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STADT DER SPIELER, WOLFGANG BÜSCHER
ОглавлениеWOLFGANG BÜSCHER
6.7.2006
STADT DER SPIELER
(Auszug)
In der Kantine des für 250 Millionen Mark sanierten Hohen Hauses, er erwähnt es kopfschüttelnd, es war vor seiner Zeit, sitzt der Mann, den viele, auch externe Finanzfachleute und politische Gegner, für den einsamen Helden der Berliner Politik halten.
Thilo Sarrazin muss gar nicht viel sagen, es ist ihm anzusehen, wie schlecht er in dieses trübe Bild passt. Diesen skeptisch-unbeeindruckten Blick durch funkelnde Brillengläser hat man zuletzt auf Porträts preußischer Staatsräte gesehen. Das Motiv wiederholt sich, als er seine blitzenden Folien auf den Tisch legt. Seine berüchtigten Grafiken, Kurven, Zahlen zur Berliner Finanzlage. Er hat die Politiker damit gequält, ihnen immer wieder die brachiale Wahrheit über ihre Stadt zu zeigen, die sie so genau gar nicht wissen wollten.
»So konnte es nicht weitergehen.«
Seine stolzeste Folie ist der Ländervergleich bei den Primärausgaben pro Einwohner; das sind die politisch gestaltbaren Ausgaben der Landesregierungen. Mag Berlin bei Vergleichen der Wirtschaftskraft hinten liegen, beim Sparen liegt es unerreichbar an der Spitze: fast elf Prozent Einsparung jener Ausgaben von 1995 bis 2004. Der Durchschnitt der Länder liegt bei 3,3 Prozent.
Natürlich merkt die Stadt das. Väter müssen in Subbotniks Kindergärten anstreichen, und der Asphalt mancher Wilmersdorfer Wohnstraße gleicht der über und über geflickten Hose eines Tramps. Sarrazin weiß das. »Der Berliner findet diese ganze Sparerei natürlich schrecklich.« Aber er weiß auch, dass der Berliner ahnt, »dass Geld allein nicht hilft. Ost- wie West-Berlin wurde ja mit Geld zugeschüttet und?!«
Aber es ist doch erstaunlich, wie wenig Widerstand ihm entgegenschlägt. Als ob die Stadt ihrer jahrzehntelangen Kämpfe mit dem Senat müde geworden sei.
Der Senator, der irgendwie aussieht, als trage er Schmisse vom Paukboden, obgleich das überhaupt nicht zutrifft, hat einige spektakuläre Kämpfe gefochten und gewonnen. Den Austritt aus der Tarifgemeinschaft der Länder gegen die Gewerkschaften. Das Auslaufen des sozialen Wohnungsbaus gegen den Bausenator und die eigene Partei. Am Ende trug sie es mit.
Sein größter Kampf ist nun der, dessen Ausgang noch offen ist: Karlsruhe. Er habe ihn »politisch fast den Kopf gekostet«. Sein erster Doppelhaushalt 2002/03 enthielt »eine astronomisch hohe Neuverschuldung: sechs Milliarden Euro allein im ersten Jahr«. Die Investitionen lagen weit darunter: 1,8 Milliarden. Das beliebte Berliner Argument, daran sei die schlechte Konjunktur schuld, da könne man leider nichts machen, nannte er einen Quatsch. Die Stadt leiste sich überhöhte Ausgaben.
»Die Opposition sagte: Dieser Haushalt ist verfassungswidrig. Ich sagte: Bitte sehr, hier sind die Zahlen. Es geht nicht anders. Wenn Sie so wollen, ja, ist der Haushalt verfassungswidrig. Unruhe bei der SPD. Geheul bei der CDU.«
Verfassungswidrig ist ein Etat, wenn die Neuverschuldung die Investitionen übersteigt. So sagt es das Grundgesetz. Aber das deutsche Balancesystem hält eine Hintertür offen. Wenn sich nämlich der Bund oder ein Land auf eine »Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts« berufen kann, darf das Kriterium verletzt werden.
Die CDU klagte damals gegen Sarrazins Haushalt, und tatsächlich stellte Berlins Landesverfassungsgericht im Oktober 2003 fest: Der Haushalt ist verfassungswidrig. Er darf sich nicht auf eine gesamtwirtschaftliche Gleichgewichtsstörung berufen. Allerdings öffneten die Richter einen anderen Ausweg. Berlin befinde sich in einer extremen Haushaltsnotlage. Darum dürfe dieser Haushalt sein. Eine neue verfassungsrechtliche Ausnahme war geschaffen. Sarrazin war bestätigt.
Ging es damals um einen Doppeletat, geht es in Karlsruhe ums Ganze: Wenn in Berlin jener extreme Etatnotstand herrscht, löst dies dann den bundesstaatlichen Bündnisfall aus? Muss der Bund dann Berlin beispringen und ihm die untragbar und unabtragbar gewordene Schuldenlast abnehmen? Es ist durchaus die Frage, was größer sein wird in Berlin, falls die Richter dies bejahen: der Jubel oder das Heulen.
Gut möglich, dass sie noch weit schärfere Sparauflagen in ihr Urteil schreiben würden, als Sarrazin sie in der Stadt durchsetzen konnte. Ist es am Ende so, dass der Senator heimlich hofft, die Verfassungsrichter möchten fortführen, was er mit parlamentarischen Mitteln nicht mehr weiterzutreiben vermag – Politik als Fortsetzung der Demokratie mit juristischen Mitteln?
»Na ja, die Justiz hat ja schon öfter geholfen.«
Und die mutmaßlich scharfen Auflagen im Falle eines Sieges in Karlsruhe?
»Diesen Auflagen sehe ich mit Neugier und Gelassenheit entgegen. Ich habe, nach den schlechten Erfahrungen mit Bremen und dem Saarland, das allergrößte Verständnis für sachgerechte Auflagen, wenn sie überflüssigen Luxus ausschließen, uns aber Luft zum Atmen lassen.«
Bremen und das Saarland hat der Bund bereits früher entschuldet, ohne sie dadurch vom Schuldenmachen kurieren zu können.
Das Bild des Senators in der Stadt ist so ambivalent wie die Lage. Man weiß, dass es so nicht weitergeht, und bewundert seine altpreußische Gradlinigkeit. Und man sträubt sich gegen diese Einsicht und ihre schmerzhaften Folgen und verteufelt Sarrazin als ungemütlichen Bösewicht, der stets verneint.
Es ist nicht so, dass ihm diese leicht mephistophelische Rolle überhaupt nicht gefiele. Wo sind die größeren Widerstände gegen seinen Sanierungskurs, im Osten oder im Westen?
»Eindeutig im Westen.«
Und gibt es einen Kreis Gleichgesinnter; Leute, die wollen, was Sarrazin will?
»Darüber denke ich auch gelegentlich nach.«
Eigentlich müsste eine bürgerliche Opposition ihn doch gar nicht so übel finden.
»Es gibt keine im Parlament. Ich ersetze die bürgerliche Opposition in diesem Land.«
Ein Schlusswort. Mehr muss man nicht sagen. Überdies geht es aufs Wochenende zu. Alle 14 Tage läuft der Sohn einer pommerschen Landadeligen und notorische Finnlandfahrer einmal um seinen geliebten Sacrower See herum. »Da draußen ist es ein bisschen wie Finnland. Hell und weit.«
Sarrazin ist ein heller, ein weißer Mephisto, falls es das gibt. Eine Rolle, auf die Berlin nicht verzichten kann. Einer muss ihn geben.