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a) Grundlagen

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Es entspricht der deutschen Verwaltungsrechtstradition, die Verwirklichung des materiellen Rechts zum Dreh- und Angelpunkt des Verwaltungsrechts zu machen, während dem Verfahren ein vergleichsweise geringer Stellenwert zukommt.[286] Dem Verfahren wird gegenüber dem materiellen Recht eine hauptsächlich „dienende Funktion“ zugemessen;[287] es ist der „Weg zur Entscheidung als Endprodukt“[288]. Dabei dominiert vor allem in der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Überzeugung, dass diese dienende Funktion grundsätzlich auch ohne Sanktionierung von Verfahrensfehlern erfüllt werden kann.[289] Der Charakter des Verwaltungsverfahrens auch als Teil des Rechtskonkretisierungsprozesses[290] wird vom deutschen Recht zwar im Prinzip anerkannt, jedoch letztlich nur unzureichend in operable Regelungsstrukturen übersetzt, die diesen prozeduralen Eigenleistungen auch konkret Rechnung tragen würden.[291]

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Diese Grundhaltung gegenüber dem Verfahren spiegelt sich in der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre wider:[292] Verfahrensfehler lassen die Wirksamkeit eines ergangenen Verwaltungsakts grundsätzlich unberührt (vgl. § 44 VwVfG). Darüber hinaus sind sie im Rechtsbehelfsverfahren im Regelfall unbeachtlich. Zum einen können sie bis zum Abschluss der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz im Grundsatz dadurch geheilt werden, dass die unterbliebene oder fehlerhafte Verfahrenshandlung nachgeholt wird (§ 45 Abs. 1 und 2 VwVfG; vgl. für die Umwelt-verträglichkeitsprüfung auch § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG). Zum anderen ist die Mehrzahl der Verfahrensfehler, die nicht geheilt wurden, nach der prozessökonomisch begründeten und – abgesehen von einzelnen Durchbrechungen (vgl. erneut für die Umweltverträglichkeitsprüfung § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 UmwRG[293]) – zu einem allgemeinen Fehlerfolgenprinzip („Auswirkungs-Kriterium“) hypostasierten[294] Vorschrift des § 46 VwVfG jedenfalls unbeachtlich, soweit „offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat“.[295]

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Ungeachtet dessen gründet auch das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht auf allgemeinen rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen und Verfahrensrechten der Beteiligten, Dritter sowie der Öffentlichkeit.[296] Hierzu gehören insbesondere: der Amtsermittlungsgrundsatz, wonach die Behörde den relevanten Sachverhalt von Amts wegen sowie unparteiisch zu ermitteln hat (§ 24 VwVfG) und sich hierzu der erforderlichen Beweismittel bedienen darf (§ 26 VwVfG); die Anhörung Beteiligter, die nur in Ausnahmefällen unterbleiben darf (§ 28 VwVfG)[297] und das Recht der Beteiligten, Akteneinsicht zu erhalten (§ 29 VwVfG). Während im Unionsrecht eine Begründung obligatorisch ist (Art. 296 AEUV) und Verstöße in der Regel zur Aufhebung der Entscheidung führen, erkennt zwar auch das deutsche Verwaltungsrecht die Begründungspflicht als rechtsstaatliches Verfahrensprinzip an,[298] beschränkt diese aber auf schriftliche bzw. elektronische Verwaltungsakte (§ 39 Abs. 1 VwVfG), wobei es selbst hiervon teils weit reichende Ausnahmen vorsieht (§ 39 Abs. 2 VwVfG) und die Fehlerfolgen stark relativiert (§ 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3; § 46 VwVfG).

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Verwaltungsverfahren sind in Deutschland grundsätzlich nicht an eine bestimmte Form gebunden; sie sind „einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen“ (§ 10 VwVfG; vgl. für die europäische Ebene jetzt auch Art. 298 AEUV). Leitbild ist die der Ergebnisorientierung des deutschen Verwaltungsrechts entsprechende Effizienz des Verfahrens,[299] nicht seine Förmlichkeit. Auch das Verwaltungsverfahrensrecht kennt aber daneben besondere Verwaltungsverfahren.[300] Dies ist zum einen das förmliche Verwaltungsverfahren (§§ 63ff. VwVfG), das mit dem Herzstück der mündlichen Verhandlung (§§ 67f. VwVfG) dem Gerichtsverfahren angenähert ist. Zum anderen kommt gerade im Fachplanungsrecht[301] dem Planfeststellungsverfahren (§§ 72ff. VwVfG) besondere Bedeutung zu. Dieses zeichnet sich durch besonders anspruchsvolle, mit Elementen der planerischen Abwägung angereicherte prozedurale Instrumente aus, in deren Zentrum die Öffentlichkeitsbeteiligung steht.

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Gesetzliche Reformen seit Anfang der 1990er-Jahre haben die Förmlichkeit der Verwaltungsverfahren sukzessive zurückgedrängt und unter den Leitbildern der Beschleunigung, Deregulierung sowie Entbürokratisierung („Schlanker Staat“) zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland nicht nur Rechtsschutz abgebaut[302], sondern auch prozedurale Standards gelockert, insbesondere die Planfeststellung durch die Option der vereinfachten Plangenehmigung ersetzt (vgl. § 74 Abs. 6 VwVfG).[303] Überdies kam es in den letzten Jahren in Deutschland zu einer verstärkten Ausdifferenzierung des Verwaltungsverfahrens, bei der die „klassischen“ verfahrensrechtlichen Grundtypen (Verfahren der Gefahrenabwehr, Verfahren der Kontrolle privater Freiheitsbetätigung, Verfahren der Anlagenzulassung) durch „neue“ Verfahrenstypen (insbesondere Verteilungsverfahren, Qualitätssicherungsverfahren, Risikoverfahren) ergänzt wurden.[304]

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