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Haberstock und die Unbedenklichkeit

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Haberstock hatte als ordentlicher Professor gezockt. Er hatte für sein Leben gern gezockt und war früher Stammgast im Aachener Casino, als dort die Kugel noch rollte. Er hatte seine Ehe verzockt und die Zuneigung seiner Kinder, sein Haus, seine Grundstücke und hätte fast Privatinsolvenz anmelden müssen, wenn er nicht einen Auftrag erhalten hätte, der ihn zurück ins wahre Leben holte. Das wahre Leben hielt ihn auch noch nach der Emeritierung über Wasser, denn die Biber, die vermehrten sich in demselben unaufhörlich.

Das Gutachten, das er damals fertigen sollte, war entscheidend für ein Urteil, von dem Millionen abhingen. Euro, nicht Biber. Und mit Blick auf die Millionen und die Biber, da entschied sich Hermann Haberstock für die Millionen. Ja, es sei vertretbar, an den Ufern der Urft einen Freizeitpark mit 150 Ferienhäusern anzulegen. Ein kleines Dorf, vor allem für die Nachbarn aus den Niederlanden, die rasch in die Eifel kommen wollten, Ferien machen, wandern, Berge, endlich mal Berge sehen. Denn vom flachen Land, da hatten sie genug: Niederlande eben. Haber­stock trat damals in den Gemeinderäten als Herr Professor Haberstock von der RWTH Aachen auf. Redegewandt, ein wenig eitel, Powerpointpräsentation von seinem Assistenten erstellt. So hatte er vor den Damen und Herren des Gemeinderates in Gemünd gestanden und erläutert, dass es dem Biber an der Urft nur guttun würde, quasi eine Dauerkur, wenn er von der Urft an die Rur transloziert würde. Dem Bau einer Anlage von Eifelbungalows für die lieben Nachbarn aus Limburg und die entfernten Nachbarn aus Friesland stünde aus seiner, sozusagen biberfachlichen Sicht, nichts im Wege. Nur die Entschlusslosigkeit der Mitglieder in der Gemeindeversammlung des Kneipp-Kurortes Gemünd, gelegen am schönen Flussbett der Urft. Zudem fließe die Olef ja auch in die Urft, und somit sei klar, dass hier auf den wenigen Restmetern bis zur Urfttalsperre nun wahrlich nicht zwingend eine Familienzusammenkunft mehrerer Eifelbiberclans erfolgen müsse. Das saß. Und in einer der hinteren Reihen saß damals Dr. Wilfried Brauers, lebendig, rotwangig, aufmerksam und in feines Tuch des Aachener Herrenausstatters Wienand gekleidet. Er hatte innerlich frohlockt am Ende der Gemeinderatssitzung. Vor seinem geistigen Auge hatte er bereits damals die naturbelassenen Kleinsthäuser, die PKW mit den gelb-schwarzen Kennzeichen aus den Niederlanden, die Schlangen im kleinen Supermarkt der Gästesiedlung gesehen. Auch nicht viel anders als in Domburg, Middelburg und all den anderen Urlaubsorten an der niederländischen Küste, die wiederum die Aachener in- und auswendig kannten. Wollte man im Sommer mal einige Geschäftskontakte mit Aachener Unternehmern in Ruhe anbahnen, so brauchte man nur dort ein Haus zu mieten. Nun sollte die Retourkutsche erfolgen. Niederländer bevölkern die Eifel, wandern sich die Hacken wund, bewundern Rur, Urft, Olef und lassen Knete in den Kassen von Dr. Brauers und den Gemeinden, den Bauunternehmern, den Kneipen und Gasthöfen, in Vogelsang und Einruhr, in Woffelsbach und Gemünd, in Dreiborn und in Rurberg und Heimbach. An den exponentiell ansteigenden Abverkauf der Erbsensuppe in Mariawald hatte er da noch gar nicht gedacht. Noch am Abend nach besagter Gemeinderatssitzung hatten Dr. Wilfried Brauers und Professor Hermann Haberstock im Restaurant »La Becasse« in Aachen gegessen, mit einem edlen Tropfen auf diesen rhetorischen und inhaltlichen Erfolg angestoßen und irgendetwas vom Lamm mit ganz besonderen Kartoffeln und ganz besonderer Soße und danach ein Sorbet verzehrt. Oder so ähnlich. Die Erinnerung wurde durch den Aperitif, den schweren Rotwein, getreten von ehrlichen Füßen italienischer Winzer, einem Digestif aus den Tiefen des Schwarzwalds, beste Ware, so eingetrübt, dass am Folgetag die Aktien des Aspirinherstellers einen Satz nach oben machten.

Haberstock hatte Dr. Brauers kennen und schätzen gelernt. Brauers, der Macher, der Gestalter, der die Eifel aus dem Dornröschenschlaf holte, sie wachküsste und Arbeitsplätze schuf. Da mussten die Biber mal hintenanstehen. Und Haberstock wurde wieder flüssig, liquide, konnte endlich mal eine Kollegin zum Essen einladen, war wie befreit, nahm Einladungen zu Kongressen und Vorträgen an. So gelangte er als Emeritus zur Leopoldina im Winter 2018 und stolperte über tote Biber. Böses Omen.

Mit großer Spannung wurde Haberstock nun in Krakau im »Dom Profesorski« in der Ulica Garbarska erwartet, dem Gästehaus der zweitältesten Universität Europas. Prof. Zamek, Leiter des Zentrums für Flora und Fauna der Vorkarpaten, suchte händeringend neue Methoden zu Bekämpfung des Nagers. Der Marschall der Woiwodschaft Vorkarpaten saß ihm im Nacken. Forschungsgelder wurden mit Fragezeichen versehen. Dieses verdammte Biberproblem müsse in den Griff zu bekommen sein. Die Vertreter von Tourismus und Landwirtschaft standen dauernd beim Marschall im Büro. Langsam bekam er Albträume. Zum Glück gab es noch Wodka aus Łancut, der beruhigte seine Nerven und führte zu einem tiefen Schlaf wie in der kommunistischen Kindheit.

Haberstock trank auf seinem Zimmer die Flasche mit der Apfelsaft-Minz-Mischung in einem Zug leer. Erfrischt legte er sich auf das Bett und freute sich auf das Abendessen im Restaurant Hawelka auf dem großen Marktplatz mit Blick auf die Tuchhallen und einen Vorabbesuch in der Marienkirche. Der Altar von Veit Stoß, den wollte er unbedingt betrachten. Ach, das Leben war immer wieder für Überraschungen gut. Die Freude nahm kein Ende, denn er wurde nicht mehr wach.

Tote Biber schlafen nicht

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