Читать книгу Aus dem Tagebuch eines Konterrevolutionärs - Pavel Kohout - Страница 14
Оглавление26. V. 46
Praha
An dem Tag, da wir gemeinsam Robek begruben, an dem Abend, als die Verdunklung aufgehoben wurde und wir vom Letná-Hügel zusahen, wie nach sechs Jahren das befreite Prag die Lichter anzündete, in jener Nacht, da uns der sowjetische Kommandeur zum Lagerfeuer einlud, den Wodka zu kosten – tranken wir einander zu, auf Bruderschaft.
Das ist heute 375 Tage her.
So lange bist Du für mich ein echter Bruder gewesen. Wir waren füreinander die ersten Leser unserer Gedichte. Gemeinsam lasen wir zum ersten Mal Fučíks «Reportage am Strang geschrieben», laut, um sie uns ins Gedächtnis einzuprägen. Gemeinsam suchten wir die Quelle der Kraft, die ihn auch auf dem Schafott nicht verlassen hatte, so wie sie die müden Soldaten stärkte, die in der letzten Kriegsstunde zu uns sterben kamen. Wir fanden diese Quelle dort, wo Robert sie zu suchen begonnen hatte, als er im Winter mit dem «Ursprung der Familie» von Engels bei uns erschienen war.
Und weil uns beiden die dumme Volljährigkeit gefehlt hat, gründeten wir unsere eigene kommunistische Partei. Wir waren vier Mitglieder: Stalin, Fučík und wir beide.
Gemeinsam kamen wir mit dem fünfzackigen Stern am Rockaufschlag in die Schule und endeten wie die ersten Christen in Rom. Die Herren Professoren aus unserem gutbürgerlichen Stadtviertel prüften uns zweimal täglich, aber wir schufteten bis in die Nacht wie Pferde, so daß jeder schließlich Primus seiner Klasse war. Und eine Menge von Buben fingen an, Marx zu lesen.
Gemeinsam fuhren wir an Samstagen anstatt zum Fluß auf Nachtschicht in die Gruben von Kladno. Gemeinsam überwanden wir die Furcht vor niedrigen Flözen und dem eingerissenen Hangenden, gemeinsam platzten wir vor Stolz, wenn uns dann am Morgen wirkliche Proletarier zu Salzhering und Bier einluden. Einmal haben wir sogar Slávek dafür gewonnen, so daß wir dann bei der Eßpause auf der Sohle im Sprechchor Nezval und Blok rezitieren konnten.
Wir waren auch zusammen an dem Novembertag, als die Rote Armee aus Böhmen abzog. Wir standen auf dem St.-Wenzels-Denkmal, um besser unter die Zeltplanen der Lastautos sehen zu können. Von da sahen wir auch die Gesichter, die sich an die Fenster der Cafés, Konzerne und Banken preßten. Und wir lasen in ihnen die Hoffnung, daß nun endlich ihr Augenblick komme.
Gemeinsam meldeten wir uns im Zentralsekretariat der Partei. Sie konnten uns keinen Mitgliedsausweis geben, aber sie gaben uns wenigstens eine Aufgabe. Während unsere Mitschüler auf den Spielplatz oder ins Kino gingen, nahmen wir beide jeden Tag unseren Kampf um die Welt auf. Die siegreichen Alliierten richteten in Nürnberg die Nazimörder, aber in Griechenland starben wieder Kommunisten. In unseren Zeitungen detonierten die ersten Vorwahl-Propagandabomben. Die Rechte machte kein Geheimnis mehr daraus, daß sie nach ihrem Sieg die Nationalisierung rückgängig machen und das Rad der Geschichte in den Weg vor München zurückstoßen wollte. Wir waren über siebzehn und hatten unsere Lieben – Du viele, ich eine –, und doch schrieben wir statt lyrischer Strophen Agitationsblätter und kämpferische Parolen. Ich schrieb sie auch für sie, weil ich wollte, daß unsere Kinder einmal in einer Welt ohne Not und Elend aufwüchsen.
Wir waren gemeinsam glücklich, als wir unsere eigenen Reime, noch duftend von Druckerschwärze, eigenhändig unter die Plakate Wählt 1 anklebten.
Wir waren noch heute morgen zusammen, als wir aufgeregt von Wahllokal zu Wahllokal gingen, obwohl uns der Zutritt verboten war. Denn das war unsere Schlacht, und wir versuchten, aus Kleidung und Gesichtsausdruck zu erraten, wer für die Revolution ist und wer dagegen stimmen wird.
Es ist längst nach Mitternacht, in der Küche klirren Gläser, ich höre Mutter lachen und die Stimmen von Vaters Freunden.
Die Schlacht ist entschieden. Die Linke hat gesiegt. In geheimen, freien Wahlen haben allein die Kommunisten 38% erhalten. Gottwald wird die Regierung zusammenstellen.
Und mir ist zum Heulen.
Immer wieder lese ich den von ihr geschriebenen Zettel, den Du im «Cyrano» vergessen hast, als Du mir ihn heute endlich zurückgabst.
«Warum läßt Du so lang nichts von Dir hören. Schon wieder seinetwegen? Du weißt doch, daß er für mich nichts anderes war und ist als ein Kamerad. Ich rede mit ihm, weil er mir von Dir erzählt. Er tut mir leid, aber wenn Du es willst, sehe ich ihn nicht mehr wieder. Heute ist der 5. Mai, genau ein Jahr, nachdem Du in der Nacht unter meinem Fenster gepfiffen hast. Ringsum war der Tod, aber Du hast mich leben gelehrt. Also quäl mich nicht, mon petit Pierre! A.»
Auch jene Nacht waren wir eigentlich zusammen. Nur daß ich wegging. Weil ich sie liebte! Du wußtest es am besten. Und doch bist Du bei ihr geblieben.
Du hast mit mir sogar Bruderschaft getrunken und mich dann 375 Tage angelogen. Auch sie hast Du es gelehrt.
Mir ist übel davon. Ich kann nicht zur Hälfte leben. Ich habe mich ganz gegeben, und darum weiß ich: nie mehr im Leben werde ich lieben.
Und ich will nie mehr einen Bruder haben!
Entreißt mir nur den Lorbeer und die Rosen!
Mir bleibt ein Gut, trotz aller Stürme Tosen.
Ich werde mich weder von der Brücke stürzen noch Pillen schlucken. Ich will für die leben, die leiden, mit denen sein, die kämpfen. Ich träume nicht von Amt und Würden. Auch nicht von Dichterlorbeeren.
Ich will Kommunist sein.
Einfacher Soldat der Armee, die heute auch bei uns aufmarschiert ist, um der Welt Frieden und Gerechtigkeit zu geben, um sie nicht nur von Hunger und Furcht, sondern auch von Gemeinheit und Lüge zu befreien.
Den Bruder habe ich verloren. Ich werde Genossen haben.
Die kennen keinen Verrat.
Ich hoffe sehr, daß Du selbst begreifst, warum Du unter ihnen keinen Platz hast. Die kommunistische Revolution braucht vor allem Moral. Die neue Epoche kann nur von neuen Menschen erkämpft werden.
Nun denn, leb wohl. Unsere Wege trennen sich unwiderruflich und für immer.
Liebet einander und mehret euch.
Und ich?
Noch einmal Cyrano:
Zwei Tote trage ich zu Grabe: Glück und Freund!