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Arme als Gastgeber

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In der Literatur ist die von Armen geübte Gastlichkeit ein beliebter Gegenstand, gerade weil sie selten und besonders rühmenswert erscheint und überall in der Welt die Herzen rührt. Homers gastfreundlicher Sauhirt Eumaios hat zahlreiche Nachfolger, Menschen, die mit dem Wenigen, was sie haben, andern ihre selbstlose Menschenliebe schenken. Wie bei Homer belohnt sie oft das Schicksal damit, dass sie ohne es zu wissen einen besonders ausgezeichneten Gast bewirten und in Verbindung mit dessen berühmtem Namen ins Gedächtnis der Nachwelt eingehen.

Der alexandrinische Dichter Kallimachos hat zwei solche Gestalten durch seine Verse unsterblich gemacht. Molorchos, ein Hirt von Kleonai bei Nemea, arm an Besitz, aber reich an Herzenswärme, will für Herakles, der vor dem Kampf mit dem Nemeischen Löwen bei ihm einkehrt, seinen einzigen Widder opfern (Aitia frg. 54–59). Herakles bittet ihn, das Opfer erst nach dem Ausgang des Abenteuers darzubringen, sei es nach seiner Rückkehr als Dank für den Sieg oder zum Totengedenken.

Das hochbetagte Mütterchen Hekale, das vor keinem Wanderer sein Holzhäuschen verschlossen hält, macht Kallimachos zur Titelheldin eines Kleinepos (frg. 230–377). Hekale, die arm ist, doch einmal bessere Tage gesehen hat, nimmt einen vom Gewitterregen durchnässten, frierenden Jüngling unter ihr Dach auf, wäscht ihm die Füße mit warmem Wasser, teilt mit ihm ihr kärgliches Mahl, bereitet ihm dann ein einfaches Nachtlager und zieht sich selber zum Schlaf in einen hinteren Winkel zurück. Der junge Mann ist der Königssohn Theseus, der zum Kampf mit dem Marathonischen Stier ausgezogen ist. Als Theseus nach dem Sieg zurückkehrt, um sich zu erkennen zu geben und zu bedanken, ist die gute Alte gestorben. Er kann nur noch dafür sorgen, dass das Andenken an sie und ihre gastfreundliche Hütte nie mehr vergessen wird.

Manche Züge der kallimacheischen Dichtung klingen noch in Ovids Erzählung von Philemon und Baukis nach (Metamorphosen 8,618–724). Die unerkannten Gäste dieses greisen Ehepaars erweisen sich als die Götter Juppiter und Merkur, die auf Erden wandeln, um die Herzen der Menschen zu prüfen. Tausend Hartherzige haben sie gefunden, bis die beiden Alten ihnen ein freundliches Obdach in ihrer strohgedeckten Hütte und eine schlichte, mit liebevoller Sorgfalt zubereitete Mahlzeit anbieten. Ein Wunder offenbart die überirdische Herkunft der am wackligen Tische die einfachen Speisen genießenden Fremden: Die Holzbecher, aus denen man trinkt, werden nie leer. Die erschrockenen Gastgeber werden von den Göttern beruhigt, und zum Lohn werden sie von der strafenden Sintflut verschont, welche die Ungastlichen in der Ebene austilgt. Die Hütte verwandelt sich in einen Tempel. Nachdem die Götter ihren Wirten auch noch einen Wunsch freistellen, erbitten sich die beiden Alten, gemeinsam in diesem Tempel den Göttern bis an ihr Lebensende dienen und gemeinsam sterben zu dürfen. Am Ende eines glücklichen Zusammenlebens werden die zwei Gerechten in nebeneinander stehende heilige Bäume verwandelt. Sie sind Gastfreunde der Götter geworden und erfahren die Gegenseitigkeit: Die Freunde der Götter sollen Götter sein und die, die sie geehrt haben, sollen geehrt werden.

In dieser Metamorphosen-Geschichte ist die Gastlichkeit der Armen verbunden mit dem weit verbreiteten Wandermotiv von der Einkehr eines Gottes bei den Sterblichen. Ovid hat sich eine solche Theoxenie noch zweimal zum Thema gewählt in seinen ›Fasti‹ (Stiftungssagen der Feste des römischen Kalenders). Auf der Suche nach ihrer entführten Tochter Proserpina begegnet die Göttin Ceres in Eleusis dem Keleus, der gerade aus dem Wald mit gesammelten Beeren und einem Bündel Brennholz auf dem Rücken zu seiner Hütte unterwegs ist. Sein ihn begleitendes Töchterchen spricht die am Wegesrand rastende Ceres an, und der Vater lädt sie freundlich ein, ihm in sein kleines Häuschen zu folgen. Als die Göttin, verwandelt in die Gestalt einer abgehärmten Mutter, ihre Ablehnung begründet mit der Trauer um die geraubte Tochter, weinen der alte Mann und das Mädchen mit ihr, und Keleus nutzt geschickt die Gelegenheit, sie umzustimmen mit den Worten: So wahr dir die Tochter, deren Verlust du beklagst, gerettet sei, steh auf und verschmähe nicht das Dach meiner armen Hütte. Ceres geht also mit, rührt zwar die angebotenen Speisen, gestockte Ziegenmilch, Honig und Obst, nicht an, erweist sich aber dankbar. Sie pflegt Triptolemos, den kranken Sohn der Wirtsleute, und verleiht ihm die Gabe, als Erster der Menschheit den Segen des Ackerbaus zu überbringen (4,507–562).

Die andere Erzählung berichtet von dem alten Hyrieus, der ein winziges Stück Land sein Eigen nannte. Als er abends vor seinem Häuschen stand, sah er drei Wanderer und redete sie an: Der Weg ist noch weit und es bleibt nicht mehr lange hell. Meine Tür steht für Fremde immer offen. Als er das Angebot wiederholte, traten die drei ein, ohne sich als Juppiter, Neptun und Merkur erkennen zu geben. Hyrieus macht das Feuer an, wärmt Bohnen und Gemüse auf und reicht den Wein zur Begrüßung. Da verplappert sich Neptun, der den reihum gehenden Becher als Erster geleert hat, mit dem Ausruf: Und jetzt ist die Reihe zu trinken an Juppiter. Nun weiß der erschrockene Alte, wer seine Gäste sind. Er schlachtet seinen einzigen Stier zum Festbraten, holt seinen besten Wein und richtet das Lager für das Mahl, indem er über dem ausgebreiteten Flussschilf ein Tuch ausbreitet, auf dem die Gäste liegend Platz nehmen. Zum Dank sagen sie ihm die Erfüllung eines Wunsches zu. Der alte kinderlose Witwer wünscht sich einen Sohn, den die Götter ohne eine Mutter durch Zauber erschaffen.

Die motivische Verbindung der Gastfreundlichkeit der Armen mit der Einkehr von Göttern oder Heroen gehört der Sphäre des Mythos an und ist spezifisch ein Gegenstand der Poesie. Realer ist die Gastfreundschaft der Reichen, doch auch sie ist, wie das Beispiel der euripideischen Alkestis zeigt, der poetischen Überhöhung fähig. Der Dichter, dessen Urbild, der Rhapsode Homer, von Hof zu Hof zieht und mit seinen Gesängen fürstliche Zuhörer im Herzen rühren will, findet in der Gastlichkeit einen dazu hervorragend geeigneten Stoff. Er ist ja selber als Künstler zu Gast und es gilt für ihn das geflügelte Wort: Von selbst ziehen die Guten zu den Tischen der Guten (das heißt der Fürsten).

Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum

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