Читать книгу Meinen Kindern. Erinnerungen an eine Jugend im Kaukasus - Pawel Florenski - Страница 11
Spaziergänge mit Papa
ОглавлениеMein Vater nahm mich häufig auf einen Spaziergang in die Stadt mit, und der endete natürlich immer mit irgendwelchen spannenden Einkäufen, entweder von Süßigkeiten oder Spielzeug. Ich erinnere mich dunkel, wie ich bei einem dieser Spaziergänge meine erste Puppe geschenkt bekam. Ihre Beine und Arme baumelten an einem spärlich mit Lumpen gefüllten Leib, und ich liebte diese Puppe über alles.
Wir wohnten sehr weit oben, auf halber Höhe des Davidsbergs. Bei der Hitze in Tiflis fiele einem der Weg dorthinauf auch heute nicht leicht; damals, als ich noch gar nicht richtig laufen konnte, machte mich die Hitze ganz matt und schlapp. Den Golowinski-Prospekt und die Dworzowaja-Straße ging ich noch neben Papa her, aber nach Haus kam ich nie anders als auf seinem Arm oder seiner Schulter: Papa trug uns Kleine gern auf der Schulter. Die brennend heiße Sonne von Tiflis, die Glut der heißen Felsen, Häuserwände und Straßen, die uns ins Gesicht schlug, die schwüle Luft und die lastenden, gleichsam bösen Strahlen der Sonne, die mit ihrer Schwere Rücken und Kopf niederbeugten und gleichsam den Staub gegen das Pflaster drückten, schnitten sich in mein Bewußtsein, und seither lebt in mir ein Gefühl der Feindschaft gegen den Sonnen-moloch, die Mittagssonne von Tiflis, die bereit ist, alles Lebendige zu verschlingen. Auf diesen Spaziergängen offenbarte sich mir erneut die geheimnisvolle, aber diesmal deutlich feindliche Kraft der Natur.
Ob es Papa schwerfiel, mich den Davidsberg hinaufzutragen, weiß ich nicht. Aber dafür, daß er mich auf seinen Schultern trug, habe ich ihm immer ein Gefühl tiefster Dankbarkeit bewahrt, als dem Retter vor der feindlichen und bösen Zerstörerin Sonne. Vielleicht auch deshalb, weil Ljusja noch nicht geboren oder noch ganz klein war, wir uns nicht zanken konnten und mein Vater mir ganz allein gehörte, ich wegen Ljusja noch keine Auseinandersetzungen mit ihm hatte, die meine spätere Kindheit überschatteten und zu einer gewissen Entfremdung von meinem Vater führten. Damals existierte die Einheit von Vater und Sohn in meinem Bewußtsein als etwas Unbedingtes, mein Vater war unbedingt Vater und ich unbedingt Sohn.