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6.

Giunas Erkenntnis

Kondayk-A1 umrundete einen der Kampfroboter, die ihre Waffenarme auf Giuna Linh richteten. »Wie hast du dir das vorgestellt?«, fragte er. »Du intrigierst gegen die Cairaner und ... ja, was dann?«

Giunas Körper fühlte sich wie Eis an, unfähig, sich zu bewegen. Zu sprechen war eine Willensentscheidung, die alle Kraft kostete. »Was ich vorhabe, soll nicht den Cairanern schaden«, behauptete sie.

»Ach?« Cyprian Okri stand immer noch neben ihr, völlig gelassen. Auf ihn zielten ja auch keine Kampfroboter. »Du willst nur in eines ihrer schlimmsten Bestrafungszentren eindringen?«

»Um meinen Mann zu befreien. Es geht um ihn, nicht um die Cairaner.« Sie zögerte. »Sie sind mir gleichgültig.« In Wirklichkeit hasste sie sie mittlerweile. Sie hatten ihr Leben zerstört.

»Lanko Wor wurde rechtskräftig verurteilt und in die Ausweglose Straße verbracht.«

»Es muss dort entsetzlich sein!«, brach es aus ihr heraus. Niemand kannte echte Fakten, aber das ließ die Gerüchte nur umso schlimmer wirken. Von den wilden Raubtieren. Dem Hunger. Den Gefangenen, die ständig fliehen mussten, bis sie in einen Erschöpfungsschlaf fielen.

Giuna hatte in den letzten Wochen bei ihrer Suche nach Fakten viele solche Gerüchte gehört – manche glaubhaft, manche eindeutig übertrieben, wenn etwa von Plasmastürmen die Rede war oder davon, dass in der Ausweglosen Straße dauerhaft Temperaturen von über 80 Grad herrschten. Echte Quellen gab es nicht, soweit Giuna es sagen konnte ... jeder hatte immer nur von jemand anderem etwas gehört.

Fest stand nur eines: Das Straflager war entsetzlich, und die Cairaner betrieben es mit großem Aufwand. Warum sie das taten, blieb wiederum unklar ... es gäbe weitaus einfachere Methoden, sich unliebsamer Gefangener zu entledigen oder sie schlicht wegzusperren.

»Dorthin vorzudringen ist kein Spaziergang«, sagte der Terraner. »Wie auch immer du dir das vorgestellt hast.«

Die Erstarrung löste sich ein wenig. Giuna hob die Arme, drehte sich zu dem Buchhalter um. Wenn die Roboter sie erschossen, sollte es eben so sein. Dann wäre es wenigstens vorbei. »Hätten die Akonen ihn verhaftet, würde ich genauso versuchen, ihn zu befreien. Das macht keinen Unterschied.«

»Keinen Unterschied, ja?«, fragte Kondayk-A1. »Und dafür, dass du uns mit hineinziehen willst, gilt dasselbe? Sobald die Cairaner auch nur hören, dass mein Buchhalter von deiner geplanten Aktion weiß, ohne dass wir dich melden, ist es aus mit der Herrlichkeit meines Lebens. Ich wandere höchstpersönlich in die Ausweglose Straße, meine TREU & GLAUBEN wird ...«

»Was soll das?« Giuna wunderte sich über den Zorn, der die Kontrolle übernahm und sie diese Worte schreien ließ. Sie kam sich vor wie ein Kind, das die Beherrschung verlor, weil es nicht seinen Willen bekam. »Das ist nicht der Kondayk, von dem ich gehört habe. Nicht der brillante Händler, der als einer der wenigen würdig ist, ein A1 an seinen Namen anzuhängen! Du bist kein ...«

»Was bin ich? Niemand, der einem sogenannten Friedensprozess beiwohnt, nur weil es von ihm erwartet wird? Obwohl er genau weiß, dass es völlig unsinnig ist? Die Cairaner urteilen ohnehin, wie es ihnen gefällt!«

»Erstaunlich kämpferische Worte«, sagte Giuna kalt. »Ein Feigling und Cairanerfreund würde sie nicht einmal hinter verschlossenen Türen äußern!«

»Vielleicht habe ich sie in der Versammlung ebenfalls geäußert.«

»Wenn du schlau warst, hast du geschwiegen. Und du bist schlau, oder etwa nicht?« Plötzlich blitzte ein Gedanke in ihr auf, und sie war bereit, alles auf eine Karte zu setzen. »So schlau, dass du dich nicht einfach auf ein Geschäft mit einer unbekannten Terranerin einlässt, die möglicherweise im Auftrag der Cairaner arbeitet, um dich auf die Probe zu stellen!«

Der Barniter lachte. Und er hatte gut lachen, im Gegensatz zu ihr. Er machte eine umfassende Handbewegung. »Und was sollte mich wohl davon überzeugen, dass du keine Spionin bist?«

»Frag deinen Buchhalter um seine Meinung. Du vertraust ihm doch?«

»Wegen seiner Einschätzung der Lage empfangen dich diese netten Kampfroboter.«

Sie wandte sich Okri zu. »Du ...«

»Ich habe«, meinte der Terraner, »lediglich zur Vorsicht gemahnt.«

Giuna ließ die Schultern hängen. »Und? Liefert ihr mich aus?«

»Erzähl mir mehr von deinem Mann!«, forderte Kondayk-A1.

»Das kann ich nicht. Nicht hier. Nicht, während diese Dinger auf mich zielen.«

Der Barniter gab einen Befehl, und die Roboter senkten die Waffenarme. »Besser?«

»Erst, wenn ich mich setzen darf. Mir sind nämlich die Knie weich.«

»Klingt nach einer guten Idee. Und noch ein Tipp – denk gar nicht an Flucht oder daran, uns anzugreifen. Cyprians Haar ist grau gefärbt, um einen bestimmten Eindruck zu erwecken. Er ist jünger, als er aussieht, und er könnte es mit einem Dutzend Gegnern gleichzeitig aufnehmen.«

»Du übertreibst«, sagte der Terraner bescheiden. »Zehn oder elf, ja ... aber zwölf?«

*

Giunas Lage mochte zwar genauso übel sein wie vor wenigen Minuten, aber sie wirkte tausendmal besser.

Kondayk-A1 führte sie in einen Raum, der offenbar geschäftlichen Besprechungen diente. Es gab einen Tisch und zahlreiche Sitzgelegenheiten in diversen Größen und Formen, sodass es für Angehörige etlicher Sternenvölker einigermaßen bequem sein dürfte.

Es roch würzig nach Kräutern. Pfefferminz, wenn Giuna sich nicht täuschte.

Ein Servoroboter, angenehm unbewaffnet, stand vor einem Schrank aus dunklem Metall. Statt Strahlermündungen präsentierte die Maschine einige Gläser. »Was wünschen die Gäste zu trinken?«, fragte sie gestelzt.

Der Barniter schickte den Roboter weg und forderte Giuna auf, sich zu setzen.

Sie entdeckte einen geeigneten Stuhl. Nicht gerade ein Ausbund an Komfort, aber momentan erschienen ihr wenige Dinge so unwichtig wie eine bequeme Sitzgelegenheit.

Kondayk-A1 blieb stehen und sah dadurch noch gewaltiger aus – der Hüne vor der zerbrechlichen Terranerin. Auch sein Buchhalter wirkte neben ihm wie der sprichwörtliche Ast im Sturm.

Auf der Tischplatte stand etwas, das Giuna im ersten Moment für Puppenmöbel hielt – ein winziger Sessel, gepolstert mit einem kaum fingerlangen Stück Stoff.

Cyprian Okri bemerkte offenbar ihren Blick. Er setzte sich ihr gegenüber an den wuchtigen Tisch, etwa zwei Meter entfernt. »Wir haben vor Kurzem mit einem Siganesen Geschäfte gemacht«, erklärte er.

»Habt ihr ihn auch mit Waffen bedroht?«

»Wieso sollten wir?«

Giuna versuchte zu lächeln. Es fühlte sich an, als käme eine abscheuliche Grimasse dabei heraus. »Ich muss die Ausweglose Straße erreichen, um meinen Mann zu befreien. Lanko Wor. Wir sind seit vierzehn Jahren ein Paar.«

»Damals warst du ein Kind«, sagte Cyprian.

Sie nickte. »Wir sind zusammen aufgewachsen, irgendwann in den Etappenhof gekommen und haben bei den Akonen als externe Berater angeheuert.«

»Mit welchen Referenzen?«, fragte der Barniter.

»Ein Studium in stellarem Handelsmanagement. Auf der Sonnenschule der Stroan.«

»Nie gehört.«

»Unsere eigene Erfindung. Dank des Posizids und der Datensintflut ist es kaum noch nachvollziehbar. Die Abschlusszeugnisdateien sehen echt aus.«

»Ein Betrügerpärchen«, stellte Kondayk-A1 fest. »Sehr vertrauenerweckend.«

»Das korrekte Wort lautet Hochstapler«, sagte Giuna, von der bei jedem Atemzug mehr Anspannung abfiel. Sie glaubte nicht länger, dass ihr Gefahr drohte. Der Barniter würde sie nicht ausliefern – er klang viel zu interessiert.

Diese verrückte Situation fühlte sich nicht einmal wie ein echter Test an, eher wie ein ... Spiel? Mit einem Mal kam es ihr vor, als hätte er selbst etwas zu verbergen, das er geschickt vertuschte.

»Aber wir waren gut in unserem Job«, fuhr sie fort. »Wir haben den Bau des Etappenhofs perfekt begleitet und zahllose Probleme gelöst. Bis Lanko eine Dummheit beging.«

»Welche?«

Es schmerzte, darüber zu reden. »Er hat einen der beiden cairanischen Beobachter an Bord beleidigt, als dieser sich in die Arbeit eingemischt hat.« Ihre Kehle fühlte sich eng an. Sie konzentrierte sich auf das Atmen, um genug Luft zu bekommen. »Lanko ist ein aufbrausender Typ. Ein Wort hat zum anderen geführt, und er war so dumm, den Cairaner anzugreifen. Ende der Geschichte. Verurteilung wegen Bedrohung des Friedensbundes.«

Kondayk-A1 wandte sich an seinen Buchhalter. »Cyprian?«

Der Terraner trommelte mit den Fingern auf der Tischkante, einen langsamen, stetigen Rhythmus. »Passt zu den Aufzeichnungen der Cairaner.«

Giuna glaubte, sich verhört zu haben. »Wie seid ihr an Daten zu dem Fall gekommen?«

»Das willst du gar nicht wissen«, sagte Kondayk-A1.

Oh doch, das wollte sie. »Was wisst ihr über Lanko? Und mich?«

Sie antworteten nicht.

»Bist du bereit, dich einem Test zu unterziehen?«, fragte Cyprian stattdessen.

»Ein ... Test?« Sie hasste das Zittern in ihrer Stimme, straffte ihre Haltung, um mehr Selbstbewusstsein zur Schau zu stellen, als sie eigentlich fühlte. »Sicher.«

Giuna rechnete mit irgendeiner dubiosen Wahrheitsdroge, doch Kondayk-A1 ging zum Schrank, zog eine Schublade auf – ein leises, unangenehm scharrendes Geräusch – und holte einen metallenen Würfel heraus, so groß, dass er ihn gerade noch in die Hand nehmen konnte. Ein Lämpchen leuchtete an einer der Kanten.

Er setzte das Gerät auf der Tischplatte ab, direkt vor Giuna. »Aktivier es mit leichtem Druck auf die obere Fläche. Lass die Handfläche darauf liegen.«

»Was ... passiert mit mir?« Reiß dich zusammen! Hör auf, so zögernd zu sprechen!

»Es nimmt winzige Gewebeproben deiner Haut und scannt außerdem deinen Körper und vor allem dein Gesicht. Es wird feststellen, ob du in den letzten zehn Tagen Kontakt mit einem Cairaner hattest. Duschen, waschen ... all das hilft nicht. Die Trefferquote des Geräts liegt bei achtundneunzig Prozent – es ist also nahezu sicher, dass eine korrekte Analyse erfolgt: direktes Treffen oder nicht.« Der Barniter trat einen Schritt zurück. »Bist du bereit?«

»Als einer von ihnen Lanko abgeholt hat, war ich im Raum.«

»Vor drei Wochen. Der Detektor ist auf eine Zerfallsrate der genetischen Hinterlassenschaften von maximal zehn Tagen geeicht.«

Giuna folgte der Aufforderung, obwohl es ihr unglaubhaft erschien. Von einer solchen Technologie hatte sie nie zuvor gehört.

Sie drückte die rechte Handfläche auf den Würfel. Ein leises Geräusch ertönte, wie das Läuten ferner Glocken. Alle Kanten leuchteten auf.

Weder spürte sie Schmerz, noch sah sie einen Taststrahl.

»Und jetzt?«, fragte sie.

»Beenden wir das Spiel«, antwortete Cyprian Okri. »Das Gerät ist eine Holospielkonsole, der momentan der Steuerkristall fehlt. Ein Prototyp, den der Siganese uns angeboten hatte. Deine Reaktion war allerdings psychologisch aufschlussreich. Kein Zögern, keine Angst. Ich glaube dir.«

Kondayk lachte dröhnend. »Da er der Klügere von uns beiden ist, schließe ich mich seiner Auffassung an. Wir sind im Geschäft, Giuna Linh.«

»Das war alles?«, fragte sie. »Ihr vertraut mir?«

»Fast. Wir lassen dich nicht zurück in den Etappenhof und halten dich bis zum Ende der Mission ständig unter Beobachtung. Es wird gewiss einen Weg geben, die Zellaktivatoren hierherzuholen.«

»Die Akonen erwarten mich. Ich muss meine Aufgabe ...«

»Du musst dein Leben dort ohnehin abbrechen, wenn wir den Vorstoß wagen. Oder dachtest du, du könntest einfach so mit diesem Lanko in den Hof zurückkehren und weiterleben?«

»Selbstverständlich nicht.« In Wirklichkeit hatte sie an die Zukunft, an das Danach kaum einen Gedanken verschwendet. »Aber ich ...«

»Kein aber, Giuna. Genau ab diesem Moment ist dein altes Leben vorbei.«

*

»Ich glaube euch nicht«, sagte Giuna einige Minuten später, noch immer im selben Raum. Sie lief hin und her, um ihre Aufregung unter Kontrolle zu bekommen. Nur dass es nicht funktionierte.

»... meint die Hochstaplerin«, kommentierte Cyprian süffisant.

»Ich habe meine Karten offen auf den Tisch gelegt. Ihr nicht. Ihr wusstet schon etwas über mich, ehe ihr mich getroffen habt. Richtig?«

Kondayk-A1 lehnte in einem Sitzgestell aus einem verwirrend angeordneten Metallgestänge. »Nur zur Erinnerung: Du beanspruchst unsere Dienste, nicht wir deine.«

Giuna bemerkte vor allem, was er nicht sagte – er widersprach nicht. Die beiden verbargen etwas vor ihr. Cyprians Haar ist grau gefärbt, um einen bestimmten Eindruck zu erwecken. Das hatte der Barniter gesagt, und es war nur eines der Details, die tief blicken ließen.

»Kommen wir zur Sache!«, forderte der Terraner. »Zur Ausweglosen Straße vorzustoßen, wird nicht einfach.«

»Es geht das Gerücht, dass es dort eine Transmitterempfangsstation gibt«, sagte sie. »Deshalb habe ich versucht, in die cairanische Datenbank vorzudringen.«

Kondayk-A1 und sein Buchhalter wechselten einen raschen Blick. »Haben sie dich entdeckt?«

»Wäre ich dann noch hier?«, konterte Giuna.

»Falls sie glauben, dass du nicht allein arbeitest ... ja.«

Mit einem Mal kam sie sich vor, als würde ein Gewicht auf ihrem Nacken liegen. Fünfzig Kilogramm. Mindestens. »Ihr glaubt, dass ...«

»Wenn sie dich beobachten, wissen sie, dass du auf meinem Schiff bist.«

»Eine Katastrophe«, sagte Cyprian.

Der Barniter blieb erstaunlich gelassen. »Abwarten. Wir werden es herausfinden.«

»Wann?«, fragte Giuna.

»Bei unserem Vorstoß in die Ausweglose Straße.«

»Ihr werdet mich also trotz allem unterstützen?«

»Zwei ausgebrannte Zellaktivatoren sind eine gute Bezahlung.« Cyprian zögerte. »Und wir interessieren uns sowieso dafür. Wir suchen Informationen.«

»Über die Ausweglose Straße?«

»Über die Vital-Suppressoren. Eines der effektivsten Mittel, das die Cairaner zur Bestrafung einsetzen.«

»Eine wertvolle Technologie«, ergänzte Kondayk-A1. »Über die wir kaum etwas wissen.«

»Ich auch nicht. Nur dass sie Lanko und allen anderen Gefangenen die Lebensenergie rauben – wie auch immer sie das anstellen. Man verliert jede Kraft, will aufgeben. Aber darum geht es im Moment nicht.«

Es kam Giuna vor, als betonte der Barniter allzu deutlich sein finanzielles Interesse.

»Sprechen wir offen«, schlug sie vor. »Ihr seid keine Händler. Oder nicht nur. Mir ist völlig egal, was ihr verheimlicht, solange es den Plan nicht behindert. Ich will Lanko befreien, alles andere ist für mich bedeutungslos.«

»Für uns nicht«, sagte der Buchhalter. »Und jetzt bleib endlich stehen. Du bist nicht auf der Ausweglosen Straße. Du brauchst nicht zu fliehen. Aber das wird früh genug kommen, falls unser Vorstoß gelingt. Und es stimmt – wir müssen offen zusammenarbeiten. Wir ...«

»Cyprian!«, herrschte Kondayk-A1 ihn an.

»Wer ist hier der Kopf des Teams?«, fragte der Buchhalter seinen Chef.

»Du«, sagte der Händler zu seinem Angestellten.

Giuna spürte, dass sie ganz dicht davorstand, hinter die Kulissen dieser beiden erstaunlichen Männer zu blicken.

Cyprian Okri lächelte kurz. »Hast du je vom Nachrichtendienst Ephelegon gehört?«

»Dem ... was?«

»Dem NDE. Nachrichtendienst Ephelegon.«

»Nein«, sagte sie. Oder doch? Gab es da nicht ein Gerücht, Teil einer der Erzählungen rund um den Mythos Terra? Falls ja, hatte sie es vergessen – eine Erfindung, nicht von Bedeutung für das echte Leben. Warum sollte sie ihren Verstand mit irgendwelchen Geschichten belasten?

»Auf Terra gab es einen wichtigen Geheimdienst, den Terranischen Liga-Dienst, den TLD.«

Mythos, dachte Giuna, und vor ihrem Kopf drehte sich die Welt. Er redet so real von unserer mythischen Heimat. Das war kein ... Gerede mehr. Sondern Tatsachen. Der Boden schlug Wellen.

Sie wankte, fühlte eine Hand, die ihrem Oberarm umschloss, sie nach unten drückte. Sie setzte sich hin. Und trotz allem ahnte sie, worauf Cyprian Okri hinauswollte – was er ihr in diesen Augenblicken über sich und den angeblichen Meisterhändler Kondayk-A1 offenbarte.

»Seit Terra verschwunden ist, gibt es einen Nachfolger des TLD. Eben den Nachrichtendienst Ephelegon.«

»Zu dem ihr beiden gehört«, sagte sie. Oder wollte es sagen. Vielleicht dachte sie es nur.

»Wir gehören diesem Geheimdienst an. Der NDE versucht seit Langem, mehr über die Vital-Suppressoren zu erfahren. Was die Cairaner und ihre CP-Leute, also die Agenten des Cairanischen Panarchivs, verhindern wollen. Die Dienste wechseln; das Spiel bleibt dasselbe. Jedenfalls haben wir im Zuge dessen vor unserer Reise ins Afallachsystem genau recherchiert, wer für uns ein guter Ansprechpartner sein könnte. Etwa eine junge Frau, deren Mann von den Cairanern verhaftet worden ist.«

»Du überforderst sie«, sagte Kondayk-A1.

»Die Ausweglose Straße wird sie genauso überfordern. Sieht nach einer guten Vorbereitung aus. Wir brauchen sie, das weißt du. Und dazu muss sie wissen, wie die Dinge wirklich liegen.«

Giuna kam sich unendlich schwach vor, wie sie da auf dem Boden saß, aber in diesem Augenblick spielte das keine Rolle. »Ihr wusstet von mir und wolltet mich suchen.« Das erklärte ihre Offenheit – sie hatten Giuna bereits im Vorfeld gründlich durchleuchtet und wussten, dass sie alles andere als mit den Cairanern sympathisierte.

Okri lächelte. »Wie nett, dass du uns zuvorgekommen bist.«

Wir brauchen sie, hatte der angebliche Buchhalter gesagt. Warum auch immer. »Ich gehe mit und helfe euch«, sagte sie. »Was ihr dort außerdem vorhabt, ist mir gleichgültig, solange wir Lanko befreien.«

»Das werden wir«, versicherte Cyprian. »Oder wir sterben.«

*

Das Monster sprang. Mindestens fünfzehn, eher zwanzig Meter weit, ehe es auf den Hinterbeinen landete und der feiste, krötenartige Körper nach vorne kippte. Es riss das breite Maul auf. Geifer floss über fingerlange Reißzähne. Das Licht einer Kunstsonne blitzte in seelenlosen Facettenaugen.

Zwei Humanoide flohen – genauer gesagt, schleppte der kräftigere der beiden eine ausgemergelte, dürre Gestalt mit sich. Die langen braunen Haare klebten vor Schweiß. In einem vor Angst verzerrten Gesicht rann ein wenig Blut auf der bleichen Wange.

Der zweite Mann blieb ausdruckslos, die Augen voll unendlicher Müdigkeit. Die Arme und Beine bewegten sich automatisch und roboterhaft.

Beide Flüchtenden fanden in einer Metallhütte Deckung, die einsam auf einer Wüstenebene stand. Sie schlugen die Tür hinter sich zu. Der einzelne, scharf umrissene Schatten verdunkelte den ewig weiten, schneeweißen Sand auf einem winzigen Bereich.

Das Monstrum ließ sich auf die vorderen Beinpaare nieder, trippelte vorwärts. Abdrücke der Tatzen blieben zurück, teils verwischt vom gedrungenen, schuppigen Leib, der durch den Sand schleifte.

Wieder öffnete sich das Maul, doch diesmal schnellte eine grellrote Zunge heraus, zwei, drei Meter weit, klatschte auf die Metallwand. Es qualmte, eine weiß-graue Wolke stieg auf. Glitzernde Tropfen rannen über das Metall und fraßen sich hinein.

Ein Riss entstand.

Die Bestie sprang erneut, krachte gegen die beschädigte Wand. Sie brach unter den wimmelnden Beinen zusammen, und das Monstrum verschwand in einem Wirbel aus Splittern im Inneren der Hütte.

Alles blieb still, wie schon die ganze Zeit. Gespenstisch lautlos in dieser schneeweißen Wüste.

Die beiden Humanoiden stolperten durch die Tür zurück ins Freie, das Monster folgte. Die ausgezehrte Gestalt stürzte, landete auf dem Rücken. Der Zweite bückte sich, zerrte an seinem Begleiter, doch der rührte sich nicht länger. Die Augen standen weit offen.

Der Überlebende erhob sich auf die Füße, wankte los, flüchtete, selbst kaum mehr als ein Gespenst in einer unwirklichen Welt.

»Ein Okrill«, sagte Kondayk-A1, während er mit einer Handbewegung die Holowiedergabe löschte. »Eine Tierart des Planeten Oxtorne, extrem widerstandsfähig. Diese Tiere kommen nur selten vor. Wie die Cairaner es geschafft haben, eines dieser Biester auf die Ausweglose Straße zu bringen, darfst du mich nicht fragen. Außerdem haben sie den Okrill offenbar genetisch verändert oder psychisch konditioniert, seine Aggression gesteigert.«

Giunas Mund fühlte sich trocken an. Als sie sprach, schmerzte es in der Kehle. »Wie seid ihr an diese Aufnahme gekommen?«

»Der NDE hat seine Verbindungen«, antwortete der Barniter. »Die Kurzfassung: Es ist der Datenstrom einer cairanischen Überwachungssonde. Wir konnten vor einem Jahr einen Mikroroboter einschleusen, der bis zum Vital-Suppressor vordringen sollte. Er hat nicht einmal den halben Weg geschafft. Er sendete das Datenpaket in einem ultragerafften Impuls an den NDE-Agenten, der in einer antriebslosen Kapsel am äußersten Rand des Afallachsystems trieb.

Dann hat der Okrill unseren Roboter zermalmt. Und das war das Ende dieser Mission. Der letzten übrigens, die der NDE gewagt hat, ehe die Cairaner mich wegen der Friedensstiftung höchstpersönlich eingeladen und damit unwissentlich eine neue Runde eröffnet haben. Offiziell bleibe ich im System, um mit Etappenkommandant Shad tan Haruul ein Geschäft auszuhandeln.«

»So sehen also die Gefahren aus, vor denen ...« Lanko, dachte Giuna und setzte neu an. »... vor denen die Gefangenen in der Ausweglosen Straße flüchten müssen? Okrills? Monster?«

»Nicht nur. Soweit wir wissen, gibt es inszenierte Naturkatastrophen, auch solche Dinge wie holografische Mörder, die eigentlich ungefährlich sind ... aber dazu dienen, den Inhaftierten niemals Ruhe zu gönnen. Der Vital-Suppressor verschlimmert alles.

Hast du die Antriebslosigkeit im Gesicht des Toten gesehen? Die unendliche Müdigkeit und Lustlosigkeit? Das ist das Ergebnis des Suppressors. Die Strahlung des Geräts erstickt den inneren Antrieb, bis kein Lebenswille mehr bleibt. Ganze Planetenbevölkerungen können damit ... mattgesetzt werden. Bis sie nur noch vor sich hin vegetieren. Sich nicht länger fortpflanzen und binnen weniger Generationen aussterben.«

»Wie im Xoliusystem.« Giuna hatte davon gehört.

Jeder hatte das.

Ein leuchtendes Beispiel für die Gerechtigkeit der Cairaner im Fall eines Verbrechens, das dem galaktischen Frieden nachhaltig schadete. Sie töteten nicht ... oh nein. Ihre Strafe ging tiefer, löschte den Lebenswillen ganzer Planetenbevölkerungen aus.

Planeten ohne Kinder. Ohne Zukunft. Und dann, ein- oder zweihundert Jahre später, ohne Leben.

»So ist es«, wiederholte Cyprian, und es klang entsetzt und kalt, resigniert und voller Schrecken. »In der Ausweglosen Straße wirkt der Suppressor allerdings schwächer, sonst wären die Gefangenen nicht in der Lage zu fliehen. Deshalb erhoffen wir uns dort eine Chance, bis zu dem Gerät vorzudringen. Der NDE war auch im Xoliusystem tätig.«

Er presste die Lippen aufeinander. Die Zähne knirschten.

»Aber?«, fragte Giuna.

»Unsere Agenten verloren jeden Antrieb, ihre Mission weiterzuverfolgen. Sie sind nicht einmal zurückgekehrt, sondern irgendwo im System geblieben und gestorben. Wir kennen kein Mittel, sich davor zu schützen.«

»Wieso konnte der zweite Gefangene noch mehr Energie aufbringen? War er stärker? Oder nicht so lange unter dem Einfluss des Suppressors?«

Cyprian Okri schüttelte den Kopf. »Wir wissen fast nichts darüber. Was sich hoffentlich bald ändern wird.«

»Warum?«, fragte Giuna. »Was bezwecken die Cairaner mit der Ausweglosen Straße? So viel Aufwand – wofür?«

»Wir wissen es nicht«, gab Cyprian zu. »Aber wir sehen es genau wie du: Es steckt mehr dahinter, als nur eine Strafanstalt zu betreiben.«

Giuna dachte nach. »Ihr habt gesagt, dass ihr mich braucht. Warum? Ihr seid Agenten, wisst über solche Dinge Bescheid. Ich bin lediglich eine Frau, die aus Verzweiflung Hilfe gesucht hat. Wie sollte ausgerechnet ich nützlich sein? Ich bin euch nur eine Last. Ihr wärt ohne mich besser dran.«

»Falsch«, sagte Cyprian. »Es wird den Cairanern nicht verborgen bleiben, dass jemand in ihre Strafanstalt eingedrungen ist. Jemandem müssen wir den Einbruch in die Schuhe schieben. Und du bist das ideale Opfer.«

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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