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Der Affe

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Ein anderer Vorfall, der auch zur mystischen Wahrnehmung der Natur mit ihren furchtbaren Wächtern gehört, stammt aus einer noch ferneren Zeit, und deshalb wahrscheinlich erinnere ich mich nur ganz dunkel daran. Ich weiß zwar einiges aus persönlicher Erfahrung, kann aber meine Erinnerung nicht von dem trennen, was ich aus den Erzählungen der Älteren habe.

Es ging um folgendes: Tante Lisa hatte von ihrem Gut eine Menge herrlicher Weintrauben mitgebracht. Ich durfte daran lecken, aber mir mehr davon zu geben fürchtete man. Damit ich nicht bettelte, zeichnete Papa – mit blauem und rotem Stift, wie ich mich erinnere – auf ein großes Blatt Papier einen Affen und sagte, indem er es hinter die Weintrauben stellte, der Affe erlaube mir nicht, die Trauben zu nehmen. Als Kind war ich sehr folgsam, und ich glaubte den Erwachsenen jedes Wort. Bei solch geheimnisvollen Verboten kamen mir erst recht keine Zweifel, und das bis heute nicht. Und obwohl ich natürlich wußte, daß der Affe nur gezeichnet war, streckte ich flehentlich meine Hand aus und bat ihn: »Basana, dai mne langatu«, das sollte heißen: »Affe, gib mir Weintrauben« [Obesjana, dai mne vinogradu]. Diese Bitte hat sich aus irgendeinem Grunde allen im Hause fest eingeprägt, und da man mich später viele Male daran erinnerte, weiß ich es bis heute.

Aber der Berg reifer Weintrauben, golden-grün, durchscheinend, in der Sonne geradezu fluoreszierend, ist mir aus eigener Erinnerung gegenwärtig, und er steht im Moment vor mir als lebendiges Bild der unerschöpflichen süßen Fülle der Natur. Vielleicht ist es diese Bezauberung durch den Weintraubenberg, die zu meiner Vorliebe für den grüngoldenen Farbton führte, insbesondere für das Fluoreszieren des Glases, z.B. in der Crookes-Röhre oder in den Geißler-Röhren, die an der Kathode auch so grüngelb wie Weintrauben oder Äpfel fluoreszieren, und zu dem Beben, von dem mein ganzes Wesen beim Anblick eines solchen Leuchtens erfaßt wurde, beim Anblick der lichtdurchschienenen grüngoldenen Nußbaumhaine im Herbst oder beim Anblick von Glüh­würm­chen. Und das Verbot: Noch heute habe ich den mit Blaustift, wahr­scheinlich nach dem Muster von Meyers Konversationslexikon,* schnell hin­geworfenen Orang-Utan vor mir, der, wie ich damals klar begriff, als Wächter unbestritten und keinen Widerspruch duldend vor der begeisternden Fülle stand, über den man sich bei niemandem beschweren konnte und der selbst über jedes heimliche Urteil erhaben war. Gezeichnet und doch lebendig, ja mächtiger, bedeutender, unerbittlicher als ein lebendiger. Ich verwechselte ihn durchaus nicht mit einem gewöhnlichen Affen. Aber ich habe damals den für meine spätere Weltanschauung grundlegenden Gedanken gefaßt, nämlich, daß im Namen das Genannte, im Symbol das Symbolisierte, in der Darstellung die Realität des Dargestellten anwesend ist und daß daher das Symbol das Symbolisierte ist. Dieses Symbolisierte, diese schützende Macht der Natur stand in der Zeichnung meines Vaters vor mir, die, wenn ich mich nicht irre, in meiner Gegenwart entstanden war. Da war etwas Unüberwindliches. Und ich unterwarf mich, ohne zu murren, mühelos. Es war das Verbot, sich der unendlichen Produktivität der Natur zu bemächtigen, denn die Idee der Weintraube, das war für mich die Unendlichkeit. Später, als ich die Bilder von [Konstantin]Somow sah, auf denen der Wein in ebenso unermeßlicher, überquellender Fülle mit riesigen, schweren grüngelben Trauben gemalt war, kam mir unwillkürlich wieder mein Kindheitseindruck von der Natur als einer Artemis von Ephesos, als einer Nährmutter in den Sinn; und das bei Somow fehlende Verbot stand mir augenblicklich vor der Seele. Viel, unendlich viel..., aber nicht für mich; daran zu rühren »erlaubt der Affe nicht«.

* In der Großen Enzyklopädie nach Meyer findet sich in Bd. 14 nach S. 228 auf Taf. 1, glaube ich, eben die Zeichnung eines Orang-Utans, die Papa sich zum Vorbild nahm, nur daß er, soweit ich mich erinnere, noch den Rumpf hinzuzeichnete.

Meinen Kindern. Erinnerungen an eine Jugend im Kaukasus

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