Читать книгу Das Tao der Gefühle - Pete Walker - Страница 18

Vorschnelle Vergebung und Schuld

Оглавление

Vorschnelle Vergebung ist die Entscheidung, unseren Eltern zu vergeben, bevor wir das Ausmaß des Schadens, den sie uns zugefügt haben, gründlich erfasst haben. Diese Entscheidung bringt den Genesungsfortschritt meist zum Stillstand, da sie das Abrufen von Erinnerungen blockiert, die wir brauchen, um uns konkrete Ziele für unsere Genesung zu setzen. Vorschnelle Vergebung ist falsche Vergebung, weil sie nicht auf der Basis von Genesungsarbeit stattfindet, die erforderlich ist, damit Vergebung emotional echt ist.

Falsche Vergebung lässt uns in dem Glauben, dass unser schlechtes Selbstbild und unser gehemmter Selbstausdruck eher angeborene Charakterfehler als Produkte schlechter Erziehung sind. Sie zwingt uns dazu, den Schmerz dieser Zustände zu verharmlosen und ständig in ungelöster Kindheitskrise und schlechtem Selbstwertgefühl zu verharren.

Vorschnelle Vergebung ist häufig eine reflexartige Reaktion auf die intensiven Vorwürfe, die hochkommen, wenn wir unsere Verleugnung der Vergangenheit zum ersten Mal infrage stellen. Den meisten von uns wurde eingeimpft, dass nur in übler Weise undankbare Kinder die Erziehungsleistung ihrer Eltern infrage stellen.

Viele Überlebende aus dysfunktionalen jüdischen und christlichen Familien wurden ebenfalls in der Weise indoktriniert, dass das Klagen über die eigenen Eltern eine Sünde sei – ein Verstoß gegen das »heilige« vierte Gebot: »Ehre deinen Vater und deine Mutter.« Die Nonnen haben mir immer wieder gesagt, dass es in der Hölle einen besonderen Platz für diejenigen gibt, die »schlechte« Gedanken oder Gefühle für ihre Eltern haben.

Viele erwachsene Kinder fühlen sich sehr unbehaglich, wenn sie das erste Mal die nicht-idealisierte Wahrheit über ihre Eltern aussprechen. Die bloße Schlussfolgerung, dass unsere Eltern uns gegenüber ihre Pflicht vernachlässigt haben, kann uns das Gefühl geben, dass wir kurz davor stehen, vom »Zorn Gottes« vernichtet zu werden.

Ich glaube, das vierte Gebot ist uns in einer sehr repressiven, dogmatischen Form überliefert worden. Es ist ein Zerrbild jüdisch-christlicher Sitten, wenn das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, so häufig zu der unwidersprochenen Akzeptanz nicht tolerierbaren Verhaltens verzerrt wird. Es ist, als ob das Gebot eigentlich sagt: »Ehre deinen Vater und deine Mutter, egal wie sehr sie dich verletzen.«

Bei der Vorstellung, dass viele Überlebende aus blinder Treue zu diesem Gebot ihre Kinder der »Obhut« der noch immer misshandelnden Großeltern überlassen, zucke ich innerlich unweigerlich zusammen. Ich bin einer Reihe von Überlebenden begegnet, die durch ihre eigene Verleugnung so benommen sind, dass sie ihre Kinder mit demselben Elternteil allein lassen, der sie in der Kindheit misshandelt hat. Ich denke, das vierte Gebot sollte neu übersetzt werden als »Ehre deinen Vater und deine Mutter, wenn sie dich ehren«.

Das Tao der Gefühle

Подняться наверх