Читать книгу Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2) - Perry Rhodan - Страница 72
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13. November 2046 NGZ
Was Perry Rhodan erlebte
Die Holos zeigten Perry Rhodan ein Geisterschiff.
Leere Quartiere; ungenutzte Speise- und Maschinenräume; Lagerhallen, in denen nur vereinzelte Kisten und Container standen, als warteten sie auf jemanden, der sie beachtete.
Eine verwaiste Joggingbahn in der Trainingshalle; ein blühendes Tulpenfeld in der zentralen Erholungslandschaft; eine atemberaubende Panoramaaussicht von einer Freizeitterrasse, die niemand genoss.
Aber auch desaktivierte Kampfroboter in den Korridoren; Terraner und Arkoniden, sogar ein Cheborparner, die reglos und verkrampft auf dem Boden lagen; der von Iwán beschriebene Transmitterraum mit einigen Ohnmächtigen und Toten.
Rhodan fragte sich, in welche Kategorie Homer G. Adams gehörte. Der alte Freund lag keinen Schritt vom entführten Suspensionsalkoven entfernt direkt neben dem Verräter Gorin Palotta, der in der Hand am ausgestreckten, bewegungslosen Arm noch immer einen Strahler hielt.
Das Gas, einmal flächendeckend im gesamten Schiff außer der Zentrale freigesetzt, hatte unterschiedslos alle betäubt, die nicht dagegen geschützt gewesen waren –Gegner ebenso wie Verbündete. Vom Kommandantenplatz aus hatte Rhodan außerdem sämtliche Roboter desaktivieren können.
Das Schiff gehörte nun ihm, was nur deshalb so reibungslos gelungen war, weil sich nur eine absolute Minimalbesatzung an Bord aufhielt. Immerhin über zwanzig Personen, wie der Kommandant behauptet hatte. Die Suche mithilfe der Bordpositronik ergab Rhodan vierundzwanzig reglose Besatzungsmitglieder, was ihn hoffen ließ, dass sich niemand vor dem Betäubungsgas hatte schützen können.
Iwán war weiterhin ohne Bewusstsein. Die Medoeinheit des SERUNS bestätigte, dass seine Werte stabil blieben und er keine bleibenden Schäden davontragen würde. Rhodan konnte ihn guten Gewissens zurücklassen.
Er instruierte einen Medoroboter, sich um die offenbar verletzte Flaggschiffkommandantin Ghizlane Madouni zu kümmern. Sie lag in einem Korridor, weniger als hundert Meter vom Raum mit dem Suspensionsalkoven entfernt. Eine zweite Maschine schickte er zu Homer G. Adams.
Dann machte sich selbst auf den Weg zu dem alten Freund, hielt unterwegs Kontakt mit der Schiffspositronik und befahl ihr, mit NATHAN Funkkontakt aufzunehmen.
Kaum hatte er die Zentrale verlassen, stand bereits die Verbindung zum lunaren Hauptrechner. Rhodan gab ihm einen Abriss der Situation und forderte NATHAN auf, eine Notfallmannschaft zu schicken, die das Schiff übernehmen sollte. Außerdem teilte er mit, dass die Maurits-Vingaden-Klinik in Neu-Atlantis womöglich von der Außenwelt isoliert war und dort alle in Gefahr schwebten.
Das Mondgehirn bestätigte. »Sicherheitsteams sind auf dem Weg in die Klinik. – Entbehrt es nicht einer gewissen Ironie? Nach den vorliegenden Fakten dürften Gorin Palotta und die anderen Verschwörer zu den Vanothen gehören.«
»Wo steckt darin die Ironie?«, fragte Rhodan. Er passierte einen betäubten Mann mit einer Strahlerschussverletzung in der Schulter. Rasch überprüfte er sich davon, dass der Zustand des Verletzten stabil war, und rief einen Medoroboter.
»Du weißt es vielleicht nicht«, fuhr NATHAN fort, »aber du befindest dich auf der JOAKIM FABERG....«
Diesen Namen hatte Iwán erwähnt, als sie in der Landschaft der Schmerzensteleportation den Schutzschirm des Schiffes überwunden hatten. Er sagte ihm allerdings nichts, also wiederholte er: »Und?«
»Joakim Fabergé war der erste Vanothe, der in das Amt des Residenten gewählt worden ist, von 1957 bis 1962 NGZ. Er trat zurück, als er beinahe einem Attentat zum Opfer fiel, das der TLD gerade noch vereiteln konnte.«
»Das scheint mir weniger Ironie und noch weniger Zufall zu sein«, sagte Rhodan. »Palotta und seine Mithelfer haben dieses Schiff gewählt, um ein Statement abzugeben.« Wie es wohl gelungen war, die FABERG... zu übernehmen? War es der rechtmäßige Raumer des Kommandanten, den Rhodan hatte töten müssen? Oder war er gar kein Schiffskommandant gewesen, sondern nur jemand, der zur Hand gewesen war, um die ungeheuerliche Entführung des Advisors zu ermöglichen?
Es würde noch einige Untersuchungen nach sich ziehen und Mühe kosten, alle Hintermänner zu enttarnen. Arbeit für den TLD, und vielleicht auch für Rhodan – falls es für ihn überhaupt eine Zukunft auf Terra gab. Immerhin lief bald das Ultimatum der Topsider ab.
Nur noch ein Tag, dachte er. Eigentlich sollte er momentan auf Terra mit der Vorbereitung des Treffens mit Botschafterin Zhrecter beschäftigt sein, gemeinsam mit Residentin Flaccu im Solaren Haus.
Er erreichte sein Ziel.
Der Suspensionsalkoven mitten im Raum war unübersehbar. Außerdem lagen ein Mann und eine Frau in Zivilkleidung am Boden, eindeutig tot, mit Einschüssen von Strahlern. Rhodan entdeckte darüber hinaus zwei desaktivierte TARA-C. Mindestens drei dieser Kampfroboter mussten nach dem Transmittertransport angekommen sein – vielleicht hatte die letzte Maschine Kommandantin Madouni verfolgt.
Er umrundete den Alkoven und fand denjenigen, dessentwegen er eigentlich gekommen war. Homer G. Adams. Der älteste lebende Terraner, Gefährte von Anfang an, seit der Weg ins All nach dem Flug der STARDUST auf den Mond begonnen hatte.
Neben ihm lag Gorin Palotta, der Mann, der all das Übel überhaupt erst ausgelöst und in der Maurits-Vingaden-Klinik Chaos hinterlassen hatte. Das Gas hatte ihn betäubt wie alle anderen.
Ein Medoroboter beendete soeben die Untersuchung des Advisors.
»Adams ist in einem körperlich schlechten Zustand«, berichtete die Maschine. »Der Suspensionsvorgang wurde vorzeitig unterbrochen, und soweit ich es mit meinen Mitteln zu beurteilen vermag, ist sein Zellaktivator noch immer inaktiv. Das wird zu seinem Tod führen, wenn er nicht schleunigst in die Suspension zurückkehrt. Nach der Materialisierung im Alkoven ist er den Blutwerten zufolge routinemäßig in Schlaf versetzt, mit einem Aufputschmittel geweckt und danach durch das freigesetzte Gas wieder betäubt worden. Du kannst dir vorstellen, was das für seinen Körper bedeutet.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Rhodan.
»Das Protokoll schlägt für einen solchen Fall vor, Ammun-Si zu kontaktieren, den Leiter der ...«
»... Maurits-Vingaden-Klinik. Ich weiß.«
Er nahm Funkverbindung zu NATHAN auf und erfuhr, dass in der Klinik inzwischen vor allem dank Farye, Silverman und Rico wieder Ruhe eingekehrt war.
Das Mondgehirn konnte eine Verbindung mit dem Ara herstellen, der die Neuigkeiten erleichtert aufnahm.
»Weck ihn auf!«, forderte Ammun-Si, »aber nur kurz. Ein Medoroboter muss im Wachzustand einige Werte nehmen, ich sende dir eine Liste. Danach soll er sofort ein Schlafmittel injizieren. Im Schlaf wird Adams' Organismus am wenigsten beansprucht – und vor allem der Zellaktivator geschont. Anschließend muss der Advisor so schnell wie möglich in die Suspension zurückkehren.«
»Wie?«, fragte Rhodan. »Ohne die Energieversorgung in deiner Klinik ...«
»Hier ist zu viel zerstört worden«, unterbrach der Ara. »Es gibt ein Back-up-System auf dem Mars. In Skiaparelli. Bring Adams dorthin!«
»Sobald die neue Mannschaft eintrifft, brechen wir auf.«
»Schnell! Die Zeit drängt. Ich sende dir jetzt die Liste für den Medoroboter.«
Binnen Sekunden traf die Liste ein und speicherte sich automatisch im System ab. Rhodan gab sie weiter und befahl, Adams zu wecken – nicht ohne vorher erleichtert festzustellen, dass die versprochene Ersatzmannschaft eintraf, begleitet von einigen TLD-Agenten.
Alle überlebenden Verschwörer, einschließlich Gorin Palotta, wurden noch in betäubtem Zustand in Sicherheitszellen geschafft und schliefen dort einem bösen Erwachen entgegen.
Ghizlane Madouni fand auf der Medostation der JOAKIM FABERG... beste Versorgung.
Zurück blieben im Transmitterraum nur Rhodan und der Medoroboter – und Homer G. Adams. Die Maschine injizierte das Mittel, das das Betäubungsgas neutralisierte.
Es dauerte nur wenige Sekunden, in denen sich die Augäpfel unter den geschlossenen Lidern hastig bewegten, dann schlug der Advisor die Augen auf.
*
»Perry?«, fragte Homer G. Adams. »Oder träume ich?«
»Kein Traum.«
»Und ... das hier?« Der Advisor machte eine vielsagende Handbewegung, die alles rundum einschloss.
»Seit ich diesen Teil des Dyoversums gefunden habe, sind die Dinge in Bewegung geraten«, sagte Rhodan.
Adams setzte sich auf. Seine Hand wanderte zum Arm, wo ihm das Mittel injiziert worden war. »Das ist wohl der Fluch von uns allen.«
»Uns?«
»Den Zellaktivatorträgern. Und ganz besonders von dir. Uns ist selten Ruhe vergönnt.«
Rhodan lächelte. »Aber wir erleben auch Gutes.« Er reichte dem alten Freund die Hand, drückte sie, und beide Männer umarmten einander. »Oder gab es in diesem Solsystem nur Schlechtes?«
»Bei Weitem nicht«, antwortete Adams, ohne zu zögern. »Ich habe dir viel zu erzählen, Perry. Allem voran von Amalia Serran.«
»Ich kann es kaum erwarten, von ihr zu hören. Vorher jedoch ...« Rhodan deutete auf den Medoroboter. »... ist diese Maschine dran. Anweisung von höchster Stelle.«
»ES?«, fragte Adams schmunzelnd.
»Ammun-Si.«
»Noch schlimmer.«
»Ich nehme einige deiner Vitalwerte«, sagte der Roboter und fuhr mit einem Aktionsarm über den Nacken seines Patienten. »Danach werde ich dich betäuben, und du musst in die Suspension zurückkehren.«
»Den Zyklus vollenden«, meinte der Advisor.
»Oder ihn neu beginnen.« Die Maschine leuchtete in Adams' Augen. »Es gibt keinen Präzedenzfall. Du bist nie zuvor geweckt worden, ehe dein Zellaktivator voll aufgeladen war. Die Theorien gehen jedoch davon aus, dass ...«
»Ich kenne sie! Ehe du mich schlafen legst – Perry, was ist passiert?«
»Ein Verräter im TLD hat deinen Alkoven entführt.«
»Palotta«, murmelte Adams. »Ich habe ihn kurz gesehen.«
»Was hat er gesagt?«
»Nur eine Warnung ausgesprochen. Eine falsche Bewegung, und du bist tot. Dann eben auf diese Weise. Etwas in der Art.« Der Advisor winkte ab. »Eigentlich meinte ich ... was ist zu Hause passiert, nachdem Terra versetzt worden ist? Wann bist zu zurückgekehrt? Das – ich meine, das bist du doch? Oder warst du die ganze Zeit über hier im Zwillingsuniversum, seit deinem Verschwinden?«
»Nein. Ich habe Wanderer angeflogen, damals, um den Weltenbrand zu löschen, und als die RAS TSCHUBAI durch das Chaotemporale Gezeitenfeld zurückflog, blieben wir in Suspension.« Rhodan lachte. »Noch länger als du.«
»Ich muss dich jetzt betäuben«, unterbrach der Medoroboter. »Ammun-Si hat Anweisung gegeben, dich nur für die Dauer der Messungen zu wecken.«
»Ich ...«, setzte Adams an.
»Wir reden weiter, wenn du wieder aufwachst«, sagte Rhodan. Das Ultimatum der Topsider verschwieg er. »Wir werden uns wiedersehen.« Irgendwann.
»Es ist gut, dass du da bist«, sagte Adams. Und schlief ein.
Rhodan betrachtete ihn nachdenklich. »Ja?«, fragte er leise. »Ist es das?«
*
Dreißig Minuten später verließ Perry Rhodan mit einem Beiboot die JOAKIM FABERG..., die sich auf den Weg zum Mars machte, um Homer G. Adams in Skiaparelli die erneute Suspension zu ermöglichen. Iwán wurde auf der Medostation des Schiffes versorgt.
Mit der Pilotin, die ihn zurück zur Erde brachte, wechselte er nur wenige flüchtige Worte. Neben ihm im Passagierraum saß Ghizlane Madouni. Ihr Arm war verbunden, und sie fluchte über den Juckreiz des wundheilenden Schmerzgels. Rhodan wusste genau, wovon sie sprach – er hatte Ähnliches selbst häufig durchgemacht, und ein paar Hundert Jahre medizinischen Fortschritts konnten offenbar noch immer keine Abhilfe schaffen.
Sie wollte am Treffen mit der topsidischen Diplomatin Zhrecter teilnehmen, bei dem sie hofften, das Ultimatum außer Kraft setzen zu können, das Rhodans Auslieferung verlangte und die seines Schiffes, der TESS QUMISHA.
Vorher jedoch stand etwas an, auf das sie sich ihren eigenen Worten zufolge weitaus mehr freute – das Verhör des Verräters Gorin Palotta.
»Ist es nicht erstaunlich«, sagte sie, »wie wir uns auf Luna getrennt haben, nur um kurz darauf beide in der FABERG... zu landen?«
Während das Beiboot der Erde entgegenraste, nahm Rhodan noch einmal Funkkontakt mit Farye auf und informierte sie über die neuesten Entwicklungen.
Danach blieb endlich Zeit für das, was ihm zutiefst auf dem Herzen lag. Er funkte Sichu Dorksteiger an, die schon vor Stunden im Institut zur Erforschung des Dyoversums angekommen sein musste.
Er hatte seiner Frau einiges zu erzählen.
Was Tergén erlebte
»Tergén?«, hörte er die Stimme draußen vor der Tür.
Der Vergleichende Historiker legte den Stift beiseite, ordentlich neben die Folie auf dem penibel aufgeräumten Schreibtisch. Er hätte dem Brief an seinen toten Zwillingsbruder nur noch wenige Sätze hinzufügen wollen, aber dafür war auch später Zeit.
Mésren läuft mir schließlich nicht davon, dachte er.
Er ging zur Tür und öffnete, anstatt die positronische Automatik zu benutzen.
Sichu Dorksteiger stand davor. Sie war größer als er, auf eine seltsam fremdartige Weise schön, und das goldene Muster auf ihrer hellgrünen Gesichtshaut verwirrte ihn jedes Mal, wenn er darauf schaute. Also wandte er den Blick lieber ab.
»Wie geht es dir heute?«, fragte sie. Seit er ihr auf dem Flug zum Institut zur Erforschung des Dyoversums im Gestänge des Pluto erzählt hatte, dass die Operationswunde ständig schmerzte, hatte sie sich bereits drei Mal danach erkundigt.
»Es ist auszuhalten.« Wie immer, eben.
»Ich sehe keine Notwendigkeit, dass du die Schmerzen dauerhaft ertragen musst«, sagte Sichu. »Ich bin keine Medikerin, doch ich bin so gut wie überzeugt, dass dir ...«
»Ich muss es nicht«, stimmte er zu.
»Aber?«
Was sollte er darauf sagen? Ich will es? Das klang seltsam. Kaum nachvollziehbar. Und trotzdem entsprach es wohl am ehesten der Wahrheit. Er legte die Hand an die Hüfte.
»Mésren und ich teilten uns einen Körper, viele Jahre lang. Jahrzehnte. Er wusste, dass er sterben würde, wenn wir die Operation zur Trennung durchführten. Dennoch mussten wir es schließlich tun, weil wir sonst beide gestorben wären. Das haben uns die besten Mediker bestätigt. Er ist für mich gestorben. Die Erinnerung daran wachzuhalten, ist mir wichtig.«
»Aber er ist gestorben, damit du lebst«, sagte Sichu, die nach wie vor in der offenen Tür stand. Weder hatte er sie hereingebeten, noch gingen sie in Richtung der Labore. »Und zwar heute, im Hier und Jetzt. Nicht in der Vergangenheit.«
Er wollte widersprechen, bekam jedoch kein Wort heraus.
»Es ist gut«, fuhr sie fort, »dass du die Vergangenheit erforschst und die Wahrheit herausfinden willst, indem du vergleichst. Aber das ist deine Arbeit. Nicht dein Leben.«
Sie schwiegen ein wenig.
»Danke«, sagte Tergén schließlich, trat neben Sichu in den Flur und schloss die Tür.
»Wofür?«
»Dass du dir Gedanken um mich machst. Um mein Leben. Jetzt jedoch ...« Er lächelte matt. »Jetzt wartet die Arbeit. Mit wem treffen wir uns? Offre?«
»Pino Farr«, sagte Sichu.
»Tatsächlich?« Das war der derzeitige Institutsleiter, der bei ihrer Ankunft auf einer Raumstation außerhalb des Solsystems gewesen war, um dort ein astrophysikalisches Experiment durchzuführen. »Seit wann ist er zurück?«
Sichu sah auf die Uhr. »Das weiß ich nicht. Unser Treffen beginnt in sieben Minuten.«
»Da bleibt uns genügend Zeit.«
»Ich wollte pünktlich sein.«
Sie gingen durch den kreisförmig gebogenen Korridor, in dem alle Wohneinheiten des Instituts lagen. Ein hochfloriger Teppich dämpfte ihre Schritte. An den Wänden hingen Aufnahmen der unmittelbaren kosmischen Umgebung – Blicke auf Sol, auf Saturn, Jupiter und die anderen Planeten, aufgenommen aus Raumschiffen während dichter Vorbeiflüge.
Sogar Zeut und Medusa waren vertreten, im heimatlichen Solsystem längst verloren, in diesem noch immer vorhanden. Tergén fand die Vorstellung, sie zu besuchen, überaus reizvoll.
Sichu führte ihn in einen Raum, dem man sofort ansah, dass er als Lehrsaal diente: Ganz vorne in den ansteigenden Zuschauerreihen saß ein schmaler schwarzhaariger Mann, den Kopf zurückgelehnt, die Augen geschlossen. Tergén kannte Pino Farr von einem Bild, auf dem er allerdings eine Brille mit schwarzen Gläsern trug.
Als er sie wohl kommen hörte, stand er auf, streckte die Hand aus und öffnete die Augen. Sie waren völlig weiß. »Willkommen«, sagte er.
»Danke«, sagte Sichu Dorksteiger.
Tergén ergriff die Hand des offenbar blinden Mannes und nannte seinen Namen.
»Um jeder Irritierung vorzubeugen – ich kann sehen, allerdings nicht auf natürliche Weise, und ich erkenne keine Farben. Ein kleines Implantat stellt mir meine Umgebung recht deutlich dar.« Er tippte an seine Schläfe. »Es ist mir eine Ehre, euch kennenzulernen. Vor allem dich, Sichu Dorksteiger.« Er nickte Tergén knapp zu. »Nichts für ungut. Aber die Chefwissenschaftlerin der anderen Liga ... ich bin überzeugt, dein brillanter Verstand wird uns helfen, das Dyoversum besser zu verstehen. Wir haben die Stelle des Chefwissenschaftlers nie eingeführt – wenn es so etwas gäbe, wäre es allerdings der Leiter des hiesigen Instituts.« Pino Farr lachte. »Also ich.«
»Ich bin gespannt zu hören, was du über das Dyoversum zu sagen hast«, versicherte Sichu.
»Und ich freue mich auf eure Gedanken. Unverbraucht und frisch – anders als bei uns. Wir beschäftigen uns seit Jahrzehnten mit diesem Thema. Ihr wisst, wie es ist. Man akzeptiert gewisse Voraussetzungen, die man vielleicht besser anzweifeln sollte.«
»Die Wahrheit liegt oft hinter vielfältigen Variationen verborgen, die man ordnen muss«, sagte Tergén.
Farr nickte anerkennend. »Lass uns auf einen Kollegen warten, ehe wir beginnen. Marek Derowia. Habt ihr von ihm gehört?«
Sie verneinten.
»Das wundert mich nicht. Die wenigsten schätzen ihn. Er ist ... eigen.«
»Aber du akzeptierst ihn?«, fragte Tergén.
»Wir brauchen Leute mit eigenen Gedanken.«
Während sie warteten, dachte Tergén nach.
Über das hiesige Solsystem.
Über Zeut und Medusa und das Verlangen, diese fremden und doch heimatlichen Welten zu besuchen.
Über das, was Sichu zu ihm gesagt hatte, das Leben und die Arbeit.
Wie immer diese ganze Expedition ausging, vielleicht sollte er hierbleiben, in diesem Teil des Dyoversums. Neu anfangen.
Ihm fiel auf, wie nahe diese Überlegung den Gedanken der Vanothen stand. Es verwirrte ihn. Aber wäre es nicht schön, an einem Ort zu leben, an dem die Geschichte keine Rätsel stellte, sondern aus Fakten bestand?
Was Farye Sepheroa erlebte
Skiaparelli, Hauptstadt und Regierungssitz des Planeten, der nicht der Mars war, obwohl ihn alle so bezeichneten, bot einen atemberaubenden Anblick.
Farye war sich des Klischees durchaus bewusst. Aber warum nicht auch einmal ein Klischee bemühen, wenn es zutraf?
Es begann mit der Landung auf dem Raumhafen im Westen der Stadt. Dort stiegen sie in einen Gleiter um, der sie zu der geheimen Anlage bringen würde, in der Homer G. Adams in die Suspension zurückkehren sollte.
Oder musste.
Es hätte Farye gewundert, wäre die Maurits-Vingaden-Klinik der einzig mögliche Ort dafür gewesen. Jeder vernünftige Stratege entwarf mindestens einen Alternativplan, falls der Ursprungsplan schiefging.
Und wo sollte man vernünftige Strategen erwarten, wenn nicht beim TLD?
Auf dem Weg zum Gleiter fiel Farye das gewaltige kugelförmige Gebäude auf, in dessen makelloser Verglasung sich die wenigen Wolken und die Sonne spiegelten.
»Beeindruckend, nicht wahr?«, sagte Sloud Silverman, der neben ihr ging. »Der Fanther-Globus. Das Verwaltungs- und Forschungsgebäude der Rog-Fanther-Werft. Zwei Kilometer Durchmesser, komplett aus schmutzabweisendem Material. Egal ob es regnet, ob Blütenstaub durch die Luft weht oder ob Vögel sich mit ihren Hinterlassenschaften darauf verewigen wollen, die Kugel sieht immer aus wie frisch poliert.«
Ammun-Si schien keinen Blick für das beeindruckende Bauwerk erübrigen zu können. Er eilte geradewegs auf den Gleiter zu, der 50 Meter entfernt bereitstand.
Verständlich. Zum einen drängte die Zeit, weil jede Minute seiner verfrühten wiederverkörperlichten Existenz Homer G. Adams schadete. Außerdem hatte der Ara den Globus vermutlich bereits so oft gesehen, dass dessen Faszination für ihn gegen null tendierte.
Farye und Silverman folgten ihm, stiegen in den Gleiter, hoben ab und fädelten sich in eine der Flugverkehrstrassen. Erst aus der Höhe, mit dem Blick aus dem Fenster, konnte sie den Zauber von Skiaparelli vollständig erfassen.
Wie ein Netz aus dicken Adern und feinen Kapillaren durchflossen Kanäle die Stadt.
An manchen Ufern saßen Kinder und ließen die nackten Beine vom Wasser umspülen. Menschengroße, siebenarmige Kopffüßer wateten auf drei Tentakeln durch die Kanäle, schaufelten gelegentlich mit einem der anderen Arme Flüssigkeit in die Höhe und genossen es sichtlich, wenn die Tropfen über ihre Körper perlten. Oder sie bespritzten die Kinder, die lachend aufsprangen.
Der Gleiter überquerte beeindruckende Gebäude, die dem Fanther-Globus in nichts nachstanden und eine faszinierende Skyline formten. Aber auch großflächige, natürlich wirkende Wiesen- und Waldflächen und kunstvoll angelegte Parks zogen unter ihnen hinweg, deren farbige Blütenpracht Farye sogar im Gleiter zu erschnuppern glaubte.
Auf einem See, der zwanzig Kilometer durchmessen mochte, glitten Segelschiffe über das spiegelglatte Wasser. Dazwischen tauchten die Leiber von Lebewesen auf, die Delphinen ähnelten, wenngleich sie zwei Schwanzflossen hatten und ihre feuchte Haut in der Sonne in allen Farben des Regenbogens schillerte. Sie sprangen in die Höhe, drehten Pirouetten oder schlugen einen Salto.
Viel zu schnell ging der Flug vorüber. Gerne hätte Farye mehr von diesem Idyll gesehen.
Idyll.
Bei diesem Begriff schoben sich plötzlich der Stelen-Springbrunnen in ihre Gedanken, der Blutregen und der tote Arkonide mit dem fehlenden Schuh – und der Zauber von Skiaparelli verpuffte.
Während sie im Hof eines halbringförmigen Gebäudes landeten, dachte sie an Joel Poletta, den Sohn des Verräters.
Ammun-Sis Worte nahm sie nur am Rande wahr. »Willkommen im Skiaparelli Nautikmuseum. Unser Ziel liegt in den offiziell nicht vorhandenen Untergeschossen.«
Stattdessen erklang in ihr erneut Joel Palottas Stimme. Nach der Rettung der Menschen aus der Klinikkantine und der Desaktivierung der Roboter war er zusammengebrochen und hatte sich der Tränen nicht länger erwehren können. Sämtliche Versuche, ihn zu trösten – teils genährt von Faryes schlechtem Gewissen, weil sie ihm misstraut hatte –, waren ergebnislos versandet. Er hatte ins Leere gestarrt und nur zwei Sätze gesagt. »Er war TLD-Agent! Wie kann ein TLD-Agent einen so menschenverachtenden Plan entwerfen?«
Warum bekam sie diese Worte plötzlich nicht mehr aus dem Kopf?
»Das Museum scheint dich nicht so zu beeindrucken wie der Globus«, drang Silvermans Stimme in ihr Bewusstsein.
»Wie bitte?« Sie sah auf und bemerkte, dass sie wie ferngesteuert auf den Innenbogen des Gebäudes zuging. Wann waren sie aus dem Gleiter gestiegen? Sie konnte sich nicht erinnern.
»Dabei stammt es vom selben Architekten«, fuhr der TLD-Direktor fort. »Dir wird auffallen, dass er bei seinen Projekten stets viel Wert auf die Fassaden legte.«
Tatsächlich schien das Museum aus nach oben fließendem Wasser zu bestehen, aus dem Fenster und Türen wie kleine Inseln hervorragten.
»Faszinierender Effekt«, sagte sie ohne große Begeisterung und dachte: Wie kann ein TLD-Agent einen so menschenverachtenden Plan entwerfen?
Im Inneren des Gebäudes erwartete sie eine schlanke Terranerin, vielleicht neunzig oder hundert Jahre alt. Sie trug ein bläulich schimmerndes Kostüm, das den Wasserfluss-Effekt der Fassade im Kleinen nachbildete. Dazu passte ihre ebenfalls blau-silberne, verschlungen geflochtene Turmfrisur. Sie mochte einen Meter siebzig groß sein. Zwei Meter mit Haaren.
»Ammun-Si«, begrüßte sie den Ara und warf seinen beiden Begleitern nur einen raschen Blick zu. »Die Lieferung ist bereits eingetroffen.«
»Das ist Hilka Groym«, stellte der Ara vor. »TLD-Agentin. Und im Nebenberuf Museumsleiterin.«
Groym geleitete sie zum Skelett eines riesigen Fischs, in dem zum Vergleich ein Zwei-Personen-Gleiter montiert worden war, und weiter zu einem Antigravschacht. Farye, Silverman und Ammun-Si traten hinein.
»Ihr könnt mich jederzeit erreichen, wenn ihr etwas braucht«, sagte die Museumsleiterin, ehe sie aus dem Blickfeld der nach unten schwebenden Farye verschwand.
Etwa fünf Meter über dem Schachtboden drang ein gelblicher Lichtstrahl aus der Wand und fächerte auf. Die Passagiere glitten durch die Lichtbarriere. Für einen Augenblick wurde die geringe Schwerkraft komplett aufgehoben, und Farye und ihre Begleiter blieben in der Luft hängen.
Der Lichtfächer bewegte sich mehrmals nach oben und unten, tastete Ammun-Sis Gesicht ab, bis der Ara eine vielstellige Ziffernfolge nannte. Farye gab sich keine Mühe, sie sich zu merken.
Das Licht erlosch, und sie schwebten weiter in die Tiefe. Kurz bevor sie den Boden berührten, glitt er zur Seite und gab den Blick auf das letzte geheime Segment des Antigravschachts frei.
Sie verließen den Schacht und folgten dem Ara einen gekachelten Gang entlang, der vor einer Schleuse endete. Der anschließende Hochsicherheitsbereich glich dem in der Maurits-Vingaden-Klinik. Auch dort erwarteten sie zwei TARA-C-Modelle, und ein ungutes Gefühl keimte in Farye auf.
Hilka Groym, dachte sie. TLD-Agentin.
Allerdings war auch Gorin Palotta TLD-Agent gewesen. Das allein bewies also keine unverbrüchliche Zuverlässigkeit.
Und wieder hallten ihr Joels Worte durch den Sinn.
Farye schüttelte den Kopf. Sie musste sich zusammennehmen und durfte nicht damit anfangen, jedem TLD-Agenten zu misstrauen. Verfolgungswahn war das Letzte, das sie gebrauchen konnte.
Dennoch, etwas zupfte in ihrem Unterbewusstsein. Etwas, das sie beunruhigte. Das sie übersah. Vielleicht ein Gedanke, den sie begonnen, aber nicht zu Ende gedacht hatte. Oder etwas, das sie gesehen hatte, ohne ihm Beachtung zu schenken.
»Warum ist Adams nicht betäubt?«, riss Ammun-Sis Stimme sie aus den Überlegungen.
»Das ist er doch«, antwortete jemand.
Sie sah auf und sah einen jungen Mann mit auffallend schiefer Nase. Offenbar ein Assistent des Aras, der vor Ort alles vorbereitet hatte.
Gerade schlossen Roboter den Alkoven mit Homer G. Adams an Aggregate an. Die Bildschirme an den Wänden erwachten zum Leben, zeigten Wellenlinien und Datenfluten, mit denen Farye nichts anfangen konnte.
Besonders beunruhigte sie, dass nach wenigen Sekunden in einem Monitor eine Zeitanzeige erschien, die abwärts lief.
5:23.
5:22.
5:21.
Ein Countdown? Aber wofür?
»Wie kann er betäubt sein und trotzdem die Lippen bewegen?«, fragte Ammun-Si.
»Das weiß ich nicht«, antwortete der Schiefnasige. »Vielleicht wehrt er sich innerlich gegen den Schlaf. Oder er will uns etwas mitteilen.«
Der Ara betrachtete die Wellenlinien und die Zeitanzeige.
5:09.
5:08.
»Du hast recht. Wir müssen uns beeilen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
»Wofür?«, fragte Farye.
»Ihn in Suspension zu schicken. Er hätte nicht aufwachen dürfen. Doch da es nun einmal geschehen ist, steht uns nur ein eng bemessenes Zeitfenster zur Verfügung, um ihn wieder zu dematerialisieren, ohne dass der Zellaktivator womöglich dauerhaften Schaden nimmt. Normalerweise hätte es ausgereicht, um ihn im Notfall von der Klinik auf Terra zum Mars zu bringen. Aber unter diesen Umständen ... Uns bleiben vier Minuten und dreißig Sekunden.«
»Was passiert, wenn die Frist abläuft?«
»Das weiß niemand. Und ich habe nicht vor, es herauszufinden. Zumal die Frist ohnehin nur eine medizinische und mathematische Schätzung darstellt. Die Spanne, für die wir glauben, die Suspension halbwegs schadlos unterbrechen zu können. Aber weder verstehen wir die Wirkungsweise des Zellaktivators vollständig, noch die komplexe Wechselwirkung mit dem Organismus des Advisors oder der erhöhten Hyperimpedanz, die das Problem überhaupt erst ausgelöst hat.«
Farye trat einen Schritt zurück und ließ Ammun-Si weiterarbeiten.
Er prüfte erneut die Messwerte, kontrollierte die Verbindung des Alkovens mit den Aggregaten, inspizierte die Mulde mit den acht Kristallen.
Sie schaute an ihm vorbei. Durch die Glasscheibe, die die Röhre abschloss, sah sie Adams. Tatsächlich, seine Lippen bewegten sich.
Sie wollte an ihnen ablesen, was er sagte, aber es fiel ihr schwer.
Reise?
Nein, das war es nicht. Sie versuchte es erneut. Und plötzlich verstand sie es.
Dann also auf diese Weise.
Farye erkannte den Satz wieder. Perry hatte ihr davon erzählt, und er wiederum hatte ihn von Adams gehört. So hatten Gorin Palottas letzte Worte gelautet, ehe das Gas ihn ausgeschaltet hatte. Warum waren sie für Homer so wichtig?
Was übersah sie?
»Energiefluss?«, fragte Ammun-Si.
»Stabil«, antwortete der Assistent.
»Herzschlag?«
»Regelmäßig.«
»Sauerstoffsättigung?«
»Im Normbereich.«
Farye drehte sich zu Sloud Silverman um, der an der Tür stand und die Prozedur mit regungsloser Miene beobachtete. Offenbar teilte er ihre Unruhe nicht.
Sie ließ den Blick erneut über den Alkoven gleiten. Die Metallringe, die quaderförmigen Aufbauten, die Glasscheibe an der vorderen Öffnung, die Metallröhre, die Liegefläche. Alles so, wie sie es bereits in der Klinik gesehen hatte.
Und wäre eine Veränderung nicht sowieso Ammun-Si aufgefallen?
Der Countdown zeigte 2:29.
2:28.
Dann also auf diese Weise. Die letzten Worte von Gorin Palotta. Plötzlich schlossen sich die seines Sohnes Joel an. Wie kann ein TLD-Agent einen so menschenverachtenden Plan entwerfen?
»Alles bereit zur Einleitung der Suspension?«, sagte der Assistent.
Ammun-Si trat vor die Steuerkonsole.
Wie kann ein TLD-Agent einen so menschenverachtenden Plan entwerfen?
Dann also auf diese Weise.
Und mit einem Mal begriff Farye. Der flüchtige Gedanke nach der Landung auf dem Mars fügte sich zu den beiden anderen Sätzen.
Jeder vernünftige Stratege entwarf einen Plan B. Und wo sollte man vernünftige Strategen erwarten, wenn nicht beim TLD?
Wie kann ein TLD-Agent einen so menschenverachtenden Plan entwerfen?
Dann also auf diese Weise.
»Stopp!«, rief sie. »Nicht aktivieren!«
Ammun-Sis Hand verharrte über der Schaltfläche. Sein Blick huschte unwillig zum Countdown. 2:01. »Was ist los?«
»Dann also auf diese Weise!«, stieß sie hervor. »Palottas letzte Worte. Also muss es eine andere Weise geben, die den Plan des Verräters erfüllt. Einen Plan B.«
»Aber ...«, begann der Ara.
Die Zeitanzeige stand auf 1:56.
»Untersucht den Alkoven noch einmal!«, forderte Farye.
Silverman eilte herbei.
Zu viert umschritten sie die Metallröhre, öffneten die Aufbauten, sahen hinein.
»Wonach suchen wir?«, fragte der Assistent.
»Ich weiß es nicht«, gab Farye zu. »Aber es kann nichts Kompliziertes sein. Dazu fehlte Palotta die Zeit, als in der FABERG... sein Plan versagte.«
1:26.
Silverman hielt in der Untersuchung eines Metallrings inne. »Hier!« Er trat zur Seite. »Warum ist dieser mit drei Nieten an der Röhre befestigt und nicht mit zweien wie die anderen?«
Ammun-Si eilte zu ihn. »Wie konnte ich das übersehen?«
Der TLD-Direktor betastete die überschüssige Niete und fluchte. »Verlasst den Raum. Ich kümmere mich darum.«
Der Ara sah zum Countdown. 0:57. »Kommt nicht infrage!« Er trat zur Steuerkonsole und ließ die Hand über der Schaltfläche schweben. »Was immer du tust, tu es schnell.«
»Sprengstoff, wie es aussieht aus TLD-Beständen«, sagte Silverman, während er sich an der Niete zu schaffen machte. »Eine kleine Menge. Aber genug, um die Röhre zu zerstören.« Er hebelte die falsche Niete leicht hoch und warf einen Blick darunter. »Mit einem Zünder, der auf den Energiefluss im Alkoven reagiert.«
0:41.
»Wie lange brauchst du noch?« Ammun-Sis Stimme klang drängend.
»Wenn ich die Sprengmasse einfach abziehe, spricht der Zünder darauf an. Ich muss ihn desaktivieren, komme aber nicht gut ran. Etwas Dünnes, Flaches, schnell!«
Hektisch sah sich Farye um. Nichts, was ihr helfen könnte.
0:28.
»Ein Chirurgen-Roboter«, rief der Assistent. »Im Raum nebenan steht einer für Notf...«
»Bring ihn her! Sofort!«
Der Assistent tippte auf sein Komarmband.
Bei 0:17 glitt die Tür zur Seite, und der Roboter trat ein. Seine Arme endeten in jeweils drei Greiffingern.
Nicht das, was Farye erhofft hatte. »Dein Skalpell!«, rief sie. »Gib es mir.«
»Autorisierung erteilt«, fügte Ammun-Si schnell an.
Aus dem Körper der Maschine fuhr in Brusthöhe eine flache Lade, auf der verschiedene Operationsbestecke lagen.
0:12.
Farye schnappte sich ein Skalpell und gab es Silverman. Der TLD-Direktor ließ die Schneide unter den Sprengstoff gleiten. Schweiß perlte auf seiner Stirn.
Er schloss die Augen, vermutlich um besser zu erfühlen, was er tat.
0:05.
Ein Klicken ertönte. Silverman riss den Sprengstoff vom Alkoven. »Sicher!«
Ammun-Si schlug auf die Schaltfläche.
Kurz leuchtete das Innere der Röhre auf. Als das Licht erlosch, war Homer G. Adams verschwunden.
»Geschafft.« Farye lehnte sich gegen den Alkoven und atmete schwer aus. »Im letzten Augenblick.«
»Ja«, sagte Ammun-Si. »Andererseits haben wir die Spanne so bemessen, dass nötigenfalls ein kleiner Puffer bleibt. Fünf Minuten mehr wären durchaus ...«
Am liebsten hätte Farye ihn an seinem feuerroten Vollbart gepackt und durchgeschüttelt.
Vielleicht bemerkte der Ara ihre Wut; jedenfalls brach er ab, sagte nur noch »Oh« und schwieg.