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Wie kann ich dir verzeihen, wenn du keine Schuld hast?

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Warum möchte mein Papa, dass ich ihm verzeihe, obwohl er mich nicht verletzt hat?

— Maria, eine elfjährige Klientin

Echte Vergebung findet sich am häufigsten im ruhigen Zentrum des Orkans der Anschuldigungen. Dieses Paradoxon ist Teil einer größeren Ironie, die die menschliche Fähigkeit, sich »gut« zu fühlen, untrennbar mit der Notwendigkeit verbindet, sich manchmal »schlecht« zu fühlen.

Wer nie traurig ist, weiß nicht, was Freude ist. Wer nie wütend ist, empfindet selten echte Liebe. Wer ständig vor seiner Angst davonläuft, entdeckt nie seinen Mut. Und wer sich weigert, Anschuldigungen zu erheben, wird niemals wirklich Vergebung empfinden. Ken Wilber, ein moderner Weiser der transpersonalen Psychologie, stellt fest:

Wenn wir versuchen, die Gegensätze zu trennen und an denen festzuhalten, die wir positiv beurteilen, wie Vergnügen ohne Schmerz, Leben ohne Tod … streben wir tatsächlich nach Phantomen ohne die geringste Realität. Wir können genauso gut nach einer Welt von Gipfeln ohne Täler, Käufern ohne Verkäufer, Linken ohne Rechte sowie Innen ohne Außen streben.

Als Gegenteil von Vergebung wird die Anschuldigung in spirituellen und therapeutischen Kreisen weitgehend »pathologisiert«. Die meisten Experten zum Thema Vergebung scheinen die Unterschiede zwischen gesunder und dysfunktionaler Schuldzuweisung zu übersehen.

Wenn wir die Schuldzuweisung leichthin aus unserem Bewusstsein verbannen, entdecken wir nie ihren enormen Wert als Instinkt. Schuldzuweisungen sind wichtige Voraussetzungen, um Nein sagen zu können, Grenzen zu setzen, gegen Ungerechtigkeit zu protestieren und unsere Grenzen zu verteidigen. Wir werden uns nie sicher fühlen, wenn wir keine Vorwürfe erheben wie »Hör auf, du tust mir weh!«, »Beschimpf mich nicht« und »Nein, das kannst du nicht mitnehmen – es gehört mir!« Solche reflexartigen Vorwürfe sind ein wesentlicher Beitrag der Gefühlsnatur zum Instinkt des Selbstschutzes.

Dysfunktionale Eltern unterdrücken gewöhnlich den Instinkt ihrer Kinder, unfaire Elternpraktiken – und damit auch alles schlechte Verhalten – zu kritisieren, sobald es auftaucht. In unserer Kultur erleben Kinder, die ihre Eltern infrage stellen, die extremsten Konsequenzen. Die meisten Notaufnahmen von Krankenhäusern haben täglich mit der Gewalt zu tun, die Eltern an Kindern verüben, die Nein sagen oder widersprechen.

Selbst Eltern, die behaupten, grundsätzlich gegen körperliche Bestrafung zu sein, reagieren manchmal reflexartig auf das Nein ihres Kleinkindes, indem sie es am Arm packen, es in die Luft reißen oder ihm mit voller Wucht auf den Po schlagen. Können Sie sich vorstellen, wie Sie sich fühlen würden, wenn plötzlich jemand, der dreimal so groß ist wie Sie, neben Ihnen auftauchen und Sie so grob behandeln würde?

Viele von uns haben auch Angst, Kritik zu äußern, weil man sich von ihnen in der Kindheit auf traumatische Weise abgewendet hat, wenn sie die elterliche Ungerechtigkeit infrage gestellt haben. Viele von uns haben die typische Strafmaßnahme erlitten, von einem vor Wut schäumenden Elternteil aus der Tür gestoßen zu werden (manchmal mit einem gepackten Koffer), begleitet von den Worten: »Geh mir aus den Augen! Wenn es dir hier bei uns nicht gefällt, dann such dir einen anderen Platz zum Leben!«

Wenn es Kindern nicht erlaubt ist, das schlechte Verhalten ihrer Eltern zu kritisieren, wenden sie sich in der Regel gegen andere und / oder gegen sich selbst. Wenn wir unsere Vorwürfe nicht an der richtigen Stelle loswerden, werden wir oft unbewusst dazu gezwungen, jemand anderen zu kritisieren und zu verletzen. Dr. George R. Bach und Dr. Herb Goldberg beschreiben die Folgen:

Viele der bekannten Formen von verdrängter Aggression – wie das Sündenbock-Syndrom, Schikanierung, Vorurteile und Grausamkeit – sind Nebenprodukte aggressiver Gefühle, die zuerst innerhalb der Familie gefühlt, aber unterdrückt wurden. Jemand anderem Schmerzen zuzufügen beweist zumindest, dass ich auf jemanden schädigend einwirken kann. Wenn ich schon niemanden mögen oder berühren kann, dann kann ich durch emotionale Schmerzen zumindest ein gewisses Leid erregen. So kann ich wenigstens dafür sorgen, dass wir beide etwas fühlen …

Das Sündenbock-Syndrom ist eine Form deplatzierter Schuldzuweisungen. Wilhelm Reich beschreibt in Die Massenpsychologie des Faschismus brillant die Folgen fehlgeleiteter Schuldzuweisungen.

Es gibt viele faschistische Subkulturen in unserer Gesellschaft. Fast jede Minderheitengruppe (einschließlich Kinder) leidet unter grausamen Akten des Sündenbock-Syndroms und unter Vorurteilen. Reich weist darauf hin, dass die Subkulturen in dem Maße faschistisch sind, wie sie eine absolute, bedingungslose Ehrung ihrer Führer erfordern. Ähnlich sind Familien in dem Maße faschistisch, wie die Eltern autokratisch sind. Eltern, die nicht gegen das Fehlverhalten ihrer Führer protestieren können, machen ihre Kinder häufig zum Sündenbock, und Kinder, die ihre Eltern nicht beschuldigen können, verlagern ihre Wut auf die gesellschaftlich anerkannten Zielscheiben ihrer Subkultur.

Ob wir nun unsere Schuldzuweisungen durch das Sündenbock-Syndrom unbewusst ausleben oder nicht, so geben sich doch die meisten von uns zu Unrecht selbst die Schuld für die Defizite, an denen sie wegen ihrer schlechten Erziehung leiden. Wir machen uns selbst zum Sündenbock, anstatt in Erwägung zu ziehen, dass unsere Eltern uns vielleicht gravierend verletzt haben, zumal das Klagen über schlechte Erziehung eines der letzten Tabus unserer Kultur ist.

Der renommierte Psychologe Erik Eriksen weist darauf hin, dass Schuldgefühle zu Scham werden, wenn sie sich gegen das Selbst richten, und viele von uns leiden unter unendlichen Schüben von toxischer Scham, weil unsere nach innen gekehrten Anschuldigungen permanent Selbsthass erzeugen.

Solange wir nicht verstehen, in welchem Ausmaß unser gegenwärtiger Schmerz auf ungeklärte Verluste in der Kindheit zurückzuführen ist, sind wir anfällig dafür, die falsche(n) Person(en) für unsere Probleme verantwortlich zu machen. Kapitel 7 ist ein Ansatz für Schuldzuweisungen, der die Notwendigkeit eines Sündenbocks und der Hexenjagd überflüssig macht und es uns erlaubt, unsere Schuldzuweisungen auf eine Weise zu fühlen und auszudrücken, die uns, unsere Eltern oder Unbeteiligte nicht verletzt.

Wenn Sie einschätzen möchten, ob Sie durch Ihre eigenen Schuldzuweisungen vergiftet wurden, schließen Sie Ihre Augen und nehmen Sie Ihre innere Erfahrung wahr, während Sie versuchen, sich daran zu erinnern, wie Sie Ihre Eltern herausgefordert haben. Vielleicht erinnern Sie sich nicht daran, dass Sie sich ihnen widersetzt haben. Vielleicht hat Ihre ganze »Demütigung« zu einem frühen Zeitpunkt stattgefunden, an den Sie sich überhaupt nicht erinnern können. Trotzdem sind Sie vielleicht im Inneren immer noch verspannt, fühlen sich schuldig oder tadeln sich sogar bei dem Gedanken oder der Vorstellung, Ihre Eltern wegen irgendetwas infrage gestellt zu haben.

Oder vielleicht erinnern Sie sich an Traumata, die sich ereignet haben, als Sie mit Ihren Eltern nicht übereinstimmten. Wenn Sie bei dieser Übung Verlust oder Kummer empfinden, hoffe ich, dass es Sie dazu motiviert, Ihr Verhältnis zu Anschuldigungen gründlicher zu untersuchen.

Das Tao der Gefühle

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