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2.

Giunas Verzweiflung

Giuna Linh hielt den Atem an und tauchte unter.

Ihr blieben vier Minuten. Höchstens.

Das Wasser war klar, aber am Grund wuchsen trübe braune Algen, die wie lange Grashalme in der leichten Strömung hingen. Giuna schwamm hinein, presste sich dicht auf den Boden. Dank ihres dunkelgrünen Anzugs würden die Cairaner sie nicht sehen.

Hoffte sie.

Die Augen hielt sie offen, starrte hinauf. Höchstens zwei Meter über ihr trieben vereinzelt gelbe, welke Blätter. Die Silhouette eines Nannzabaums ragte am Ufer auf. Die silbergraue Krone schillerte im künstlichen Licht, das die angebliche Naturidylle als das entlarvte, was sie war: eine genau durchgeplante Erholungslandschaft in einer Raumstation.

Giuna atmete ein wenig aus, um ihre Lunge von dem zunehmenden Druck zu entlasten. Luftbläschen stiegen auf, inmitten der Algen kaum verräterisch.

Die beiden Cairaner erreichten das Ufer. Sie nahm die Umrisse durch das fließende Wasser nur verzerrt wahr. Die typisch langen Beine erkannte sie trotzdem. Die beiden Fremdwesen blieben stehen. Wahrscheinlich redeten sie, Giuna konnte nichts hören. Unter Wasser verharrte die Welt in Stille, bis auf das Wummern des eigenen Herzschlags.

Noch einmal ein wenig ausatmen, nur eine lächerliche Winzigkeit. Panik stieg in ihr hoch. Wenn sie auftauchen musste und die Cairaner sie entdeckten, war alles vorbei.

Aber vielleicht sehe ich dann wenigstens Lanko wieder.

Sie schloss die Augen. In ihrer Erinnerung sah sie ihren Mann genau vor sich – sein Lächeln, die Augen so dunkelblau wie bei niemand anderem. Fast spürte sie seine Berührung.

Sollte sie schwimmen? Möglicherweise erreichte sie die Biegung und konnte dort ans Ufer klettern, ohne dass ihre Jäger sie entdeckten. Oder sie verriet sich erst recht.

Die verzerrten Silhouetten gingen weiter und verschwanden hinter dem Nannzabaum. Giuna wartete ab. Nur noch ein bisschen. Als schwarze Flecken im Wasser tanzten, wusste sie, dass sie atmen musste, sonst würde sie das Bewusstsein verlieren und ertrinken.

Sie wollte auftauchen, doch durch die Bewegung gereizt, schlangen sich die Algenfäden um sie und hielten sie fest. Sie riss den rechten Arm los, nestelte an ihren Beinen, fühlte die glitschig-schmierigen Blätter, zerfetzte die dünnen Fäden.

Sie tauchte auf.

Die Luft schmerzte im Hals, im Brustkorb, aber sie gab Giuna Kraft und ließ die Panik verschwinden. Wenige Schwimmzüge brachten sie ans Ufer. Den Oberkörper halb aus dem Wasser, lag sie erschöpft auf Steinen und Erde. Die herrlich violette Blütenpracht direkt neben ihr erschien ihr wie Gespött. Ein Molanofisch, groß wie ihr Fuß, stieß sie an und schwamm weiter.

Sie zog sich ganz aus dem Bach und zwang sich, in Bewegung zu bleiben und weiterzulaufen. Welch ein Hohn wäre das, wenn die Cairaner zurückkämen und sie hier liegen sahen! Sie hinterließ zwar eine Spur aus feuchten Fußabdrücken, doch diese verlor sich bald.

Irgendwo, hinter dichtem Gestrüpp abseits der Wege, setzte sie sich auf den Boden. Ich werde wohl vorsichtiger sein müssen, falls ich das alles irgendwie zu Ende bringen will.

Giuna dachte nach. Offiziell arbeitete sie für die Akonen an diesem noch nicht fertiggestellten Etappentransmitter. Seit Jahrtausenden galten sie als Experten für Transmitter, als arrogant und fähig zugleich. Giunas Problem war, dass sie sich zu weit vorgewagt und die Cairaner auf den Plan gerufen hatte.

Ihr Kopf schwirrte, aber niemand hatte ihr gesagt, dass es einfach werden würde, Lanko zu befreien. Ebenso wenig hatte jemand das Gegenteil behauptet, weil sie nie über ihr Ziel sprach. Wem sollte sie sich auch offenbaren? Lanko, ihr einziger Vertrauter, saß auf der Ausweglosen Straße fest. Wenn er überhaupt noch lebte. Und es gab niemanden, dem sie sonst vertrauen konnte.

Die verfluchten Cairaner!

Ihre Kleidung war getrocknet. Sie fragte sich, wo das alles hinführen sollte. Sie stand auf, klopfte sich einige hartnäckige Blätter mit dornigen Spitzen vom Anzug und entdeckte einen dicken Käfer, den sie von sich schnippte. Die Naturierung dieses Parks lief offenbar bestens, das Ökosystem funktionierte.

Kaum zu glauben, dass sie sich noch vor einem Monat mit derlei Problemen herumgeschlagen hatte – in einem anderen Leben. Seltsam, wie so ein wenig Zeit die Dinge völlig entrücken konnte, bis nur eine blasse Erinnerung blieb.

Sie bahnte sich inmitten von dichtem Gestrüpp und blaublättrigem akonischen Riesenfarn einen Weg zurück zum Pfad, der sich auf insgesamt zwei Kilometern durch die Erholungslandschaft wand. Die Cairaner hatten sie nur aus der Ferne wahrgenommen, als sie sich an ihrem Arbeitspult zu schaffen gemacht hatte. Sie wussten nichts über Giuna, kannten nicht ihren Namen. Es drohte ihr keine Gefahr mehr.

Zumindest nicht von den Cairanern. Die Akonen durften nicht herausfinden, dass sie versuchte, in die Datenbanken einzudringen und Informationen über die Transmitternetze zu stehlen. Sie missbrauchte das Vertrauen ihrer Auftraggeber, und auch das konnte ihr zum Verhängnis werden.

Sie tat beschäftigt, indem sie meistens auf das kleine Display ihres Armbandkommunikators schaute, und eilte Richtung Ausgang.

Im Korridor traf sie einen Trupp akonischer Techniker, wie sie an den Uniformen erkannte. Zum Glück waren die Akonen wirklich beschäftigt, ein Holo schwebte vor ihnen und zeigte zahllose mikroskopische Details in Vergrößerung. Sie sprachen Giuna nicht an, was sie allerdings aufgrund ihrer fast sprichwörtlichen Arroganz auch bei großer Langeweile nicht getan hätten. Schließlich war sie eine Terranerin, eine dieser Verrückten, die sich selbst nach einem mythischen Herkunftsort benannten.


Illustration: Swen Papenbrock

Der Annäherungssensor ihrer Wohnkabine erkannte sie und öffnete automatisch. Giuna trat ein, und nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, fiel sie förmlich in sich zusammen.

Sie schleppte sich in die Hygienezelle und duschte. Sie wollte die Temperatur nach unten regeln, aber die Servosteuerung versagte, und so versuchte sie den lauwarmen Schauer zu genießen, der alles andere als erfrischte.

Kein kaltes Wasser, obwohl dich nur knapp hundert Meter von der Eiseskälte des Weltraums trennen! Willkommen in deinem Leben, Giuna Linh!

*

Sie lag auf der Seite, die Beine angezogen, die Decke zwischen die Knie geklemmt. Eine Haarsträhne fiel ihr über die Nase. Sie hasste das Kitzeln. Lanko hatte es geliebt, wenn sie sich das Haar vom Gesicht strich. Er war ein Schmeichler gewesen.

Giuna verkrampfte sich.

Nein! Er ist es immer noch!

Lanko mochte seit drei Wochen ein Gefangener der Cairaner sein und vor den tausend Gefahren der Ausweglosen Straße fliehen, aber er lebte! Drei Wochen würde er gewiss überleben. Oder?

Giuna rückte ihr Kopfkissen zurecht, zupfte die Bettdecke über die Hüfte und schloss die Augen. Sie brauchte Schlaf.

Lanko schnarchte oft leise beim Einschlafen. Ich atme lauter, nannte er es üblicherweise, wenn sie ihn zur Rede stellte. Sie versuchte sich das Geräusch vorzustellen, denn sie wollte es nicht vergessen. Ebenso wenig die Art, wie er sie ansah, wenn sie miteinander schliefen. Oder die Ausdauer, mit der er im Trivid die verrücktesten Schlachten gegen blödsinnig gestaltete Außerirdische schlug, als gäbe es in der Wirklichkeit dort draußen nicht genug feindliche Völker.

Die Cairaner hatten alle Hände voll zu tun, für Frieden zu sorgen. Sie waren die Friedensmacher in der Milchstraße, geliebt und bewundert von Milliarden.

Alle Hände voll.

Selbstverständlich kannten die Cairaner diese alte Redewendung nicht, und was würden sie wohl davon halten? Immerhin konnten sie auf gleich vier Hände zurückgreifen, und auf die Fähigkeiten ihrer Gespürhände bildeten sie sich zu Recht einiges ein.

Irgendwann schlief Giuna ein, und die Bedrückung wich besseren Erinnerungen an ihr Leben mit Lanko. An die Zeit, in der sie gemeinsam als Berater eine gefühlte Million Kleinigkeiten im Rohbau des akonischen Etappentransmitters überprüften.

Im Traum sah sie, wie sie mit ihm am Rand der obersten Plattform saß, die später als Sammelpunkt für die Reisenden dienen sollte, nur durch ein Energiefeld vom Weltraum getrennt, und die Beine ins Nichts baumeln ließ. Seine Finger berührten ihre Hand, es war wie ein Stromschlag, ehe er sie an sich zog.

Sie entspannte sich.

Als sie aufwachte, verpufften die angenehmen Traumgedanken, und sie erinnerte sich, wie Lanko eine Dummheit begangen hatte, zumindest in den Augen der Cairaner. Wie sie ihn verhaftet und zur Wahrung des Friedens auf die Ausweglose Straße geschickt hatten.

Sie musste ihn befreien, solange er trotz der ständigen Flucht und des Vital-Suppressors noch überleben konnte. Allerdings sollte sie es schlauer angehen als bei ihrem ersten Versuch, in die Transmitterdatenbank einzudringen. Sie bezweifelte ohnehin, dass die Gerüchte stimmten und es in der Ausweglosen Straße eine Empfangsstation gab.

Ihr fiel jedoch kein Plan ein. Wie auch? Sie war Beraterin für ein akonisches Bauvorhaben, keine Agentin. Sie hatte Kosmologistik studiert, nicht Kriminologie. Ihr mangelte es an jeder Erfahrung in abenteuerlichen Befreiungsaktionen, was sich am Vortag überdeutlich erwiesen hatte. Nur pure Verzweiflung trieb sie an. Sie war den Cairanern entkommen, aber es hätte genauso gut übel enden können.

Also entschied sie sich, weiterzuleben.

Abzuwarten.

Und darauf zu vertrauen, dass ihr das Leben früher oder später eine Idee zuspielte.

Sie überlegte, erneut zu duschen – vielleicht hatte sie mit dem Wasser diesmal mehr Glück. Aber noch ehe sie aufstand, gellte Alarm.

Die Restmüdigkeit verpuffte, und sie schlüpfte in Unterwäsche und Kleidung.

Der Alarm heulte durchdringend, erst klang der Ton langsam, dann schneller, und begann den Rhythmus von Neuem. Also drohte keine unmittelbare Gefahr, obwohl die Lage durchaus ernst war. Da die Hauptpositronik es in ihr Privatquartier durchstellte, musste es mindestens zu einem Zwischenfall der Kategorie Drei gekommen sein.

Vielleicht hatte jemand einen Anschlag verübt. Es wurde von Drohungen des Barniter-Konsortiums gemunkelt, von Plänen, den Terror in die Station zu tragen. Sie wusste nicht, was davon stimmte. Barniter waren Händler, keine Terroristen.

Giuna hetzte aus dem Raum, in Richtung des Laufbands, das sie rasch zur Zentrale bringen konnte, dann entdeckte sie eine freie Ein-Personen-Plattform. Besser.

Mit einem hastigen Sprung stieg sie auf und umklammerte die Haltestange. Sie identifizierte sich mit einem knappen »Giuna Linh« und wartete das positive Signal gar nicht erst ab, ehe sie das Ziel nannte. Das angefügte »Und zwar schnell!« änderte die festgelegte Höchstgeschwindigkeit nicht, gab ihr aber ein gutes Gefühl.

Die Plattform sauste den Korridor entlang, passierte einige Arbeitsroboter und erhob sich über eine Reinigungsdrohne, die den Alltagsdreck der an tausend Stellen laufenden Arbeit beseitigte.

Ein Antigravschacht brachte sie neun Decks höher, bis in unmittelbare Nähe der Zentrale ... oder dem seit Beginn der Bauarbeiten improvisierten Glaskasten, der direkt vor der Öffnung inmitten der kreisrunden Scheibe des Etappenhofs hing. Dieser angeflanschte, durchsichtige Kubus würde zugunsten der echten Zentrale bald abgebaut werden.

Giuna sprang von der Schwebeplattform und betrat den Glaswürfel. Durch die Wand sah sie für einige Sekunden den Transmitter, der bereits in der Mittelöffnung des Hofs schwebte, ehe Etappenkommandant Shad tan Haruul die Scheiben undurchsichtig schaltete.

»Nun, da Linh auch eingetroffen ist, können wir ja beginnen.« Die Stimme des Akonen klang kühl und förmlich.

Linh. So sprach tan Haruul sie stets an. Sie fragte sich seit Monaten, ob er bewusst unhöflich oder sich einfach zu gut war, um sich mit den terranischen Gepflogenheiten auseinanderzusetzen. Es war nicht gerade ein Geheimnis, dass sich Terraner üblicherweise beim Vornamen ansprachen. Was sprach gegen ein einfaches Giuna?

»Es tut mir leid, ich bin sofort ...«

»Geschenkt«, unterbrach tan Haruul. »Offenbar hat wirklich das Konsortium zugeschlagen. Die Sicherheitskräfte ermitteln derzeit. Kein Schaden am eigentlichen Transmitter, aber der Hotelkomplex ist völlig zerstört.«

»Warum haben sie gerade dort angegriffen?« Giuna spürte die Blicke der sechs versammelten Akonen auf sich. Sie waren allesamt Leiter eines Baubereichs, vom obersten Techniker bis zum Roboterwart.

Sie musste kein Telepath sein, um die unausgesprochenen Gedanken zu hören: Kommt als Letzte und stellt die erste Frage, ohne ihn ausreden zu lassen. Sollten sie denken, was sie wollten, Giuna ließ sich nicht entmutigen. Es gab eine Menge anderer Dinge, die sie weitaus mehr belasteten.

Der Kommandant beugte sich vor. Auf seinem samtbraunen Nasenrücken glänzte ein Schweißtropfen. »Das Hotel war der am schlechtesten gesicherte Ort im gesamten Etappenhof. Die Sicherheitskräfte konzentrieren sich auf den Einbau des Transmitters und die Justierung der Schaltfelder, weil unsere Gegner dort momentan den größten Schaden anrichten könnten.«

»Ihr habt das Hotel ungeschützt gelassen.«

»Wir, Linh! Ich kann mich nicht erinnern, dass du Widerspruch eingelegt hättest!«

Dafür gab es einen einfachen Grund, den sie allerdings nicht nennen konnte: Sie hatte die Wachpläne abgenickt, ohne sie auch nur einmal anzuschauen, weil sie zu der Zeit plante, in die Transmitterdatenbank des Hofs einzudringen und Zugang zu cairanischen Datennetzen zu finden. Also schwieg sie.

»Was deine Aufgabe als Beraterin gewesen wäre«, bohrte tan Haruul in der Wunde.

»Das Hotel erschien mir strategisch zu unwichtig«, log Giuna. »Und mit dieser Einschätzung stand ich ja nicht allein.«

Folin tan Bergah erhob sich, die Hände auf die Tischplatte gestemmt. Er war der Leiter der Bauphilosophie – ein typischer Posten bei den Akonen, der einem Mittelding zwischen Kosmopsychologe und Sklaventreiber entsprach. Nicht, dass es Sklaven an Bord gegeben hätte.

»Wir sind nicht hier, um uns gegenseitig die Schuld zuzuweisen«, sagte er. »Können wir mit den Fakten fortfahren?«

Jedem anderen hätte der Kommandant für diesen indirekten Angriff eine ordentliche Rüge erteilt, doch tan Bergah genoss eine Sonderstellung, die ihm nahezu alles erlaubte.

Shad tan Haruul hob den rechten Arm über den Kopf und schnippte mit den Fingern – eine für ihn typische, unnötig theatralische Geste. Ein einfacher Sprachbefehl hätte genügt. Ein Holo leuchtete auf.

Es zeigte den Hotelbereich, in dem zukünftig die Reisegäste wohnen konnten, ehe sie die Transmitterstrecke benutzten. Giuna kannte die große Halle vor dem Haupteingang, die gläserne Skulptur, den in ihren Augen völlig unnötigen Prunk, und genau das erwartete sie zu sehen.

Die Holoaufnahme zoomte das Hotel näher, und Giuna verschlug es den Atem. Sie blinzelte, und dann erst begriff sie, was sie da sah. Von dem in tausend Farben glänzenden Komplex, der sich über vier offene Decks zog, war nur ein Trümmerhaufen geblieben. Scherben und zerfetzte Metallstücke verteilten sich um die traurigen Überreste. Von der Glasskulptur war nur der Sockel übrig, und mit einem Mal erinnerte sich Giuna wehmütig, wie schön dieses Kunstwerk eigentlich gewesen war.

»Das hier sind die Fakten«, sagte der Etappenkommandant trocken. »Die Splitter der Bombe, die das angerichtet hat, konnten wir finden. Die Barniter haben sich keine Mühe gegeben, es zu verschleiern. Der Sprengsatz stammt ...« Er stockte und schluckte, ehe er gepresst fortfuhr, als müsste er die Worte herauszwingen: »Er stammt aus akonischer Fertigung. Sie verhöhnen uns, indem sie eine unserer Waffen nutzen!«

»Aber du bist sicher, dass es die Barniter ...«, setzte Giuna an.

»Wer denn sonst? Wir sind ihrem Konsortium ein Dorn im Auge, sie gehen offen gegen uns vor und ...«

Weil er sie nicht hatte ausreden lassen, zahlte sie es ihm mit gleicher Münze heim: »Gibt es irgendeinen Beweis?«

»Selbstverständlich nicht. Keine verwertbaren Spuren! Wenn sie dumm wären, hätten sie nie so weit kommen können!«

»Warum sind wir hier?«, fragte tan Bergah, wie immer darauf bedacht, die spürbare Spannung abzubauen. »Ich nehme an, es arbeitet bereits ein Sicherheitsteam vor Ort und auch ein Ermittler. Wieso hast du also diese Versammlung einberufen?«

Der Kommandant deutete auf Giuna Linh. »Ihretwegen!«

*

»Mei... meinetwegen?« Giuna ärgerte es, sich vor Verblüffung stottern zu hören. Es war ihr zuwider, Schwäche zu zeigen. »Verdächtigst du mich etwa? Das ist lächerlich! Ich arbeite seit Jahren als Beraterin für euch. Habe ich mir je etwas zuschulden kommen lassen? Dieser Etappenhof ist ebenso sehr mein Projekt wie eures!«

»Das weiß ich«, sagte tan Haruul.

»Oh.«

»Es geht um deine Vergangenheit.«

»Meine ...«

»Um Lanko Wor.«

»Was hat er damit zu tun?«

Tan Haruul deutete auf den Bauphilosophen. »Sag du es ihr, Folin tan Bergah!«

»Hör zu, Giuna«, setzte tan Bergah an.

Er wollte es ihr offenbar schonend beibringend. Was er auch sagen musste, er versuchte zu verhindern, dass sie unter der Last der Offenbarung zusammenbrach. Sie hasste es. Das war schon immer seine Art, und er begann dieses lächerliche psychologische Spielchen jedes Mal von Neuem, und dafür hasste sie ihn.

»Sag es einfach!«, forderte sie.

»Lanko Wor wurde inhaftiert, weil er den Cairanischen Friedensbund bedrohte. Dein Mann!«

»Er hat eine Meinung geäußert, nicht mehr.«

»Ich will kein Urteil fällen. Es steht mir nicht zu. Die Cairaner haben ihn verurteilt und damit bist du als seine Partnerin ... vorbelastet.«

»Ich gehe ihnen aus dem Weg, wo immer ich kann.« Und sei es, dass sie in einen Bach springen und sich inmitten schleimiger Algen verstecken musste, bis sie fast erstickte. Es gab schönere Erinnerungen in ihrem Leben. Aber auch schlimmere. Irgendwie hatte sie sich während der Flucht ... lebendiger gefühlt als irgendwann in den letzten drei Wochen.

»Das rate ich dir weiterhin«, sagte tan Bergah. »Unter uns gesagt, und ich werde abstreiten, das geäußert zu haben, kannst du von Glück sagen, dass du nicht ebenfalls auf der Ausweglosen Straße gelandet bist.«

Etappenkommandant Shad tan Haruul schnippte erneut mit den Fingern. Das Holo löste sich auf. Letzte Lichtfunken hingen noch einen Atemzug lang wie Trümmerstaub in der Luft. »Und seitdem gehe ich täglich ein Risiko ein, weil ich dich als Beraterin für das Bauprojekt weiterbeschäftige. Ich hätte dich wegschicken können, das ist dir doch klar. Also zweifle nie mehr daran, dass ich loyal hinter dir stehe, Linh!«

Sie überlegte, wie sie reagieren sollte. Die beste Antwort war wohl ebenso kurz wie eindeutig: »Entschuldige.«

Die übrigen Akonen murmelten etwas in ihrer Heimatsprache vor sich hin. Giuna wünschte sich einen Translator, den sie jedoch im Alltag schlicht nicht brauchte: Auf dem Etappenhof sprach man Interkosmo. Punkt. Alles andere galt als unhöflich. Nur scherten sich manche nicht um solche Details. Sie hatte das an anderen Orten nie erlebt, auch nicht bei Akonen. Anfangs hatten sich Lanko und sie darüber lustig gemacht; er mit seinem üblichen schelmischen Grinsen.

»Und jetzt sag mir«, forderte sie, »wo das Problem liegt!«

»Zusätzlich zu den beiden Beobachtern werden weitere Cairaner an Bord kommen«, antwortete tan Bergah. »Der Anschlag der Barniter war offenbar der Grund, dass sie ihre Meinung änderten. Sie beurteilen die Lage im Afallachsystem als für den Gesamtfrieden der Milchstraße nicht länger tragbar.«

»Ich wollte die Beobachter daran hindern«, ergänzte der Kommandant, »eine Meldung abzusenden. Kurz gesagt, sie zeigten sich meinen Argumenten nicht zugänglich.«

»Haben sie von weiteren Problemen gesprochen?«, fragte Giuna. Etwa von einem Versuch, in ihre Datennetze einzudringen? Die Vorstellung, nicht mehr nur zwei Cairaner in der Nähe zu wissen, sondern die komplette Besatzung eines ihrer verdammten Augenschiffe, entsetzte sie.

»Was meinst du, Linh?«, fragte tan Bergah.

»Nichts. War nur ein Gedanke.«

»Die Cairaner werden im Namen ihres Friedensbundes zwischen Akonen und Barnitern Frieden schaffen«, sagte Shad tan Haruul. »Wie sie das immer tun.« Er gehörte zu jenen, die den Cairanern und ihrer Propaganda alles glaubten.

Giuna fiel auf, dass er nicht von uns gesprochen hatte, sondern von Akonen, als wäre er kein Teil davon, als redete er über eine Sache, die sich außerhalb seines Einflussbereichs abspielte. Und das stimmte sogar – es würde Frieden zu den Bedingungen geben, die den Cairanern gefielen.

»Die Gespräche finden morgen an Bord meines Etappenhofs statt«, fuhr der Kommandant fort. »Du wirst während der gesamten Zeit nicht zu sehen sein, Linh. Und das ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Wir können keine weiteren Komplikationen gebrauchen. Ich vertrete die Position der Akonen, gemeinsam mit Folin tan Bergah.«

»Wer wird für die Barniter sprechen?«, fragte Giuna.

»Das geht dich nichts an.«

»Ich werde es sowieso im Trivid sehen. Alle werden es mitbekommen.«

Wieder dieses Gemurmel in der akonischen Heimatsprache. Sie überlegte, sich einer Hypnoschulung im Akonischen zu unterziehen. Wieso hatte sie das nicht längst getan?

»Die Barniter schicken niemanden aus dem hiesigen Konsortium, das selbstverständlich jede Beteiligung an dem Vorfall leugnet. Stattdessen wird ein unabhängiges Mitglied ihres Volkes anreisen. Einer ihrer prominentesten, weil erfolgreichsten Händler.«

Er verstand es, Spannung zu schüren.

»Und?«, fragte Giuna.

»Kondayk-A1.«

Sie ließ sich nicht anmerken, dass sie innerlich jubelte. Sie entwickelte sofort einen neuen Plan. Eine neue Möglichkeit, Lanko zu befreien.

Kondayk-A1 als prominent, weil erfolgreich zu beschreiben, war nur die eine Seite der Medaille. Skrupellos, eigensüchtig, schillernd, käuflich, gewinnsüchtig und verschlagen gehörte ebenso dazu. Er tat gerüchteweise alles, wenn es nur seinem Vermögen diente. Es hieß, er würde notfalls sogar mit den Ladhonischen Scharen kooperieren.

Ein Mann mit den besten vorstellbaren Verbindungen und Möglichkeiten. Genau das, was sie brauchte, um zur Ausweglosen Straße vorzudringen.

Und sie konnte ihm etwas bieten, dem er hoffentlich nicht zu widerstehen vermochte. Wenn sie die Augen schloss, sah sie sich bereits vor ihm stehen und ihn fragen: Wie hältst du es mit Zellaktivatoren, Kondayk-A1?

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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