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b) Reduzierte Kontrolldichte bei kompensatorischer Stärkung des Rechtsschutzes gegen Verfahrensverstöße

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Die Stärkung der Verwaltungsverantwortung im europäisierten Verwaltungsrecht durch Entmaterialisierung und Prozeduralisierung des Rechts vermindert zunächst die Verantwortung der Gerichte. Das Unionsrecht ist folglich – grob gesprochen – regelmäßig durch eine im Vergleich zum deutschen Verwaltungsrecht großzügigere Annahme von „Vertretbarkeitsspielräumen“, zumal bei komplexen wirtschaftlichen[571] und naturwissenschaftlich-technischen Entscheidungen, und damit kehrseitig durch eine häufig geringere Kontrollintensität durch EuG und EuGH gekennzeichnet.[572]

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Kompensatorisch zu der Einräumung materieller Entscheidungsspielräume der Verwaltung wirken vor allem qualifizierte Begründungspflichten (Art. 296 AEUV) sowie im Zusammenhang damit eine Verstärkung des subjektiven Rechtsschutzes gegen Verfahrensverstöße,[573] wodurch das Unionsrecht auch insoweit als Motor einer „Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts“[574] bzw. einer „funktionalen Subjektivierung“[575] von Rechten wirkt.[576] Der unionsrechtlich induzierten Stärkung des Verfahrens korrespondiert insoweit auch eine Stärkung der Verantwortung der Gerichte. Verfahrensverstöße, die nach nationalem Recht unbeachtlich bleiben (vgl. § 46 VwVfG), können kraft Unionsrechts beachtlich sein, denn die Anerkennung des Eigenwerts von Verfahren muss auf der Rechtsschutzseite jedenfalls bei Ermessensnormen im weiten Sinne zu einer (grundsätzlichen) Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern führen.[577] Auch die – ihrerseits dem Modell des dienenden Charakters von Verfahren entspringende – Vorschrift des § 44a Satz 1 VwGO bedarf einer unionsrechtskonformen Anwendung.[578] Solange effektiver Rechtsschutz gegen die jeweilige Sachentscheidung möglich ist und hierbei auch Verstöße gegen Verfahrensrecht zum Erfolg führen können, kann § 44a Satz 1 VwGO dagegen unmodifiziert zur Anwendung kommen.[579]

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Insgesamt spricht bei europarechtsorientierter Auslegung somit rechtspolitisch manches für eine freiwillige und behutsame Rücknahme der materiellen Kontrolltiefe bei gleichzeitiger Stärkung des Verfahrensrechts auch beim indirekten Vollzug von Unionsrecht im Rahmen des nationalen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts.[580] Rechtlich gefordert wird eine solche Anpassung durch das Unionsrecht indes nicht.[581] Das Unionsrecht verlangt nur, dass dort, wo es Rechte Einzelner begründet, zur Durchsetzung dieser Rechte überhaupt wirksamer Zugang zu einem Gericht besteht.[582]

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