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Kapitel 1: ZUR METAPHORIK DER VERNICHTUNGSWEIHE:
DAS BUCH DEUTERONOMIUM

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Und im ganzen Land Ägypten wird Blut sein, selbst in Gefäßen aus Holz und Stein. 1

Welche sprachlichen Wege werden beschritten, wenn im Kontext einer Metaphorik der Gewalt die Schriften des Deuteronomiums von der Drohung mit Gewalt zu einer Anordnung von Gewalt gelangen? Welcher Art muß die Bedachtnahme auf das geistesgeschichtliche Gewicht der Thora sein, um einzelne Gesetze, Handlungsanleitungen und Kerygmata, seien sie apodiktisch oder gewaltinhärent, einander unbefangen gegenüberstellen zu können? Welcher Art muß die Vorsicht sein, um den vorgreifenden Hinblick auf die sprachliche Gewalt in ihrem je eigenen historischen Kontext zu leisten? Die „Sprache der Gewalt“ ist vielleicht eine erste Metapher der gewaltvollen Sprache. Sie führt oftmals Überzeugungen herbei, festigt immer wieder Glaubensgrundsätze und begleitet manchmal sogar einen Bundesschluß. Dieser wird im Gebet sprachlich bekräftigt und erneuert, denn in der Wiederholbarkeit der Bitte liegt die Stärke des Gebets, als re-petitio und Erneuerung der Gabe eines Versprechens.

Das Papier des Alten Testaments ist blutgetränkt. Die alttestamentliche Wissenschaft hat sich, wenngleich sie in solchen Dingen eher zur Verdrängung neigt, durchaus mit dem Thema ‚Krieg‘ beschäftigt.2 Nicht erst die zahlreichen strukturellen und graduellen Abstufungen des Begriffes Gewalt, sondern bereits das Zustandekommen der altgriechischen Bezeichnung Deuteronomion3, in der Septuaginta-Übersetzung des hebräischen Grundtextes des Pentateuch, weckt Assoziationen an eine metaphorische Verschiebung. Den textuell manifesten Kern des Deuteronomiums bilden zahlreiche performative Passagen, die Wiederholungen von Gesetzen und Anweisungen enthalten, aber auch Erinnerungen an tradierte, bereits seit langem bestehende Vorschriften. Auch der Dekalog wird im Deuteronomium als „Inbegriff des Bundes4 inhaltlich wiederholt, womit dieser wie die übrigen normativen Passagen zu einem wiedererzählenden, vertiefenden und erneuernden Ansprechen des Exodus wird, zu einem metaphorischen Verweisen auf Zurückliegendes.5 Die zahlreichen expliziten Hinweise und impliziten Aufforderungen an die biblischen Israeliten, die richtigen Konsequenzen aus der Reflexion ihrer eigenen Geschichte zu ziehen, bilden den textuell latenten Teil des Deuteronomiums. Latent, da dieser Text bloß auf das mit ihm Gemeinte verweist und in seiner Flüchtigkeit nur Spuren zu Assoziationen legt. Zwischen textuell manifesten und latenten Gesetzen, zwischen ersten, sich per effectum entwickelnden sprachlichen Orientierungen kreisen die hebräischen namensgebenden Anfangsworte für das Deuteronomium und für den Dekalog,6 es sind jene mit den Bedeutungen von Wort, Äußerung, Rede und Anweisung. Doch selbst diese legen nur Fährten, die sowohl zu einer erzählenden Sprache im allgemeinen als auch zu einer anweisenden Anrede und göttlichen Botschaft im besonderen führen. Anweisungen finden sich im Deuteronomium in überwiegender Zahl in der Form direkter Interventionen Gottes auf die Menschen. Die Erzählungen über diese direkten Interventionen verschieben die sprachlichen Ebenen und fügen oftmals weitere ein: jene des Metaphorischen, das die Manifestation grundlegender und identitätsstiftender Ereignisse, wie etwa jenes des „mysterium tremendum7 herausarbeitet und hervorhebt.

Der entstehungsgeschichtlich heterogene Aufbau des Buches Deuteronomium kann und muß sowohl hinsichtlich seines Inhaltes als auch im Hinblick auf die zahlreichen sprachlichen Ebenen und historischen Schichten seines Textes aus verschiedenen Perspektiven gelesen werden. Die perspektivisch getrennte Lektüre der verschiedenen narrativen Ebenen, der apodiktischen Grund- und der performativen Substrukturen mündet im Zusammendenken und In-eins-Setzen8 des Deuteronomiums als Korpus innerhalb einer Gesamtaussage, welche zu den übrigen vier Büchern der Thora trotz ihrer Eigenständigkeit auf allen ihren textuellen Ebenen offen ist. Diese Offenheit erlaubt es daher auch nicht, die Gesamtaussage des Deuteronomiums, trotz seiner Sonderstellung innerhalb der Thora, auf die textuelle Schicht der nomoi einzuengen, wie das die Septuaginta-Übersetzung des Titels zunächst insinuiert. Denn wie die übrigen Bücher des Pentateuch ist auch das Fünfte Buch Mose im paränetischen Sinne anweisend, womit nicht nur die streng normativen, sondern auch die im narrativen Duktus handlungsanleitenden Passagen gemeint sind. Die Formeln bleiben auch nicht bei allgemeinen Gesetzesgruppen und abstrakten Normen stehen, sondern binden diese in Kausalketten konkreter Handlungsanweisungen ein, welche ihrerseits die historischen Machtblöcke des neunten und achten und insbesondere jene des siebenten und sechsten vorchristlichen Jahrhunderts reflektieren.

Jener Bund, den Moses stellvertretend schloß und der über die bilaterale Vereinbarung hinaus auch soziopolitischen Modellcharakter für die biblischen Stämme Israels gewann, die im Sinne der antiken Amphiktyonie einen vorstaatlichen Kultverband mit losen ökonomischen und politisch-militärischen Verbindungen darstellten, inspirierte etwa Max Weber dazu, im profanen politischökonomischen Kontext von einer Eidgenossenschaft9 zu sprechen. Das theokratische Modell der kanaanäischen Gründungsgenerationen Israels entspricht historisch am ehesten einer „… egalitarian, tribalized community, with power scattered throughout the community10, daher muß jede Lektüre des Deuteronomiums diese vorstaatlichen Strukturen berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sie zu keinem Zeitpunkt beansprucht, in Konkurrenz zur theologischen Exegese zu treten, sondern im Sinne der epistēme nur einen Blickwinkel hinzufügt.

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