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DIE RECHTEN WILDEN, PETER DAUSEND

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WILDEN PETER DAUSEND

7.8.2008

DIE RECHTEN WILDEN

Clement, Sarrazin, Steinbr ü ck:

Wirtschafts- und Finanzpolitiker spielen in der SPD gern den Genossenschreck

Peer Steinbrück gehört sicherlich nicht zu jenen Menschen, die Arroganz per se für etwas Schlechtes halten. Sonst wär er ja anders. Ein bisschen zurückhaltender wohl und, sagen wir mal, nicht ganz so betont selbstbewusst. Als der Bundesfinanzminister und stellvertretende SPD-Chef am 23. Januar dieses Jahres abends den Fernseher anschaltet, sieht er aber etwas, was selbst ihm, dem notorisch Halbstarken, zuweilen leicht Hochmütigen, die Sprache verschlägt. Er sieht Wolfgang Clement.

Drei Tage zuvor hat Clement, der einstige »Superminister« für Wirtschaft und Arbeit, die ohnehin nicht so heile SPD-Welt in helle Aufregung versetzt. In einer Kolumne für die Welt am Sonntag ruft da der gebürtige Bochumer die Hessen dazu auf, genau zu überlegen, ob sie angesichts abenteuerlicher energiepolitischer Vorstellungen die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti, seine Parteifreundin, bei der Landtagswahl in einer Woche tatsächlich wählen wollten. Als daraufhin eine Welle innerparteilicher Erregung über Clement hinwegfegt, bittet Parteichef Kurt Beck seinen Stellvertreter Steinbrück, dafür zu sorgen, dass Clement, ein chronischer Rechthaber und Rechtbehalter, die Situation beruhigt. Indem er, um es mit Worten zu sagen, die Steinbrück auch gern gebraucht, einfach mal die Klappe hält.

Man spricht miteinander, von Sturkopf zu Sturkopf, von Wolfgang zu Peer; ehemalige Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen sind sie beide. Steinbrück ist beruhigt – bis er eben an diesem 23. Januar Hart aber fair einschaltet. Auf Frank Plasbergs TV-Verhörstuhl spricht Clement das offen aus, was er bis dato noch verklausuliert hat: »Ich würde Frau Ypsilanti nicht wählen.« Bis dahin galt Clement als Typus des aus der Zeit gefallenen autoritärtechnokratischen Politikers, dem Selbstkritik als Zumutung erscheint. Seitdem gilt er als unsteuerbar.

Der Fall Clement wird zu einem Lehrstück zunehmenden Kontrollverlusts. Losgelöst von jedem Parteiamt, enthoben jeder Regierungsverantwortung, erhaben über jedwede Autorität, verliert sich Clement. Die eigene Partei würde den Kern seines politischen Wirkens, die Hartz-Gesetze, am liebsten ungeschehen machen. Die eigenen Parteifreunde diffamieren ihn, das Aufsichtsratsmitglied einer RWE-Tochter, als gekauften Energie-Lobbyisten. Die alten Genossen grüßen nicht mehr. Kein Wunder, wenn Clement nur noch sich kennt.

Die Symptome treten offen zutage. In das Parteiausschlussverfahren, das aus Clements Wahlempfehlung in die falsche Richtung resultiert, hat der 68-Jährige vor allem Starrsinn eingebracht. Gegen die erstinstanzliche Rüge legte er Berufung ein.

Angebote von Ortsvereinen, sich bei Verzicht auf künftige Wahlempfehlungen für Widersacher mit einer Rüge zufriedenzugeben, lehnte er ab. Die Warnung des Parteivorstandes, bei der abschließenden Entscheidung werde man auch aktuelles Verhalten berücksichtigen, wies er mit dem Hinweis zurück, er lasse sich keinen »Maulkorb« verpassen.

Clement ist nicht der Einzige, der auf seinem eigenen Planeten durchs sozialdemokratische Universum fliegt. Eher zufällig, aber durchaus sinnreich fällt die Aufregung über Clement zeitlich zusammen mit den Aufgeregtheiten um einen anderen Exoten, Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin. Der 63-Jährige, als »Spar-Rambo« ohnehin ein Schlagzeilenheld, wie der Boulevard ihn liebt, hat sich wieder einmal außerhalb der sozialdemokratischen Wohlfühlfamilie gestellt. Den sozial Schwachen empfahl Sarrazin, die hohen Energiekosten im Winter zu bekämpfen, indem sie sich einen dicken Pullover überziehen. »Menschenverachtend« fanden das manche Parteifreunde, »zynisch« andere und »menschenverachtend zynisch« dritte. Nimmt man die Lautstärke des Murrens der Parteibasis als Maßstab für innerparteiliche Entfremdung, so kann man zu Clement und Sarrazin noch den wirtschaftsfreundlichen, mit Sozialwohl taten knauserigen Finanzminister Steinbrück selbst zählen und schon hat man sie zusammen, die drei Sozialdemokraten, bei denen öffentliche Wirkung und innerparteiliche Akzeptanz am weitesten auseinanderklaffen. Sie eint unduldsame Leidenschaft für die Sache, großes, zuweilen übergroßes Selbstbewusstsein, das nahtlos in Eitelkeit übergeht. Und die Erkenntnis, dass innerparteiliche und gesellschaftliche Mehrheit nicht ein und dasselbe sind, während andere Sozialdemokraten das gern denken. Gemeinsam ist ihnen auch ein Hang zur Kompromisslosigkeit.

Aber sie trennt, welche Kosten sie dafür zu zahlen bereit sind. Endet die Sturheit da, wo eine Sache in Mitleidenschaft gezogen wird, die größer ist als man selbst? Oder muss man auch dann noch weitermachen? Wo sich Steinbrück noch selbst disziplinieren kann, muss Sarrazin schon diszipliniert werden. Clement erscheint zu Ersterem nicht mehr fähig. Und das Zweite bringt nichts. Unterscheidet das die drei nun voneinander? Oder sind das nur unterschiedliche Entwicklungsstufen desselben politischen Typus?

Keineswegs zufällig handelt es sich bei den drei Sonderlingen um Wirtschafts- und Finanzpolitiker. Wirtschafts- und Finanzpolitiker neigen dazu, ihre Wahrheit für die reine zu halten, da sie ja gegenfinanziert ist. Die Ökonomie ist das Zentrum, die »harte« Politik, der Rest ist die Welt der Wünschbarkeiten und von Ursula von der Leyen. In einer Partei, die sich dem Sozialen verschrieben hat, wird man da schnell zum Außenseiter. Eine Rolle, die sich so hübsch kultivieren lässt, dass sie irgendwann Selbstzweck wird. Viel Feind, viel Recht.

Paradoxerweise erwächst die Sonderstellung der drei, persönlich allesamt recht autoritär, auch aus der antiautoritären Tradition der SPD. Hervorgegangen aus Opposition gegen die Obrigkeit, versteht sich die SPD bei aller Parteidisziplin als Widerpart gegen das Etablierte. Bei Steinbrück, Sarrazin und Clement wendet sich der Nonkonformismus nach innen und äußert sich im Widerstand gegen die Mehrheitsmeinung der eigenen Leute. In Gestus und Habitus kommen die drei gern als Unbequeme daher. Als Anwälte der Wirklichkeit, die in einer Partei des Gefühligen einen Aufstand der Vernunft entfachen. Der SPD-Konservative ein Rebell.

Steinbrück liebt es, sich als letzter Schröderianer zu inszenieren, als einziger Sozialdemokrat, der die Partei noch in der Mitte verankert. Hat er die Inszenierung überzogen, rüstet er aber schnell wieder ab. Wie im August 2006: Da überraschte Steinbrück die Deutschen mit der Idee, sie sollten doch weniger in Urlaub fahren, um mehr Geld für Gesundheit, Rente und Pflege zu haben. Nach großem Hallo nahm er die Idee schnell wieder zurück. Bei Sarrazin macht das sein Chef, Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit.

Sarrazin ist bekannt dafür, sich gern mal die Narrenkappe aufzusetzen, um den gesunden Menschenverstand sprechen zu lassen. Mal laufen dann Beamte ob ihrer Arbeitsbelastung »bleich und übel riechend herum«. Mal kommt dann Berlin »mit dicker Hose« daher, hat aber nur die Finanzkraft von Bochum. Und mal zieht man halt bei 16 Grad Zimmertemperatur einen Pullover über. Dem Finanzsenator haben diese Sarrazinaden viel Kritik von innen eingebracht und Wowereit viel Zuspruch von außen. Wo Sarrazin seinem Affen zu viel Zucker gibt, springt der Regierende Bürgermeister ein. Dem Senator erteilt er öffentlich einen Rüffel, anschließend wartet ganz Berlin auf die nächste Provokation, auf die nächste Wahrheit.

Clement hat das alles nicht mehr. Keine Verantwortung, die ihn einbindet, keinen Chef, der ihn einfängt. Clement ist entgrenzt. Wo es keine Verantwortung, keinen Chef mehr gibt, muss es bei so einem Parteiausschlussverfahren doch um etwas viel Größeres gehen als um die lächerliche Frage, ob er sich im Januar korrekt verhalten hat. Um das Recht auf Meinungsfreiheit, mindestens, um den Richtungsstreit, ja um die Frage, wer damals recht hatte: die oder ich.

Wer jahrelang als »Superminister« tituliert wird, hält sich wohl auch dann noch für super, wenn er kein Minister mehr ist. Mit seinem Versuch, das Parteiausschlussverfahren zur Entscheidungsschlacht um die Agenda 2010 umzudeuten, hat Clement ein Maß an Selbstüberhöhung erreicht, das auch viele von jenen ärgert, die ihn früher schätzten. Jetzt sehen sie nur noch einen Sozialdemokraten, der sein Schicksal über das der SPD stellt. Einen Mann, der mit Scheuklappen geradeaus marschiert. Jetzt sehen sie schon den anderen Oskar Lafontaine.

Die Sarrazin-Debatte

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