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C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch, Rechtswidrigkeit, Konkurrenzen sowie Verfolgbarkeit
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Für Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Vorschriften (§§ 25 ff.). Daher ist insbesondere die Beteiligung an der tatbestandslosen Selbstverletzung eines anderen Menschen nicht strafbar, es sei denn, die – bezüglich der Mitwirkung an fremder Selbsttötung dargestellten (vgl. § 1 Rn. 20 f.) – Voraussetzungen mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 2. Alt.) lägen vor (s. aber die Ausnahmeregelungen der §§ 17 WStG, 109 für die Selbstverstümmelung, um sich zur Erfüllung des soldatischen Dienstes untauglich zu machen).[40]
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Beide Tatbestandsalternativen können bei Vorliegen einer Garantenstellung auch durch Unterlassen verwirklicht werden.[41] Daher macht sich etwa der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig, wer als Hersteller oder Vertriebshändler von ihm in den Verkehr gebrachte Produkte nicht zurückruft, nachdem er erkannt hat, dass diese auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gesundheitliche Schäden bei den Verbrauchern verursachen.[42] Ebenso erfüllt § 223 Abs. 1, wer unter Verletzung seiner Handlungspflicht zur Aufrechterhaltung erheblicher Schmerzen beiträgt[43] oder die zur Vermeidung körperlicher Schäden gebotene ärztliche Behandlung nicht herbeiführt.[44]
Beispiel:
A unternimmt nichts, obwohl er erkennt, dass seine Ehefrau, die infolge unzureichender Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme „in Apathie und Bewegungsunfähigkeit“ verfallen ist, der notärztlichen Hilfe bedarf.[45]
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Die versuchte Körperverletzung ist aufgrund des 6. StrRG seit 1. April 1998 strafbar (§§ 223 Abs. 2, 22).[46] Insoweit gelten die allgemeinen Regeln uneingeschränkt, namentlich zum Rücktritt (§ 24).[47]
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Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit kommen prinzipiell alle anerkannten Rechtfertigungsgründe in Betracht. Eine Körperverletzung kann daher beispielsweise durch Notwehr (§ 32) gerechtfertigt sein. Das sog. Züchtigungsrecht kommt dagegen nicht mehr in Frage.[48] Denn es kann auf das ursprünglich zugrundeliegende Gewohnheitsrecht nicht mehr gestützt werden, nachdem der Gesetzgeber durch den am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen § 1631 Abs. 2 Satz 2 BGB (sogar) für personensorgeberechtigte Personen (z.B. die Eltern, § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB) „körperliche Bestrafungen“ ausdrücklich als unzulässig eingestuft hat.[49] Für Lehrer hatte sich ein derartiges „Züchtigungsverbot“ bereits zuvor aus schulgesetzlichen Regelungen zahlreicher Bundesländer ergeben.[50]
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Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person[51] vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt (§ 228).[52]
Beachte:
Diese Regelung bezieht sich nicht nur auf § 223, sondern auch auf dessen Qualifikationen sowie auf § 229 und nach der ausdrücklichen Verweisung in § 340 Abs. 3 zudem auf die Körperverletzung im Amt.[53]
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Ein Verstoß gegen die guten Sitten ist zu bejahen, wenn die Tat selbst dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, also nicht nur den Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen widerspricht. Um diese vage Begrifflichkeit zu konturieren, ist bei der Prüfung strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte abzustellen (sog. Rechtsgutslösung).[54]
Merke:
Entscheidend ist, ob die Körperverletzung unter Berücksichtigung ihres Umfangs sowie des Gefahrengrades für Leib oder Leben des Opfers trotz dessen Einwilligung wegen des besonderen Gewichts des Rechtsgutsangriffs als von der Rechtsordnung nicht mehr hinnehmbar erscheint.[55]
Dies wird umso eher der Fall sein, je schwerer die Tat wiegt, und daher grundsätzlich anzunehmen sein, wenn das Opfer bei vorausschauender objektiver Betrachtung (ex ante) in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung (§ 226 Abs. 1)[56] oder gar in eine konkrete Todesgefahr gebracht wird.[57] In die Bewertung ist einzubeziehen, ob das Gefährlichkeitspotential durch maßgebliche Regeln des Wettkampfs begrenzt wurde[58] oder wegen der Unkontrollierbarkeit „gruppendynamischer Prozesse“ die Gefahr der Eskalation bestand.[59] Nicht maßgebend für die Sittenwidrigkeit sind dagegen die Einwilligung und die mit ihr verfolgten Ziele.[60]
Beispiele:
Gerechtfertigt sind danach regelmäßig Verletzungen, die durch das Ritzen z.B. von Initialen in die Haut,[61] beim sportlichen Wettkampf etwa durch Übereifer oder im Rahmen eines „körperlichen Duells“ verursacht[62] oder die bei sadomasochistischen Praktiken dem „Opfer“ zugefügt werden.[63] Dagegen verstoßen das sog. Auto-Surfen (Fahren mit auf dem Autodach liegenden Personen)[64] und das Verprügelnlassen als „Aufnahmeprüfung“ in eine Jugendgang[65] gegen die guten Sitten.
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Auch ärztliche Behandlungsmaßnahmen bedürfen der – u.U. mutmaßlichen –[66] Einwilligung des Patienten, wenn sie in dessen körperliche Integrität eingreifen (z.B. Blinddarmoperation, Ziehen eines Zahns, auch Behandlung mit Gammastrahlen in therapeutisch wirksamer Dosis). Denn unabhängig von dem damit verfolgten Zweck erfüllen diese den Tatbestand (zumindest) des § 223 Abs. 1 auch dann, wenn sie medizinisch indiziert sind, lege artis ausgeführt werden und erfolgreich verlaufen.[67]
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Dies wird allerdings von einem Teil der Literatur mit dem Argument bestritten, es handele sich bei einem ärztlichen Eingriff um Heilbehandlung, die gerade nicht auf eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit abzielt.[68] Dies trifft zwar zu, vermag aber die wertende Beschränkung des Tatbestands nicht zu rechtfertigen. Denn schon über die an die Beschränkung zu stellenden Anforderungen besteht keine Einigkeit,[69] sie ist somit unbestimmt.
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Entscheidend ist jedoch, dass die Herausnahme ärztlicher Maßnahmen aus dem Anwendungsbereich der §§ 223 ff. das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und seinen Schutz vor eigenmächtigen Heilbehandlungen in nicht akzeptabler Weise schmälern würde.[70] Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber den Siebzehnten Abschnitt des StGB durch das 6. StrRG zwar reformiert, eine zunächst vorgeschlagene Regelung des „eigenmächtigen Heileingriffs“[71] in Kenntnis des dargelegten Streits aber nicht übernommen hat. Daraus lässt sich schließen, dass er die bestehende Praxis akzeptieren wollte.
Merke:
Die Einwilligung ist nur wirksam erteilt, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist.[72]
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Auf der Konkurrenzebene tritt die „einfache“ Körperverletzung hinter ihren Qualifikationen zurück.[73] Das gilt insbesondere auch für das Verhältnis zur Körperverletzung im Amt.[74] Tateinheit (§ 52) kann beispielsweise mit den §§ 113, 114[75], mit § 241[76] und den §§ 249 ff.[77] bestehen. Auch mit einem versuchten vorsätzlichen Tötungsdelikt steht eine vollendete Körperverletzung in Tateinheit (vgl. § 1 Rn. 23). Erfüllt eine Handlung beide Alternativen des § 223 Abs. 1, liegt gleichwohl nur eine vorsätzliche Körperverletzung vor.[78]
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Anders als ihre Qualifikationen ist die „einfache“ vorsätzliche Körperverletzung ein relatives Antragsdelikt (vgl. § 50 Rn. 15 f.), d.h. sie wird nur auf Antrag verfolgt, sofern nicht die Staatsanwaltschaft (ggf. der Generalbundesanwalt)[79] das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§ 230 Abs. 1 Satz 1).[80]