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ОглавлениеTeil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit › Kapitel 1. Tötungsdelikte › § 3. Tötung auf Verlangen (§ 216)
§ 3. Tötung auf Verlangen (§ 216)
Inhaltsverzeichnis
B. Tatbestand
C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch, Rechtswidrigkeit sowie Konkurrenzen
A. Grundlagen
1
Bei der Tötung auf Verlangen handelt es sich um eine Privilegierung gegenüber § 212 (vgl. § 1 Rn. 1). Diese findet ihren Grund in dem im Vergleich zum Totschlag durch den Todeswunsch des Opfers geminderten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat.
B. Tatbestand
I. Objektiver Tatbestand
2
Wie der Totschlag verlangt § 216 Abs. 1 die Tötung eines (anderen) Menschen (vgl. § 1 Rn. 5 ff.).
Aufbau- und Vertiefungshinweis:
Für die Frage, ob die Prüfung zunächst mit § 212 oder sofort mit § 216 begonnen werden sollte, gelten die Aufbauhinweise zu den §§ 211, 212 entsprechend (vgl. § 1 Rn. 2). – Die wenig hilfreiche Bezeichnung einer Tötung als sog. aktive Sterbehilfe (z.B. Verabreichen einer tödlichen Infusion durch den Arzt) ändert an deren Erfassung als Tathandlung i.S. der §§ 211 ff. nichts. Ob ein Behandlungsabbruch, etwa durch Abschalten eines lebenserhaltenden Geräts, ebenfalls als Tun zu beurteilen ist oder ggf. den Grundsätzen zum Unterlassen (vgl. § 1 Rn. 11) unterliegt, ist Tat- und Wertungsfrage (zur sog. Patientenverfügung vgl. Rn. 14).[1]
3
Der Tötung muss eine (qualifizierte) Anstiftung des Täters durch den Getöteten vorausgegangen sein. Dieser muss den Täter durch sein ausdrückliches und ernstliches Verlangen zur Tat bestimmt haben.
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Für ein derartiges Verlangen ist – nicht zuletzt angesichts des Rechtsguts Leben – mehr als eine Einwilligung oder gar ein bloßes Erdulden der Tötung erforderlich.[2] Deshalb ist es bedenklich, dass die h.M. es auch dann bejahen will, wenn die Initiative zur Tötung zunächst nicht vom Opfer selbst ausgegangen ist.[3] Diese Auffassung lässt zuviel Raum für unerträgliche „Tötungsanregungen“ an nicht mehr „erwünschte“ Menschen und wird damit dem Zweck des § 216, die Unantastbarkeit fremden Lebens zu gewährleisten,[4] nicht gerecht.
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Der Tod muss vom Opfer ausdrücklich verlangt werden. Dies muss eindeutig und unmissverständlich geschehen. Worte sind dafür nicht unbedingt notwendig. Je nach Konstellation können etwa auch Gesten, Gebärden o.ä. genügen, sofern sie den Todeswunsch zweifelsfrei erkennen lassen (zur Patientenverfügung vgl. Rn. 2 und 14).[5] Dagegen darf auf das Verlangen des Opfers nicht allein aus den Umständen geschlossen werden.
Beispiel:
Der schwerkranke B ist allein, mittellos und depressiv. Deshalb schließt A auf dessen Wunsch, nicht länger zu leben, und tötet den B.
6
Das Todesverlangen muss zudem ernstlich sein, also auf einer freien Willensbildung eines Einsichts- und Urteilsfähigen beruhen (vgl. § 1 Rn. 21). Dieser muss in der Lage sein, die Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses zu überblicken und abzuwägen, und darf nicht etwa nur aus einer depressiven Augenblicksstimmung heraus entscheiden.[6] Sein Verlangen ist insbesondere wirkungslos, wenn es durch Täuschung herbeigeführt worden ist.
Beispiel:
A möchte seine Freundin B ohne große Gegenwehr umbringen. Er spielt ihr daher vor, selbst aus dem Leben scheiden zu wollen. B glaubt ihm. Da sie ohne A ebenfalls nicht mehr leben möchte, schlägt sie ihm – wie von A erhofft – vor, er solle erst sie und dann sich selbst töten. A kommt nur dem ersten Teil des Vorschlags nach.
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Schließlich muss das Verlangen des Opfers den Täter zur Tötung bestimmen, m.a.W. als Tatantrieb wirken. Wie bei der Anstiftung (§ 26) bedarf es einer entscheidenden Einwirkung auf den Willen des Täters. Daran fehlt es, wenn dieser ohnehin bereits zur Tat entschlossen war (sog. omnimodo facturus). Allerdings ist es nicht erforderlich, dass der Täter allein aufgrund der Beeinflussung durch das Opfer handelt. Weitere Motive sind insoweit unschädlich, sofern die Einwirkung seitens des Opfers handlungsleitend bzw. dominierend bleibt.[7]
II. Subjektiver Tatbestand
8
Subjektiv ist bedingter Vorsatz ausreichend, der sich über die Tötung hinaus auf das Vorliegen des ausdrücklichen und ernstlichen Sterbeverlangens des Opfers beziehen muss.[8]
C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch, Rechtswidrigkeit sowie Konkurrenzen
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Für die Tatbeteiligten i.S. der §§ 25 ff. gelten die dortigen Regeln grundsätzlich uneingeschränkt. Eine Teilnahme wird allerdings in der Regel in einer Beihilfe (§ 27) bestehen. Jedoch ist eine Anstiftung (§ 26) durch einen Dritten dogmatisch nicht ausgeschlossen, wenn sie dem den Täter zur Tötung bestimmenden Verlangen des Opfers (vgl. Rn. 3 ff.) seine ausschlaggebende Funktion nicht nimmt, sondern mit diesem zusammen wirksam, also ebenfalls kausal wird.[9]
Beachte:
Bei der durch das Opfer hervorgerufenen Tatmotivation handelt es sich nach h.M. um ein besonderes persönliches Merkmal, so dass § 28 anzuwenden ist (zur insoweit bestehenden Problematik vgl. § 2 Rn. 88 f.).[10]
Vertiefungshinweis:
Bei der sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbsttötung wird von der h.A. bei der Frage der Strafbarkeit des Überlebenden auf das Kriterium der Tatherrschaft abgestellt. Hätte der Getötete „bis zuletzt“ das gemeinsame Unternehmen abbrechen können, so liegt § 216 nicht vor.[11]
10
Nach den anerkannten Grundsätzen scheint § 216 auch durch ein Unterlassen begangen werden zu können, sofern für den Untätigen eine Garantenstellung besteht (§ 13).
Beispiel:
A will sich vergiften. Sie fordert ihren Ehemann B eindeutig und ernsthaft auf, ihr Vorhaben auch dann nicht zu verhindern, wenn sie bewusstlos geworden ist. B respektiert ihren Wunsch.
11
Im Beispiel wird die Garantenstellung des B ohnehin nur relevant, wenn A vor dem Tod für eine gewisse Zeit ihr Bewusstsein bzw. ihren freiverantwortlichen Willen verliert. Stirbt sie dagegen unmittelbar im Anschluss an ihre auf freier Entscheidung beruhende Tötungshandlung, ist für eine Rettungspflicht des B kein Raum. Vielmehr hätte er eine derartige Selbsttötung der A zuvor sogar unterstützen dürfen (etwa durch Besorgen von Tabletten), ohne sich strafbar zu machen (vgl. § 1 Rn. 20).
12
Die Annahme eines strafbaren Unterlassens im Falle eines – im Übrigen von Zufälligkeiten abhängigen – den freien Willen des Suizidenten ausschließenden Zustands steht dazu in einem nicht nachvollziehbaren Wertungswiderspruch und ist daher in Übereinstimmung mit der h.M. abzulehnen.[12] Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine Anhaltspunkte für eine Änderung des zunächst geäußerten Todeswillens bestehen.[13]
13
§ 216 Abs. 2 stellt den Versuch unter Strafe. Bei einem strafbefreienden Rücktritt (§ 24) von der Tötung auf Verlangen bleibt eine Bestrafung wegen eines bereits vollendeten Körperverletzungsdelikts an sich möglich. Jedoch ist hier die sog. Sperrwirkung des milderen Gesetzes zu beachten. Danach scheidet die Anwendung von Tatbeständen aus dem Bereich der §§ 223 ff. aus, soweit diese im Unterschied zu § 216 Verbrechen (§ 12 Abs. 1) oder zumindest mit einem höheren Strafrahmen bedroht sind.[14] In der Regel wird daher nur eine Bestrafung gemäß § 223 in Betracht kommen.
14
Die Möglichkeit einer sog. Patientenverfügung, mit der durch einen einwilligungsfähigen Volljährigen für zukünftige Lebens- und Behandlungssituationen namentlich Heilbehandlungen und ärztliche Eingriffe untersagt werden können, ist seit 1. September 2009 in § 1901a BGB ausdrücklich vorgesehen.[15] Diese kann im Einzelfall auch einen durch aktives Tun vorgenommenen Abbruch einer Behandlung rechtfertigen, die medizinisch zur Erhaltung oder Verlängerung des Lebens geeignet ist. Selbstverständlich nicht erfasst sind Eingriffe, die das Beenden des Lebens vom Krankheitsprozess „abkoppeln“.[16]
15
Eine dem Rücktritt von der versuchten Tötung auf Verlangen (vgl. Rn. 13) vergleichbare Problematik besteht auf der Konkurrenzebene. Auch hier darf die privilegierende Funktion des § 216 nicht ins Leere gehen. Daher findet die genannte Sperrwirkung bei den Konkurrenzen ebenfalls Anwendung. Auch im Verhältnis zum Mord ist § 216 eine abschließende, d.h. dem § 211 vorgehende Spezialregelung.[17]
Hinweis:
Da § 211 wegen Spezialität des § 216 und damit (nur) nach Konkurrenzregeln nicht zur Anwendung kommt, empfiehlt es sich, seine Voraussetzungen vollständig zu prüfen, sofern die Schwerpunkte der Aufgabe nicht eindeutig anders gesetzt sind.
D. Kontrollfragen
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1. | Welche Anforderungen sind an das Todesverlangen des Opfers zu stellen? → Rn. 3 ff. |
2. | Ist eine Tötung auf Verlangen durch Unterlassen strafbar? → Rn. 10 ff. |
3. | Wie wirkt sich die sog. Sperrwirkung des milderen Gesetzes im Zusammenhang mit § 216 aus? → Rn. 13 f. |
Aufbauschema (§ 216)
1. | Tatbestand a) Objektiver Tatbestand (1) Einen (anderen) Menschen (2) Töten (3) Durch ausdrückliches und ernstliches Verlangen des Getöteten bestimmt b) Subjektiver Tatbestand – Vorsatz |
2. | Rechtswidrigkeit |
3. | Schuld |
Empfehlungen zur vertiefenden Lektüre:
Leitentscheidungen: BGHSt 19, 135 – „Gisela-Fall“; BGHSt 32, 367 – „Wittig-Fall“; BGHSt 40, 257 – „Pflegeheimfall“; BGHSt 50, 80 – „Kannibalenfall“; BGHSt 64, 135 – „Berliner Fall“
Aufsätze: Diehn/Rebhan, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung, NJW 2010, 326; Gerhold, Schwere Körperverletzung bei Rücktritt von einer versuchten Tötung auf Verlangen, JuS 2010, 113; Reus, Die neue gesetzliche Regelung der Patientenverfügung und die Strafbarkeit des Arztes, JZ 2010, 80