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II. KRISEN DES WORTES ZWISCHEN STOA UND IMPERIUM ROMANUM

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Die Rhetorik und die mit ihr transportierte, in sie eingebettete verbalradikale Bedeutungserweiterung wurde nicht an sich, sondern erst im Zusammentreffen geistesgeschichtlicher und machtpolitischer Konstellationen gefährlich. Dies war im Aufstehen der älteren und mittleren Stoa und dem gleichzeitigen Erstarken Roms gegeben, dessen Aufstieg zur führenden Macht im Mittelmeerraum während des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts seinen vorläufigen Höhepunkt fand. In platonischer und aristotelischer Tradition begreift die Stoa die Rhetorik zunächst ebenfalls als Gegenstück zur Dialektik, ihr Fokus bleibt jedoch stärker auf die Dialektik gerichtet, als „… Wissenschaft von dem, was wahr, von dem, was falsch, und von dem was keines von beiden ist.21 Indem die Rhetorik aus dem Blickwinkel der Dialektik betrachtet wird, verbleibt sie im Unterschied zur Dialektik derivatartig und damit weiter von der Wahrheitsfindung entfernt. Chrysippos und zahlreichen andern Stoikern zufolge beschränkt sie sich auf die Formen, Anlässe und den Aufbau möglichst effektiver, wirkungsreicher Vorträge.22 Nicht nur die paradigmatische Geste des Zenon von Kition illustriert die Differenz von Dialektik und Rhetorik: Zenon pflegte auf die Frage nach dem Unterschied von Dialektik und Rhetorik die Faust zu ballen, um die Dichte, Konzentration und Spannung der Dialektik darzustellen, und danach die Faust wieder zu öffnen, um die Rhetorik mit einer öffnenden, entspannenden Handbewegung anschaulich zu machen und mit Aspekten des Weitläufigen, Offenen und Erzählerischen zu konnotieren.23 Diese Geste entspricht auch der kataleptischen Vorstellung, die Zenon als das sensualistische Kriterium in die Philosophiegeschichte des Erkenntnisvermögens einführt. Darunter versteht er ein nicht nur metaphorisch ausgedrücktes, physisches Ergreifen der Dinge, denn in platonischer Tradition faßt Zenon die Seele als körperlich auf, deren Ergreifen einen Anteil am Begreifen ihres Wesens hat. Wie Zenon das wirklichkeitsabbildende Begreifen des Wesens auf den Begriff bringt, ist in Ciceros Lucullus überliefert: „Zuerst hielt er dem Gegenüber die Rechte mit ausgestreckten Fingern hin und sagte: »Eine Erscheinung muß man sich so vorstellen.« Darauf zog er die Finger ein bißchen zusammen und sagte: »Die Zustimmung so.« In der Folge drückte er sie ganz zusammen, machte eine Faust und erklärte, dies stelle das »Begreifen« dar; von diesem Vergleich leitete er auch den bislang ungebräuchlichen Begriff für die Sache her: katálepsis.24 Zenons Veranschaulichung seines kataleptischen Zuganges macht den Stellenwert der Rhetorik selbst klar, die damit im Unterschied zur konzentrierten, geballten Dialektik eine offene, auf die Erscheinung bezogene, sich mit der Erscheinung begnügende Dimension zugewiesen erhält.

Die stoische Haltung zur Rhetorik, stets und unmißverständlich der Wahrheit und nicht der Darstellung verpflichtet zu sein, ist sowohl konsequent platonisch als auch aristotelisch formuliert, streicht jedoch die Verpflichtung zur Wahrheit dialektisch noch weit schärfer hervor: Die drei aristotelischen Redegattungen zum Zweck der Glaubhaftmachung beziehen sich auf die verteidigende bzw. anklagende Gerichtsrede, die beratende politische Staats- bzw. Volksrede und die epideiktische Rede, eine darstellende und gleichzeitig bewertende Prunkrede, génos épideiktikón, die aus dem dialektischen Verhältnis von Lob und Tadel ein objektives Bild entstehen lassen soll.25 Bereits die ältere Stoa geht über diese Differenzierung hinaus, indem sie nicht nur postuliert, daß die Rhetorik die „Wissenschaft vom guten Reden26 sei, sondern auch, daß gutes Reden stets mit dem Reden von Wahrem und Wahrhaftigem verbunden und gleichgesetzt werden müsse, denn „… das gute Reden bestehtdarin, Wahres zu reden.27 Eine der Begründungen für diese enorme Anforderung liegt in der von den Stoikern als zweigliedrig aufgefaßten Rede selbst: Diese besteht aus einer inneren und einer äußeren Rede, wobei die innere Rede mit dem Verstand und der Vernunft übereinstimmt, und die äußere Rede die nach außen getragene Vernunft, den verbal geäußerten Verstand darstellt.28 Was die formalen Anforderungen an die Rede betrifft, fordert die Stoa unverfälschte, hochstehende Sprache, Deutlichkeit und Verständlichkeit, Kürze und Präzision der Darstellung sowie Angemessenheit in bezug auf das gegebene Thema, und sie postuliert ihre radikale Abkehr von Metaphorischem, indem sie vehement auf die „Verwendung der Wörter in ihrer eigentlichen Bedeutung29 dringt.

Die Forderung nach dem verbum proprium, von den Stoikern kyriología genannt, stellt ein oft wiederholtes Postulat dar, eine Forderung nach verbaler Präzision, nach textueller Wahrheit hinsichtlich der Bedeutung von Begriffen. Die stoische kyriología wurzelt in der aristotelischen Rhetorik und Poetik, in denen mit dem Begriff „kýrion30 deren Grund gelegt ist. Wurde im Deutero nomium der einzelne Begriff nur über seine Bedeutungsgrenzen hinaus gedehnt und erweitert, findet sich in der griechischen Rhetorik ein Schlüssel dieses Mechanismus in Form einer ersten Definition der Metapher. Diese legt den Zugang zur intendierten rhetorischen Bedeutungserweiterung und führt zum Verständnis der Verschiebung des vor dem Performativen und vor dem Perlokutionären31 liegenden verbalradikalen Agens der Begriffsverzerrung. Die aristotelische Definition lautet: „Eine Metapher ist die Übertragung eines, einem anderen gehörenden, Nomens, entweder von der Gattung auf die Art, oder von der Art auf die Gattung oder von einer Art auf eine andere, oder nach den Regeln der Analogie.32 Es wird ein einem anderen Bedeutungsraum zugehöriges, fremdes Nomen übertragen, ein Wort, das somit in uneigentlicher Bedeutung, non proprie, verwendet wird. Die von Aristoteles genannte epiphorá bezeichnet mit dem epi-phéro das Darübertragende, Darauflegende einer verschiebenden Übertragung, welche das metá-phérein im Sinne einer Deplazierung des Wortsinnes vervollständigt und damit die Bewegung rund um das ursprünglich Ausgesagte erst in Gang setzt. Sämtliche um die Metapher kreisende Begriffe, jene des Übertragens, Hinübertragens, Bedeutungsveränderns, sollen die sprachliche Differenz, die zwischen dem verbum proprium und seinem metaphorischen Gegensatz klafft, erklärend verbinden und überbrücken. Daher entstammen auch alle diese auxiliaren Begriffe dem etymologisch weiten Feld der kínēsis, jenem der Bewegung, die selbst eine Metapher der Bedeutungsveränderung ist, die sich jedoch im verbalradikalen Kontext allmählich zur Erschütterung des ursprünglichen Wortsinnes entwickelt.

In der aristotelischen Definition der Metapher schwingt die Latenz einer übertragenen, nicht von Anfang an ausgesprochenen Bedeutung mit, einer visiblen Verschiebungstätigkeit auf der Ebene des Wortes. Die Metapher, sowohl in der Rhetorik als auch in der Poetik beheimatet, läuft dem verbum proprium zuwider. Sie muß sich vom proprium entfernen, um eine textuelle Übertragung, eine gedankliche Verschiebungstätigkeit von Attributen eines Nomens hin zu einem anderen, ein Vorstellen unter dem Aspekt von, im Sinne des metaphorischen Sehen als, überhaupt in Gang setzten zu können.33 Auf diese Weise erfährt der primär repräsentierte, textuell visible Begriff eine metaphorische Bedeutungsverschiebung, oftmals eine scheinbare Bedeutungserweiterung, als Wirkung einer verändernden Bewegung, eines Überganges von Aspekten eines Begriffes zu einem anderen. Die metaphorische Bedeutungsverschiebung entspricht einer inhaltlichen Akzentuierung des ursprünglich Ausgesagten, als Schwerpunktsetzung und Amplifikation im Kontext der ursprünglichen Intention.

Ausgehend von der stoischen Forderung nach dem verbum proprium stellt die Metapher nicht nur eine Bedrohung für die adäquate Wortwahl dar, sondern bereitet das verbalradikale Terrain geradezu auf, indem sie nicht nur hermeneutisch auf der Ebene des Wortes das Verstehen von einer ursprünglichen oder, aristotelisch gesprochen, üblichen Wortbedeutung hin zu einer anderen, mit der Rede intendierten Bedeutung lenkt, sondern auch auf der Ebene des Kontextes irreparable Bedeutungs- und damit Vorstellungsverschiebungen zu bewirken in der Lage ist. Als ob die Funktion der Metapher selbst eine „Mißhandlung der unversehrten Rede34 darstellte, steht sie im Zentrum jenes Prozesses, der die Bedeutungserweiterung der Worte trägt und vorantreibt, eines Prozesses des Integrierens, Ausschließens und des permanenten Entscheidens. Krisis als Entscheidung führt zum Beherrschen des heterogenen Diskurses qua Beherrschung seiner Sprachregelungen. An dem Punkt des sprachlichen Entscheidens verschmelzen Sprache und Macht, und es wird festgelegt, in welcher Form sich die Entwicklung des Wissens aus Praktiken der Macht herleitbar macht, sodaß „… in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.35 Die Entscheidung für oder gegen die Bedeutungserweiterung, für oder gegen die Metapher, lenkt den Blick auf die Art und Weise, wie Macht ausgeübt wird, wie sie sprachlich sowohl durch die Herrschenden als auch durch die Beherrschten hindurch verläuft und sich als Konsequenz in elementarsten Sprachhandlungen illokutionär und perlokutionär materialisiert.36

Ebenso stellt der sprachliche Konsens kein voraussetzungslos Gegebenes, sondern ein sprachlich-hierarchisches Konstrukt dar. Sprachkonsens setzt sogar eine Reduktion von Heterogenität voraus, da zu jedem Beginn eines Diskurses die sprachliche Heterogenität wesentlich mehr Wahrheiten zu umfassen vermochte, als der nach Durchlaufen des rhetorisch-intentionalen Disqualifikationsprozesses übriggebliebene Rest. Der radikale Regreß zu den Wurzeln des Wortes, zu seinem Etymon, kann gerade im stoischen Kontext und dessen Forderung nach dem verbum proprium durch die Metapher der Abnutzung und Auslöschung geleistet werden: Die ursprüngliche, erste und im wörtlichen Sinne radikale Bedeutung des Wortes liegt anfangs ganz nahe an dem durch es Repräsentierten. Erst durch den nachfolgenden philosophischen Diskurs und den hermeneutischen Fortgang „… geraten die erste Bedeutung und die erste Verschiebung in Vergessenheit.37 Die Nähe der ursprünglichen Sprache zum Repräsentierten verhilft dazu, die Vorstellung der Dingheit eines Gegenstandes einem denkenden Anschauen zuzuführen, da eine dem Gegenstand benachbarte, nächstmögliche und nächstliegende Sprache Verwendung findet. Doch unmittelbar danach, sobald die Nutzung des Wortes im philosophischen Diskurs beginnt, entstehen Begriffsbildungen und Bedeutungsveränderungen, ausgehend vom und in bezug auf das betreffende radikale Wort.38 Die stoische Forderung nach der radikalen Anwendung einer direkten, eigentlichen Wortbedeutung stellt einen ausschließenden Anspruch dar. Trotz oder gerade aufgrund der umfassenden Ausarbeitung der Stoiker, was die Differenzierung und Definitionen der Tropen betrifft, von Metapher über Katachresis und Metalepsis bis zu Synekdoche, Metonymie und Antiphrasis39, steigern diese und besonders ihre kompromißlose kynische Schule die aristotelischen Ansprüche, Worte in ihrer eigentlichen Bedeutung zu verwenden, bis in das Extrem: Bereits minimale Abweichungen der Wortbedeutung, Syntax oder Grammatik führen dazu, daß prinzipiell richtig gedachte und cum grano salis korrekte Verbalisierungen pauschal als falsche Aussagen bezeichnet werden. Dieser radikale und auf die radices der ursprünglichen Wortbedeutung rekurrierende Anspruch, der seinerseits auf den Ausführungen des platonischen Kratylos40 gründet, sollte sich durch eine erhebliche Wirkungsgeschichte auszeichnen und vielfach rezipiert werden, nicht zuletzt von Cicero.41 Verbalradikalismen der politischen Klasse Roms entstehen daher nicht akzidentiell, sondern werden bewußt und in vollem Unrechtsbewußtsein zur Erreichung des politischen Zieles rhetorisch entwickelt und eingesetzt.

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