Читать книгу Revolverhelden in der Stadt: Glorreiche Western Sammelband 7 Romane - Pete Hackett - Страница 16
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ОглавлениеDer mittelgroße, gedrungene Josuah Bender stand an einem der kleinen Fenster im Haupthaus seiner Indianeragentur am Südwestrand der Quijotoa Mountains und schaute hinaus. Im Dickicht vor den Bergen lagerten einige Apachen. Seit die erste Squaw an einer noch rätselhaften Krankheit gestorben war, hockten sie dort und hofften, die wenigen Medikamente, die er, Bender, hatte, würden helfen. Aber ganz im Gegenteil – die Krankheit begann um sich zu greifen.
Ein Windhauch ging über die Gebäude der Agentur hinweg und bewegte träge die US Fahne am hohen Mast.
Josuah Bender nahm das kaum wahr. Während er noch den Apachen zuschaute, die Holz für ein Feuer zusammentrugen, weilten seine Gedanken bei Jane, seiner Frau, deren wirre Reden er durch die offene Tür aus der Kammer herüberschallen hörte. Der Fünfundfünfzigjährige kratzte sich im grauen Kinnbart und zermarterte sich gleichzeitig den Kopf, was er noch tun könne.
Seine Frau zeigte die gleichen Erscheinungen wie die kranken Indianer. Dabei schienen sie alle zusammen noch vor wenigen Tagen kerngesund gewesen zu sein.
Josuah Bender schüttelte den Kopf, weil er das nicht verstand. Solange er denken konnte, waren sowohl seine Frau als auch die Indianer strotzend gesund gewesen. Als Erklärung bot sich an, dass sie mit irgend etwas Kontakt gehabt hatten, was dann die Ansteckung verursacht hatte. Als wäre gar nicht der eine vom anderen, sondern alle von etwas Fremdem infiziert worden.
Die Frau war still geworden.
Draußen trugen die Indianer immer noch Holz zusammen. Sie hatten also vor, auch die nächste Nacht am Rande des Gestrüpps vor den Bergen zu verbringen, was anzeigte, dass sie immer noch auf seine Medizin hofften. Tatsächlich hatten sowohl die fiebersenkenden Mittel als auch die Kräuterpackungen und der Tee, den er gekocht hatte, nichts gegen das Fortschreiten der Krankheit ausgerichtet.
Er hörte das wirre Phantasieren seiner Frau immer noch nicht wieder.
Bei den Apachen kramte der Medizinmann ein langes, mit Zeichen bemaltes Gewand, Bambusumhang, Büffelzahnkette und Federbusch aus einem Ledersack.
Bitter verzog Josuah Bender das Gesicht. Wenn sie zu den alten Ritualen zurückkehrten, konnte das nur bedeuten, dass auch ihnen die Wirkungslosigkeit der verabreichten Mittel klar geworden war und neue Hilfe von den Götzen und Geistern kommen sollte.
Allmählich beunruhigte den Indianeragenten die Stille im Haus. Er schaute über die Schulter und erkannte die einen Spalt offenstehende Kammertür.
„Jane?“, fragte er.
Das Wort schien nachzuhallen.
Josuah Bender wandte sich um. Unter seinen derben Stiefeln knarrten die Dielenbretter laut und ächzend, wie er es niemals zuvor wahrgenommen hatte. Er zog die Tür weiter auf und sah die Frau. Da eine Decke am Fenster hing, um die größte Hitze fernzuhalten, ließen sich nur Umrisse erkennen. Sie schien eingeschlafen zu sein.
„Vielleicht ist doch noch Hoffnung.“ Bender kehrte ans Fenster zurück.
Die Apachen zündeten das Feuer an, obwohl es noch heller Tag und sehr heiß war. Ihr Medizinmann setzte sich mit gekreuzten Beinen auf eine alte Decke, legte die Hände auf die Knie und starrte in die Flammen. Dünner Rauch wehte über seinen Federbusch. Hinter ihm hockten die übrigen Indianer. Zwei Kranke lagen gegenüber.
Das Ritual begann erst und würde bestimmt die halbe Nacht durch an halten. Im Moment bedeutete es für die armen Leute neue Hoffnung. Hilfe würden sie dadurch nicht erhalten. Aber da Josuah Bender wusste, dass ihnen der alte Götzenglaube nicht ausgeredet werden konnte, würde er nichts unternehmen und die Kranken auch nicht weiterhin mit seinen Mitteln traktieren. Nicht in dieser Stunde und der nächsten Nacht, sonst lasteten sie es noch ihm an, dass keine Besserung eingetreten war, weil er die Zeremonie gestört hatte.
Die Stille im Haus lenkte ihn abermals ab. Wieder schaute er über die Schulter, wandte sich um und ging zur Kammertür.
Die Frau lag still im Bett.
Bei den Indianern ertönten dumpfes Trommeln und tiefsinniger Gesang, der die Götzen beschwor.
Bender trat über die Schwelle, näherte sich der stillliegenden Frau und berührte ihre gefalteten Hände. Sie fühlten sich kalt an. Und seltsam starr schauten die Augen zur Decke.
Eisiges Erschrecken durchzuckte den Indianeragenten. Mit zwei weiteren Schritten erreichte Bender das Fenster und riss die Decke herunter. Grelles Sonnenlicht fiel ins Zimmer und traf die Gestalt im Bett. Und als Josuah Bender wieder neben ihr stand, sah er, dass sie Schrecken, Schmerz und Leid hinter sich zurückgelassen hatte. Glasig blickten die Augen ins Nichts.
Josuah Bender schien es, als begänne sich alles im Kreise zu drehen, als wanke der Boden und die Hütte stürze ein. Obwohl er auf ein solches Ende des Dramas gefasst sein musste, traf es ihn wie ein Schlag.
Er wankte aus der Kammer, durchquerte den Stationsraum, stieß die Tür auf und lief durch den knirschenden Sand auf die Indianer zu.
Der Medizinmann hatte sich erhoben und führte im Rauch des Feuers seltsam unbeholfen anmutende Tanzbewegungen aus, wobei er zwei Bambusstäbe rhythmisch zusammenschlug.
Andächtig zusammengesunken, den Blick in den Sand gerichtet, verharrten die übrigen abgerissenen Gestalten. Die großen Topfhüte verbargen die Gesichter.
Das Gestrüpp raschelte, als der Stationer es streifte. Obwohl die Apachen es hören mussten, schaute keiner auf. Der Medizinmann blickte Bender direkt an, unterbrach die Zeremonie aber nicht.
Josuah Bender blieb stehen.
„Meine Frau ist tot“, sagte er hohl.
Da sanken die Arme des Medizinmannes nieder, und die übrigen Apachen hoben die Köpfe.
„Sie ist gestorben. Ganz plötzlich. Vor ein paar Minuten muss es gewesen sein.“
„Manitou ist zornig“, murmelte der Medizinmann.
Bender drehte sich um und kehrte zur Station zurück. In der Kammer drückte er der Toten die Augen zu, kniete neben dem Bett nieder und betete, was er seit vielen Jahren nicht mehr getan hatte. Als er den Kopf hob, standen die abgerissenen Apachen an der Kammertür.
Bender erhob sich. Er durfte sich im Schmerz nicht gehenlassen, trug er doch auch für die Indianer die Verantwortung.
„Lasst uns gemeinsam das Lager räumen. Den letzten Schuppen. Für eure Kranken ist es besser, wenn sie ein Dach über dem Kopf haben.“
Mit den Apachen verließ er die Station, führte sie zu dem Schuppen, in dem er seit Jahr und Tag nichts als wertlos gewordenes Gerümpel aufbewahrte, und räumte ihn mit ihrer Hilfe aus.
Sie trugen die Kranken hinein. Bender holte an Lebensmitteln, was er nur entbehren konnte, und verteilte noch einmal das weiße Pulver, das am Anfang so gut gegen das Fieber gewirkt hatte. Indessen schienen sich die ausgemergelten Körper immer schneller daran zu gewöhnen. Bender sah keine Besserung eintreten und erkannte außerdem die Skepsis, mit der der Medizinmann sein Tun beobachtete.
Er verließ den Schuppen, holte den Spaten und die Hacke und begann hinter der Station ein Grab auszuheben.
Das aufgeregte Gackern eines Huhns ließ Josuah Bender aus der dumpfen Lethargie erwachen, die ihn nach der Beerdigung seiner Frau erfüllt hatte. Er saß am Tisch, hatte die Ellenbogen aufgestützt und das Gesicht in den Händen vergraben.
Lauter gackerte das Huhn und flatterte vor den kleinen Fenstern in die Höhe. Ein Messer blitzte in den letzten Sonnenstrahlen, die bereits fast waagrecht über das Land fielen. Pochend fuhr die Klinge in die Wand.
Bender sprang auf, hastete zur Tür und riss das Gewehr vom Wandbrett. In dem Glauben, ein Überfall fände statt, trat er die Tür auf und repetierte das Gewehr.
Im Hof jagte ein anderes Huhn halb fliegend über den Sand. Ein zweites Messer wirbelte blitzend hinterher. Das Tier wurde getroffen, flog gackernd bis zum Fahnenmast, prallte dagegen und stürzte auf den Boden.
Links von Josuah Bender standen die Apachen, mitten unter ihnen der geschmückte Medizinmann. Im Sonnenschein sah der alte Aufputz hässlich und morsch aus. Die Malerei war stellenweise von dem verblichenen Stoff geblättert, der obendrein Mottenfraß erkennen ließ. Nackte Federkiele steckten im Federbusch.
Drei Indianer hielten noch Messer in den Händen. Sie glichen denen, die das tote Huhn am Flaggenmast und die Wand getroffen hatten, und sie waren einmal durch seine, Benders, Hände gegangen.
Er ließ das Gewehr langsam sinken.
Der Medizinmann verließ die Apachen, holte das Huhn und kehrte mit seinen Kriegern zum Schuppen zurück.
Josuah kannte die Bedeutung ihres Vorgehens. Sie wollten das Ritual der Götterbeschwörung fortsetzen und ihnen ein Opfer bringen, um sie gnädig zu stimmen.
Mit dem Gewehr in der herabhängenden Hand kehrte er in die Station zurück. Am besten schien ihm, so zu tun, als wäre er nicht anwesend. Wenigstens die Nacht hindurch. Morgen wollte er noch einmal versuchen, mit intensiverer Behandlung eine Wende herbeizuführen. Seine Hoffnung auf Erfolg war Null. Aber resignieren durfte er nicht.
Bender legte das Gewehr aufs Wandbrett, kehrte an den Tisch zurück und setzte sich. Seine Gedanken wanderten zu der Frau zurück, mit der er so viele Jahre hier zusammengelebt und die ihn nun, gerade fünfundfünfzig geworden, so plötzlich verlassen hatte.
Der Schmerz lag wie eine zentnerschwere Last auf seinen Schultern. Die Vorstellung, allein in der Agentur leben zu sollen, erschien ihm ungeheuerlich.
Vor dem alten Schuppen trugen die Indianer Holz zusammen und schichteten einen neuen Haufen übereinander.
Bender beobachtete sie dabei und dachte wieder über das rätselhafte Zusammentreffen der Krankheit bei seiner Frau und bei den Indianern nach. Es musste einen Zusammenhang geben. Es konnte kein Zufall sein, dass mehrere gleichzeitig und nahezu am selben Ort so schwer erkrankt waren und sie schon zwei Tote zu beklagen hatten.
„Es gibt etwas, woher die Ansteckung rührt“, murmelte der Indianeragent. „Etwas, das hier in der Nähe zu finden sein muss.“
Er schaute sich um, als müsse direkt in seinem Blickfeld ein Gegenstand auftauchen, der verdächtig war. Aber da standen nur die alten, vertrauten Gegenstände, mit denen seine Frau immer hantiert hatte.