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1. Historische Dimension

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Demokratie und Verwaltung wurden aus historischer Sicht in Deutschland vergleichsweise spät miteinander versöhnt.[396] Teils revolutionäre Bemühungen um eine Demokratisierung des restaurierten Deutschlands im Vormärz (1815–1848) sind ebenso gescheitert wie der Versuch einer gesamtdeutschen Verfassunggebung auf demokratischer Grundlage („Paulskirchen-Verfassung“ vom März 1849).[397] Prägender Typus des Staats- und Verfassungsrechts im 19. Jahrhundert blieb bis Ende des Ersten Weltkriegs die konstitutionelle Monarchie, die auf einer eigentümlichen, letztlich inkohärenten Überlagerung von Fürsten- und Volkssouveränität beruhte.[398] Trotz kontinuierlicher Ausdehnung der Parlamentsgesetzgebung, der Etablierung des Reichstags als Parlament des Deutschen Reiches (1871) und der Festigung der parlamentarischen Budgethoheit seit dem Preußischen Verfassungskonflikt[399] blieben lange Zeit Elemente erhalten, die demokratischer Egalität widersprachen (Dreiklassenwahlrecht, Ausschluss des Frauenwahlrechts). Eine wirklich parlamentarisch-demokratische Verfassung, die auf den Prinzipien der Republik und der Volkssouveränität beruhte, stellte erstmalig die („Weimarer“) Reichsverfassung von 1919 dar,[400] an deren wesentliche Grundpfeiler später – nach faktischer Außerkraftsetzung während des „Dritten Reiches“[401] – auch das Grundgesetz unter entsprechenden Vorgaben der West-Alliierten 1949 anknüpfen konnte.[402]

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Eigentümlichkeit der deutschen Entwicklung hin zur Demokratie ist die Vorwegnahme des rechtsstaatlichen Elements als Kompensation für das weitgehende Scheitern von Forderungen des liberalen Bürgertums nach politischer Teilhabe im 19. Jahrhundert.[403] Diese Tradition, Verwaltung weniger proaktiv als Fortsetzung demokratischer Selbstbestimmung durch administrative Gestaltung, sondern eher defensiv als Bedrohung individueller Freiheit anzusehen, prägt die deutsche Verwaltungskultur bis heute. Demokratie und Rechtsstaat werden als separate und eher antagonistische Prinzipien gesehen, Verbindendes zwischen ihnen (z.B. die Wirksamkeit demokratisch gesetzten Rechts, der demokratische Gestaltungsauftrag der Verwaltung) eher vernachlässigt. Folgen sind eine intensive rechtliche Inhaltskontrolle, eine Zurückdrängung diskretionärer Entscheidungen, strikte Gesetzesvorbehalte und ein ausgebauter Individualrechtsschutz.

Ius Publicum Europaeum

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