du, Simon, würde es dir gefallen, wenn Annar Vater würde?» Es war einfach unglaublich unverschämt, mit so einer Frage konfrontiert zu werden, ohne Vorwarnung, am zweiten Weihnachtstag. Trotzdem riss ich mich zusammen. Ich musste an die Unruhe denken, die Annar in unseren ersten gemeinsamen Jahren verspürt hatte, ich hatte geduldig mit ihm sein müssen, nachsichtig, auch was seine Frauengeschichten anging. Ich sagte: «Das ist Annars Sache, ich habe mir niemals Kinder gewünscht.» Ich merkte, dass alle mich anstarrten, auch Anne. «Du darfst dich nicht übergangen fühlen», sagte Inger. «Ich bezweifele ja gar nicht, dass auch du noch Mehl im Sack hast.» Nun reichte es mir, ich sprang auf und sagte: «Verzeihung, aber manchmal bist du so vulgär, Inger, dass es eine Schande ist, sich das anhören zu müssen.» Dann verließ ich sie, dicht gefolgt von Caro, und als ich durch das Esszimmer ging, hörte ich nur meinen keuchenden Atem und die Hundepfoten auf dem Parkett.

Als Annar jung war, musste ich nicht besonders vorsichtig sein, wenn ich sonntags aus dem Bett aufstand, so tief schlief er. Am liebsten auf dem Bauch, den Kopf auf dem Kissen zur Seite gelegt, verdreht fast. Und mit offenem Mund. Oft lief ich eine Runde mit dem Hund. Damals war es so still. Obwohl Tankstelle und Imbiss schon gebaut worden waren, als Annar zu mir ins Haus zog. Vater tot, Mutter nicht ... der Imbiss öffnete ohnehin erst nachmittags. Und die Autowerkstatt war geschlossen. Hinter dem Haus lag der noch unbebaute Hügel. In der Regel lief ich dort hinauf. Über den schmalen Weg. So schlammig und glitschig im Frühjahr, zundertrocken im Sommer. In den Wald. Und der Hund jagte vor oder hinter mir her. Und war zwischendurch auch gar nicht zu sehen. Versteckt im Gebüsch. Aber wenn ich pfiff, war er gleich wieder da.

Ich erinnere mich an die Wiesen mit den Leberblümchen. Und daran, wie die Knospen an den Bäumen sich öffneten.

In jenen Jahren ... ich glaube, ich bin damals bei Sonne und bei Regen gelaufen. Ich brauchte auf nichts Rücksicht zu nehmen. Jedenfalls nicht auf die Gesundheit. Und wenn Annar noch nicht aufgestanden war, wenn ich nach der Rückkehr geduscht hatte, fing ich an, Frühstück zu machen.

Und damals, als Annars Mutter auftauchte ... da bot ich ihr Kaffee aus der Thermoskanne an.

Ich hatte sozusagen geahnt, dass etwas passieren würde. Und dann stand sie eines Tages in der Schuppentür und bat flehentlich für Annar. Ob ich nicht so gut sein könne, sie wisse einfach nicht weiter. Dann kam die ganze Geschichte. Über den Mann, der sie verlassen hatte. Allein ihre Stimme, die so deutlich war. So flehend. Ich bat sie, hereinzukommen und sich zu setzen, aber das schien sie nicht gehört zu haben, so verzweifelt war sie. Ob ich Annar nicht wenigstens probeweise anstellen könne. Zwei Tage in der Woche. Viel Lohn brauche er nicht. Als sie endlich in den Schuppen kam und sich auf eine Truhe gesetzt hatte, schaute sie sich verwirrt um. Als hätten ihre Augen sich noch nicht an die Dunkelheit dort drinnen gewöhnt. Das war im Herbst 1967. Ich sagte, ich wolle es mir überlegen, aber sie verlangte, dass wir sofort zu einer Einigung kämen. Da und dort. Sonst wäre es zu spät. Und ich müsse mit Annar reden. Denn er schwänzte die Schule. Und das schon lange. Ich müsse fragen, ob er wohl Lust hätte, wenigstens zwei Tage pro Woche bei mir zu arbeiten. Sie könne es ihm nicht vorschlagen, denn dann werde Annar sich weigern. Da war sie sich sicher. Und eigentlich dürfe er auch nicht erfahren, dass sie sich an mich gewandt hatte.

Und da kommt Frau Svendsen mit ihrem Rollator angeschlurft. Und endlich Kaffeeduft.

Der Stand der Dinge

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