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3. Die ethische Viererregel

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Was in Rom deutlich zu beobachten ist, ist der Übergang von Sittengeboten, die aus einer im tiefsten Grunde religiös begründeten Tradition befolgt werden, in geregeltes Recht der Bürgergemeinde. Der Übergang vollzieht sich nicht plötzlich. Die indoeuropäische Sprachgruppe weist Vorstufen auf in Regeln, die in besonderer Weise den Gast betreffen und neben anderen Vorschriften stehen wie der Verpflichtung, Tote zu bestatten oder die Eltern zu ehren. Sie gehören einem Urbestand an, der verwurzelt ist im Glauben an heilsnotwendige Verhaltensnormen, die nicht erst wie die Staatsgesetze von Menschen gesetzt worden sind.

Der Berliner Indogermanist Wilhelm Schulze hat in seinen dritten Beiträgen zur Wort- und Sittengeschichte6 darauf hingewiesen, wie überall in den Texten von Altindien bis Island die humane Grundregel aufscheint, in deren Befolgung jedem Menschen, der darum bittet, vier Dinge gewährt werden sollen: Wasser, Feuer, Auskunft über den Weg und Obdach. Er zieht den Schluss, diese Regel müsse schon der gemeinsamen Urzeit angehört haben. Die Gastregel erscheint in drei Formen: Einmal positiv als Sittengebot, sodann negativ in Fluchformeln gegen den die Sitte Missachtenden und drittens als gesetzliche Strafe für Verbrechen, die den Täter aus der Gesellschaft der Menschen ausschließen. Meist werden dabei nicht ausführlich alle vier Dinge genannt, weil doch der Einheimische selten in die Lage kommt, nach dem Weg fragen zu müssen; hingegen war zur Bitte um Feuer in einer Zeit, als dessen Anzünden noch viel Mühe bereitete, und zur Bitte um Wasser recht häufig auch unter Nachbarn Anlass; beiden kam zudem hoher Symbolwert zu.

Um die Sittenregel geht es, wenn Sokrates sich gegen den Vorwurf, zu wenig hilfsbereit zu sein, entschuldigt: Wenn du zu mir kämest um Feuer und sich bei mir im Hause keines fände, und wenn ich dich dann anderswohin geleitete, woher du es bekommen könntest, würdest du mir keinen Vorwurf machen, und wenn ich dich auf deine Bitte um Wasser hin, das ich selber nicht hätte, zum Wasser hinführte, dann, das weiß ich, würdest du auch deswegen mir nichts vorwerfen.7

Cicero spricht in seinem Werk ›Über die Pflichten‹ (1,52) von den Werten, die gemeinsamer Besitz aller Menschen sind und auf denen die menschliche Gesellschaft gegründet ist, und er zitiert dafür Verse des Dichters Ennius, der das Zeigen des Weges subtil mit dem Bild des weitergereichten Feuers verbindet: Wer freundlich dem Verirrten den Weg weist, handelt so, als ob er ihm ein Licht von seinem Lichte anzünde. Es leuchtet ihm selber nicht weniger, obwohl er es jenem angezündet hat. Dazu Cicero: Mit dem einen Beispiel lehrt er in vollkommener Weise, dass, was ohne Einbuße weitergegeben werden kann, einem jeden, selbst einem Unbekannten, gegeben werden muss. Dazu gehören die allbekannten Gemeingüter: Niemandem das frei fließende Wasser verwehren, Feuer vom Feuer nehmen lassen, wenn einer es wünscht, einem Ratsuchenden ehrlichen Rat geben, alles Dinge, die den Empfängern helfen und dem Geber nicht schwer fallen. Ebenda erwähnt Cicero (3,54) auch die sprichwörtlichen Verfluchungsformeln, die in Athen dem urzeitlichen Heros und Kultstifter Buzyges zugeschrieben wurden. Von ihnen werden in den griechischen Quellen8 drei genannt, die gegen die Verweigerer von Wasser, Feuer und Wegweisung. An vierter Stelle erscheint das Obdach bei dem Komödiendichter Diphilos;9 er lässt einen Schmarotzer reden, der eingeladen werden möchte und den Fluch auspricht über alle, die jemanden daran hindern, in seinem Haus ein Gastmahl auszurichten.

Als schwerste Strafe lässt Euripides (Orestes 46–50) durch das Volk von Argos über den Muttermörder Orestes und seine Helferin Elektra Folgendes verhängen: Sie werden nicht in den Häusern und am Feuerherd aufgenommen und niemand darf mit ihnen sprechen; ein verschärfendes Urteil zur Steinigung harrt noch der Abstimmung in einer Volkversammlung. In Athen findet der gottverhasste Orestes, den zuvor niemand freiwillig aufgenommen hatte, eine mildere Behandlung: Obdach, aber in völliger Isolation (Iphig. Taur. 947–957).

In Rom trifft das Verbot von Obdach, Wasser und Feuer den Verbrecher, dessen Schuld so schwer wiegt, dass er zur Strafe aus der römischen Bürgergemeinschaft ausgeschlossen wird. Cicero nennt an einer Stelle (de domo 78) diese drei Ausschlüsse; zumeist ist verkürzend die Rede vom Verbot der eindrücklichsten Symbole, Wasser und Feuer, in der formellen aqua et igni interdictio (Rechtsspruch, der vom Wasser und Feuer ausschließt). So steht es auch noch bei dem kaiserzeitlichen Juristen Julius Paulus10, für den es nur noch eine Erinnerung an ältestes Recht der Republik ist.

Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum

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