Читать книгу Das Tao der Gefühle - Pete Walker - Страница 17
Verleugnung verschleiert Selbstschädigung
ОглавлениеWas immer dem bewussten Zugang verweigert wird, beeinflusst das Individuum ohnehin weiter – aber über unbewusste Prozesse.
— Carl Jung
Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass wir in unserem Kampf gegen psychische Erkrankungen nur eine einzige beständige Waffe haben: die emotionale Entdeckung und emotionale Akzeptanz der Wahrheit über die individuelle und einzigartige Geschichte unserer Kindheit.
— Alice Miller
Wenn wir nicht aus der Verleugnung erwachen, werden wir vielleicht nie erkennen, dass wir uns oft genauso hart behandeln, wie es unsere Eltern getan haben. Kinder lernen durch Nachahmung, und erwachsene Kinder aus dysfunktionalen Familien erfahren viel unnötiges Leid durch erlernte Selbstmisshandlung und Vernachlässigung.
Anfang dieses Monats habe ich mich zum x-ten Mal bei einer erlernten Selbstschädigung ertappt. Es war ein Samstagnachmittag, ich war sehr entspannt bei der Vorbereitung des Essens und hörte meine Lieblingsmusik. Ich genoss die Gerüche und Texturen der Gewürze und Kräuter, die ich gerade zerschnitten und gemahlen hatte, und begann damit, das Fett von einem kleinen Stück Steak abzuschneiden.
Plötzlich merkte ich, dass sich mein gemütliches Tempo stark beschleunigte. Entsetzt wurde mir bewusst, dass ich durch die Küche hetzte wie ein Koch, der vielleicht gefeuert würde, wenn er mit dem Abendessen des Chefs zu spät käme.
Zum Glück hatte ich durch meine Genesungsarbeit genug gelernt, um innezuhalten, mich innerlich zu konzentrieren und zu begreifen, was vor sich ging. Ich merkte sofort, dass ich mich sehr ängstlich, ungeduldig und gereizt fühlte und dass sich mein Magen zu einem riesigen Knoten zusammengezogen hatte. Die Musik war fast unhörbar in den Hintergrund getreten, mein Appetit war verschwunden und ich konnte es kaum erwarten, mein Essen fertig zu kochen. Auf einmal schien eine Liste unwichtiger Aufgaben wie ein »trotziges« Kleinkind nach meiner unmittelbaren Aufmerksamkeit zu schreien.
Als ich mich weiter auf mein inneres Erleben einließ, bemerkte ich, dass das Selbstgespräch in meinem Inneren entsetzlich feindselig war. Plötzlich dämmerte es mir, dass der Akt des Fettabschneidens bei mir einen emotionalen Flashback ausgelöst hatte (siehe Kapitel 4). Unter dem Einfluss dieses Flashbacks erlebte ich die furchtbare Angst, dass mein Vater am Tisch meinetwegen ausrasten würde.
Bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, dass ich mich mit ihm zusammengetan hatte und in einem internen Sturm der Selbstbeschimpfung feststeckte. Ich schnauzte mich an, mit der ganzen Litanei an Kritikpunkten, mit der er mich bei fast jedem Familienessen attackiert hatte. Kaum wahrnehmbar, an der Schwelle des Bewusstseins, schreckte ich vor dem Echo einer Schmährede zurück, die ich so oft von ihm gehört hatte:
Was glaubst du, wer zum Teufel du bist, dass du so wählerisch sein kannst? Du wirst das Fett essen, sonst zwinge ich dich dazu, es zu essen. Du musst immer eine Extrawurst haben. Warum kannst du nicht wie alle anderen sein? Wenn du nicht aufhörst, mit dem Fleisch herumzuspielen, schlage ich dich windelweich.
Schlimmer noch als diese Wiederholung seiner schikanierenden Rede waren die schreckliche Angst und Besorgnis, die durch diese Worte wieder ausgelöst wurden. Innerhalb von Sekunden brachte mich die harmlose Verletzung einer ungerechtfertigten Regel aus der Kindheit – die seit über dreißig Jahren keine Anwendung gefunden hatte – dazu, es mir nicht mehr gut gehen zu lassen, sondern mich so sehr zu hassen, dass ich nicht schnell genug von mir wegkommen konnte.
Glücklicherweise konnte ich diesen Prozess aufgrund der Genesungsarbeit, die ich zu diesem Thema geleistet hatte, hinterfragen (siehe Kapitel 7). Ich kehrte den Prozess um, indem ich wütend auf die lächerliche Regel meines Vaters bezüglich Fleischfett verzichtete und stattdessen zu einem bestätigenden, positiven Selbstgespräch überging. Als meine Wut diese erlernte Selbstschädigung zum Stillstand gebracht hatte, spürte ich eine große Welle der Trauer über die unzähligen Male, die ich mir selbst wehgetan hatte, indem ich seine auswendig gelernten Verurteilungen nachplapperte.
Wie viele Tausend Male zuvor war ich unbewusst in den »Selbstzerstörungsmodus« abgerutscht. Wie oft war meine entspannte Freude an einer Aufgabe sofort dadurch unterbrochen worden, dass ich das Urteil meiner Eltern wiederholte, es nicht richtig gemacht zu haben? Wie oft hatte ich mich nicht getraut, etwas auszuprobieren, weil ich ihre widerhallenden Sticheleien zuließ, dass ich »zu nichts gut sei«?
Kein Wunder, dass ich früher so sehr unter Leistungsangst litt. Kein Wunder, dass ich nie einen Moment der Ruhe finden konnte. Ich wurde ständig von den mentalen und emotionalen Schmerzen dieser unaufhörlichen Selbstmisshandlung verfolgt. Meine einfachsten Gedanken und Handlungen waren ständig dieser grausamen, harten Missbilligung unterworfen. Die Verleugnung des missbräuchlichen Verhaltens meiner Eltern machte mich blind dafür, dass ihre Kritik in mir ein Eigenleben entwickelt hatte. Das Leugnen machte mich machtlos, diese schädliche Indoktrination gegen mich selbst zurückzuweisen.
Ich bin unsagbar dankbar, dass die Arbeit an meiner Verleugnung mich in die Lage versetzt hat, diese Dynamik zu verstehen. Wie wohltuend erleichtert war ich, dass ich diesem unwillkommenen Eindringen der Vergangenheit abschwören, mich von der damit einhergehenden Angst durch Trauern lösen und mich wieder entspannt an die Fertigstellung meiner Mahlzeit machen konnte. Hätte ich nicht gewusst, wie ich mit dieser üblen Einmischung aus der Vergangenheit umgehen sollte, hätte ich wahrscheinlich ängstlich mein Essen runtergeschlungen, um mich für den Rest des Tages in ablenkende Aktivitäten zu stürzen, wie ich es in der Vergangenheit so oft getan hatte.
Ich glaube, dass viele Überlebende durch diese Art emotionaler Flashbacks und die sie begleitenden schädigenden Selbstgespräche aus ihrem inneren Gleichgewicht gerissen werden. Wenn wir uns unserer Verleugnung stellen und die Einzelheiten unserer Einschüchterung und Kontrolle erkennen, können wir damit beginnen, die Angewohnheit zu überwinden, die Verachtung unserer Eltern nachzuahmen.