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Tiere, Träume, Terroristen

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Freitagnachmittag Anfang Februar 2018 in Aachen. Karnevalszeit. Kurze Session. Schon am 12. Februar war Rosenmontag. Offiziere der Oecher Penn huschten am Dom vorbei auf dem Weg in Richtung Eurogress. Es regnete. Überall Berliner und Puffel und Fettgebäck in den Auslagen der Bäcker. Kam man abends an einer Kneipe vorbei, dröhnte es: »Hurra tsching bumm, Hurra tsching bumm – die Prinzengarde ist da!« Der Prinz mit Hofstaat war unterwegs. Der »Orden wider den tierischen Ernst« war am Samstag, dem 27. Januar 2018, an Winfried Kretschmann verliehen worden, den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Der knarzende Kretschmann hatte sich wacker geschlagen. Gregor Gysi, linker Liebling des Establishments, hielt eine knackige Laudatio. Alles war im Lot. Ein großer Teil des Publikums freute sich auf die nächste Ordensverleihung: Karlspreis an Emmanuel Macron im Mai. Die Herren warteten auf Brigitte und die Damen auf Emmanuel. Beim Oberbürgermeister stand das Telefon nicht still. So viele frankophile Freunde im Bürgertum waren ihm neu.

Kommissar Fett hatte Schuhe gekauft. Cappuccino im »Café zum Mohren«. Am Abend »Three Billboards outside Ebbing, Missouri« mit Iska. Im Grunde alles in Ordnung. Fast.

Vorbereitung auf Kurdendemo in Köln. Sondereinsatzkommando Bonn in Bereitschaft. Schwere Ausschreitungen möglich. Die Absage für den Kinobesuch von Iska, durchtrainierte Leiterin des SEK Bonn, kam wie so oft. Die Zahl der Überstunden wuchs ins Unendliche. Reichsbürger, Linksautonome, sogenannte Aktivisten im Hambacher Forst, Clans im Ruhrgebiet, Folterknechte unter den Flüchtlingen. Seit dem Angriff auf »Charlie Hebdo« war die Sicherheitslage angespannt. Iska, der Sonnenschein aus Bonn, fand kaum noch Zeit, um mit Michael Fett durch die Eifel zu wandern, ins Kino oder Theater zu gehen. Die Einsätze im Hambacher Forst gingen ihr nicht aus dem Kopf. Selten hatte sie so radikale Demonstranten erlebt. Im Grunde waren es keine Demonstranten. Sie verklärten ihre kriminellen Ausschreitungen mit einem höheren Ziel und instrumentalisierten die friedlichen Protestierer für ihren Hass auf das Gesellschaftssystem. Baumfallen, mit Fäkalien beschmierte Pfeile, Bitumenbomben, Steinschleudern, Zwillen mit Stahlkugeln – das ganze Arsenal. Der Zweck heiligte für sie die Mittel. Die Gleichsetzung von Braunkohletagebau mit Nationalsozialismus war die verquere Spitze dieser ideologischen Verblendung und beschädigte die friedvollen Massenproteste der bürgerlichen Umwelt- und Klimaschützer. Iska trennte Müll, fuhr Rad, nahm den Zug, kaufte in den Supermärkten unverpackte Ware. Natürlich musste sich was verändern. Das war ihr so klar wie vielen Kollegen. Der Hass des harten Kerns im Wald ängstigte sie. Hier ging es nicht um den Wald. Hier ging es um das System, um die Demokratie.

Iska und ihr Team mussten die Einsatzhundertschaft aus Aachen unterstützen, wenn die gewalttätigen Umweltterroristen mit ihren verklebten Fingerkuppen auf die Polizei losstürmten. Die Rädelsführer wurden identifiziert und von ihrem SEK-Team festgenommen. Meist nur für kurze Zeit. Sie zweifelte am Rechtsstaat, an seiner Wehrhaftigkeit. Immer mehr Frust baute sich auf und schwappte in ihre Beziehung zu Michael Fett, der in Aachen Mordfälle aufklärte. Fett beruhigte mit seinem Interesse an Literatur, Film und Theater, seinen manchmal irritierenden Ansichten zum Lauf der Zeit. Immer wieder kamen ihnen die Einsätze dazwischen. Nicht viele Polizistinnen leiteten in Nordrhein-Westfalen ein Spezialeinsatzkommando. Sie spürte den Druck. Er beflügelte sie. Sie war ein Vorbild für viele andere SEK-Leiter und hielt Vorträge an der Führungsakademie. Fett kam abhanden. Sie sahen sich kaum noch. Jetzt lief Iska den Rhein entlang. Acht Kilometer, wie jeden Tag.

Kriminalhauptkommissar Michael Fett, Ende 50, kleiner Bauchansatz, volles dunkelbraunes Haar, blaue Augen, zumeist in Jeans und Lederjacke, zog sich mehr und mehr zurück. Seine Liebe zu Iska dämmerte dahin. Wenn man nichts zusammen unternimmt, nur noch über SMS und App kommuniziert, dann wird das Zusammensein steril. Sein Beziehungschaos der letzten Jahre setzte er fort. Statt Stetigkeit wieder nur hin und her. Wollte er das so? War er zufrieden mit seinem Leben? Er, das Einzelkind, der seine Wünsche nur sehr spät äußerte, gerne charmierte, flirtete und doch Angst vor Nähe hatte. Er wischte seine Selbstreflexionen beiseite. Spaghetti Bolo, der Krimi »Matto regiert« von Glauser und danach »Aspekte« im ZDF. Sein Abendprogramm stand. Oder doch ein rascher Kontrollgang durch die Innenstadt? Besuch bei seinen griechischen Freunden. Es regnete ununterbrochen. Fett blieb zu Hause. Das Fernsehen ödete ihn an, Zwangsabgabe für niveaulose Berieselung. Früher, ja früher war alles besser. Er lachte über sich und seine Gedanken. Dachte an Werner Herzog und Fassbinder, an das aktuelle Fernsehspiel. Gebannt war er damals von »Aguirre, der Zorn Gottes« und »Berlin Alexanderplatz«. Jetzt: alberne Talkshows mit ewig gleichen Fernsehgesichtern, Dokumentationen mit schnellen Schnitten, blödsinniger Hintergrundmusik, die dem Zuschauer sofort signalisierte, was er fühlen und denken soll. Kein kantiger Scholl-Latour, kein trinkfester Werner Höfer, kein Helmut Lange mit intelligenten Fragen zu »Kennen Sie Kino?«. Stattdessen Kochsendungen rund um die Uhr und irgendwelche Schmonzetten mit Altstars, die nach Gruft oder Wiederbelebung aussahen. Die Selbstfeier der B-Promis auf der Mattscheibe nahm kein Ende. Zum Glück hatte ihm Kollege Schmelzer gezeigt, wie er mit seinem PC in die Mediathek von ARTE und der ARD reinkam. Heute keine Glotze. Keine bewegten Bilder. Und der Facebookscheiß konnte ihm auch gestohlen bleiben. Schmelzer zeigte ihm diese Tierbilder, Aufnahmen vom Frühstück, Mittag- und Abendessen, diese grottenschlechten Kommentare, dieses »Hallo, ich bin in Malle« oder »Hallo, Ihr Lieben, gehe gerade Gassi«. Mit dem Krimi von Glauser machte er es sich auf dem Sofa bequem und tauchte in die Welt dieser mörderischen Irrenanstalt ein. Kurz vor dem Kapitelende fielen ihm die Augen zu. Das Buch sank zu Boden. Auflösung folgt.

Fett träumte, er träumte im Alter immer intensiver. Von den Sommerferien auf dem Bauernhof in Langerwehe. Vom Kuhstall, dem Geruch von Stroh, Mais, Zuckerrüben, Gras, dem frisch gebackenen Kuchen am Freitag aus dem Kohleherd. Der kleine Fett mümmelte den Marmorkuchen, die Erwachsenen kamen mit kotigen Stiefeln in die Küche, wo der Fliegenfänger von der Decke hing. Er fuhr mit dem kleinen roten Massey Ferguson durch die Felder, den Wehebach, mähte Mais und roch das Maschinenfett, den Diesel. Kuhstallmist, frische Milch, Gülle – alles vermischte sich in den Träumen von der Kindheit, vom langen Sommer auf dem Bauernhof. Die Strohballen waren noch rechteckig und konnten von einem Mann geworfen werden. Nicht diese Riesenrollen, die sofort in Plastik eingeschweißt und am nächsten Tag von niederländischen Sattelschleppern abgeholt wurden.

Tote Biber schlafen nicht

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