Читать книгу Meinen Kindern. Erinnerungen an eine Jugend im Kaukasus - Pawel Florenski - Страница 13

Die Tante

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Meine Tante war der andere Pol meiner Kinderzeit. In ihr leugnete ich nicht die noumenale Macht, ich begegnete ihr nicht mit Staunen, sondern liebte sie mit einer tief persönlichen Liebe, ich war wahrscheinlich mit dem ganzen keuschen Gefühl des Kindes in sie verliebt. Sie war für mich Freund, Kamerad und Lehrer, mit ihr teilte ich meine Freuden und Leiden; sie schimpfte mit mir und bestrafte mich (obwohl das selten vorkam), wie sie überhaupt alles Menschliche verkörperte. Sie erdrückte mich nicht mit ihrer Abgelöstheit von den Kleinigkeiten des Alltags; man konnte sich mit ihr über schicke Kleider, über Spitzen, Bänder und Hüte unterhalten, was ich für mein Leben gern tat; mit ihr pflückte ich Blumen und machte Sträuße, und überhaupt, mit ihr konnte man leben. Meine Mutter mußte man verehren. Nicht weil sie es verlangte. Im Gegenteil, nichts, wenn man es von der bewußten Überzeugung her nahm, war meiner Mutter so fremd wie der Anspruch auf Beachtung oder ähnliches. Sie litt unter jeder Art Beachtung, die ihre Bescheidenheit und Schüchternheit so sehr steigerte, daß sie gar nicht mehr in Gesellschaft von Menschen leben konnte... Und trotzdem, ja vielleicht gerade deswegen, warum sie eine Atmosphäre, die Verehrung verlangte, nicht Leben.

Meinen Kindern. Erinnerungen an eine Jugend im Kaukasus

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