Читать книгу Als er den Colt zog: Western Bibliothek 12 Romane - Pete Hackett - Страница 40

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Als man seinen Vater von der Ranch vertrieb, war er achtzehn Jahre alt gewesen. Ein halbes Jahr später war er allein. Er war dabei, als sein Vater jenen Mann, der ihm im Auftrage der Regierung die Ranch abnahm, auf der Mainstreet in Abilene niederschoss. Er wusste, dass sein Vater zu spät seine Besitzansprüche geltend gemacht und zu sehr darauf vertraut hatte, dass ihm niemand seine Ranch streitig machen könnte und dass man es schon gar nicht wagen würde, mit Gewalt gegen ihn vorzugehen. Damals hatte er zu seinem Vater aufgesehen und geglaubt, dass der Vater sich nicht irren könnte. Den Widerstand, den Vater und Sohn geleistet hatten, mussten sie nach einer langen Belagerung aufgeben. Der Vater war schwerverwundet. Er, Dan, musste ihn auf den Einspänner legen und mit der wenigen Habe abziehen. Allein für die Behandlung des schwerkranken Vaters musste er einen Teil der Herde verkaufen. Er musste spottbillig verkaufen, denn man wusste, dass sie Geld brauchten. So war es kein Wunder, dass bald die ganze Herde hin war. Der Vater aber, kaum genesen, stellte jenen Mann, der sie im Auftrag der Regierung zum Abzug von der Ranch gezwungen hatte.

Dan würde an diese Begegnung denken, solange er lebte. Das Bild hatte sich ihm fest eingeprägt: zwei Männer, die sich im Abstand von nur neun Schritten gegenüberstanden, sich fest ansahen und sich wenig zu sagen hatten.

„Zieh!“, hatte Dans Vater gesagt.

Der andere hatte genickt und erwidert:

„Tut mir leid, dass du es so siehst, Ben. Wir waren einmal Sattelpartner. Du hättest dich rechtzeitig um deine Landeintragung kümmern müssen. Früh genug hat man es dir gesagt. Es ist nicht meine Schuld, dass du es nicht getan hast, dass ein anderer aber auf dein Land und deine Ranch scharf war. Ich habe nur einen Auftrag der Regierung erfüllt. Hänge es mir nicht an, Ben. Du hast es mir vor einem halben Jahr sehr schwer gemacht.“

„Hätte ich dir ein herzliches Willkommen zurufen sollen? Du hattest es verteufelt eilig, deinen Auftrag auszuführen. Denen, den du damit einen Gefallen getan hast, war es eine große Freude, mich am Boden zu sehen. Nun, ich bin nicht den langen Strom hinauf gewandert, ich wollte am Leben bleiben, um mit dir abzurechnen. Nimm an, dass ich in dir den Kerl sehe, der mich um alles brachte, um mein Land, meine Herde und mein Haus, um das Glück eines Mannes, seinen Lebensabend zufrieden zu verbringen.“

„Ben, ich möchte keinen Kampf“, unterbrach ihn der Gegner des Vaters abwehrend. „Du müsstet in Ruhe nachdenken und zu der Einsicht kommen, dass dein eigener Fehler dir den Ruin brachte. Dein Zorn bringt nichts Gutes, denn der Zorn kann einen Menschen dazu hinreißen, etwas zu tun, was er später bereuen wird. Ich will keinen Kampf, am allerwenigsten mit dir als ehemaligem Partner.“

„Zieh!“

Zum zweiten mal sagte es Dans Vater. Unversöhnlichkeit schwang in seiner Stimme. Man hörte deutlich, dass der Mann, der dieses Wort sprach, keineswegs umzustimmen war.

„Ben!“

„Wir reden zu viel, Stuart Jugens!“, unterbrach der Vater ihn rau. „Es ist nicht viel von deiner alten Selbstherrlichkeit übriggeblieben. Los denn!“

Sie zogen beide zur gleichen Zeit. Dans Vater war eine Idee schneller, aber seine Waffe hatte Ladehemmung und kein Schuss löste sich aus seinem hochgerissenen Revolver. Stuart Jugens aber traf mit seiner Kugel den Gegner tödlich. Mit schrecklich entstelltem Gesicht fiel Dans Vater vornüber.

In Dan war eine schreckliche Leere. Wie von selbst lüftete er den Revolver und feuerte auf den Mann, der dem Vater den Tod gebracht hatte. Er sah auch ihn fallen und in den Staub der Fahrbahn rollen.

Nach dem Aufrasen des Schusses stand Dan leichenblass auf der Fahrbahn, einer Ohnmacht nahe. Zum ersten mal hatte er auf einen Menschen geschossen und getroffen. Es war, als bräche etwas in ihm zusammen. Er leistete keinen Widerstand, als man ihn abführte und noch am gleichen Tage vor eine Jury stellte. Er schwieg, als er Fragen beantworten sollte. Der Schock in ihm war noch zu stark, so dass er das Geschehen um sich herum wie aus weiter Ferne erlebte. Das Urteil über ihn war schnell gesprochen. Es waren genügend Zeugen da, die genau gesehen hatten, dass er ohne Anruf auf den Gegner des Vaters geschossen hatte.

Er wurde zum Tode verurteilt. Niemand fragte nach seiner Jugend, nach dem Zustand, in dem er sich befunden haben mochte, als er seinen Vater tot zur Erde sinken sah. Niemand sprang ihm zu seiner Verteidigung bei und versuchte dem armen Jungen zu helfen. Das Land war hart und rau. Mit achtzehn Jahren war ein junger Mann voll für seine Taten verantwortlich.

Vielleicht war es das schreckliche Wort „Tod“, das ihn handeln ließ. Der Selbsterhaltungstrieb, der in jedem Menschen und jedem Tier ist, wurde in ihm lebendig. Die Lähmung, die ihn seit dem Schuss befallen hatte, war plötzlich wie fort gewischt. Jetzt zeigte es sich, dass die, die ihn zum Tode verurteilt hatten, ihn wohl voll verantwortlich machten für seine Tat, ihn aber dennoch nicht als ganzen Mann angesehen hatten und völlig überrascht waren, als er seinen Bewacher mit einem einzigen Faustschlag niederstreckte und sich so einen Weg in die Freiheit bahnte.

Diese Freiheit war teuer erkämpft. Es war nicht die Freiheit, die er sich wünschte. Es war die Freiheit eines gehetzten, steckbrieflich gesuchten jungen Menschen, der ständig damit rechnen musste, dass sie zu Ende war. Aufgebote hatten ihn gesucht, und sein Steckbrief hing an allen Sheriffoffices. Man hatte seinen Vater ohne ihn beerdigt. An dem Tag, an dem die Beerdigung war, lag er angeschossen von einem Mann des Aufgebotes in einem Dornenbusch versteckt, in dem er sich wie ein Tier verkrochen und in Sicherheit gebracht hatte. Er hörte die Häscher, als sie ganz dicht vor seinem Versteck vorbeiritten. Er kämpfte gegen die schier unerträglichen Schmerzen an und biss sich die Lippen blutig, um sich nicht durch ein Stöhnen oder durch einen Schrei zu verraten.

Kaum war die Gefahr vorbei, als er in eine tiefe Ohnmacht sank, aus der er erst Stunden später wieder erwachte. Niemand hatte ihn gefunden, kein barmherziger Samariter hatte ihm Hilfe gebracht. In seiner Not hatte er erkennen müssen, wie sehr ein Mensch allein sein kann. Sein Erwachen glich einem Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit. Das Bild jenes Mannes, dem er seine Kugel geschickt hatte, war vor ihm wie eine erschreckend bleiche unheimliche Maske. Es war so lebendig, dass er seine Not hätte herausschreien mögen. Doch niemand hätte ihn gehört, niemand wäre gekommen. Eine zweite Ohnmacht bereitete dem unheimlichen Gesicht ein Ende.

Das nächste Erwachen war grauenvoll. Der Notverband, den er sich hatte anlegen können, war von Blut und Erde verkrustet. Als er den Versuch machte, sich zu erheben, drückte ihn eine Schwäche nieder. Dreimal musste er ansetzen und seinen ganzen Willen aufbieten, dann schaffte er es. Als er stand, musste er sich an den Zweigen festhalten, denn die Umgebung drehte sich wie ein Karussell um ihn. Der Regen, der auf ihn niederfiel, hatte auch sein Gutes, er löschte seine Spur und machte sie auch für den Suchhund unbrauchbar, den man auf sie gesetzt hatte, als ein Farmer gemeldet hatte, dass er sich in der Nacht Decken, Proviant und anderes mehr von seiner Farm geholt hatte. Er hatte einen Zettel zurückgelassen, auf dem er alles verzeichnet hatte, was er sich genommen hatte, bevor er seine Flucht weiter fortsetzte. Dieser Zettel trug seine Unterschrift und den Vermerk, dass er alles zurückerstatten würde, was er sich genommen hatte.

Er hatte dem Farmer in der Tat nach Monaten vierzig Dollar geschickt. Das war mehr, als die Sachen wert gewesen waren, die er sich genommen hatte. Was aber waren die Tage und Wochen, die er auf der Flucht zubrachte, für eine Qual für ihn gewesen! Einem Arzt hatte er sich nicht anvertrauen dürfen. Er bekam seinen eigenen Steckbrief zu sehen, als ihn die Not in eine Siedlung hinein trieb. „Gesucht wird Dan Flemming“, so lautete die Überschrift. Es folgte seine Personenbeschreibung und eine Schilderung seiner Tat. Ihm schwindelte, als er seinen Steckbrief sah. So heimlich wie er in die Siedlung gekommen war, so heimlich verschwand er auch wieder, um zu seinem Versteck, das er bei den alten Stollen hatte, zurückzukehren. Hier blieb er, bis er wieder völlig zu Kräften gekommen war. Seine Wachsamkeit und sein Misstrauen blieben in der Folgezeit. Von Rohhäutern, einer starken Menschengruppe, die mit Ross und Wagen nach Zigeunerart das Land durchstreifte, ließ er sich eine lange Wegstrecke mitnehmen. Mit diesen Menschen hatte es eine eigene Bewandtnis. Sie fühlten sich so frei wie die Vögel lebten, fragten nicht, woher er kam und wohin er wollte. Sie nahmen ihn auf, und er lebte bei ihnen wie in einer großen Familie. Die Menschen hatten wildes Blut in den Adern und stammten wohl aus dem Süden. Sie waren arm, aber die Armut bedrückte sie nicht. Niemand hatte Besitz, es gehörte alles der Gemeinschaft. Wer irgendwo etwas stehlen konnte, wurde als Held gefeiert. Schwere Arbeit betrachteten sie als eine Erniedrigung, sie liebten den Wind und die Sonne. Sie waren groß und schlank gewachsen und hatten eine goldbraune Hautfarbe. In ihren schwarzen, staunenden Tieraugen wurde die sanfte Schwermut eines Menschenschlages sichtbar, der mit der strebsamen und alles an sich reißenden Welt, die sich im Westen bemerkbar machte, nichts gemein hatte. Ihren Namen hatten sie nach ihrer Angewohnheit erhalten, rohe Häute für viele Zwecke des täglichen Bedarfs zu verwenden.

Dan war nicht der einzige, der bei den sonderbaren Menschen Unterschlupf gefunden hatte. Er war allerdings der jüngste der Gäste der Rohhäuter. Die beiden anderen waren hünenhafte Männer mit weißblonden Haaren. Die Brüder hätten gut zu jedem Wikingeraufgebot gehören können. Sie hatten harte Gesichter, in die tiefe Linien hineingegraben waren.

Dan Flemming erfuhr bald, dass die beiden keine Dauergäste waren, aber in gewissen Zeitabständen immer wieder bei den Rohhäutern auftauchten.

Auch diese beiden Männer fragten Dan nichts und drängten sich nicht auf.

Texas lag bald weit zurück und damit der Staat, in dem Dan so bittere Erfahrungen gesammelt hatte. Er zog weiter mit den Rohhäutern und mit Paul und Lee Millard. New Mexiko, Colorado, Wyoming und Montana waren weitere Länder, die er kennenlernte. Von dort ging es nach Dakota, wo Dan zum ersten mal den Missouri zu sehen bekam. Nord und Süddakota blieben zurück, es folgten Iowa, Missouri, Arkansas und Oklahoma, der Nachbarstaat von Texas.

Zwei Jahre waren auf diesem gewaltigen Trail vergangen, zwei Jahre, in denen Dan Flemming viel gesehen und gelernt hatte, in denen er viel erlebt hatte. In diesen zwei Jahren war er ein Mann geworden. Er hatte jetzt seine ersten Kämpfe hinter sich, er hatte die Menschen kennengelernt und zwei Freunde gewonnen, die beiden Brüder Paul und Lee Millard.

Bei Nacht und Nebel musste er die Rohhäuter verlassen, denn die ganze Sippe war hinter ihm her. Ohne die beiden blonden Hünen hätte er der Welt so long sagen müssen. Schuld daran war die Frau des Rohhäuterführers. Nicht, dass Dan sich ihr genähert hätte, nein, sie war es, die sich in ihn verliebte, bis zur Leidenschaftlichkeit in den jungen Mann vernarrt hatte. Wo er sich auch immer aufhielt, ihre dunklen, mandelförmig geschnittenen Augen folgten ihm. Das musste auch ihrem um viele Jahre älteren Mann, der fast schon ein Greis war, auffallen. Gewiss hätte der Alte es auch ohne die Stammesangehörigen gemerkt, die ihm rieten, sehr wachsam zu sein.

Nun, Dan hatte sich einen Namen bei den Rohhäutern gemacht. Selbst die Anführer mussten das anerkennen, denn er gehörte zu den Leuten, die dafür sorgten, dass es immer etwas zu essen gab. Das war nicht leicht, denn es mussten viele Mäuler gestopft werden. Niemand verstand es so gut wie er, die besten Schlachtrinder aus den Herden herauszutreiben und zu schlachten. Wenn seine beiden schweigsamen Freunde ihn begleiteten, war die Beute meist sehr groß. Niemals hatte man besondere Schwierigkeiten, denn Fleisch war immer zu besorgen. Das Dutzend Rinder, das man dann und wann aus den großen Herden holte, zählte kaum. Aber nicht immer ging es glatt ab, einige Male gab es auch Kampf, doch nie einen Toten. Lieber verließen sie sich auf ihre schnellen Pferde. Als sie wieder einmal verfolgt wurden, mussten sie alle drei für einige Zeit von den Rohhäutern fernbleiben. Während dieses Fernbleibens war Dan für drei Monate mit seinen beiden Freunden in wilden, offenen Rinderstädten gewesen. Mehrmals mussten sie sich ihrer Haut erwehren. Als man wieder zu den Rohhäutern stieß und die Frau des Anführers mit Erstaunen erkannt hatte, dass die wenigen Monate genügt hatten, aus dem schlaksigen Jungen einen Mann zu machen, an dem eine Frau nicht vorbeisehen konnte.

„Unser Benjamin hatte Glück“, hatte Paul Millard bei der Rückkehr zu den Rohhäutern gesagt. „Mehrere harte Jungens haben es mit ihm versucht, doch er schlug sie alle. Die neuen Kerben an seinem Colt bedeuten das Ende einiger hartgesottener Burschen, die eines Tages von einem Ranger oder Staatenreiter sowieso geholt worden wären. Das Gesetz müsste unserem Benjamin eigentlich einen Orden verleihen.“

Dan hatte ganz verlegen dagestanden und von diesem Tage an war die Leidenschaftlichkeit einer üppig schönen Frau auf ihn gefallen. Vielleicht war sie gefesselt von dem Geheimnisvollen und Undurchsichtigen, das Dan umgab, ohne dass er sich selbst dessen bewusst wurde. Vielleicht sah die Frau in dem um zwei Jahre jüngeren Mann das Traumbild des Mannes, nach dem sie sich innerlich verzehrte. Nur der Himmel oder die Hölle mochten indes wissen, was in dieser leidenschaftlichen Frau tatsächlich vor sich ging. War es das Besondere und Gefährliche, das diese Frau lockte? Eines konnte sie jedenfalls nicht, das war, sich zu beherrschen. Als sie Dan eines Tages, als er zum Bach ging, folgte und ihm entgegentrat, schreckte sie ihn mehr ab, als dass sie ihn anzog. Ihre Augen funkelten ihn an, sie war es, die sich ihm an die Brust warf und mit ihren Lippen die seinen suchte und ihn mit einer Erregung küsste, die ihren Körper erbeben ließ.

Wie zu Eis erstarrt ließ Dan ihre Leidenschaftlichkeit über sich ergehen.

„Wir gehören zusammen, du und ich“, hörte er sie mit kehlig schwingender Stimme sagen. „Ich habe es in wenigen Stunden begriffen, Dan. Ich will nicht mit den anderen weiterziehen, ich will fort. Lass uns beide zusammen fliehen, irgendwohin! Ich folge dir, wohin du willst.“

„Du hast einen Mann.“

„Ja, einen, den mir der Stamm aufhalste, den ich weder liebhabe, noch jemals Liebe schenken kann. Wir Rohhäuterfrauen werden nicht nach unserer Wahl gefragt. Der Sippenälteste sucht den Mann für uns aus, und wir müssen gehorchen. Kan hat mich nie gefragt, ob ich ihn liebe, ob ich ein Leben lang an seiner Seite bleiben will.“

„Du brichst das Gesetz, Ann!“

„Ist das so etwas Besonderes, Dan? Gehörst nicht du zu jenen, die ständig das Gesetz brechen? Wir sind dann beide Ausgestoßene. Das wird uns um so stärker verbinden. Sieh mich nur an, Dan, niemand kann uns sehen oder zuhören, wir sind allein. Ich liebe dich, Dan, es kam mit elementarer Gewalt über mich. Ich habe nie gewusst, was Liebe und Leidenschaft ist.“

Sie trat einen Schritt zurück. Er hob seinen Blick und sah sie an. Vielleicht hatte er sie noch nie so kritisch angesehen, vielleicht erwachte auch in ihm etwas Neues, Unbekanntes, das ihm bisher verschlossen war. Bisher hatte er nicht wahrgenommen, dass er ihr von allen Frauen des Stammes besonders gefiel und sie sich besonders um ihn gekümmert hatte. Sie war nicht so wie die anderen Frauen, die größtenteils ihr Äußeres vernachlässigten und wenig anziehend wirkten. Sie war ganz anders, sie ließ sich nicht hängen und lebte nicht gleichgültig dahin, sie verstand es sich zu kleiden, und das unterschied sie von den anderen.

Ihr lockiges Haar wogte ihr den Nacken herunter und schien in der Fülle wie ein Schleier zu wirken, der fast bis zur Hüfte hinabreichte. By Gosh, ein Mann hätte ein Herz aus Stein haben müssen, wollte er all das Prachtvolle übersehen, das das Leben selbst hervorgezaubert hatte. Sie war nicht viel älter als er und doch, so schien ihm, war sie in ein leuchtendes Licht getaucht, so weit fern, dass er es einfach nicht wagen durfte, sie lange anzusehen, denn je länger er es tat, um so schneller schlug sein Herz.

Nun, Dan Flemming war unerfahren, und was ihm in ihrer Gestalt entgegentrat, war etwas, mit dem er einfach nicht fertig werden konnte. Er hatte weder die Erfahrung noch die Reife dazu.

„Ich sehe dich recht deutlich“, sagte er, „doch hinter dir sehe ich deinen Gatten und deinen Stamm. Ich bin nur euer Gast und kann nicht die Hände nach dir ausstrecken. So vergilt man keine Gastfreundschaft, Ann. Ich könnte nicht mehr in einen Spiegel sehen, ich müsste mein Gesicht anspucken. Dein Mann war wie ein Vater zu mir und du wie eine Mutter.“

„Ich deine Mutter, Dan. Ich bin nicht viel älter als du! Ich war fast noch ein Kind, als ich zur Heirat gezwungen wurde. Was wusste ich wirklich vom Leben? Sicherlich so viel, wie du im Augenblick. Ich bitte dich, lasse mich nicht im Stich, ich hoffe und zähle auf dich, nur du kannst meinem Leben eine andere Richtung verleihen. Lass uns fliehen und ein neues Leben beginnen!“

Dan antwortete nicht. Was sollte er auch sagen? Wenn er ehrlich zu sich sein sollte, so musste er sich gestehen, dass er Angst hatte, Angst vor der Zukunft und vor den Rohhäutern, vor dem eigenen Ich. Sein Herz krampfte sich in ihm zusammen. Wortlos hatte er sie stehen lassen und war fortgegangen. Er hatte nicht gewagt, sich ein einziges Mal nach ihr umzusehen. So sah er die Tränen nicht, die über ihre Wangen liefen. Ihre Tränen wurden nicht aus Scham oder Wut vergossen, nicht aus Eitelkeit oder gekränktem fraulichen Stolz. Es waren Tränen der Hilflosigkeit.

Dan kehrte ins Lager zurück, und hier bemerkte er, wie man ihn verstohlen betrachtete, wie sich etwas Bösartiges gegen ihn zusammenbraute. Den ganzen Tag über sprach außer den beiden Brüdern niemand mit ihm.

„Kleiner, du hast da ein Feuer entfacht, das du kaum noch wirst löschen können!“

„Lass ihn, Paul“, mischte Lee Millard sich ein. „Er kann nichts dafür. Aber so ist es, niemand weiß, wann es einen erwischt und innerlich verzehrt. Die Umgebung merkt es schneller, und wenn da Bindungen und Gesetze sind, werden sie verteufelt misstrauisch, und auch daran kann unser Kleiner nichts ändern. So ist es nun einmal im Leben, und so wird es bleiben, gleich wo es ist. Es fragt sich nur, ob es so gut ist, nicht wahr, Paul?“

Der Angeredete nickte bedächtig und sah auf seine Stiefelspitzen nieder.

„Du und ich, wir beide sind wie Adler, Bruder. Wir können uns erheben, wenn es uns passt, das aber wird unser Kleiner nie können. Es wäre daher besser für ihn, wenn er die Gastfreundschaft der Rohhäuter nicht länger in Anspruch nehmen würde. Er ist flügge geworden und wird auf eigenen Beinen stehen können. Er schießt eine schnelle Kugel und ist auch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Das beste ist, Sonny, wenn du verschwindest!“

„Ich glaube das auch“, sagte Lee. „Mach dich davon, bevor der Alte dir den Kopf abschießt und wir für dich ein Grab ausheben müssen. Diese attraktive Ann hat völlig die Übersicht verloren. Ihr ewig nörgelnder, zur Gewalt neigender Mann ist ihr wohl stets gleichgültig gewesen. Sie sieht nur noch dich, mein Junge, und wenn du bleibst, so werdet ihr beide bald dieser schönen Welt so long sagen müssen. Es lohnt sich nicht, Kleiner, denn das Leben ist lebenswert. Wenn man erst die Augen für immer geschlossen hat, gibt es kein Erwachen im hellen Sonnenlicht. Es gibt überall schöne Frauen und wenn du dir die Mühe machst, ein wenig in der Welt herumzureiten, wirst du es immer wieder bestätigt bekommen.“

„Genau so ist es“, bekräftigte Paul. „Das war die längste Rede, die du jemals gehalten hast, Lee. Tu, was wir dir anraten, Kleiner, verschwinde heimlich still und leise, noch in dieser Nacht. Der Alte hat nichts Gutes mit dir vor.“

„Ich habe nichts Unrechtes getan.“

„Darauf kommt es nicht an. Ich sagte schon einmal, dass du Pech hast und es dir irgendwie anhaftet. Du wolltest schon immer das Grab deines Vaters besuchen, nun, das kannst du jetzt tun. Es

sind Jahre vergangen und deine Steckbriefe sind verwittert. Die Jahre haben dich so verändert, dass dich kaum noch ein Verwandter erkennen würde. Es ist also kein Grund, es nicht zu tun. Wenn du erst fort bist, wird das Strohfeuer abbrennen und alles wieder in Ordnung kommen.“

„Ich habe keine Angst, vor niemandem!“

„Kleiner, wir wissen das zu schätzen, aber es nützt dir nichts. Diese Rohhäuter kennen eine Menge giftiger Pflanzen und Wurzeln, mit deren Extrakt sie dich ins Jenseits befördern könnten. Mein Bruder und ich würden dann mit dir die lange Reise antreten, und danach ist uns nicht zumute. Wir wollen noch bei unseren Freunden bleiben. Deine Zeit bei den Rohhäutern ist jedoch abgelaufen.“

Dan Flemming schwieg. Vielleicht dämmerte es ihm jetzt, dass er die Warnung der Freunde nicht in den Wind schlagen durfte. In den nächsten Stunden machte er Beobachtungen, die ihm allen Grund zur Unruhe gaben. Nicht einer der Stammesangehörigen zeigte mehr ihm gegenüber die alte Vertraulichkeit, die Dan so sehr schätzte und die ihn in dieser Gemeinschaft wie auf einer weichen Woge getragen hatte. Bevor es dämmerte und die Wagen angehalten wurden, hörte Dan Annes weiche Stimme: „Heute Nacht müssen wir fliehen, Dan! Man misstraut uns bereits.“

„Ich habe ihnen keinen Grund dazu gegeben, Ann“, flüsterte er zurück, ohne seine liegende Haltung zu verändern.

„Er hat mich geschlagen“, fuhr sie fort. „Aber ich ertrage alles, denn ich weiß, bald sind wir in Freiheit, du und ich. Ein neues Leben tut sich für uns beide auf.“

„Ann, warum zum Teufel glaubst du, dass ich etwas tun werde, wonach mir nicht der Sinn steht?“

„Dir bleibt keine andere Wahl, sie bringen dich sonst um. Ich habe es bereits gehört, Dan, und ...“ Sie sprach nicht weiter, denn Schritte näherten sich. Die Vorsicht ließ sie schweigen.

Jetzt war Dan auch von jener Frau gewarnt, die mit ihm fliehen wollte. Als die Nacht hereinbrach, gab es einen Augenblick, in dem sie ihm zuflüstern konnte:

„Ich werde die Pferde bereitstellen, Dan. Also dann bis Mitternacht.“

Bevor Dan antworten konnte, hörte er an dem Geräusch hinter sich, dass sie sich bereits entfernt

hatte. Er blieb lang ausgestreckt liegen und schaute zum Nachthimmel hinauf, an dem ungezählte Sterne leuchteten. Ringsum war das träge Leben der Rohhäuter im Gange. Ihre struppigen Hunde hatten sich zu einem Rudel vereint und machten irgendwo in der Gegend mit lautem Gebell Jagd auf einen Hasen.

Ich befinde mich in ähnlicher Lage wie der Hase, dachte Dan und hockte sich auf. Er lauschte auf das Treiben ringsum, prüfte den Sitz seines Colts, dann schob er sich langsam durch die Wagenplane an der dem Feuer abgewandten Seite. Etwas später stand er neben dem Planwagen, der ihm für einige Jahre eine Art Heimat gewesen war. Er zuckte zusammen, als er Paul Millards Stimme hinter sich hörte.

„Kleiner, du bist vernünftiger als wir dachten. Hinter dem Rundhügel am Bach steht ein gesatteltes Pferd mit einer aufgelegten Provianttasche. Also los denn und — so long!“

Dan Flemming bewegte sich nicht, die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Eine Hand legte sich schwer auf seine rechte Schulter.

„Sie ist wirklich betörend, diese schwarzhaarige Hexe, die alle Männer, wenn sie es nur wollte, verzaubern könnte. Du stehst in ihrem Bann, Kleiner. Alles ist schwer wie Blei, nicht wahr?“

„Ich glaube schon, Paul.“

„Ich will für dich hoffen, dass es nur eine leidenschaftliche Aufwallung war, die sich bald legen wird. Vielleicht ist es nur eine Art Panikstimmung, die Ann kopflos macht, denn sollte es tiefer in ihr sitzen, wirst du sie niemals abhängen können.“

„Paul — ich gehe jetzt.“

„Nur zu und bewege dich vorsichtig, denn nie zuvor hast du es nötiger gehabt.“

Es gab einen letzten Händedruck, dann bewegte sich Dan wie ein Schatten in die Dunkelheit hinein, lautlos wie ein Indianer, der ein feindliches Lager beschleicht. Von Paul und Lee hatte er gelernt, wie man vorgehen musste, wenn es kein Rascheln des Laubwerks oder Knacken von dürren Zweigen unter den Fußsohlen geben sollte. Die beiden Brüder waren ihm gute Lehrmeister gewesen. Jetzt machte es sich bezahlt, dass er immer lernbegierig gewesen war. Er atmete tief, als das Bachuferstrauchwerk sich hinter ihm schloss. Jetzt lag das Graswurzelkochfeuer hinter ihm und somit auch die Menschen, die das Camp bevölkerten.

Dan überquerte den Bach und bewegte sich auf den Rundhügel zu. Bevor er ihn überquerte, gewahrte er im letzten Augenblick den Schatten, der wuchtig auf ihn zusprang. Im schwachen Mondlicht schimmerte die gezückte Klinge eines zum Stoß bereiten Messers auf. Er duckte blitzschnell ab und fing den Arm mit dem Messer ab und riss so heftig an dem Arm, dass ein Stöhnen aus dem Munde des Mannes kam, der über ihn hinweg sauste. Im nächsten Augenblick ließ er den schlaff gewordenen Arm los, riss den Colt heraus und schlug mit dem Kolben zu. Er traf genau. Der Gegner streckte sich ohnmächtig geworden lautlos im Gras aus. Erst jetzt beugte Dan sich über den Mann und zuckte zurück, denn vor ihm im Gras lag der Oldman und Anführer der Rohhäuter, Ann Palmers Gatte.

Es war jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Dan nahm das Messer an sich, erhob sich und rannte um sein Leben. Das laute Stöhnen des Alten war gewiss bis zum Camp hin gehört worden. Das dort aufbrandende Wutgeheul verkündete nichts Gutes. Jetzt konnte nur noch die Schnelligkeit entscheiden. Einen Augenblick lang wollte Panik in Dan aufkommen. Was würde sein, wenn die Brüder kein Pferd bereitgestellt hatten?

Er rannte weiter. Der Schweiß brannte ihm in den Augen. Endlich machte er das angebundene Pferd aus. Er warf sich in den Sattel und kappte die Leine, die das Pferd am Ast festhielt mit dem Messer. Im nächsten Augenblick jagte er in die Nacht hinein.

Als er den Colt zog: Western Bibliothek 12 Romane

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