Читать книгу Schaum-Welt-Komfort - Paul-Heinz Schwan - Страница 27
2. Zunehmende Explizitheit
ОглавлениеMit diesen beiden atmoterroristischen Prozeduren dem Gaskrieg 14/18 und dem genozidischen Gas-Exterminismus von 41/45 treten die Umrisse einer Sonderklimatologie hervor. Atemmanipulation wird zur Kultursache –wenn auch zunächst in der destruktivsten Dimension.
Sie trägt von Anfang an Züge des designerischen Zugriffs durch ein exakt abgrenzbares Mikroklimata des Todes von Menschen für Menschen entworfen und lege artis hergestellt.
Bis dahin war das durchschnittliche In-der-Welt-sein ein tiefgewisses und selbstverständliches In-der-Luft sein, genauer Im-Atembaren-Sein und unhinterfragbar sicher, allenfalls im poetischen, physikalischen oder medizinischen Kontexten problematisiert und beachtet.
Das 21. Jhdt wird -soviel ist absehbar- in neue Ausdrücklichkeiten vorstoßen.
Luftbeben: Mit dem Explizitwerden der Luft-Klima und Atmosphärenverhältnisse wird das Ur-Vorteil der Existierenden zu Gunsten des primären Existenzmediums angetastet und der Naivität überführt.
Ab jetzt sind sie zur förmlichen Klimasorge und zum Atmosphärendesign verdammt.
Bevor diese Aufgabe sich stabilisieren konnte, waren weitere Explikationen des Atmoterrorismus zurückzulegen. Dabei ist von einem zentralen Phänomen der Luftwaffe philosophisch zu reden deren Name ja die Zuständigkeit für Eingriffe in atmosphärische Tatsachen bekundet. Militärflugzeuge wie später Raketenartillerie heben die immunisierende Wirkung der räumlichen Entfernung zwischen Armeegruppen auf. Sie erzwingen Zugang zu Objekten die auf dem Boden kaum oder nur unter hohen Opfern erreichbar wären.
Ohne diese Reichweitenexplosion durch Luftwaffen bleibt die Globalisierung des Krieges mittels teledestruktiver Systeme unerklärlich. Sie sind einer schwarzen Meteorologie zuzurechnen: menschengemachten Sonderniederschlägen zur Erschließung des Luftraumes für atmoterroristische und para-artilleristische Aufgaben. Insbesondere die einseitigen und unerwiderbaren Luftschläge, präzise oder als Flächenbombardierung – als Unschärfe in Analogie zur Gaskrieg-Unschärfe-: nah genug ist operativ so gut wie exakt.
Die Metapher vom Bombenteppich kam in aller Munde. Bebaute und bewohnte Flächen wurden mit tödlicher Auslegeware bedeckt. Aber nicht nur das physische Vernichten und Töten, sondern auch die moralische Erschlagung der betroffenen Zivilbevölkerung ist die dezidierte Absicht der Angreifer. Es gibt nicht nur der körperlichen Tod, sondern auch den seelischen der dann die physische Abwehrkraft dezimiert.
Der Krieg -nicht nur der- offenbart die unsichtbare Psyche oder Seele. Siegen heißt physiche und psyche Vernichtung. Eine Ökologisierung der Kriegsführung. Der Kollateralschaden erweist sich nicht selten als der Hauptzweck.
Der Krieg wird zur Vernichtung eines geschlossenen Raumes, als Lebenswelt im umfassenden Sinne. Will er gründlich sein, deckt er die expliziten Grundlagen „allen Lebens“ ab: Luft, Biologie, Wasser, verbrannter, vergifteter, verminter Boden, Nachschub, Nachwuchs – bis hin zum Feuersturm der auf das Prinzip der Eliminierung eines geschlossenen Vernichtungsraums zielte.
Aber als alles was durch die beiden Weltkriege an „Überraschungen“ – Implizites das Explizit gemacht und zur Kriegsführung eingesetzt wurde- aufgedeckt schienen,
erwies sich mit den folgenden Überraschungen als überbietbar.
Die Explikation der Atmosphäre durch den Terror macht bei der Umwandlung von „Lebenswelten“ in Gas- und Feuerkammern nicht halt. Dazu war eine noch weitere Ausfaltung dessen, was die Welt in ihrer physikalischen und biosphärischen Latenz zusammenhält vonnöten. Hier sprechen wir nun von der kernphysikalischen Explikation der radioaktiven Materie und ihrer populären Demonstration durch Atompilze. Das zog eine „revolutionäre“ Neu-Orientierung des „Umwelt“-Bewusstsein in Richtung auf das unsichtbare Wellen- und Strahlenmilieu nach sich.
Angesichts dessen ist mit dem Rekurs auf die klassische Lichtung, in der wir „leben, weben und sind“, ob man sie theologisch oder phänomenologisch lese, nichts mehr zu erreichen. (Heideggers Lichtung und Max Webers „leben, weben, sind“)
Der (nach)phänomenologische Kommentar zu den Atompilzen über der Wüste von Nevada und den beiden japanischen Städten lautet: „making radioactivitiy explicit“.
Dadurch wurde nicht nur eine neue „Rekordmarke“ der Simultanauslöschungen von Menschen erreicht, sondern auch über die thermoterroristische Dimension hinaus der Übergang in die strahlenterroristische eröffnet.
Menschliche Existenz ist kontinuierlich in eine komplexe Wellen und Strahlen-atmosphäre eingebettet, von denen allenfalls indirekte Wirkungen jedoch keine unmittelbare Wahrnehmung Zeugnis geben können.
Dass hinter den thermischen und kinetischen Primäreffekten eine tödliche Dosis Radioaktivität freigesetzt wurde, riss in den Zeugen und Verletzten eine völlig neue Latenz-Dimension auf. Altverborgenes, Unbekanntes, Unbewusstes, Niegwußtes, Niebemerktes, Nichtbemerkbares wurde mit einem Mal in die Manifestationsebene gezwungen; als ob ein unsichtbares Feuer sichtbare Brandwunden bewirkte.
In den Gesichtern spiegelte sich eine neue Gestalt der Apathie wider: Die „Hiroshimamasken“ starrten in die Reste einer Welt, die dem Menschen im Lichtsturm entzogen worden war.
Als verstrahlte Wüste wurde sie zurückgegeben. Die Gesichter kommentieren die Seins-Zumutung an ihrem dunkelsten Grenzwert. Die Nichtwahrnehmbarkeit der Strahlenwaffen wird zu einem wesentlichen Teil der Waffenwirkung selbst.
Jetzt wird klar das etwas in der Luft liegen kann, von der die heiter atmenden, naiv kontextsensiblen Weltkinder der vornukelaren Ära, die altmenschlichen Zöglinge der Luft, nichts zu bemerken vermochten.
In Zukunft hat man seine eigenen Wahrnehmung zu misstrauen, um in toxischen Umwelten zu überleben. Die Denk und Erlebnisweise der Paranoiden wird zu einem Teil der allgemeinen Erziehung –„Only the paranoid Survive.“
In der neu definierten Latenz operieren auch Bioterroristen. Sie nehmen die Dimension des unwahrnehmbar Kleinen in ihr Angriffskalkül auf und bedrohen die Umwelt des Feindes mit unsichtbaren Angreifern.
Im Gegensatz zu Heideggers „Heimatlosigkeit“ als existenzielles Kennwort des Menschen im Ge-stell-Zeitalter, -im modernen Zeitalter der Technik-, das auch eine Ausbürgerung der Menschen aus der natürlichen Lufthülle in klimatisierte Räume oder den Exodus aus allen möglichen Nischen der Geborgenheit in der Latenz gelesen werden konnte steht Sloterdijks andere Überzeugung: dass auch die Gegend und Heimathafen Verhältnisse im Zeitalter der Hintegrundexplikation, wo sie lokal noch gelingen, nicht einfach als Gabe des Seins hingenommen werden können, sondern von einem hohen Aufwand an formalem Design, technischer Herstellung, juristischer Betreuung und politischer Gestaltung abhängen.
Die folgenden Ausführungen beschreiben einen historischen Bogen zunehmender
Ausdrücklichkeit bei der Problematisierung des menschlichen Aufenthalts in Gas- und Strahlenmilieus. Damit ist allerdings nicht die Unterstellung verbunden, die Geschichte der Atmosphärenexplikation sei mit dem Ablauf des kalten Krieges zu einem Ende gelangt.
Die Einbeziehung von bislang unentfalteten klimatischen, radiophysikalischen und neurophysiologischen Hintergunddimensionen menschlicher Existenz in militärische Projekte der Weltmacht, bedeutet die Schwelle der neunziger Jahre eher ein Neubeginn.
Am 17. Juni 1996 präsentierten sieben Offiziere des Department of Defense ein genehmigtes Papier das die Umrisse einer zukünftigen Ionosphärenkriegsführung: „Wetter als Kampfkraftmultiplikator: Wetterherrschaft im Jahre 2025“ abstecken sollte.
Der alltägliche Aufenthalt in der Latenz wird zunehmend unruhig.
Zwei Arten von Schläfer treten dabei in Erscheinung:
Sie macht die einen zu Mitarbeitern an der Explikation der Hintergrundbedingungen
von Natur und Kultur, -zu Agenten eines strukturellen Terrors gegen diese- während die anderen zu inneren Aborigines, Regionalisten und freiwilligen Kuratoren der eigenen Unzeitgemäßheit verwandelt –in tatsachenfreie Reservate den Vorteil pflegen, an Weltbildern und symbolischen Immunverhältnissen des Latenzzeitalters festhalten zu dürfen.