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8.

Giunas erste Mission

Die Selbstverständlichkeit, mit der sie in Kürze in ein Verwaltungszentrum der Cairaner einbrechen wollten, verblüffte Giuna ungefähr genauso wie die Feststellung, wie einfach es ging, einen Deflektor zu nutzen. Natürlich kannte sie Prinzip und Wirkungsweise dieser Technologie – aber sie hatte es nie zuvor erlebt, nie am eigenen Leib erfahren.

Cyprian Okri und sie selbst flogen seit einigen Stunden über die Landschaft des Eisriesen Pelorius, des achten Planeten des Afallachsystems. Sie sah ihren Begleiter, sprach mit ihm via Funk ... er wiederum sah und hörte sie ... doch niemand sonst konnte die beiden bemerken, weil die Deflektorschirme ihrer Raumanzüge das Licht umlenkten – sie unsichtbar machten.

Ein schier endloses Eisfeld zog unter ihnen dahin. In Kälte erstarrte Berge und Schneewehen wie Wellen auf einem Meer. Glitzernder Frost, auf dem pelzige Tiere auf ihrer unablässigen Suche nach Nahrung wanderten. Ein Vogel mit Gefieder in der Farbe eines Wintergewitters und unwirklich rot leuchtendem Schnabel.

Giuna hatte nie zuvor einen Eisplaneten besucht. In ihrer Vorstellung war Pelorius trist gewesen – oder mit einem Wort: weiß. Eine ewige, unwirtliche, tote Ebene.

Tatsächlich sah sie Dutzende von Schattierungen dessen, was sie bislang als weiß bezeichnet hatte. Ihre Sinne vibrierten, und ihr Verstand konnte nicht begreifen, was ihre Augen wahrnahmen. Anfangs hatte die Fülle der Eindrücke sie schwindeln lassen, aber sie lernte damit umzugehen, und allein die Wahrnehmung ihrer Umgebung verschaffte ihr einen sonderbaren Frieden.

Hügel und Verwehungen lösten sich binnen Minuten im beißenden Sturm auf und bildeten sich neu. Die Welt veränderte sich, während sie auf sie zuflog. Es gab keine Konstanten, keine unverrückbaren Wahrheiten.

Alles kann sich ändern, begriff sie. Wie ihr Leben mit Lanko. Wie die Idee, den Händler Kondayk-A1 zu engagieren.

Auf dem Display ihres Armbands zeichneten sich kaum wahrnehmbare Wärmesignaturen von Lebewesen ab, die sich durch das Eis fraßen oder sogar darunter ihre Bahn zogen, Hunderte Meter unter der Planetenoberfläche in frostig kaltem, ewig schwarzem Wasser. Diese Welt lebte, wo Giuna ohne den Schutz ihres Anzugs in kurzer Zeit sterben müsste.

Mitten im Nirgendwo ragte ein weißer, schlanker Turm aus der Eiswüste – ihr Ziel.

Ihre Kehle schnürte sich zusammen, als Giuna begriff, was das bedeutete. Noch ehe sie das cairanische Verwaltungszentrum genauer ansah, legte sie den Kopf in den Nacken und schaute nach oben.

Der Ring hing in der Luft, in einem stationären Orbit einige Kilometer über ihnen, von hier unten gesehen nur so groß wie eine Faust. Oder wie Zeigefinger und Daumen, die man zu einem Kreis schloss – das glich dem Verhältnis des Gebildes zu seiner Öffnung in der Mitte.

Das war sie.

Die Ausweglose Straße.

Die Raumstation kam ihr aus dieser Entfernung so harmlos vor. Und doch litt dort Lanko, kämpfte und floh vor tödlichen Gefahren. In jeder einzelnen Minute, in der er nicht vor Erschöpfung in einen flüchtigen Schlaf fiel. Während all seiner Atemzüge.

Nicht nur er, dachte sie, aber die übrigen Gefangenen blieben gesichtslos. Ihr Schicksal konnte sie nicht berühren, weil der Gedanke an Lanko alles überschattete. Auch die anderen hatten ein Leben, das wusste Giuna, doch sie fühlte es nicht.

Sie riss sich mühsam von dem Anblick los – ein Ring, sagte sie sich, nichts als ein kleiner Ring dort oben – und zwang ihre Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt.

Zum Verwaltungszentrum.

Ein schlanker Turm ragte hoch auf. Den automatischen Analysen zufolge, die der Rechner des Raumanzugs auf die Innenseite von Giunas Sichtscheibe im Helm projizierte, maß er exakt 103 Meter. An dessen Spitze saß eine Wohnkugel, nur ein Dutzend Meter im Durchmesser. Horizontal war sie durchgeschnitten und die obere Hälfte etwa doppelt mannshoch erhöht, von einer Mittelsäule getragen.

Alles in allem ein typisch cairanisches Gebäude, glänzend weiß, wie es die Cairaner liebten. In diesem Fall wirkte es fast wie eine Tarnung inmitten der Eiswüste. Üblicherweise lagen in der Schnittfläche der Kugel Gärten, in denen die Cairaner Blumen und Kräuter pflanzten. In dieser eisigen Umgebung sah es wohl anders aus.

Cyprian stoppte den Flug etwa einen halben Kilometer vor dem Verwaltungszentrum. »Ich halte es nach wie vor für sinnvoll, wenn du mich begleitest. Du solltest Erfahrungen sammeln, ehe wir zur Ausweglosen Straße aufbrechen. Du kannst aber auch zurückbleiben, es ist allein deine Entscheidung. Falls du mitgehst, unterstellst du dich meinem Befehl, wie besprochen. Keine Extratouren, kein Anzweifeln, keine Diskussionen, sobald ich etwas anordne.«

»Ich habe die Reise hierher nicht mitgemacht, um tatenlos herumzusitzen, bis du zurückkehrst.«

»Ich rechne nicht mit Problemen«, stellte der angebliche Buchhalter klar. »Nur deswegen darfst du mich überhaupt begleiten. Aber nichts lässt sich exakt vorhersagen. Merk dir das: nichts!«

»Verstanden.« Sie kam sich verrückt vor. Albern. So, als versuchte sie, die Rolle eines anderen zu spielen, irgendeiner Trivid-Figur, die in ein Abenteuer gerissen wurde und dabei über sich hinauswachsen musste.

Der Gedanke weckte Angst in ihr, Hoffnungslosigkeit und tief sitzende Entmutigung. Ihr kam es vor, als überspränge ihr Herz einen Schlag. Der Brustkorb fühlte sich hohl an.

Einen Augenblick empfand sie Schwindel, während sie – getragen vom Flugaggregat – etwa drei Meter hoch schwebte. Sie schloss die Augen und hoffte, dass die Anzugüberwachung keinen medizinischen Alarm auslöste. Cyprian würde es sonst mitbekommen und sie zwingen, zurückzubleiben.

Der Moment verging.

Sie fühlte sich besser.

Es gab keinen Alarm.

»Gehen wir«, sagte sie.

*

Cyprian und Kondayk-A1 hatten sie vor ihrem Aufbruch genau informiert. Sie fühlte sich, als kenne sie das Verwaltungszentrum. Aber darauf zuzufliegen und es mit eigenen Augen zu sehen, war doch etwas völlig anderes.

Sie wusste, dass es sich um eine robotisch betriebene Station für sämtliche logistischen Belange der Ausweglosen Straße handelte. Das hieß im Klartext vor allem, dass die Hauptpositronik des Turms die Versorgung mit Nahrungsmitteln koordinierte. Außerdem wurden Gefangene von dort in die Strafanstalt verbracht und – zumindest theoretisch – wieder entlassen. Nur in solchen Fällen tauchte an diesem Ort mitten im Nirgendwo echtes Personal auf, also Cairaner.

Ansonsten blieb die Verwaltungsstation unbemannt, aber nicht unbewacht.

Roboteinheiten und positronische Schutzsysteme zogen ein dichtes Sicherheitsnetz. Ohne Hilfe einzudringen, wäre für Giuna einem Selbstmord gleichgekommen. Nun jedoch stand ihr die Macht des NDE bei, eines Geheimdienstes, von dessen Existenz sie erst seit wenigen Stunden wusste. Ganz zu schweigen davon, dass sie das Ephelegonsystem samt der Zentralgalaktischen Festung für eine Ausschmückung des Mythos um ihre Heimatwelt gehalten hatte.

Terra.

Nach wie vor glaubte sie nicht daran.

Oder doch?

Cyprian und Kondayk-A1 sprachen so ... überzeugt davon. So voller Selbstsicherheit. Giuna kannte die Geschichten, die Überlieferungen, die Märchen – was auch immer. Sie hatte sich nie Gedanken darum gemacht, wie das korrekte Wort lautete.

Für den einen Terraner hatte dieser Mythos eine Bedeutung, für den anderen nicht.

Geschmacksache.

Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit Folin tan Bergah, dem Leiter der Bauphilosophie im Etappenhof. Du nennst dich doch eine Terranerin, hatte er gesagt, mit der Schlussfolgerung, dass sie deshalb zwingend an Terra glauben müsse. Aber wieso? Gab es nicht viele Worte, deren Ursprung man nicht mehr kannte und die auf irgendeinen Irrtum zurückgingen? An die man glauben konnte ... oder eben nicht.

»Halt dich bereit!«, sagte Cyprian. »Wir kommen in den Bereich der Überwachungssensoren.«

Sie bestätigte.

Noch so etwas, das sie dank der Einsatzschulung wusste: Der NDE kannte die technischen Möglichkeiten dieses Verwaltungszentrums, weswegen Okri die Deflektoren im Vorfeld so hatte modulieren können, dass die beiden Eindringlinge eigentlich nicht entdeckt werden dürften.

Eigentlich.

So ließ sich eines der Probleme auf den Punkt bringen – eine Restunsicherheit blieb. Die weit schwerwiegendere Frage bestand darin, dass Giuna es in ihrem Verstand wusste, ihre Gefühle die Lage jedoch völlig anders einschätzten.

Kurz gesagt, sie fürchtete sich.

Vor einem Angriff.

Vor dem Tod.

Und vor allem davor, dass sie Lanko nicht helfen könnte.

Sie schwebten nach oben, landeten auf der Schnittfläche in der Mitte der Wohnkugel. Etwa einen Meter über ihren Köpfen lag der Boden der oberen Kugelhälfte, eine schneeweiße Ebene.

Cyprian ging zielstrebig zur Tür, die in der zentralen Stützsäule ins Innere führte. In Augenhöhe befand sich ein Identitätsscanner. Der NDE-Agent legte eine flache Scheibe darauf. Sie heftete sich magnetisch an.

Nichts geschah.

»Es dauert etwa eine Minute«, sagte er über Funk, nur für Giuna hörbar.

»Sicher?«, fragte sie.

»Schon vergessen? Nichts lässt sich exakt vorhersagen.«

»Das gefällt mir nicht.«

»Das muss es auch nicht.«

Ein leichtes Klacken. Die Tür öffnete sich.

»Manchmal«, sagte Cyprian trocken, »wird der nötige Informationskode schneller als erwartet geknackt.« Er steckte die Scheibe ein. »Folg mir. Und bleib hinter mir.«

In diesem Augenblick könnten die Systeme Alarm schlagen, weil die Überwachungssysteme einen unbefugten Zutritt registrierten.

Oder es lief so ab, dass der Identitätsscanner einen berechtigten Einlass abspeicherte und sich die Positronik nicht weiter darum kümmerte, solange es keine Auffälligkeiten gab. Damit rechnete Cyprian aufgrund sämtlicher Simulationen.

Es klang auch viel besser. Wahrscheinlich glaubte Giuna genau deswegen nicht daran. Zwei Möglichkeiten gab es, und trotz aller Vorbereitung blieb es unmöglich zu sagen, welche zutraf.

Die Praxis musste es zeigen.

Die beiden unsichtbaren Eindringlinge trugen gute Bewaffnung. Die Schutzschirme ihrer Anzüge konnten einiges aushalten, und wo Giuna Kampferfahrung mangelte, verfügte Cyprian doppelt darüber.

So behauptete er es zumindest, und sie hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Der angebliche Buchhalter, der maulfaule Diener seines barnitischen Herrn, war ein genialer Stratege, ein bestens geschulter Kämpfer und der eigentliche Kopf des Agentenduos.

Sie blieben unbehelligt, während sie ins Innere der Stützsäule traten. Der NDE-Agent ging zielstrebig in einen desaktivierten Antigravschacht, der in die obere Hälfte der Kugel führte. Ohne die Flugaggregate ihrer Anzüge wären sie abgestürzt.

Cyprian stieg am Ende des Schachts aus und erreichte – dicht gefolgt von Giuna – einen Raum, in dem Kisten lagerten, wahrscheinlich mit Nahrungsmitteln gefüllt.

Ein Metallkäfig stand ganz in der Nähe.

Ein Warentransmitter, der die Kisten in die Ausweglose Straße beförderte. Der Weg dorthin. Sie müssten das Gerät nur aktivieren und ...

... und würden in einem Hochsicherheitsbereich landen, in dem cairanische Roboter unterschiedslos jedes Lebewesen sofort erschossen. Auf diesem Weg ein- oder auszubrechen, war schlichtweg unmöglich, daran hatten Kondayk-A1 und Cyprian nicht den Hauch eines Zweifels gelassen, und Giuna sah keine Veranlassung, dieser Einschätzung nicht zu trauen.

Es gab einen anderen Grund, warum sie diesen Einbruch begingen, eine andere Möglichkeit, den Ring zu erreichen, der im Orbit über ihnen schwebte.

Cyprian deutete nach vorne. »Hinter dieser Wand.«

Leider führte kein direkter Weg zum Zugangsterminal der Verwaltungspositronik – aber niemand stellte sich den beiden Unsichtbaren entgegen, als sie einen Korridor erreichten, nach rechts abbogen und die zweite Tür wählten.

Wieder trat die flache Dekodierscheibe in Aktion. Noch einmal funktionierte es reibungslos.

Zu reibungslos?

Giuna fröstelte bei dem Gedanken. Vielleicht waren die Cairaner längst unterwegs. Möglicherweise sammelte sich ein Heer von Robotern, um zuzuschlagen, sobald feststand, was die Eindringlinge beabsichtigten. Sie stellte sich vor, wie Dutzende mechanischer Augen und Sensoren sie fixierten.

»Alles ist in Ordnung«, flüsterte sie. Immerhin schätzten zwei fähige NDE-Agenten das Risiko in dieser Phase der Aktion als gering ein.

Cyprian stand vor dem Terminal, scheinbar untätig, davon abgesehen, dass er auf dem Display seines Multifunktionsarmbands tippte.

Die eigentliche Arbeit lief ebenso unsichtbar, wie die beiden Eindringlinge blieben: Der Agent drang in diesen Augenblicken in die cairanische Datenbank ein. Er kannte nur Zugangskodes mit geringer Sicherheitsstufe – und schon das nur dank einiger zurückliegender Aktionen des Nachrichtendienstes Ephelegon.

Er hoffte, sich das System wenigstens teilweise zu erschließen. Der Rest, hatte er gesagt, ist Intuition vor Ort.

Giuna stand neben ihm, behielt die Tür im Auge.

»Problem«, sagte er kurz angebunden.

Sie drehte sich zu ihm um. Sein Gesicht war verkniffen, hoch konzentriert.

»Ich habe einen Alarm ausgelöst«, begründete er. »Brauche noch Zeit. Halt mir den Rücken frei.«

Giuna lag ein Aber auf der Zunge. Sie schluckte es hinunter, und im selben Moment verschwanden Angst und Unsicherheit.

Sie wandte sich zur Tür und zog ihren Strahler. Wer oder was immer dort auftauchen mochte, sie war bereit.

Ihr Schutzschirm war aktiviert. Sie konnte einige Treffer kassieren, ehe es gefährlich wurde. Die Aufgabe stand ihr klar vor Augen: Sie musste Cyprian schützen, während er tiefer in die Systeme eindrang und den Kode suchte, der es ihnen ermöglichte, einen Personentransmitter für cairanisches Personal in der Ausweglosen Straße anzuwählen.

Ein Roboter tauchte im Eingang auf, eine kugelförmige Maschine, etwa so groß wie ein Mensch. Sie ging auf vier biegsamen Tentakelbeinen. Am oberen Pol glühte etwas auf, und ein greller Strahl jagte glühend heiß in den Raum.

Nicht auf Giuna zu, sondern auf Cyprian. Nein – auch nicht auf ihn, nur auf das Eingabepult, an dem er arbeitete.

Der Roboter, begriff Giuna, konnte weder sie noch ihren Begleiter wahrnehmen, wusste aber, dass der Alarm an dieser Arbeitsstation ausgelöst worden war.

»Ich erledigt das«, sagte sie via Funk zu dem NDE-Agenten, während sie bereits schoss.

Um die Kampfmaschine flirrte die Luft, ein Teilbereich einer unsichtbaren Kugel flammte auf: Dieser Bereich seines Schutzschirms leitete die Energien ab.

Schon wurde Giuna attackiert, weil der Roboter den Ursprung des Schusses anmaß. Sie verschwendete keine Zeit damit, sich in Sicherheit zu bringen. Stattdessen feuerte sie erneut, mit höchster Energieleistung und im Dauermodus.

Die Maschine stand inmitten eines glühenden, wabernden Chaos. Ihr Schirm kollabierte. Sie explodierte. Metallfetzen schwirrten durch den Raum.

Ein scharfkantiges geschwärztes Etwas raste auf Giunas Kopf zu, nahm ihr komplettes Gesichtsfeld ein, und ihr Herz blieb stehen.

Das Metall verdampfte in ihrem Schutzschirm. Rauch wölkte auf, und kleine Blitze verästelten sich greifbar nah vor ihr.

Ein Alarm heulte auf. Wie war das doch gleich, mit den Dutzenden mechanischer Sensoren? Wahrscheinlich handelte es sich mittlerweile um Hunderte.

»Wie lange?«, fragte Giuna.

Noch immer empfand sie eine seltsame Ruhe. Ihre Gelenke kribbelten leicht. Sie behielt ihre Umgebung genau im Auge, nicht nur den Eingang: die Decke aus graubraunem Metall; das Gitter in der Seitenwand, das vielleicht der Lüftung diente; das Etwas, das sich als Schrank, aber auch als verkappter Robotwächter entpuppen könnte.

Eine Fliege summte vor ihr durch die Luft. War das Tier schon immer hier gewesen oder mit ihnen eingedrungen? Doch draußen hätte es wohl kaum überleben können.

Die Gedanken kosteten keine Zeit, sie waren eins mit der Wahrnehmung. Die Konturen der Wirklichkeit schienen Giuna schärfer, klarer als je zuvor in ihrem Leben.

»Ich habe Zugriff«, sagte Cyprian. »Eine Minute, höchstens.«

Er hätte auch sagen können, ein Jahr, ungefähr. Es lief auf dasselbe hinaus, denn das Gitter brach aus der Wand, und faustgroße Flugroboter schwirrten heraus. Sie feuerten unablässig Energiestrahlen ab. Gleichzeitig stampften drei, vier, fünf der kugelförmigen Roboter auf ihren Tentakelbeinen in den Raum.

Die Schüsse der Roboter schwärzten das Metall an hundert Stellen. Etwas explodierte, und Feuerzungen loderten auf.

Hinter der letzten Kampfmaschine schloss sich die Tür.

Sie hatten damit gerechnet und sich auf diesen Fall vorbereitet – eine als unwahrscheinlich angesetzte Entwicklung, aber Giuna kannte ihre Befehle für diese Variante.

Ihr Schutzschirm kassierte Treffer – zwei, fünf, zehn –, während sie die Gesamtlage abschätzte. Den auf die Innenseite ihres Helms projizierten Überlastungsgrad des Schirms ignorierte sie. Was änderte es, zu wissen, wie nah das Verhängnis bereits lauerte?

»Wir gehen nach unten raus«, informierte sie Cyprian, der sich noch immer auf seine Arbeit im System der Versorgungsstation konzentrierte. »Ich starte den Countdown. Dreißig Sekunden.«

»Ich brauche mehr ...«, setzte der Agent an.

»Wir müssen!«, unterbrach Giuna. Sie schoss nicht auf die vielen Angreifer. Stattdessen platzierte sie die bereits aktivierte Bombe, die ihnen den Weg in die Freiheit sprengen sollte.

24, zeigte eine Einblendung auf ihrer Helmscheibe.

Giuna legte auch den zweiten, stärkeren Sprengsatz. Sie eilte zu Cyprian. Ihre Deflektor- und Schutzschirme interagierten und verschmolzen. Sie umklammerte mit der Rechten seine Schulter. »Raus hier!«

»Ich hab's gleich«, sagte er.

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»Cyprian!«

Die Schutzschirme flammten auf. Energiezungen tanzten darüber. Die Welt versank in Rot und Schwarz und glühendem Weiß.

Die Anzüge meldeten Überlastungsalarm. Welch eine Überraschung.

9

»Ich speichere den Kode«, sagte Cyprian.

7

»Fertig!«

Giuna riss ihn mit sich, hinein in das Chaos aus tobenden Energien. Die Decke platzte auf. Etwas krachte neben ihnen auf den Boden.

Ein Flugroboter schwirrte dicht vor Giunas Kopf.

3

Cyprian schoss, in einer geradezu beiläufigen Bewegung und erstaunlich zielsicher.

1

Der kleine Roboter explodierte. Und mit ihm ging die Welt unter.

*

Eine Druckwelle schleuderte Giuna weg – oder ein Chaos aus vielen Druckwellen.

Der Schutzschirm blieb stabil, aber die Anzugpositronik konnte Giunas Position nicht halten. Sie drehte sich, überschlug sich in der Luft. Ihre Füße stießen an etwas.

Ein Roboter tauchte vor ihr auf, rasend schnell. Ihre energetischen Schutzschirme kollidierten, es blitzte, und während sie weiter davongeschleudert wurde, sah sie, wie die Maschine explodierte und eine zweite in Flammen aufging.

Das Arbeitspult kam in ihr Sichtfeld. Es zerbrach in einem Blitz aus Energie. Ein schwarzes Loch blieb im Boden. Kabel brannten wie Kerzendochte.

Ihre Ohren dröhnten in unfassbarem, unbegreifbarem Lärm.

Dann, eine Stimme: »Giuna!«, und eine Hand, die sie packte.

Ein brutaler Schub schleuderte sie nach vorne, nein, nach unten, und sie begriff, dass sie auf die Decke zugetrudelt war.

Cyprian Okri nahm ihren Anzug in Parallelsteuerung und bestimmte ab sofort ihre Bewegung. Er zog sie mit sich, in das Loch, das die Bombe in den Boden gerissen hatte.

Sie stießen durch eine zerfetzte Metallwand, doch vor ihnen hing eine Strebe, die den Weg versperrte.

Etwas flammte auf – Cyprian schoss, wie sie begriff. Das Hindernis verdampfte, dann umgab sie plötzlich Weite, freie Sicht ohne Flammen, Rauch und Energiesalven.

Sie rasten im Freien dahin, hundert Meter über dem Boden.

»Die zweite Bombe!«, schrie ihr Begleiter. »Jetzt!«

Sie handelte automatisch, dachte weder nach noch zögerte sie. Sie gab den Zündimpuls.

Sie jagten weiter, mit der vollen Kraft ihrer Flugaggregate, während hinter ihnen die geteilte Wohnkugel in einer gewaltigen Detonation zerbrach.

Giuna drehte sich um und sah, wie die Überreste kippten. Sie fielen von der Turmspitze. Trümmer krachten in den Turm und brachten das ganze Gebilde zum Einsturz. Bruchstücke schmetterten in den Boden und bohrten sich hinein. Gluthitze verdampfte Eis- und Wassermassen. Das Chaos verschwand hinter weißgrauen Wolken, in denen rotes Feuer loderte.

»Ein paar dieser Biester werden draufgegangen sein«, sagte Cyprian, »aber nicht alle. Wir sind noch nicht sicher.«

Giuna fragte sich, ob sie sich jemals wieder sicher fühlen würde.

»Ich steuere die Koordinaten an«, kündigte Cyprian an.

Ein Punkt tauchte vor ihnen auf, in der Weite aus den vielen Schattierungen von Weiß. Er wuchs zu einem faustgroßen Ball, während sie darauf zurasten, dann zu einem Beiboot der TREU & GLAUBEN.

Giuna versicherte, dass sie wieder voll bei sich war. Dass sie log, spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Sie musste beweisen, dass sie es überstanden, dass sie die Situation gemeistert hatte.

Sie erreichten das Beiboot. Ein Schott stand offen. Sie passierten es, landeten und schalteten die Deflektoren aus.

»Wart ihr erfolgreich?«, fragte Kondayk-A1. Er trug einen Schutz- und Kampfanzug, bereit für den Einsatz, der sich direkt anschließen musste. »Ich meine, von dem Feuerwerk abgesehen.«

Zu schnell, dachte Giuna. Es geht zu schnell.

Aber nun gab es weder eine Pause noch ein Zurück. So funktionierte das Leben nicht.

»Ich kenne den Transmitterzugangskode«, antwortete Cyprian. »Sie wissen nicht, wer in die Station eingedrungen ist und was wir erbeutet haben. Zumindest glaube ich das. Dennoch sollten wir uns beeilen. Sicher ist sicher.«

Es kam Giuna wie Hohn vor, von Sicherheit zu sprechen.

»Wie es aussieht, haben eure Schutzanzüge einiges abbekommen«, sagte der Barniter. »Wechselt sie, und dann geht es los.« Er deutete hinter sich.

Dort stand der metallene Käfig eines Transmitters, der nur noch die von Cyprian erbeuteten Zugangsdaten für das Zielgerät benötigte.

Diesmal würden sie zu dritt gehen, während der Autopilot dieses Beiboot in eine Parkposition in Empfangsreichweite brachte. Wenn alles nach Plan lief, kehrten sie hierher zurück – zu viert.

Giuna stieg aus dem Anzug. Darunter trug sie einen eng anliegenden Einteiler aus grauem Stoff. Cyprian und Giuna legten den bereitliegenden zweiten Kampfanzug an.

»Deine erste Mission war erfolgreich«, sagte Kondayk-A1. »Bist du bereit?«

»Ja«, log sie.

Cyprian stand neu gekleidet neben seinem abgelegten Anzug. An seinem Hals nässte eine Brandwunde. »Gehen wir.« Er gab die Daten in den Transmitter ein. »Die Empfangsstation in der Ausweglosen Straße erwartet uns.«

Wahrscheinlich waren sie die ersten Nicht-Cairaner, die das Gerät anwählten. Nicht dass bereits viele Cairaner diesen Weg beschritten hätten. Niemand begab sich freiwillig in den Wirkungsbereich eines Vital-Suppressors.

Giuna starrte in das Abstrahlfeld des Transmitterkäfigs.

Die drei wechselten einen letzten Blick, dann traten sie hinein.

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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