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aa) Prozeduralisierung
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Gerade im Verfahrensrecht verlangt die Europäisierung dem deutschen Verwaltungsrecht nicht unerhebliche Anpassungen ab.[305] Das geringe Gewicht von Verfahrensfehlern, das ein besonderes Kennzeichnen des deutschen Verwaltungsrechts darstellt, gerät dabei in einen tendenziellen Konflikt mit der stärkeren Betonung des Verfahrens im Unionsrecht.[306] Rechtsvergleichend macht sich hierin besonders der Einfluss angelsächsischer und vor allem französischer Rechtstraditionen bemerkbar.[307] Eine stärkere Verfahrensbetonung zeigt sich aber auch in der Rechtsprechung des EGMR.[308] Der Gerichtshof misst der Einhaltung hinreichender Verfahrensstandards über Art. 6, 13 EMRK hinaus entscheidende Bedeutung bei der Rechtfertigung von Eingriffen in durch die Konvention garantierte Menschenrechte zu.[309] Auch hierdurch wird das deutsche Verwaltungsrecht stärker für eine (notwendige) Ergänzung durch prozedurale Standards und eine „verfahrensfreundliche“ Auslegung sensibilisiert.
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Im Vergleich zum deutschen Verwaltungsrecht ist das Unionsrecht somit von seinem Grundansatz her prozeduraler ausgerichtet,[310] auch wenn eine vielfach zu geringe Normierungs- und Systematisierungsdichte im europäischen Verwaltungsrecht in gewissem Kontrast zu der betonten Bedeutung von Organisation und Verfahren steht.[311] Mit dem Hang des europäischen Rechts zur „Entmaterialisierung“ der normativen Entscheidungsprogramme ist das deutsche Denken von Haus aus wenig vertraut.[312] Insbesondere die §§ 45, 46 VwVfG zeugen von einer gewissen „Geringschätzung“ des Verfahrens.[313] Dem korrespondiert eine hohe materielle Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte, die beim Ergebnis des Verfahrens – eben der verwaltungsbehördlichen Entscheidung ansetzt. Folgen hat die Verfahrensfreundlichkeit des Unionsrechts etwa – entgegen der Rechtsprechung des BVerwG[314] – für den Fall einer unterlassenen oder mit schwerwiegenden Fehlern behafteten Umweltverträglichkeitsprüfung (keine Unbeachtlichkeit des Fehlers gemäß § 46 VwVfG).[315] Auch eine Fehlerheilung nach § 45 Abs. 2 VwVfG muss unterbleiben, soweit diese eine effektive Durchsetzung des Unionsrechts vereiteln würde.[316]