Читать книгу Ius Publicum Europaeum - Paul Craig - Страница 236

1. Das deutsche Modell bürokratischer Herrschaft und der Vollzugsverwaltung

Оглавление

155

Als wirkmächtiges Leitbild in der deutschen Verwaltungskultur hat sich Max Webers Konzept bürokratischer Herrschaft erwiesen. Als dessen Kennzeichen gelten: hauptamtliches Personal, Trennung von Amt und Person, Hierarchie, Regelgebundenheit des Entscheidens, Schriftlichkeit des Verfahrens.[609] Als Optimum rationaler Verwaltung erscheint dabei eine monokratisch organisierte, auf Subordination gründende, fachlich professionalisierte und auf den möglichst präzisen Gesetzesvollzug beschränkte Verwaltung.[610] Verwaltung ist somit in Deutschland, zumal in historischer Perspektive, idealtypisch apolitisch, in ihren Entscheidungen möglichst regelgebunden und damit berechenbar; Politik und Verwaltung sind getrennte Funktionen des öffentlichen Lebens.

156

Das Bild bürokratischer und hierarchischer Herrschaft war dabei von Anfang an mechanistisch überzeichnet[611] und nie in Reinform verwirklicht.[612] Es kollidiert mit der gleichfalls traditionsreichen und in der Tendenz (Stichwort: „Kommunalisierung“[613]) erheblich zunehmenden Dezentralisation („vertikale Gewaltenteilung“[614] in Gestalt von Föderalismus und Selbstverwaltung[615]), dem Kollegialprinzip[616] und der vertikalen Dekonzentration.[617] Verwaltung war daher auch in Deutschland zu keiner Zeit anspruchsloser Gesetzesvollzug, sondern kannte schon immer Elemente autonomer Gestaltungsspielräume.[618]

157

Namentlich die Planungseuphorie der 1970er-Jahre[619] sowie die Renaissance planerischer Instrumente im Zuge der Umsetzung des Integrations- und Nachhaltigkeitsprinzips (langfristige Ressourcenschonung) seit den 1990er-Jahren haben die politische Seite des Verwaltens[620] wieder stärker sichtbar gemacht. Auch fand in den letzten Jahren die Rationalitätskritik am bürokratischen Modell[621] unter Politikern und Juristen immer mehr Gehör, was sich in Reformbestrebungen wie dem New Public Management bzw. dem Neuen Steuerungsmodell niederschlug. Diese Reformen führten in der Tendenz zu einer weiteren Ökonomisierung („Politisierung“) und Dezentralisierung der Verwaltung.[622]

158

Ungeachtet dessen entfaltet das Modell hierarchischer Vollzugsverwaltung in Deutschland weiterhin eine erhebliche Prägekraft und verkörpert – soweit keine verfassungsrechtlich vorgesehenen oder zumindest zugelassenen sonstigen Modelle bestehen (z.B. ministerialfreie Räume, Selbstverwaltung) – das verfassungsrechtliche Grundmodell.[623] Es steht für die bürokratische, unter einem Ressortminister monokratisch und hierarchisch organisierte Verwaltung, die auch empirisch den dominanten Verwaltungstypus bildet,[624] der auch im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells nicht entfallen ist, sondern nur seine Erscheinungsform verändert hat[625].

159

Das demokratische Legitimationsmodell der Verwaltung, das nach Lesart des BVerfG neben der Gesetzesbindung vor allem auf der parlamentarischen Verantwortung der Regierung und Weisungsketten vom Ressortminister bis hinunter zum vollziehenden Amtswalter gründet, ist erkennbar vom bürokratischen Verwaltungsmodell geprägt. Korrespondierend werden Letztentscheidungskompetenzen der Verwaltung (z.B. Beurteilungsspielraum, Ermessen) nur sehr restriktiv anerkannt und in der Regel einer rigiden gerichtlichen Kontrolle unterworfen.

Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх