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Stumme Biber

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Tote Biber schlafen nicht. Der tote Biber lag vor der Eingangstür der Leopoldina in Halle. Neben ihm eine rote Rose. Das Weiß des prachtvollen Gebäudes der Wissenschaftsakademie stand in scharfem Kontrast zum braunen Biberfell, der dünnen Blutspur auf dem Marmorboden, der Rose und den kalten Augen des Nagers. Dazu der Schnee. So weiß, so unschuldig. Er bedeckte die gesamte Zufahrt, knirschte und knarzte unter dem Schuhwerk und ließ die Moritzburg nebenan wie eine Zuckertorte aussehen. Der Himmel war stahlblau. Eine Postkartenidylle. Fast.

»Scheißä! Wiedär ein totär Bibär.« Hausmeister Mateo Modic, stets im eisengrauen Kittel, verdrehte die Augen, murmelte in Deutsch mit Streifen vor sich hin, wollte Schaufel und Besen holen, um den letzten Dienst zu erweisen, als Professor Dr. Hermann Haberstock, aus dem Flur kommend, im Eingang stand und sagte: »Scheiße. Ein toter Biber.«

Professor Haberstock, 75 Jahre alt und emeritierter Lehrstuhlinhaber für Biologie an der RWTH Aachen, gehörte zu den Topreferenten des 13. Bibersymposiums Ende Januar 2018 an der Leopoldina in der schönen Saale-Stadt Halle. Das Thema des Symposiums lautete: »Resilienz und Achtsamkeit in der mitteleuropäischen Biberpopulation.« Mit dem Exemplar im Eingang war nicht mehr viel los. Unachtsam lag er da, wenn man von der Rose absah. Der dritte tote Biber seit Beginn des Kongresses. Irgendetwas lief schief. Wurde Zeit, die Polizei einzuschalten. Was würde die sagen? Leopoldina und tote Biber. Großes Gelächter. Altehrwürdiges Haus, Kanzlerin Merkel regelmäßig zu Besuch. Und dann tote Biber vor der Tür. Haberstock schaute auf den Hausmeister. Der Hausmeister schaute auf Haberstock.

»Nun machen Sie doch was! Stehen Sie nicht rum wie ein Hornochse in Grau! Da liegt ein toter Biber. Der hat vielleicht eine Seuche und verpestet den Eingang der Leopoldina.«

»Wie die beidän anderän«, brummelte Modic, dem die Arroganz der Professoren schon lange auf den Senkel ging. Vor allem diese Wessiprofessoren. Sieht selber aus wie ein Bibär. Warte nur Freundchen, dir werde ich noch heute den Abfluss der Dusche im Zimmer verstopfen, dachte er und schlurfte davon, um das Kehrblech zu holen. Mateo Modic war ein gutmütiger Mann, dem der linke Unterarm im Jugoslawienkrieg abhandengekommen war. Zusammen mit seiner Frau Zofia lebte er am Stadtrand von Halle, war seit 15 Jahren Hausmeister und liebte es, in seinem Kleingarten an der Saale Tomaten, Bohnen, Möhren und Kartoffeln zu pflanzen. Dass er dort, in seinem kleinen Paradies, wie er es nannte, im übernächsten Jahr zur Sommerzeit von sturzbetrunkenen Neonazis grundlos oder vielleicht wegen seines Namens oder wegen Lust an Grausamkeit zusammengeschlagen und so verletzt werden würde, dass er den Rest seines Daseins in Halle im Rollstuhl verbringen sollte, konnte Mateo Modic natürlich nicht ahnen, als er sich mit seiner rechten Hand und dem rechten Arm um den toten Bibär kümmerte.

Haberstock gab sich einen Ruck. Aufrechten Ganges strebte er in seinem taubenblauen Stangenanzug Richtung Cafeteria. Drei tote Biber von der Saale-Population. Was hat das zu bedeuten? Wieder diese militanten Umweltfuzzis? Warnungen, Bedrohungen? Wem galten sie? Dem Symposium? Ihm? Der Leopoldina? Seit der bayerische Vorläufer des BUND, der Bund Naturschutz in Bayern, 1966 das Projekt Wiedereinbürgerung der Biber in Bayern gestartet hatte, wurden immer mehr Lehrstühle mit Biberkennern besetzt und die Flüsse und Stauseen zu einem Eldorado für die Nager.

Jetzt haben wir den Salat, dachte Haberstock. Zuerst ein Kaffee. Dann würde die Welt wieder besser aussehen. Vielleicht kommt Kollegin Wittstein-Olmütz hinzu. Ihre Forschungsergebnisse in den letzten Jahren waren rasant. So, wie ihr Aussehen. Haberstock verdrängte sein Alter, die toten Biber und wandte sich den schöneren Seiten des Lebens zu.

Im Café »Grammophon« schäkerte derweil Frau Professor Ines Wittstein-Olmütz mit dem jungen Inhaber, der ihr seine Geschichte aus Neuseeland erzählte. Endlich mal keine Biber, sondern das wahre Leben. Eine Auf- und Aussteigergeschichte. Ihre Latte wurde so kalt wie die Außentemperatur, die Marmelade tropfte vom Croissant, sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. In ihrem engen und figurbetonten Kostüm – der Pelzmantel, natürlich Kunstpelz, hing an der Garderobe – hatte sie nur Augen für den jungen Mann, der immer wieder von Gästen unterbrochen wurde. Zumeist Studentinnen, die bei ihm, nur bei ihm, einen Cappu oder ein stilles Wasser oder einen Darjeeling-Tee bestellten. Sie wurde eifersüchtig auf die jungen Madeln. In Wien, wo sie den Lehrstuhl innehatte, da war sie die Nummer eins. Frau Geheimrat, das sagten die Hausmeister zu ihr. Hier, in Halle an der Saale, wo der Sozialismus noch mit Händen greifbar war, hier in Halle, da war Essig mit Geheimrätin. Ob er denn wisse, wo die Biber an der Saale besonders und vor allem im Winter zutraulich seien? Genervt von der Biberprofessorin verzog der weitgereiste Gastronom keine Augenbraue, sondern den Gürtel seiner löchrigen Stonewashedjeans etwas enger.

»Unten, da bei der Moritzburg, wo der Park beginnt. Da sollten sie mal runtergehen oder runterrutschen«, sagte er freundlich und bestimmt, und noch freundlicher schaute er die blonde Yasmin an, die wie ein Sonnenschein durch die Tür schwebte, ihn anlächelte und sanft hauchte: »Wie immer, mein Lieber.« Da dachte er an die letzte Nacht in seiner alten Studentenbude. Was sie ihm ins Ohr geflüstert hatte zum Thema Latte macchiato brachte ihn so in Fahrt, dass sie und auch die Nachbarn kaum ein Auge zugemacht hatten. Das Futonbett war schließlich durchgebrochen. »Alte Latten«, hatte der Caféhausbetreiber Yasmin ins Ohr gestöhnt. Sie säuselte sanft: »Nur nicht deine. Du brauchst nicht zu flüstern. Die haben alles gehört, mein Weltmeister.«

»Also wie immer, gerne«, hauchte er nun zurück.

Das reicht, dachte die Geheimrätin, rutsch mir doch den Buckel runter, du Vorstadtgigolo. Der Zehner segelte auf die Theke. Sie verließ ohne Verabschiedung das moderne Café. Dann doch lieber Fachgespräche mit Haberstock, dem alten Schwerenöter. Immerhin kann er mit ihr etwas anfangen. Mit ihren etwas über 50 Jahren sah sie immer noch aus wie Anfang 40, Ende 30, und, ja, so war es, ihren Reizen konnte so mancher Doktorand nicht widerstehen. Still lächelte sie vor sich hin, als sie, warm eingemummelt, die ruhenden Löwen vor der Aula der Universität passierte. Biberspezialistin; hatte sie sich nie träumen lassen. Ihr Vater war einst Förster im Waldviertel. Und sie die Erste aus der Familie, die eine Universität von innen sah. Haberstock, den würde sie ein wenig anfixen. Der war empfänglich. Halle, wo muss ich hin, gibt’s denn hier keine Droschken? Scheiß Winter. Alles so kalt und glatt hier. Selbst im Winter ist Wien doch besser als alle anderen Städte auf der Welt. Fast alle anderen Städte, fügte sie rasch an, denn sie dachte an Barcelona, an Juan, den Tangotänzer, der ihr den Kriminaltango beigebracht hatte.

Tote Biber schlafen nicht

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