Читать книгу Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2) - Perry Rhodan - Страница 70
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13. November 2046 NGZ
Was Perry Rhodan erlebte
Noch auf der Ebene der Schmerzensteleportation fragte Rhodan Iwán Mulholland, ob es möglich wäre, nicht direkt im Zielraum zu materialisieren, sondern um einige Meter versetzt. »Mehrere Personen, die durch dein erstes Auftauchen vorgewarnt sind, und dazu die Kampfroboter ... das klingt nicht so, als hätten wir dort ein besonders leichtes Spiel.«
»Das hat auch niemand behauptet«, sagte der Mutant mit für ihn ungewöhnlich trockenem Humor.
»Kannst du es?«, beharrte Rhodan.
»Es ist nicht einfach, aber ich werde ...« Iwán zögerte. »Ich werde einen Blick werfen.«
»Durch benachbarte Türen?«
»Wie meinst du das?«
Der Terraner antwortete nicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit orientierte sich Iwán anders als er; der Mutant erlebte seine eigene Visualisierung, die sich von der Krücke unterschied, die Rhodans Bewusstsein für ihn erschaffen hatte. Und die er immer noch wahrnehmen konnte. Obwohl er inzwischen erneut als Passagier transportiert wurde, war seine Sinnestaubheit nicht zurückgekehrt. Vielleicht, weil er gelernt hatte, die Umgebung eigenständig wahrzunehmen.
»Eine der Personen im Raum«, setzt Mulholland neu an, »habe ich erkannt.«
»Außer Gorin Palotta?«
»Es war Ghizlane Madouni.«
»Bist du sicher?«
Der Mutant bestätigte beiläufig. »Ich konnte mich nicht auf sie konzentrieren. Es war schwer genug, die Zeit zu überbrücken, bis ich wieder in der Lage war, zu teleportieren. Ich glaube jedoch, die anderen haben sie bedroht. Sie war eine Gefangene.«
»Wenn das stimmt, gibt es eine Verbündete vor Ort«, stellte Rhodan fest. »Wir müssen sie nur befreien.«
»Nur?«
»Niemand hat behauptet, dass es einfach wäre«, konterte Rhodan, während die Vielzahl der Türen weiterhin an ihm vorüberzog. Er sah den Ausschnitt eines Nachthimmels mit fremden Sternbildern; einen Wasserfall; einen Bären, der durch eine Ebene aus schneeweißem Sand stapfte.
»Ich bin gleich am Ziel«, kündigte Iwán an. »Siehst du es jetzt?«
»Ich sehe vieles«, sagte Rhodan: eine Bergspitze, auf der ein sandfarbener Turm mit Ausläufern wie Vogelschwingen stand; ein metallenes Feld, auf dem eine sinnverwirrende Menge von Rohren ein Labyrinth bildete; ein Schwarzes Loch. »Aber ich weiß nicht, wo ...«
»Das brauchst du auch nicht zu wissen«, fiel der Mutant ihm ins Wort. »Neben dem Zielraum liegt ein Korridor. Außerdem sehe ich einen anderen Raum. Er erinnert mich an ein leer stehendes Mannschaftsquartier.«
»In einer Basis? Einem Raumschiff?«
»Es ist schwer, mich zu konzentrieren. Das Ziel verschwimmt. Da ist ... eine Wand.« Iwán ächzte. »Ein Schutzschirm in der realen Welt, der vorhin noch nicht vorhanden war. Wir müssen ihn durchqueren.«
Als Rhodan diese Worte hörte, sah er es auch, oder empfand es viel mehr. Hinter diesem Baum mit der ausladenden Krone voller blaugelber Vögel; hinter dem sternförmigen Raumschiffswrack im schäumenden Meer; hinter der Gruppe von einander bekriegenden Insektoiden, die in Raumanzügen im All trieben, inmitten eines Gewitters aus Energiestrahlen. Von dort schlug ihnen ein Druck entgegen, zunächst wie ein Wind, bald als Orkan, dann massiv wie eine unsichtbare Felswand.
»Ich kann durch«, sagte Iwán. »Ich suche ... einen Riss.« Er ging zur Seite, genau da, wo die Böen zu festem Widerstand gerannen. Er zog Rhodan mit sich, wie er es die ganze Zeit getan hatte, nur dass sie sich von der Ebene lösten und in die Höhe stiegen, als verfügten sie über ein Flugaggregat.
Iwán kletterte über den Energieschirm wie eine Spinne an einer Wand. »Es ist anstrengend«, sagte er leise und kaum verständlich, dann sendete er nur noch einen Gedankenimpuls. Nachdem wir angekommen sind, brauche ich eine längere Pause als die vier Minuten, die normal wären.
Rhodan bestätigte.
Es ist so weit, empfing er die Gedanken des Mutanten. Wir können durch den Schirm. Unser Ziel liegt in einem Raumschiff. Die JOAKIM FABERG.... Ich kann uns in die Zentrale bringen. Sie ist nicht voll besetzt.
Tu es!, dachte Rhodan.
Ich bin schwach ... wir müssen ... jetzt.
Sie materialisierten.
Iwán brach augenblicklich zusammen.
Rhodan nahm die Situation in sich auf, jedes Detail seiner Umgebung, wobei er Unwichtiges ausblendete. Die ersten Sekunden würden über alles entscheiden.
Drei Personen im Raum, an Arbeitskonsolen; einer von ihnen, ein glatzköpfiger, hünenhafter Mann, saß auf dem Kommandantensessel.
Eine junge Frau sprang auf, reagierte erstaunlich schnell, riss eine Waffe hoch. Rhodan feuerte auf sie – kein tödlicher Schuss, sondern ein Paralysestrahl. Sie erstarrte und sackte in ihren Sessel zurück, wo sie reglos verharrte.
Rings um Rhodan flimmerte der Schutzschirm seines SERUNS, der sich selbsttätig aktiviert hatte.
Die Hände des schwarzhaarigen Mannes an der Funk- und Ortungsstation huschten über die Eingabekonsole. Was immer er plante, es konnte nichts Gutes sein. Rhodan lähmte ihn ebenfalls.
Ein Energievorhang trennte Rhodan plötzlich von seinen Gegnern. Rund um ihn wallten grünliche Schwaden – wohl ein Betäubungsgas oder Schlimmeres. Ohne seinen längst geschlossenen SERUN wäre dies das Ende seines Überraschungsangriffs.
Blieb noch der letzte Gegner in der Zentrale ... der Kommandant.
Perry Rhodan feuerte mit maximaler Leistung – diesmal nicht mehr mit Paralysestrahlen – auf den ihn isolierenden Energieschirm. Es blitzte und sirrte. Er musste das Energiefeld so schnell wie möglich überlasten. Während er Dauerfeuer gab, warf er sich vor, sodass sein eigener Schutzschirm mit dem schiffseigenen Feld kollidierte.
Überschlagsblitze zuckten, die Welt verwandelte sich in ein irrlichterndes Gewitter. Ein greller Strahl brach durch den Schutzschirm, schmetterte auf den Helm des SERUNS, verästelte sich über der Sichtscheibe.
Es knackte, ein feiner Riss platzte auf, und Hitze flammte auf Rhodans Gesicht. Er schloss die Augen. Die Lippen schmerzten. Es fühlte sich an wie ein elektrischer Schlag in den Zähnen, der seinen Kiefer explodieren lassen wollte.
Rhodan ignorierte den Schmerz und brach durch den kollabierenden Isolationsvorhang.
Die grünen Schwaden verwirbelten harmlos. Alarm heulte auf.
Und da war er: der dritte Gegner. Er stand vor ihm und zielte auf Rhodan. Ein kegelstumpfförmiger Kampfroboter glitt in die Zentrale.
»Ergib dich!«, sagte der glatzköpfige Kommandant hart.
Rhodans Strahler wies genau auf den Mann. »Desaktiviere den TARA, oder ich erschieße dich.«
Sein Gegner nickte. Prüfend? Abschätzig? Er konnte es nicht sagen.
Jedenfalls rief der Glatzköpfige dem Roboter den entsprechenden Befehl zu. Der TARA verharrte.
»Wer schießt wohl schneller?«, sinnierte der Mann, der Lauf seiner Waffe blieb auf Rhodan gerichtet. »Ich glaube, so etwas nennt man ein Patt.«
»Ich habe einen aktivierten Schutzschirm«, widersprach Rhodan. »Du nicht.«
»Richtig.« Der Kommandant schwenkte die Waffe auf den reglosen Iwán. »Er auch nicht. Leg deinen Strahler weg, oder er stirbt.«
Rhodan behielt die Nerven. Um Iwán hatte er sich noch nicht kümmern können, alles war viel zu schnell gegangen. »Nennen wir es also ein Patt«, gab er zu.
Wie viel von der dringend notwendigen Regenerationszeit war mittlerweile vergangen, bis Mulholland erneut teleportieren und sich in Sicherheit bringen konnte? Eine? Maximal zwei, schätzte Rhodan.
»Trotzdem, das muss nicht in einem Blutbad enden. Wir wollen den Alkoven mit Homer G. Adams, mehr nicht. Danach lassen wir euch abziehen.«
»Lächerlich«, sagte der Kommandant. »Hier an Bord stehen dir mehr als zwanzig Personen gegenüber. Euch beiden, sollte dein Freund jemals wieder erwachen.«
Drei, dachte Rhodan, denn der andere vergaß Ghizlane Madouni, wenngleich diese momentan nicht helfen konnte, sondern seinen Gegnern eher als potenzielles Druckmittel diente.
Aber zunächst galt es, das aktuelle Problem zu lösen. Zeit zu gewinnen, damit Iwán sich selbst aus dem Spiel zu nehmen vermochte.
»Leg die Waffe weg«, forderte der Kommandant, »oder dein Freund ist tot. Dir bleiben zehn Sekunden.«
»Wenn du mich angreifst, stirbst du ebenfalls.«
»Acht.«
Rhodan stand unbewegt.
»Sechs.«
Er senkte die Waffe, nur ganz leicht, ein minimales Zeichen eines ersten Entgegenkommens. Er vertraute seinem Gegner nicht. Wenn er die Waffe weglegte, würde der Gegner vielleicht trotzdem schießen.
Rhodans Gedanken rasten. Den Glatzköpfigen konnte er möglicherweise überwinden, aber wie sah es mit dem Kampfroboter aus? Die Maschine war der gefährlichere Gegner, doch seit der Anweisung, sich zu desaktivieren, zeigte sie keinerlei Reaktion.
»Vier.«
Rhodan nahm mit einem geflüsterten Befehl Iwáns SERUN in Parallelsteuerung und gab Vollschub aus dem Stand heraus. Sowohl er als auch Iwán jagten los, gleichzeitig flammte der Schutzschirm des Mutanten auf, weil der Kampfanzug die Gefahr erkannte – Iwán drohte an der Wand zerschmettert zu werden.
Rhodan prallte auf den Kommandanten und riss ihn mit sich. Aus dem Augenwinkel sah er etwas aufflackern und hörte den donnernden Lärm, mit dem Iwán in eine Arbeitskonsole raste. Metall zerriss kreischend, Flammen loderten auf.
Sein Gegner hing vor Rhodans flackerndem Schutzschirm, die Augen weit aufgerissen, sirrende Entladungen um den gesamten Körper. Gemeinsam schmetterten sie gegen die Seitenwand der Zentrale – nur war Rhodan im Gegensatz zu dem Kommandanten durch den Schirm gesichert. Er hörte ein hässliches, krachendes Geräusch.
Per Sprachbefehl entließ Rhodan Iwán aus der Parallelsteuerung, wirbelte herum und jagte eine Salve auf den TARA-C.
Der Befehl, sich zu desaktivieren, war nicht zurückgenommen worden – und so stand die Maschine nach wie vor still. Die Schüsse schlugen in den ungeschützten Roboter. Er explodierte, was einen der Sessel vor den Arbeitsplätzen zerfetzte. Feuerzungen pufften in den Raum, leckten bis an die Decke.
Ein Metallfragment krachte nah an der bewusstlosen Offizierin auf, und die Flammen fraßen sich auf sie zu. Rhodan eilte zu ihr und zog sie in Sicherheit.
Ein kleiner scheibenförmiger Löschroboter war bereits an der von Iwán zerschmetterten Arbeitskonsole an der Arbeit. Nun trat eine zweite Maschine in Aktion.
Rhodan sah nach dem Mutanten. Iwán rührte sich nicht, aber der SERUN meldete stabile Herz- und Kreislaufwerte. Also eilte er weiter zu dem Kommandanten, der reglos in einer Blutlache am Boden lag. Sein Genick war gebrochen.
Der Anblick versetzte Rhodan einen Stich, doch ihm war keine Wahl geblieben. Er nahm den Platz des Kommandanten ein und verriegelte die Zentrale mit einem Schutzschirm.
Er musste rasch handeln, ehe die Situation im restlichen Schiff eskalierte.
Was Ghizlane Madouni erlebte
Ove Heller zielte mit dem Strahler auf Ghizlane Madounis Brustkorb. Falls er schoss, bedeutete das ihren Tod, da gab sie sich keinerlei Illusionen hin.
Der Alarm heulte weiter, und Nigella Schöman fluchte. »Der Funkkontakt zur Zentrale ist abgebrochen! Keine Ahnung, was dort los ist.«
»Wir müssen dorthin«, sagte Heller. »Madouni ist im Weg. Ich erschieße sie.«
Ghizlane überlegte, ob sie angreifen sollte, aber er stand mehr als zwei Meter entfernt. Wenn er kein totaler Narr war, und darauf durfte sie bei einem bestens ausgebildeten Raumjägerpiloten kaum hoffen, konnte sie ihn unmöglich erreichen, ehe er auf den Auslöser drückte. Sie baute auf etwas anderes – die Tatsache, dass er es ankündigte, anstatt einfach zu schießen, bewies seine Unsicherheit. Er sah sich nicht in der Lage, das ohne die Zustimmung der anderen zu entscheiden.
»Wir brauchen sie«, herrschte Nigella Schöman ihn an. »Wenn Rhodan die Zentrale erobert, ist sie eine wertvolle Geisel!«
Heller war abgelenkt, widmete seine Aufmerksamkeit nicht mehr vollständig seiner Gefangenen. Sie sah ihm genau in die Augen, und als sein Blick für einen Moment verärgert zu Schöman wanderte, handelte Ghizlane.
Während Gorin Palotta einwarf, dass der Advisor als Geisel genügte, ließ sie sich nach vorne fallen, stieß sich ab und verwandelte den Sprung in eine Rolle. Sie rammte beide Fäuste gegen Hellers Kniescheiben. Er schrie auf, knickte ein, kippte rückwärts.
Noch im Sturz entriss sie ihm die Waffe, wirbelte herum und schoss.
Schöman brach zusammen.
Heller krachte mit einem Schrei auf den Rücken.
Ghizlane gab sich keinen Illusionen hin. Sie hatte keine Chance, in diesem Raum zu bestehen – gegen die Menschen vielleicht, doch die vier TARA-C blieben für sie unbesiegbar. Sie hetzte los, nutzte den Suspensionsalkoven als Deckung.
Wo sie eben noch gestanden war, jagte der Strahlerschuss eines Kampfroboters durch die Luft. Eine weitere Salve schmetterte in den Boden, und als sie einen hektischen Blick zurückwarf, sah sie, dass Ove Heller getroffen wurde.
Ihr spontanes Kalkül ging auf – die Roboter feuerte nicht auf den Alkoven, weil Adams eine zu wertvolle Geisel darstellte. Doch das gab ihr nur für höchstens zwei Sekunden Sicherheit.
Sie sah beiläufig durch die Scheibe ins Innere der Röhre – und stutzte. Der Advisor lag darin, mehr noch, er bewegte sich! Ihr fielen Palottas Worte ein, kurz bevor endgültig Chaos ausgebrochen war. Er hatte angekündigt, Adams aufzuwecken und offenbar den entsprechenden Befehl in den Alkoven eingegeben.
Doch Ghizlane konnte sich nicht darum kümmern. Nicht in diesem Moment!
Sie musste flüchten. Innerhalb dieses Raumes würde sie in wenigen Sekunden sterben. Sie spannte sich an und rannte los. Es blieben etwa fünf Meter bis zur noch immer offen stehenden Tür.
Ein Strahlerschuss jagte an ihr vorbei.
Dann – ein scharfer Schmerz in ihrem linken Arm. Ein Gefühl wie Feuer loderte bis zur Schulter hinauf.
Ghizlane sprang schräg durch die Tür, warf sich dabei hin, fühlte die Hitze eines Energiestrahls dicht über ihrem Kopf. Sie krachte auf den Boden des Korridors. Die Türöffnung lag etwa einen halben Meter neben ihr. Sie kroch näher zur Wand, um keinen Schusswinkel aus dem Raum heraus zu ermöglichen.
Eine neue Salve. Wo die Strahlen auftrafen, schlug die Decke Blasen. Metall verflüssigte sich und platschte in zähen Tropfen herab.
Ihr Arm schmerzte höllisch. Vom Ellenbogen abwärts spürte sie nichts mehr. Ihre Hand war tot. Ghizlane stand auf, zog den Arm an den Brustkorb, rannte los. Noch immer hielt sie Hellers Waffe und schoss damit ziellos hinter sich. Jede Sekunde bangte sie davor, dass einer der TARAS durch die Tür kam und das Feuer eröffnete.
Endlich erreichte sie eine Abzweigung. Ohne nachzudenken, hetzte sie nach rechts.
Ein Mann – vor ihr, mit einem Strahler in der Hand. Er hob ihn, zielte auf Ghizlane.
Sie schoss zuerst, traf die Schulter. Er schrie auf, ließ die Waffe fallen. Ghizlane erreichte ihn, rammte ihn. Er fiel.
Schon war sie vorbei, eilte weiter, ignorierte den mörderischen Schmerz im linken Arm. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Verletzung, ein verkohltes, blutiges Etwas unter dem verschmorten Stoff.
Wo sollte sie hin?
Es gab in diesem Schiff nirgends Sicherheit, außer in der Zentrale, und das auch nur, falls es Perry Rhodan gelungen war, dort die Oberhand zu gewinnen. Sie hatte Iwa Mulholland auftauchen und wieder verschwinden sehen – wahrscheinlich hatte die Mutantin Informationen gesammelt, Rhodan abgeholt und war mit ihm anschließend in die Zentrale teleportiert.
Plötzlich waberte die Luft vor ihr in dumpfem Grün. Sie begriff sofort, was es bedeutete, aber es war bereits zu spät. Sie kannte das Gas, mit dem Kommandanten im Notfall ihre Schiffe fluten konnten. Auf ihrer ORATIO ANDOLFI gab es dasselbe Sicherheitssystem.
Es wirkte augenblicklich.
Ihr wurde schwarz vor Augen, und das Letzte, das sie spürte, war ein Schlag auf ihrem Kopf, so weit im Nebel, als wäre die Realität nichts als eine ferne Erzählung.
Was Farye Sepheroa erlebte
Farye fühlte sich wie benommen, während sie Silverman und Joel Palotta durch die Klinik folgte.
Orientierungslos, weil sich der riesige Komplex als Labyrinth aus breiten und schmalen, geraden und gebogenen, langen und kurzen Korridoren, aus geräumigen und verwinkelten Treppenhäusern, aus geometrisch unübersichtlichen und architektonisch gewagten Strukturen erwies.
Hilflos, weil sie den SERUN nicht mit dem Leitsystem der infiltrierten Klinikpositronik verbinden konnte. Im besten Fall würde das System gar nicht erst reagieren, im schlimmsten sie in einen Hinterhalt locken. Also vertraute sie sich der Führung von Sloud Silverman und Joel Palotta an, der mehrmals versicherte, vom Verrat seines Vaters nichts gewusst zu haben, ja, ihn zu verurteilen. Aber durften sie ihm wirklich trauen?
Fassungslos, weil Gorin Palotta die Klinik mit Chaos, Zerstörung und Tod überzogen hatte. Es war schlimm genug, die Leben der Patienten und des Personals auf Spiel zu setzen, um den Sicherheitsdienst von der Entführung des Advisors abzulenken. Dass sich der Amoklauf der Maschinen jedoch sogar nach dem Entkommen des Verräters fortsetzte, war ebenso unnötig wie unverzeihlich.
Der Hochsicherheitstrakt in den unterirdischen Ebenen 40 bis 37 lag inzwischen hinter Farye und ihren Begleitern. Zwar hatten sie gelegentliche Scharmützel zwischen Kräften des Sicherheitsdienstes und Robotern gesehen – TARA-C-Modelle genauso wie Chirurgen-, Pflege- und Reinigungsroboter –, sich aber nicht eingemischt und sie stattdessen großräumig umgangen. Die bewaffneten und gut ausgebildeten TLD-Agenten wussten sich auch ohne Hilfe ihrer Haut zu wehren.
Im Gegensatz zu den Patienten in den weniger tief gelegenen und nicht so gut geschützten Ebenen. Farye setzte sich die Priorität, ihnen beizustehen. Und genauso ging es Sloud Silverman.
Aber auch Joel Palotta?
Oder versuchte der Sohn des Verräters, sich aus der Klinik abzusetzen, ehe seine Verwicklung in die Entführung ans Licht kam? Hatte er den Kampf gegen die Chirurgenroboter nur inszeniert, weil sein Vater entgegen ihrer Abmachung ohne ihn geflohen war?
»Wohin führst du uns?«, fragte Farye, ohne Palotta aus den Augen zu lassen.
Er hielt den Handstrahler fest umklammert. Obwohl ihm Silverman gedroht hatte, ihn zu töten, falls er sich als Mitwisser herausstellte, hatte er ihm die Waffe gelassen. Zwar traute Farye grundsätzlich der Einschätzung des TLD-Direktors, doch ihr war unwohl bei dem Gedanken.
Palotta deutete den Gang in Ebene 32 entlang. Ein schmuckloser Korridor mit Türen zu beiden Seiten, hinter denen sich Lagerräume für Medikamente, Verbandsstoffe, Prothesen und sonstigen medizinischen Bedarf befanden. Ein weitgehend unmaschineller Bereich, zumindest was frei bewegliche Roboter anging; ganz auf Technologie konnte eine hochmoderne Klinik nirgends verzichten.
Dass die Infiltration der Positronik auch vor fest installierten Maschinen nicht haltmachte, bemerkte Farye, als sie an einer offenen Halle vorbeikamen. Ein an der Decke befestigter vielgliedriger Greifarm, der sonst vermutlich dazu diente, Kunststoffboxen in den Regalen zu befüllen, kreiselte zuckend umher und fegte nur deshalb nichts aus den Fächern, weil alles bereits über den Boden verstreut lag.
Zwanzig Meter weiter im Gang stand reglos ein Lagerroboter, ein wuchtiger Klotz mit langen, flachen Armen. In der Maschine prangten zwei faustgroße Löcher, aus denen Funken sprühten und dünne Rauchwolken aufstiegen. Vom Verursacher des Schadens fehlte jede Spur – sei es ein anderer durchgedrehter Roboter oder jemand, der sich gegen den Lageristen verteidigt hatte.
»Am Ende des Korridors befindet sich der Zugang zu Treppenhaus vier«, beantwortete Palotta endlich Faryes Frage. »Es führt bis zum zehnten Untergeschoss, wo der Patientenbereich beginnt. Auf den Ebenen dazwischen liegen nur Lager, Büros, die Verwaltung und Labore.«
Also noch einmal mehr als zwanzig Stockwerke zu Fuß erklimmen. Aber besser, sich ein wenig anzustrengen, als sich einem unzuverlässigen Antigravschacht anzuvertrauen, der sie womöglich abstürzen ließ – und auf Notfall-Sicherheitssysteme wollten sie sich schon gar nicht verlassen.
»Warum gab es im Hochsicherheitstrakt keine weiteren Patienten außer Adams?«, fragte Farye.
Silverman nahm die dickrandige Brille ab und klickte auf einen der Bügel. »Der Bereich dient der Behandlung von ... nun, sicherheitsrelevanten Persönlichkeiten. Es betrifft sehr wenige Patienten im Jahr, und Ammun-Si legt großen Wert darauf, ihn leer stehen zu lassen, solange sich Homer G. Adams in Suspension befindet. Um den Schutz des Advisors zu gewährleisten.«
»Hat ja prima funktioniert«, sagte Farye.
»In der Tat.« Sloud Silverman fluchte und setzte die Brille wieder auf. »Keine Verbindung nach außen. Nicht mal mit meinem Notfallsystem. Welche Störstrahlung auch immer es ist – ich will dasselbe für den TLD.«
Sie schoben sich vorsichtig an dem Lagerroboter vorbei. Der Rauch aus dessen Inneren stank beißend, aber nur wenige Schritte weiter roch die Luft klar und rein.
»Wieso funktioniert die Luftaufbereitung?«, fragte Farye.
»Was meinst du?«, fragte Palotta.
»Wir sind tief im Klinikhügel. Wenn sämtliche Maschinen verrückt spielen, warum nicht auch die Belüftung? Glaubst du, dein Vater hätte Skrupel, alle einfach ersticken zu lassen?«
»Nenn ihn nicht meinen Vater!«, fuhr Joel Palotta sie an. Er warf den Kopf herum, und sein langer Zopf schlug gegen die Gangwand. Aus seinem Blick sprachen Traurigkeit und Zorn. Er stolperte, fing sich ab und sah wieder nach vorne. »Entschuldige. Ich weiß nicht, wozu er fähig ist. Vor einer Stunde hätte ich nie für möglich gehalten, dass er so etwas tun könnte.« Er machte eine umfassende Handbewegung.
»Ich vermute, der Grund ist wesentlich profaner«, wandte Silverman ein. »Gorin wollte den Sicherheitsdienst beschäftigt halten. Den Leuten die Luft zu rauben, hätte nichts eingebracht. Sie hätten die Helme ihrer Anzüge geschlossen und auf autonome Sauerstoffversorgung geschaltet. Die Opfer wären nur Patienten und Pflegepersonal gewesen – völlig unnötig, sie zu töten. Außerdem handelt es sich für alle in der Klinik um ein lebenswichtiges System. Vielleicht konnte er nicht so tief in die Positronik eindringen, um auch darauf zuzugreifen.«
Das leuchtete Farye ein. »Heißt das, der Antigravschacht könnte womöglich doch funktionieren?«
»Willst du es ausprobieren?«
»Nein.« Sie ging die letzten Schritte bis zur Treppenhaustür und öffnete sie.
Zweiundzwanzig Stockwerke aufwärts lagen vor ihnen.
Das bedeutete beinahe siebenhundert Stufen.
Dazwischen einundzwanzig Türen, vor denen sie stockten, lauschten, darauf gefasst, dass eine von ihnen aufflog und ein unkontrollierter Roboter hindurchstürmte. Einundzwanzigmal Anspannung – und nur der Hauch von Entspannung, wenn sie eine Tür hinter sich ließen, ohne dass etwas geschah.
Zweiundzwanzig Stockwerke.
Beinahe siebenhundert Stufen.
Einmal verharrten sie, als weiter oben gedämpfte Schreie erklangen. Sechs oder sieben Etagen höher öffnete sich die Tür, die Schreie wurden lauter. Die Tür schlug wieder zu. Sie hörten Schrittgeräusche – jemand hetzte ihnen entgegen. Zu schnell, zu unkoordiniert. Ein letzter Schrei, ein Rumpeln und Krachen. Dann Ruhe.
Einige Minuten später stießen sie auf die Leiche eines terranischen Arztes, wie an dem weißen Kittel unschwer zu erkennen war. Der Mann lag mit gebrochenem Blick und unnatürlich verrenkten Gliedern am Fuß der Treppe.
Sonst wies er keine sichtbaren Verletzungen auf. Offenbar war er in Panik geraten und bei der Flucht in den Tod gestürzt. Sie konnten nichts für ihn tun, also stiegen sie über ihn hinweg.
Endlich erreichten sie das zehnte Untergeschoss.
Urologie, Gastroenterologie, Kosmetische Chirurgie, Sporthalle, Antischwerkrafttherapie, Kantine stand auf einem Schild an der schweren Metalltür. Was für eine Kombination, dachte Farye.
Farye legte die Hand auf die Klinke. Sie lauschte. Was hörte sie da? Wimmern? Ein unbestimmtes Surren? Könnten diese Geräusche überhaupt durch die dicke Tür dringen? Oder bildete sie sich das nur ein?
Sie sah zu ihren Begleitern. Diese hoben die Strahler, richteten sie auf die Tür und nickten.
»Farye?«, erklang eine Stimme direkt neben ihrem Ohr.
Sie zuckte zusammen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Doch dann lachte sie leise erleichtert auf. Ihr Name war aus einem Akustikfeld erklungen, das der SERUN aufgebaut hatte.
»Rico!«, sagte sie. »Ich höre dich.«
»Ich konnte die Störstrahlung abschalten, die die Kommunikationsverbindungen unterbunden hat. Am Rest arbeite ich.«
Sie bedankte sich. »Wir haben gerade den untersten Patiententrakt erreicht. Alles halbwegs ruhig.« Sie dachte an die Leiche des Arztes und verdrängte das Bild. »Wir wissen aber nicht, was uns im eher öffentlichen Bereich der Klinik erwartet.«
»Seid vorsichtig. Ich benötige noch mindestens fünfzehn Minuten.« Rico beendete die Verbindung.
Erneut legte Farye die Hand auf die Klinke. Erneut nickten Silverman und Palotta ihr zu. Sie riss die Tür auf.
Zweiundzwanzig Stockwerke.
Beinahe siebenhundert Stufen.
Und an deren Ende wartete das Chaos.
Jenseits der Tür lag eine große Rundhalle, von der strahlenförmig fünf Gänge zu den Behandlungsräumen führten.
Einst mochte die Halle der Ruhe und der Entspannung gedient haben. So stand in ihrem Zentrum inmitten eines ummauerten Bassins eine wuchtige Steinstele, aus der eine Wasserfontäne in die Höhe schoss. Einige Meter darüber traf sie auf das Innere einer gläsernen Kuppel, die an Stahlseilen von der Decke hing, brach sich daran und regnete von den Kuppelrändern zurück ins Bassin.
Um den Springbrunnen gruppierten sich kleine Bäumchen in Anpflanzungen, zwischen denen Bänke und Sessel zum Verweilen einluden.
Ein Idyll.
Fast.
Im mittlerweile rötlich gefärbten Wasser des Beckens trieben zwei tote Frauen, und die von der Kuppel fallenden Tropfen sahen aus, als regnete es Blut.
Ein Arkonide lag bäuchlings über einem Sessel. Sein Haar hing bis auf den Boden. Er regte sich nicht. Ihm fehlte ein Schuh. Der andere Fuß ragte ins blutige Wasser.
Der Zorn kochte in Farye hoch. Dieses Bild würde sie nie wieder aus ihrem Gedächtnis verbannen können, in tausend Jahren nicht.
Sie hatte Joel Palottas Vater nur kurz kennengelernt, und dennoch hasste sie ihn. Wie konnte jemand derartige Grausamkeiten als Kollateralschäden in Kauf nehmen? Wie konnte jemand das Leid und den Tod unschuldiger Menschen akzeptieren, die an diesen Ort gekommen waren, um Heilung zu finden?
So schwer es ihr fiel, unterdrückte Farye alle Gedanken. Dafür blieb später Zeit genug. Nun galt es, denen zu helfen, die noch lebten.
Ärzte, Patienten und Besucher verbarrikadierten sich recht offensichtlich jenseits des Springbrunnens in einem Raum, den sie durch die gläserne und offenbar unzerbrechliche Front als Kantine identifizierte.
Davor tummelten sich zehn, zwölf Chirurgenroboter. Das Surren der Vibroskalpelle vereinte sich zu einem gespenstischen Lautteppich, der sogar das Plätschern des Blutregens übertönte.
Die Aktionen der Maschinen wirkten unkoordiniert und zufallsgesteuert – ihre Programmierung sah eben völlig andere Aufgaben vor.
Manche versuchten sich an der Kantinenscheibe. Sobald die Skalpelle darauf trafen, erklang ein schrilles Singen. Im Ergebnis gab es nur unscheinbare Kratzer. Die Roboter wandten sich ab, schlossen sich der überwiegenden Zahl an, die gegen die Kantinentür anrannten, stießen einige Modelle zur Seite, die sich wiederum der Glasfront widmeten.
Ein scheinbar ewiger Kreislauf, der bizarr, fast komödiantisch hätte anmuten können, wenn er nicht tödlicher Ernst gewesen wäre.
Dennoch machte das chaotische Vorgehen der Roboter Farye eines klar: Gorin Palottas Einfluss auf die Positronik war nicht allzu ausgeklügelt. Ihm war es nur darum gegangen, Chaos zu stiften. Die Folgen scherten ihn nicht. Der Zweck heiligte die Mittel, zumindest seiner Ansicht nach.
»Die Barrikade wird nicht mehr lange standhalten«, sagte Joel Palotta.
Zwischen den Körpern der Chirurgenroboter sah nun auch Farye, was der TLD-Agent meinte.
Die Tür, eine Glasplatte, die bei Annäherung zur Seite glitt, stand offen. Irgendwie war es den Ärzten und Patienten gelungen, die Lücke mit Tischen, Stühlen, Schränkchen und sogar Tabletts und Tischdecken einigermaßen zu verschließen. Immer wieder schafften Leute aus dem hinteren Bereich der Kantine weiteres Material heran, während andere sich mit aller Kraft gegen die Barriere stemmten.
Noch hielt sie stand, während die Vibroskalpelle Holzsplitter aus den Tischplatten rissen, die zur Seite zischten wie winzige Pfeile.
Und mit einem Mal entdeckten die Roboter, dass es andere Ziele gab – Farye, Silverman und Palotta. Wie auf einen gemeinsamen Befehl wandten sie sich um und stürmten den neuen Opfern entgegen.
Der TLD-Direktor feuerte als Erster, traf ein Modell genau in den Brustkorb. Das Metall zerplatzte, die Maschine hob vom Boden ab, flog rückwärts, riss einen zweiten mechanischen Angreifer mit sich.
Joel Palotta schoss ebenfalls. Ein Roboter explodierte. Ein Trümmerteil schmetterte in das blutige Wasser des Springbrunnens, und eine Welle schwappte aus dem Bassin.
Aus einem der anderen Sterngänge strömten weitere baugleiche Modelle – zehn, zwanzig von ihnen, begleitet von einem wuchtigen Lagerroboter, dessen Schritte stampften. Einzeln bildeten sie für Silverman, Palotta und Farye keine ernst zu nehmenden Gegner ... aber in dieser Menge konnten sie alles überrennen.
Die beiden TLD-Leute feuerten, zerstörten einige Angreifer, doch die meisten kamen näher. Und der Lagerroboter rannte gegen die Barriere an, die unter dem Ansturm des Kolosses brach. Aus der Kantine tönten Schreie.
Farye sah mit einem Mal die Lösung. Vielleicht war es auch nur eine verrückte Idee. Es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie hob ihre Waffe, zielte – aber nicht auf die Flut der Maschinen.
Ihr Ziel lag höher.
Die Glaskuppel an der Decke über dem Springbrunnen hing an mehreren Stahlseilen. Sie visierte die Seile an und schoss.
Das erste Seil zerplatzte mit einem kreischenden Sirren; die Enden zischten durch die Luft. Dann das zweite, das dritte. Die Kuppel baumelte nur noch an einem einzigen Seil – und sauste dann wie ein gewaltiges Pendel hinab. Sie fuhr in die Menge der Roboter, fegte sie beiseite, zerschmetterte etliche.
»In die Kantine!«, rief Farye.
Sloud Silverman folgte ihr sofort, Joel Palotta verharrte wie angewurzelt und starrte fassungslos auf die Glaskuppel, die zurückschwang und weitere Maschinen zermalmte.
Dann schien alles zu gefrieren.
Nur die Kuppel pendelte noch immer. Sämtliche Roboter jedoch erstarrten.
»Farye«, hörte sie Ricos Stimme. »Ammun-Si hat seine Vollmachten zurück.«
Sie blieb stehen, merkte, dass ihre Arme zitterten, als die Anspannung von ihr abfiel.
»Ja«, sagte sie. »Bestätige.«