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c) Versuche restriktiver Auslegung des Merkmals Heimtücke

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Die dargestellten Grundanforderungen (vgl. Rn. 9 ff.) reichen anerkanntermaßen nicht aus, um den Anwendungsbereich der Heimtückemodalität hinreichend einzugrenzen. Denn ein Täter wird dem vorgesehenen Opfer überwiegend gerade nicht offen entgegentreten, so dass derartige Tötungen in der Regel ohne weitere Differenzierungsmöglichkeit als heimtückisch zu bewerten wären.

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Dies aber entspräche nicht der gerade für das Merkmal der Heimtücke – und im Übrigen nur noch für die sog. Verdeckungsabsicht (vgl. Rn. 84 f.) – aufgestellten Forderung des Bundesverfassungsgerichts, Fälle mit deutlich vermindertem Unrechts- und Schuldgehalt, bei denen die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe unverhältnismäßig wäre, aus dem Mordtatbestand „herauszufiltern“.[43]

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Beispielsfall 1 – Tod im Wald:

Der Langstreckenläufer B absolviert sein abendliches Training in einem Waldgebiet. Dabei hört er Musik aus seinen Umgebungsgeräusche ausblendenden Kopfhörern und hängt seinen Gedanken nach. An einer Lichtung hat sich A in einem Gebüsch versteckt. Als B sich nähert, wird er von A mit einer Pistole erschossen. Diesem war klar, dass ihn der ihm unbekannte B aufgrund der Umstände nicht wahrnehmen konnte.

Strafbarkeit des A?

Lösung:

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A hat vorsätzlich einen Menschen getötet (§ 212 Abs. 1). Er könnte dies heimtückisch getan haben. Für andere Mordmerkmale – insbesondere für ein Handeln aus Mordlust (vgl. Rn. 55 ff.) – sind die Angaben im Sachverhalt dagegen nicht ausreichend. B war in der konkreten Situation arg- und infolgedessen wehrlos. Da A dies bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt hat, sind die Grundvoraussetzungen einer heimtückischen Tötung (§ 211 Abs. 2; vgl. Rn. 9 ff. und 53) erfüllt. Deren weitergehende Anforderungen sind jedoch umstritten.

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(1) Der Bundesgerichtshof und Teile der Literatur verlangen ergänzend eine Tatbegehung in sog. feindlicher Willensrichtung.[44] Hierdurch sollen vor allem die Fälle ausgeschieden werden, denen wegen Fehlens von Feindseligkeit und Eigensucht der Unrechts- und Schuldgehalt eines Mordes nicht innewohnt, weil der Täter „zum Besten seines Opfers“ zu handeln meint. Das Motiv muss ernsthaft und achtenswert, die zugrundeliegende Wertung seitens des Täters objektiv nachvollziehbar sein.[45]

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Merke:

Der Bundesgerichtshof hat dies neuerdings dahin präzisiert, dass die feindselige Willensrichtung grundsätzlich nur dann fehlen kann, wenn die Tötung dem ausdrücklichen Willen des Opfers entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht.[46]

Beispiel:

A verabreicht dem schwerkranken B – auf dessen Wunsch – aus Mitleid eine tödliche Injektion, um ihm weiteres Leiden und einen schweren Todeskampf zu ersparen.[47]

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In diese Richtung gehende Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise „positiv motivierte“ Tötung lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, so dass A nach dieser Auffassung heimtückisch getötet hat.

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(2) Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof die sog. Rechtsfolgenlösung entwickelt.[48] Diese bezieht sich ausschließlich auf das Merkmal der Heimtücke.[49] Denn ihre Anwendung auf andere Mordmerkmale ist weder von Verfassungs wegen noch einfachgesetzlich geboten.[50] Dieser Ansatz eröffnet trotz Erfüllung des Mordtatbestands die Möglichkeit, in „Grenzfällen“ im Wege einer analogen Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 eine zeitige Freiheitsstrafe von drei bis zu fünfzehn Jahren zu verhängen. Dafür sind allerdings Entlastungsfaktoren erforderlich, die nicht lediglich nach § 213 Berücksichtigung finden würden, sondern den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben,[51] d.h. der Bundesgerichtshof wollte nicht allgemein einen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle einführen.[52] Auch darf auf diese „außerordentliche“ Strafrahmenverschiebung erst zurückgegriffen werden, wenn eine solche nicht schon durch einen gesetzlich vertypten Milderungsgrund möglich ist.[53] Für diesen Ansatz sprechen diese Argumente:

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In Fällen, in denen aufgrund sog. vertypter Milderungsgründe (z.B. §§ 13 Abs. 2, 17 Abs. 2, 21, 23 Abs. 2) eine Strafmilderung vorgeschrieben oder zugelassen ist, tritt an die Stelle lebenslanger eine zeitige Freiheitsstrafe. Vom Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene, aber außergewöhnliche Entlastungsfaktoren können bei wertender Betrachtung dieselbe Wirkung haben.

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Diese Lösung ermöglicht in allen in Betracht kommenden Heimtückefällen die Verhängung der schuldangemessenen Strafe, ohne in die allgemeine Dogmatik zum § 211 einzugreifen.

Aufbau- und Vertiefungshinweis:

Durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motivierte, in großer Verzweiflung begangene, aus tiefem Mitleid oder aus „gerechtem Zorn“ aufgrund einer schweren Provokation verübte Taten können solche Umstände aufweisen, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben.[54] – Die Prüfung der Rechtsfolgenlösung des Bundesgerichtshofs hat am Ende des den § 211 betreffenden Teils zu erfolgen, d.h. nach der Schuld, da es insoweit allein um den Strafausspruch geht.

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Derart „notstandsnahe“ Tatmotive des A sind im Beispielsfall ohnehin nicht ersichtlich.

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(3) Das Schrifttum fordert dagegen für die Heimtückemodalität überwiegend einen (besonders) verwerflichen Vertrauensbruch, d.h. der Täter muss ihm entgegengebrachtes Vertrauen bewusst missbrauchen.[55] Das Ausnutzen eines Vertrauensverhältnisses – vor allem, aber nicht nur aus persönlichen Bindungen – berechtigt zum Vorwurf gesteigerter Verwerflichkeit der Tat. Hierfür wird dieses Argument vorgebracht:

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Dieser Ansatz verhindert, dass „jeder Überfall auf einen Ahnungslosen“ einen Totschlag zum Mord macht (vgl. Rn. 20), und ermöglicht somit, dass § 211 nur „höchstverwerfliche“ Tötungen erfasst.

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Will man es für einen derartigen Vertrauensbruch nicht schon genügen lassen, dass das Opfer allgemein vom „Wohlwollen seiner Umgebung“ ausgeht und diese Erwartung widerlegt wird, so fehlt es im Beispielsfall an einem den besonderen Mordunwert (vgl. Rn. 1) begründenden Vertrauensbruch des A gegenüber B, so dass nur § 212 erfüllt ist.

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(4) Eine andere Meinung will trotz heimtückischer Begehungsweise Mord verneinen, wenn eine Tötungshandlung aufgrund umfassender Gesamtwürdigung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit als nicht besonders verwerflich erscheint (sog. negative Typenkorrektur). Dieses Korrektiv soll – im Unterschied zum Vorschlag des Vertrauensbruchs (vgl. Rn. 31 ff.) – nicht auf Heimtücke beschränkt sein.[56] Es wird auf folgendes Argument gestützt:

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Die negative Typenkorrektur erlaubt eine flexible Erfassung vorsätzlicher Tötungen unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit trotz „formaler“ Verwirklichung eines Mordmerkmals.

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Gesichtspunkte, die im Beispielsfall gegen die besondere Verwerflichkeit der Tötung des B durch A sprechen könnten, enthält der Sachverhalt nicht.

(5) Stellungnahme:

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Die negative Typenkorrektur vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie sich auf sämtliche Mordmodalitäten bezieht. Dessen bedarf es nicht, da die meisten Merkmale – auch unter verfassungsrechtlichem Aspekt –[57] eng genug gefasst sind. Der „korrigierende“ Ansatz ist aber auch dann abzulehnen, wenn man ihn auf die Heimtücke beschränkt. Denn der bezeichnete Maßstab der (besonderen) Verwerflichkeit ist als tatbestandsbegrenzendes Moment mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu unbestimmt.[58]

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Der letztgenannte Einwand greift auch gegen das vorgeschlagene Kriterium des Vertrauensbruchs durch, zumal auch in Bezug darauf eine Prüfung besonderer Verwerflichkeit erfolgen soll.[59] Zudem zieht dieser Ansatz das kaum verständliche Ergebnis nach sich, dass Heimtücke ausscheidet, weil zwischen Täter und Opfer bis zur Tat keine persönliche Beziehung bestanden hat (vgl. Rn. 33).[60]

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Da es sich bei der sog. Rechtsfolgenlösung nicht um eine tatbestandliche Restriktion handelt, ändert sie an dem auf Mord lautenden Schuldspruch nichts; dieser signalisiert aber gerade schwerstes Unrecht.[61] Sie begegnet im Übrigen erheblichen methodischen Einwänden, weil sie dem bezüglich der Rechtsfolge klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspricht, d.h. jedenfalls eine für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke fehlt, und eine Berechtigung für eine derartige richterliche Rechtsfortbildung nicht besteht.[62]

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Auch der eine feindliche Willensrichtung fordernde Ansatz des Bundesgerichtshofs kann nicht restlos zufriedenstellen. Denn er vermag eine nicht plausible Begünstigung von Tätern, die die Möglichkeit und keine Skrupel haben, einen Menschen mit dem Ziel der Tötung offen anzugreifen, nicht auszuschließen. Gleichwohl erscheint der vom Bundesgerichtshof eingeschlagene Weg beim jetzigen Stand der Diskussion als vorzugswürdig. Seine Vorteile überwiegen die Bedenken jedenfalls dann, wenn man ihn im Zusammenhang mit den hohen Anforderungen sieht, die der Bundesgerichtshof zu Recht an die subjektive Seite der Heimtücke stellt (vgl. Rn. 53 f.).[63]

Hinweis:

Eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansichten ist bei der Bearbeitung von Aufgaben nur notwendig, wenn diese – wie im Beispielsfall – zu unterschiedlichen Lösungen führen. Sonst genügt eine knappe Darstellung des Streitstands nebst der Feststellung, dass dieser sich im konkreten Fall nicht auswirkt.

Ergebnis:

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A hat sich somit eines Mordes (§ 211 Abs. 2) in – von seinem Vorsatz umfasster – heimtückischer Begehungsweise schuldig gemacht.

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