Читать книгу Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum - Otto Hiltbrunner - Страница 7

2. Der Gast, ein indoeuropäisches Erbwort

Оглавление

Die indoeuropäische Urform ghostis wird im Latein zu hostis, im Germanischen zu gast. Weder für die Germanen noch die ältesten Latiner können aus der Frühzeit literarische Quellen näheren Aufschluss geben. Zwar kennt man im Mittelmeerraum den Bernstein von der Ostseeküste, aber keinen Fernhändler, der ihn aus dem Norden nach Rom gebracht hätte. Der Handel, der zu Reisen Anlass gab und damit auch zu den meisten Nachrichten über Beherbergung von Fremden führen kann, lief als Zwischenhandel über mehrere jeweils örtliche Kontakte an einzelnen Standorten. Sowohl Germanen wie Altlatiner waren sesshafte Bauern, die nicht selber auf weite Reisen gingen, sondern die Händler zu sich kommen ließen. Und die meisten Kontakte mit fernher kommenden Fremden waren während jener Zeiten ohnehin kriegerischer Art ohne jeden Bezug zur Gastlichkeit.

Das bekannteste und wichtigste Zeugnis über Germanen ist das des Tacitus (Germania 21): Kein anderes Volk pflegt mit größerer Hingabe gemeinsame Feste und gastliches Leben. Einen Menschen, sei es wer wolle, von der Tür seines Hauses wegzuweisen gilt als gottlos. Je nach seinem Vermögen ist jeder bestrebt, die leckersten Bissen aufzutischen. Ist es damit zu Ende, wird der, der eben noch der Gastgeber war, zum Wegweiser und Begleiter zu einem neuen Wirt. Ohne eingeladen zu sein suchen sie das nächstgelegene Haus auf. Auch da ergeht es ihnen nicht anders; mit gleicher Freundlichkeit werden sie willkommen geheißen. Bekannt oder unbekannt, in Bezug auf das Gastrecht macht da niemand einen Unterschied. Wenn einer beim Abschied sich etwas, was ihm gefällt, zum Geschenk wünscht, gebietet die Sitte, es ihm zu gewähren, und umgekehrt hat auch der Gastgeber dieselbe Freiheit, sich ein Geschenk zu wünschen. Das Sich-Beschenken macht ihnen Freude, aber weder rechnet der Geber seine Gabe an noch wird man durch die Annahme verpflichtet. Niemand darf von einer Tendenzschrift aus dem Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts – Tacitus stellt sozialkritisch der Dekadenz Roms das Leben eines unverdorbenen Naturvolks gegenüber – in allen Einzelheiten zutreffende Zeugnisse erwarten. Tacitus bezieht die Farben seines Gemäldes indirekt aus der philosophischen Weltbetrachtung des Griechen Poseidonios, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert in solcher Sicht Kelten und Germanen beschrieben hatte.2 Caesar, auch er nicht unbeeinflusst von Poseidonios, widmet in seiner Beschreibung der Germanen (Bellum Gallicum 6,23,9) ihrer Gastlichkeit nur eine kurze Erwähnung: Gewalt zu üben gegen einen Gast halten sie für Frevel. Leute, die aus welchem Grunde es auch sei als Schutzsuchende zu ihnen kommen, verteidigen sie gegen Misshandlungen und betrachten sie als unverletzlich. Ihnen stehen die Häuser aller offen und es wird ihnen Unterhalt gewährt.

Erinnerung an Altgermanisches hat sich neben den zeitgenössischen römisch-griechischen Texten auch noch über ein Jahrtausend später in den Liedern der Edda erhalten. Zum Empfang des Fremden lehrt das Havamal3: Heil den Gebern! Ein Gast trat ein. Sagt, wo er sitzen soll! Nicht behaglich hat’s, wer auf dem Holz sein Glück versuchen soll. Feuer braucht, wer fernher kam, an den Knien kalt; Gewand und Speise der Wanderer braucht, der übers Hochland hinzog. Wasser braucht, wer zur Bewirtung kommt, Tischgruß und Trockentuch, gute Meinung, wenn’s vergönnt ihm wird, Antwort und Aufhorchen. An die Dreitageregel für das Verbleiben erinnern die folgenden Verse4: Gehn soll man, nicht als Gast weilen stets an einem Ort. Der Liebe wird leid, wenn lange beim andern auf der Bank er bleibt. Häufig begegnet in den Eddaliedern das Motiv von der Einkehr des Gottes. Neben dem unerkannten Odin verlangt auch Thor gastliche Bewirtung.

Das Bild germanischer Gastfreundlichkeit weist auf eine mit anderen Völkern indoeuropäischer Sprache gemeinsame Tradition. Durch sie unterscheiden sie sich dem Wesen nach von einer anderen, ungastlichen Verhaltensweise, wie sie beispielsweise Herodot (4,76,1) den Skythen zuschreibt; sie sind ganz und gar fremdenfeindlich.

Von den Kelten gibt der Historiker Diodor (5,28,5) den Bericht des Poseidonios wieder: Sie laden auch die Fremden zu ihren Schmäusen ein und befragen sie nach dem Essen, wer sie seien und wessen sie bedürften. Die Keltiberer Spaniens werden gerühmt (5,34,1): Die zu ihnen kommenden Fremden bitten sie um die Ehre, bei ihnen ihre Wohnung zu nehmen, und sie wetteifern miteinander in der Gastfreundlichkeit. Diejenigen, mit denen die Fremden mitgehen, preisen sie und glauben, dass ihnen die Götter ihre Gunst erweisen. Als höchst auffällig wird vermerkt (Stobaios 4,2 p. 156,1), dass bei ihnen denjenigen, der einen fremden Gast umgebracht hat, eine schimpflichere Strafe trifft als den Mörder eines Mitbürgers; im ersten Fall ist die Strafe der Tod, im anderen die Verbannung.

In Rom hat sich im Zeitraum vom 4. zum 3. Jahrhundert v. Chr. die Bedeutung des Wortes hostis gewandelt. In der Zeit vorher war der hostis ein Nichtrömer, der als Fremder zwar nicht die Rechte eines römischen Bürgers hatte, aber friedlich in Rom leben und seinen Geschäften nachgehen konnte. In der Zeit danach hatte sich die Bedeutung verengt auf den Fremden, der von außen her die Römer als Feind bedrohte, und das veranlasste nun die römischen Gelehrten zu Erklärungen, wie das Wort in den alten Texten, besonders im Zwölftafelgesetz, zu verstehen sei. Ihr berühmtester, M. Terentius Varro, schreibt (de lingua latina 5,3): Viele Wörter bedeuten jetzt etwas anderes als zuvor, zum Beispiel hostis. Denn einst bezeichnete man mit diesem Wort den Ausländer (peregrinus), der nach seinen eigenen heimatlichen Rechten lebte, jetzt aber denjenigen, den man damals perduellis (Kriegsfeind; duellum ist die alte Wortform für bellum) nannte. Ihm folgt sein Zeitgenosse Cicero (de officiis 1,37), der auch gleich zwei Beispiele aus dem Zwölftafelgesetz anführt. Das erste (Tafel 2,2) betrifft die Pflicht des Erscheinens vor Gericht. Ein bereits festgesetzter Gerichtstermin mit einem Ausländer (status dies cum hoste) dient als Entschuldigungsgrund und hebt einen neuen Termin vor dem römischen Richter auf. Denn das fremde Recht wird als gleichrangig dem römischen geachtet (S. Pomponius Festus bemerkt unter dem Stichwort status dies: hostes … erant pari iure cum populo Romano), und der Fremde, der seine Ansprüche nicht nach römischem Recht geltend machen darf, kann es nach seinem heimatlichen Recht tun. Das zweite (Tafel 6,4) handelt von der Garantie. Gegenüber einem Nichtbürger behält der römische Bürger für alle Zeit ohne Verjährung die rechtliche Macht, den Eigentumsanspruch an seiner in den Besitz des Fremden gelangten Sache geltend zu machen. Das römische Recht schützt den Anspruch des eigenen Bürgers, dem Fremden wird die Ersitzung (usu capio) versagt. Dies sind die zwei bekannten Stellen, an denen hostis in den 12 Tafeln bezeugt ist; wo sonst bei bloß inhaltlicher Wiedergabe des 12-Tafel-Rechts hostis für den Landesfeind gebraucht wird (Tafel 9,5), liegt nicht mehr der originale Wortlaut vor.

Neben den Sätzen des zivilen Rechts der 12 Tafeln überliefert S. Pomponius Festus unter dem Stichwort exesto eine Vorschrift des Kultrechts. Der Amtsdiener ruft vor Beginn einer Opferhandlung: Ein hostis, ein Gefesselter, eine Frau, ein Mädchen soll fernbleiben. Das Verbot ist ein uraltes Erbstück der Kultgenossenschaft. Ein Fremder hat andere Götter und würde den Kult der Gemeindegenossen stören. Gerade der Kult mit seinen Tabus ist ein besonders empfindlicher Bereich, weil man magische Wirkungen fürchtet, die von dem Fremden mit oder ohne dessen Willen ausgehen.

Die Aufnahme des Gastes in den eigenen Haushalt ist ein Entgegenkommen, das als Gegenleistung vom Gast den vollen Verzicht darauf fordert, seine Kräfte gegen das Wohl der Hausgenossen wirken zu lassen. Der Fremde hat sich dem Hausherrn freiwillig (oder, wenn er als Sklave ins Haus kommt, unter Zwang) unterzuordnen. Genau diesen Sachverhalt gibt die lateinische Sprache wieder, indem sie den Gastgeber hospes nennt. Das Wort entspricht in der Zusammensetung seiner zwei Glieder, hosti-und poti-, genau dem schon erwähnten slawischen Wort gospod und bedeutet denjenigen, der Gewalt hat über den Fremden.5

Fürs Altlatein ist somit auszugehen von einem antithetischen Begriffspaar: einerseits hostis, der Fremde, der zum freundlich Aufgenommenen wird, andererseits hospes, der aufnehmende Gastgeber in seiner Eigenschaft als Familienoberhaupt und Gastherr. Erst unter dem Einfluss der griechischen Kultur, wo im Wort xenos die beiden Aspekte, wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird, nicht geschieden werden, geht das Lateinische dazu über, hospes gleicherweise für den Gast und für den Gastgeber zu verwenden. Die alte Bedeutung von hostis als Bezeichnung für den friedlichen Fremden, den Gast, wird so von hospes übernommen. Für hostis bleibt nur der Restbestand übrig, die verengte Bedeutung von hostis als Feind des römischen Volkes. Verfeindete Römer untereinander können nie hostes, sondern bloß „Nichtfreunde“ (inimici) werden. Zum hostis wird ein Römer nur, wenn er als Hochverräter durch Senatsbeschluss ausgebürgert und damit zum Fremden und Staatsfeind erklärt wird.

Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum

Подняться наверх