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2.

Ein Traumspiel (10)


Die Bilder haben sich geändert, nicht in ihrem Inhalt, aber in der Art, wie sie mich bedrängen.

Im Nicht-Traum der Suspension – in dem ich keinen Körper habe, kein Gehirn, keine Augen – bestimmen die Erinnerungsbilder über mich. Ich kann sie nicht lenken, auch wenn ich es manchmal versuche. Sie kommen mit unerbittlicher Konsequenz, völlig unausweichlich.

Nun fühlt es sich anders an.

Eher wie echter Schlaf, in dem ich träume.

Hat man mich aus der Suspension geholt? Ist es schon vorbei? Normalerweise durchlebe ich den Zyklus der Vergangenheit von der Ankunft in diesem Teil des Dyoversums bis zur Gegenwart einmal vollständig, ehe ich erwache, auch wenn ich mich danach nicht mehr an alles erinnere. Dann kommt es mir stets so vor, als hätte ich die verlorenen Tage in einem zeit- und raumlosen Nichts verbracht, wie in einem einzigen, verwehenden Augenblick, nicht mehr als ein Wimpernschlag.

Nun fühlt es sich fast an, als könnte ich mich bewegen. Als würde ich nur dösen, dicht unter der Oberfläche.

Höre ich da nicht Stimmen? Geräusche? Einen Alarm?

Doch dann überflutet mich wieder tieferer Schlaf, ein Traum, eine Erinnerung. Ich kehre zurück zu jenem heiklen Moment, als der Konflikt mit den Topsidern zum ersten Mal beinahe in einem offenen Krieg eskaliert wäre. Damals, in Neu-Atlantis in der Zeit der Yura-Krise.

Ich sehe die beiden Yura vor mir, höre, wie ich die Gesamtsituation erläutere, ihnen und dem Atlantis-Topsider Carmo-Wirktar, auf dem so viel Verantwortung ruhte.

Ihr müsst verstehen, sagte ich in dem Raum auf dem Meeresgrund, ihr müsst verstehen, dass ...

*

»Ihr müsst verstehen, dass die Situation kompliziert ist und viel Fingerspitzengefühl erfordert.« Homer G. Adams sah erst die beiden Yura an, dann den Topsider.

Rico hatte ihnen einen Raum in seiner Unterwasserkuppel zur Verfügung gestellt, die er als Keimzelle der künftigen Technikschmiede Neu-Atlantis ansah. Diese Entwicklung hielt Adams dank der Zielstrebigkeit, die der arkonidische Roboter an den Tag legte, für äußerst wahrscheinlich.

An dem runden Tisch standen nur zwei Stühle – ein normaler für den Advisor, während der Topsider ein wuchtigeres Modell samt einer Aussparung für den Stützschwanz nutzte. Die beiden Yura kannten keine derartigen Sitzgelegenheiten. Die Kopffüßer senkten als bequeme Körperhaltung ihren Zentralleib auf drei ihrer eingerollten Tentakel und spreizten die anderen Extremitäten zur Seite, um sich abzustützen und das Gleichgewicht zu halten. Auf Adams wirkte diese Haltung eher anstrengend.

Die Wände rundum leuchten in sanftem Hellblau und reichten etwas mehr als mannshoch. Die Decke lag um ein Vielfaches höher – die durchsichtige Glaskugel, die die Kuppel vor dem Meerwasser darüber schützte, das sich Hunderte von Metern über ihnen türmte. Ein Akustikvorhang trennte sie vom restlichen Innenraum der Gesamtkuppel, sodass sie weder gestört wurden, noch jemand ihr Gespräch belauschen konnte.

»Ich fasse zusammen«, sagte Adams, »auch für dich, Carmo-Wirktar.«

»Rico hat mich grob informiert, nachdem er mich aus meinen Studien gerissen hatte«, stellte der Topsider klar, »aber einverstanden. Ich höre.« Er lehrte als Gastdozent für Mathelogik und Linearraum-Philosophie an der Universität Terrania, lebte jedoch in Neu-Atlantis und arbeitete dort an seinen Schriften.

»Im Zuge unserer bisher gewagtesten ENTDECKER-Mission hat ein kleiner Konvoi das System der roten Sonne Beteigeuze erreicht«, berichtete Adams. »Ein Außenteam ist auf das einheimische Volk der Yura gestoßen.«

Er deutete auf die beiden Kopffüßer mit den zwei großen schwarzen Augen in der Mitte des Zentralleibes, unter denen ein schmaler Mund kaum wahrnehmbar blieb, solange sie ihn nicht öffneten.

»Die Topsider erheben territorialen Anspruch auf das Beteigeuzesystem und damit auch auf den Planeten der Yura«, fuhr der Advisor fort. »Sie unterdrücken das Volk, das auf einem niedrigen Technologiestand steht und den Besatzern keinen Widerstand leisten kann. So weit würdet ihr zustimmen?«

Einer der Kopffüßer drückte sich auf den eingerollten Extremitäten etwa einen halben Meter in die Höhe. »Das ist korrekt.«

Die Sprache klang blubbernd, aber ein Translator übertrug sie rasch und fehlerfrei ins Interkosmo. Das Gerät hing an einem der feucht glänzenden Stoffstreifen, die die Yura um ihre Körper wickelten, wenn sie nicht in direktem Kontakt mit ihrem favorisierten Element standen, dem Wasser. »Die Topsider zwingen uns zu Sklavendiensten.«

In den Worten lag deutliche Scheu oder Angst.

Es kostete die beiden Fremdwesen Überwindung, darüber zu reden. Sie hielten größtmöglichen Abstand zu Carmo-Wirktar.

Da sie keine Eigennamen trugen, fiel es Adams schwer, sie zu unterscheiden. Er fragte sich, wie sie es wohl im Alltag auf ihrem Heimatplaneten regelten und welche Methoden sie nutzten, sich individuell anzusprechen. Aber das waren, wenn überhaupt, Probleme der Zukunft. Und die konnten warten, bis sie an die Reihe kamen, wie Amalia zu sagen pflegte.

»Unsere beiden Gäste«, erklärte er, »haben zugestimmt, die kleine Erkundungsflotte zurück nach Terra zu begleiten. Die Topsider wissen nichts davon, sie vermuten, dass wir nichts von der Existenz der Yura ahnen. Das ist der Hintergrund, der die aktuelle Situation weitaus verzwickter macht, als sie es sowieso schon ist.«

Von dem zweiten Fremdwesen, das bislang geschwiegen hatte, kamen einige blubbernde Laute, die der Translator nicht übertrug. Möglicherweise verstand das Gerät sie nicht, oder sie entsprachen einer Art Seufzen oder einer unwillkürlichen Lautäußerung.

»Die Topsider hatten sich bei unserer Expedition mit dem Vorwurf gemeldet, ihre territorialen Rechte zu verletzen.«

»Nicht ich«, sagte Carmo-Wirktar, als bei diesen Worten die Blicke der Yura zu ihm wanderten. »Und ebenso wenig mein Volk. Die Topsider auf Terra, die aus dem alten Heimatuniversum hierher versetzt worden sind, stehen damit in keinerlei Verbindung. Mit den hiesigen Bewohnern des Sternengeleges standen wir noch nie in Kontakt.«

»Das wissen wir«, versicherte einer der Yura, aber es klang nicht sonderlich überzeugend. Tatsachen waren das eine, Gefühle etwas völlig anderes. Das galt offenbar auch für dieses äußerlich so fremdartige Volk.

»Die Topsider haben eines unserer Beiboote zerstört«, fuhr Adams fort, »und dabei ist die Besatzung ums Leben gekommen. Da es vor vielen Jahren einen ähnlichen Vorfall gab, als wir ins Wegasystem vorstießen, wirft uns das Sternengelege vor, bewusst seine Rechte zu missachten. Damals gab es keine Todesopfer, nur eine Warnung vonseiten der Topsider. Gemeldet hat sich bei uns die Militärkommandantin Peran-Gord. Sie wird mit einer begleitenden Delegation in genau ...« Adams warf einen Blick auf die Uhr. »... achtzehn Stunden auf Terra eintreffen. Gibt es so weit noch Fragen?«

»Keine Fragen«, blubberte ein Yura.

»Ja«, sagte Carmo-Wirktar. »Warum ich? Weshalb hat Rico mich gebeten, an diesem Gespräch teilzunehmen? Ich bin Wissenschaftler, noch dazu ein Geisteswissenschaftler! Mit politischen Tagesgeschäften kenne ich mich nicht aus.«

»Ich verstehe deine Bedenken«, versicherte Adams. »Dennoch beurteile ich das anders als du. Du bist Topsider, und du gehörst zu uns. Der ideale Vermittler, um an einer Diskussion ...«

»Es gibt nicht nur mich, sondern Hunderte meines Volkes hier in Neu-Atlantis. Manche sind sogar in diesem Universum geboren – nicht so wie ich alter Mann, dessen Wurzeln in einer vergangenen Heimat liegen. Also lass mich erneut fragen: Warum ich?«

»Ich vergaß wohl zu erwähnen«, sagte Adams, der diesen Punkt zunächst bewusst ausgeklammert hatte, »dass die Topsider von Terra geschlossen verkündet haben, in dieser Sache neutral zu bleiben. Sie werden weder für noch gegen ihre hiesigen Brüder vom Sternengelege sprechen. Rico meinte, dass du anders ...«

»Ach, manchmal ist es lästig, seinen eigenen Weg zu suchen.« Carmo-Wirktars Zunge hing kurz aus der Schnauze. Er rollte sie ein und zog sie zurück. »Ich nehme an eurem Gespräch mit Peran-Gord teil. Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte der Advisor erleichtert.

»Aber nur, wenn die Yura das ebenfalls tun.«

Nach dieser Forderung herrschte sekundenlang Stille. Beide Kopffüßer reckten sich in die Höhe, so synchron, dass es wie eine unwillkürliche Schreckbewegung wirkte, vergleichbar Terranern, die bei einer Explosion die Hände vor das Gesicht hoben.

»Wie gesagt, die Topsider wissen nicht, dass wir die Yura entdeckt, geschweige denn, dass zwei von ihnen uns begleitet haben«, wiederholte Adams. Seine Absprache mit Rico lautete, dass sie in Neu-Atlantis verborgen bleiben durften und dass Rico sie notfalls in Bereichen versteckte, die nur er kannte.

»Und euer menschliches Denken, eure Logik verlangt, dass ihr diese Tatsache geheim haltet«, sagte Carmo-Wirktar. »Ich kenne Terraner gut genug, um das zu verstehen. Doch du willst mich als Vermittler und zweifellos auch als Ratgeber. Weil ich mich eben nicht nur in eure Art zu denken hineinversetzen kann, sondern auch in die der Topsider. Nun weiß ich nicht, ob ihr Denken in diesem Teil des Dyoversums genauso funktioniert wie unser, aber ich gehe davon aus, dass sie uns zumindest ähneln. Mehr als euch Menschen. Und glaub mir, die Yura bilden ein starkes Argument für mich, wenn ich mit dem hiesigen Militär in Verhandlungen trete.«

»Kommandantin Peran-Gord schätzt den Begriff Verhandlungen nicht«, sagte Adams trocken. »Ihre Vorstellung des Treffens sieht eher so aus, dass sie uns die Gnade erweist, dass wir ihrer Erklärung lauschen dürfen.«

»Dann wird sie überrascht sein«, gab sich Carmo-Wirktar zuversichtlich. »Aber wie gesagt, ich brauche die Yura, sonst ist es zwecklos, das Gespräch überhaupt zu beginnen.«

Adams drehte sich zu den beiden Fremdwesen. »Was denkt ihr?«

»Nein«, sagte das eine, zweifellos von seiner Angst geleitet.

»Ja«, sagte das andere.

*

Etwas stimmt nicht. Ich spüre es deutlich. Es rast wie Feuer durch meinen linken Arm, hinunter in die Fingerspitzen.

Mein Arm?

Die Fingerspitzen?

Kein Zweifel, ich habe wieder einen Körper. Ich empfinde ihn. Und wie es oft so ist beim Erwachen in angespannten Zeiten, spüre ich vor allem Schmerzen.

Nur ... es sind gar keine angespannten Zeiten. Der Konflikt um die Yura liegt lange zurück – als ich dieses Mal in die Suspension ging, waren seitdem Jahrhunderte vergangen. Es herrscht Frieden im Solsystem, obwohl es an einigen Stellen unter der Oberfläche gärt, auch mit den Echsen. Immer noch und unablässig.

Erneut überflutet mich dieses Gefühl von Feuer.

Ich erkenne es: Die medizinische Versorgungseinheit des Suspensionsalkovens spritzt mir ein Mittel, damit ich erwache.

Aber wieso?

Was ist passiert?

Wenn ich sonst zurückgeholt werde und wieder materialisiere, geschieht das nicht auf diese Weise. Die Suspension ist kein Schlaf, aus dem man mich unsanft wecken müsste.

Dann fällt mir ein, dass ich zuletzt tatsächlich geschlafen habe, dass sich die Art der Bilder änderte, ehe die Erinnerung an die Vorbereitungen des entscheidenden Treffens mit Peran-Gord begann.

Mir ist schwindlig, als ich die Augen öffne. Über mir sehe ich das Innere des Suspensionsalkovens. Keiner holt meine Liege heraus. Niemand empfängt mich.

Dann höre ich das Heulen eines Alarms.

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)

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