Читать книгу Das Tao der Gefühle - Pete Walker - Страница 8
Einleitung
Оглавлениеweil fühlen zuerst kommt
wer sich kümmert
um die syntax der dinge
wird nie voll dich küssen;
— E.E. Cummings
Die Industriegesellschaften werden so seelenlos wie ihre maschinellen Idole, die sie über die Menschlichkeit stellen. Industriegesellschaften behandeln Gefühle, als wären sie veraltete Teile. Das Tao der Gefühle ist eine Anleitung zur Rückgewinnung des emotionalen Reichtums, dessen wir in der Kindheit beraubt wurden, so wie in unserem Land Holz und Kohle abgeschafft wurden.
Das Tao der Gefühle entstand aus meinem persönlichen Kampf und dem meiner Klienten und Freunde, unsere Gefühle zurückzugewinnen. Das Buch ist eine Einladung, zu erfahren, wie Fühlen und das Zeigen von Gefühlen unsere Werte auf natürliche Weise beeinflussen, sodass Liebe und Vertrautheit wieder über materielle Güter und Konsum gestellt werden.
Das Tao der Gefühle konzentriert sich stark auf die dysfunktionale Familie, denn dort wird das gesellschaftliche Diktum gegen das Fühlen am strengsten durchgesetzt. Ich stimme mit John Bradshaw überein, dass unsere Kultur von einer Epidemie des Versagens elterlicher Erziehung befallen ist.
Meine Aussagen über familiäre Dysfunktionalität stimmen mit einer Reihe aktueller Bücher überein, deren Titel allein schon den Zusammenbruch der Institution der Elternschaft in unserer Kultur widerspiegeln: Das Drama des begabten Kindes; Betrayal of Innocence [Verrat der Unschuld]; The Secret Everyone Knows [Das Geheimnis, das jeder kennt]; Hearts That We Broke A Long Time Ago [Herzen, die wir vor langer Zeit gebrochen haben]; Soul Murder: Persecution in the Family [Seelenmord: Schikane in der Familie]; After The Tears: Reclaiming the Personal Losses of Childhood [Nach den Tränen: Die persönlichen Verluste der Kindheit zurückgewinnen]; Getting Divorced From Mother And Dad [Trennung von Mutter und Vater]; Wenn Scham krank macht; My Name Is Chellis, I’m in Recovery from Western Civilization [Mein Name ist Chellis, Ich befinde mich im Genesungsprozess von der westlichen Zivilisation]. Familiäre Dysfunktionalität ist in unserer Gesellschaft so alltäglich und normal, dass sie nicht leicht zu erkennen ist. Paradoxerweise ignorieren diejenigen, die in ihrer Kindheit nicht unter massiver körperlicher Gewalt gelitten haben, am ehesten die schädlichen Auswirkungen ihrer Kindheit. Dennoch wurzeln die meisten Leiden von Erwachsenen, die mir als Psychotherapeut begegnet sind, auf nicht-physischen Formen von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung.
Die häufigste Form des Leids von Erwachsenen ist Selbsthass, und der Gegenstand dieses Hasses sind in der Regel unsere Gefühle. Die meisten von uns wurden in sehr jungen Jahren attackiert, beschämt oder abgelehnt, weil sie Emotionen gezeigt haben. Vor der Zeit unserer Erinnerung waren die meisten von uns schon gezwungen, auf unsere Gefühle zu verzichten und uns dafür zu hassen, dass sie hatten. Dieses Buch bietet praktische Ratschläge, um diese unbewusste, selbstzerstörerische Angewohnheit zu durchbrechen.
Die Perspektiven und Ratschläge, die ich hier anbiete, basieren auf vielfältigen Lebenserfahrungen und Studien. Mein persönlicher Weg der emotionalen Genesung ist damit verwoben. An den Anfang möchte ich eine irritierende Beobachtung stellen, nämlich dass die US-Armee auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges für mich ein wärmeres, fürsorglicheres Zuhause war als mein Elternhaus.
Diese überraschende Erkenntnis gewann ich durch eine Reihe von wiederkehrenden Träumen, in denen ich mich wiederholt freiwillig zur Armee gemeldet habe und in denen ich glücklicher und erfüllter war als jemals im echten Leben.
Diese Träume verwirrten mich all die zehn Jahre, in denen sie auftraten. Wenn sie Albträume gewesen wären, hätten sie vollkommen Sinn für mich gemacht, denn ich wollte nie in die Armee. Jegliche Vorstellung, dass die Armee für mich von irgendeinem Nutzen sein könnte, war undenkbar. In der Zeit, als ich dort festsaß, sehnte ich mich unendlich nach dem Ende meiner Dienstzeit.
Diese Träume haben mich so konfus gemacht, dass ich gelegentlich betete: »Bitte, Gott, sag mir, dass es nicht bedeutet, dass ich mich wieder verpflichten soll!«
Schließlich begann ich diese Träume zu verstehen, indem ich meine Erfahrungen in der Armee mit dem Leben in meiner Familie verglich. Die Ausbilder und Offiziere, die mich zu einem Kampfzugführer schulten, waren verbal und emotional auf gleiche Weise missbräuchlich wie meine Eltern. Auch die drohende Gefahr von körperlicher Gewalt war mir bekannt, wenngleich mein Kriegsdienst entlang der koreanischen entmilitarisierten Zone (EMZ) wesentlich weniger gefährlich war als in Vietnam.
In der Armee war es jedoch anders als in meiner Familie, denn ich bin nie wirklich körperlich angegriffen wurde, wohingegen körperliche Misshandlungen bis zu meinem Teenageralter zu Hause andauernd vorkamen.
Während ich über diese Differenzierung nachdachte, entdeckte ich weitere wichtige Unterschiede zwischen der Armee und meiner Familie. Sobald die relativ kurze erniedrigende Anfangsphase der Ausbildung abgeschlossen war, erwies sich die Armee als deutlich angenehmer als meine Familie. Im Gegensatz zu meiner Familie boten mir klar definierte Regeln die Möglichkeit, »es richtig zu machen«, mich einzufügen sowie Wertschätzung und Respekt zu erlangen.
Das Leben in der Armee war kein ständiger Irrgarten von Doppelbotschaften und No-win-Situationen. Und obwohl es im Dienst zahlreiche unangenehme und gefährliche Situationen gab, erlebte ich viele Phasen, die sicher und frei von drohenden Angriffen waren. Selbst die berüchtigte stressige Grundausbildung bot für mich insgesamt mehr Sicherheit als meine Familie! Welch glückliche und erleichternde Erfahrung war es, in der Messe zu essen, ohne von der Person neben mir plötzlich angeschrien oder geschlagen zu werden, wie es so oft bei Mahlzeiten in meiner Familie geschehen war! Ich entspannte mich so weit, dass ich mein Essen besser verwerten konnte, und ich nahm in den ersten sechs Monaten gesunde dreißig Pfund zu.
Ich habe dort auch viele Freunde gefunden, die mich schätzten. Ich glänzte bei der Erfüllung von Aufgaben, die mir zugewiesen wurden, und wurde für meine Leistung belohnt. Mein Selbstvertrauen und meine Durchsetzungskraft wuchsen sprunghaft an und ich begann zu glauben, dass ich vielleicht doch noch ein bisschen Wert habe. (Das bedeutet nicht, dass ich sofort von dem Glauben geheilt wurde, der bei vielen erwachsenen Kindern verbreitet ist, dass mein Erfolg nur ein Zufall war. Die meiste Zeit dachte ich, ich würde meine Vorgesetzten nur täuschen und dass sie, wenn sie mein wahres Ich entdeckten – das fehlerbehaftete, das meine Eltern ohne große Schwierigkeiten erkannt hatten –, mich schnell in eine niedrigere Position degradieren würden. Ich war immer noch mit dem berüchtigten »Hochstapler-Syndrom« behaftet, das die Erfolge vieler erwachsener Kinder verdirbt.)
Als ich diese Träume verstand, hörten sie auf. Ihre Funktion war erfüllt, sobald sie den allmählichen Zerfall meiner »idyllischen Kindheit«-Illusion einleiteten.
Zu dieser Zeit studierte ich Psychologie, Soziologie und Anthropologie an der Universität. Meine Studien beschleunigten die Auflösung meiner Illusion von meiner »perfekten« Familie. Ich entdeckte eklatante Beweise dafür, dass westliche Erziehungspraktiken seit der Industriellen Revolution kontinuierlich weitergegeben wurden. Schließlich kam ich zu der Überzeugung, dass die meisten amerikanischen Familien das Ideal der perfekten Familie aus der beliebten Fernsehserie The Brady Bunch Lügen strafen.
Meine Ansicht, dass wir unter einer Erziehungskrise leiden, gründet auch auf den Erfahrungen der sechs Jahre, die ich mit oder in der Nähe von Menschen aus nicht industrialisierten Gesellschaften verbracht habe: drei Jahre in Afrika und Asien sowie drei Jahre in der Nähe eines Aborigines-Reservats im Norden Australiens.
Beim Vergleich der vor- und nachindustriellen elterlichen Erziehungspraktiken scheint es offensichtlich, dass westliche Eltern den Kontakt zu ihren emotional geprägten elterlichen Instinkten verloren haben. Allein dieser Faktor verursacht bei den meisten unserer Kinder eine Menge unnötiger und unbeabsichtigter Verletzungen und Entbehrungen. Diese Beobachtung zeigt sich deutlich in der Reaktion der kalifornischen Ureinwohner auf die ersten westlichen Siedler. Sie waren vom mangelnden Mitgefühl der Europäer ihren Kindern gegenüber so sehr betroffen, dass Sie sie verächtlich als »die Leute, die ihre Kinder schlagen« bezeichneten.
Unzählige Erlebnisse machten mich neidisch auf die Beziehungen der Eltern und Kinder in »primitiven« Kulturen. Eltern dieser Kulturen leiten ihre Kinder an und betreuen sie nach dem gesunden Menschenverstand, den wir schon lange aufgegeben haben, so wie viele unserer Gefühle und Instinkte. Alice Miller beschreibt den Erziehungsprozess, der uns unserer Gefühle beraubt, bevor wir uns ihrer bewusst sind und sie zu schätzen wissen:
… (Wir) haben alle die Kunst entwickelt, keine Gefühle zu empfinden, denn ein Kind kann seine Gefühle nur dann erleben, wenn es jemanden gibt, der es voll akzeptiert, versteht und unterstützt. Wenn das nicht gegeben ist und das Kind riskieren muss, die Liebe der Mutter oder ihres Stellvertreters zu verlieren, dann kann es diese Gefühle nicht heimlich »nur für sich selbst« empfinden, sondern überhaupt nicht.
Als ich eines Tages über die Betrachtung von Alice Miller nachdachte, kam mir dieses Gedicht in den Sinn:
Sie stumpfen meine Gefühle ab
Um die Blutung meiner Tränen zu stoppen
Und nun ertrinke ich allein in
Einem Pool, der seit Jahren verblutet ist.
Eltern in nichtindustrialisierten Gesellschaften lieben ihre Kinder auf eine Art und Weise, die jenseits der Fähigkeit der meisten westlichen Eltern liegt. So sehr wir uns auch aufrichtig bemühen, unsere Kinder zu lieben, wir scheitern gewöhnlich kläglich, weil wir von unserer emotionalen Natur getrennt sind. Ängstlich und beschämt über unsere Gefühle und unsere inneren Erfahrungen, haben wir keinen Zugang zu dem Teil unseres Selbst, wo liebevolle Gefühle entstehen.
Es gibt eine Geschichte der amerikanischen Ureinwohner, die den Mangel an Liebe in unserer Kultur hervorhebt. Ein westlicher Anthropologe, der bei den Hopi-Indianern lebte und sie studierte, bemerkte im Laufe der Zeit, dass die meisten Hopi-Lieder vom Wasser handelten. Eines Tages fragte er den Schamanen:
Wie kommt es, dass ihr so viel über Wasser singt? In meiner Kultur ist die Liebe das Thema, das am häufigsten in unseren Liedern zum Ausdruck kommt. Schätzt dein Volk die Liebe nicht?
Der Schamane dieser Wüstenkultur antwortete:
In meiner Kultur sind die Lieder häufig Gebete, und wir singen und beten für die wertvollen Dinge im Leben, von denen wir nicht genug haben. Liebe gehört nicht dazu.
Das Tao der Gefühe skizziert eine Reise zurück zu den Gefühlen und zurück zu authentischen, gefühlsbasierten Liebeserfahrungen. Wenn wir jemals wieder unsere natürliche Fähigkeit, unsere Kinder wirklich zu lieben, wiedererlangen wollen, müssen wir zuerst lernen, uns in all unseren emotionalen Zuständen selbst zu lieben. Wir beginnen damit, so absurd es auch erscheinen mag, indem wir uns selbst und anderen verzeihen, Gefühle zu haben! Wir erreichen dies, indem wir uns weigern, unseren Eltern nachzueifern – und zwar indem wir mit der von ihnen übernommenen Angewohnheit brechen, uns schuldig zu fühlen und uns für die meisten unserer Gefühle, mit denen wir dem Leben begegnen, zu schämen.
Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch helfen wird zu verstehen, dass Sie in der Kindheit schwere Verluste erlitten haben, falls auch Ihre Eltern sich an die Normen und Praktiken der modernen Erziehung gehalten und diese befolgt haben. Ich möchte Sie auf Anhang A hinweisen, der Ihnen helfen soll, eine sachkundigere Bewertung dieser Behauptung vorzunehmen.
Bei meinen Versuchen, mit meinen Emotionen zurechtzukommen, bin ich in vielen Sackgassen gelandet. Ich habe sie verdrängt, runtergeschluckt, in Alkohol ertränkt, bin abgehoben in Hanf-Schwaden, hungerte sie aus, begrub sie unter Nahrung, transzendierte sie in der Meditation, bin ihnen davongelaufen, überlistete sie durch Rationalisierung, exorzierte sie, übergab sie an höhere Wesen, verwandelte sie in etwas, das man nicht ernst zu nehmen hatte, und spürte sie sogar kurz, bevor ich sie in einer dramatischen Katharsis löschte, damit sie endgültig verschwanden.
Ich wurde bei meinen Bemühungen, dauerhafte Linderung von dem mich erdrückenden emotionalen Schmerz zu erreichen, durch eine Fülle von Selbsthilfebüchern, Workshops, praktischen Kuren, psychologischen Lehren und spirituellen Praktiken in die Irre geführt. Die meisten Sackgassen, die ich auf der Flucht vor meinen Gefühlen erforscht habe, hatten eine gemeinsame Eigenschaft: das Versprechen einer ewigen Transzendenz normaler emotionaler Zustände wie Wut, Trauer, und Angst.
Die schädlichsten waren jene, die versprachen, man könne dauerhaft »wünschenswerte« emotionale Zustände wie Glück, Liebe und Frieden erreichen. Ich erinnere mich lebhaft an die klägliche Enttäuschung, die ich erlebte, wenn die kurzlebigen positiven Wirkungen des einen oder anderen Ansatzes so hinfällig wurden, dass ich nicht mehr so tun konnte, als würde ich sie tatsächlich erleben. Immer wieder wurden Versprechungen von dauerhafter Zufriedenheit gebrochen, denn die negativen Emotionen, die eigentlich dauerhaft beseitigt werden sollten, kehrten unweigerlich zurück. Da es mir wieder einmal nicht gelungen war, mein Leiden zu überwinden (wie es anderen zu gelingen schien), begab ich mich – überwältigt von toxischer Scham –, unweigerlich auf eine weitere verzweifelte Suche nach einem neuen Allheilmittel für meine Gefühle.
Wie ungewöhnlich und überraschend, dass ich jetzt meine Gefühle nur noch akzeptieren muss! Manchmal kann ich kaum glauben, wie leicht es ist, sie einfach wahrzunehmen oder ihnen einen liebevollen Ausdruck zu verleihen. Bin ich wirklich die gleiche Person, die vor zwanzig Jahren zu diesen unzähligen Männern gehörte, die keine Ahnung von Gefühlen haben?
Ich möchte nicht behaupten, dass alle oben genannten Ansätze völlig wertlos sind. Einige davon sind nützliche Werkzeuge, sofern sie nicht dazu benutzt werden, Gefühle zu verbannen, und sie werden auch in mein vielschichtiges Konzept der emotionalen Genesung mit einbezogen.
Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch hilft, sich nicht zu schaden, wie ich es getan habe, indem ich mich naiv Lehren und Praktiken verschrieben habe, die dauerhaftes Glück garantierten. Es ist eine Sisyphusarbeit, wenn man auf diese Weise versucht »oben« zu bleiben, und man wird unweigerlich und unnötig unzufrieden mit sich selbst, egal, wie gut gemeint diese Ansätze sind oder wie hilfreich sie für den Moment sein mögen.
Thomas Moore bezeichnet in seinem Buch Der Seele Raum geben: Wie Leben gelingen kann das Streben nach dem Glück als »Erlösungsfantasie«. Sie ist ein verführerischer, nutzloser Umweg in unserer persönlichen Entwicklung. Sheldon Kopp betitelte sein Buch Triffst du Buddha unterwegs, um uns zu ermutigen, diesen Umweg zu vermeiden und uns vor der unnötigen Selbstsabotage des emotionalen Perfektionismus zu retten.
Die motivierenden, emotionalen Auswirkungen jeder Technik oder Lehre im Hinblick auf die persönliche Entwicklung, ganz gleich, wie gesund und gut gemeint sie sind, weichen zwangsläufig normalen, ebenso gesunden Erfahrungen von weniger erhabenen Gefühlen. In solchen Momenten kann es geschehen, dass sich diejenigen, die glauben, sie sollten unerschütterlich fröhlich und transzendent sein, für diese normale Fluktuation der Empfindungen von Glück und Gelassenheit schuldig fühlen, da sie vermeintlich von Natur aus fehlerhaft sind.
Der Mensch wurde nicht geschaffen, um sich im Dauerzustand einer bestimmten Empfindung zu befinden. Niemand wird uns weiter auf die Folterbank des emotionalen Perfektionismus binden. Wir können heruntersteigen und stattdessen realistischere emotionale Ziele anstreben. Ein unerschütterliches Selbstvertrauen, das nicht durch emotionale Schwankungen beeinträchtigt wird, ist etwas, das wir alle auf gesunde Weise anstreben und nach und nach erreichen können.
Es gibt viel zu viele spirituelle Führer und kognitive Verhaltenspsychologen, die uns den Weg in die falsche Richtung weisen, indem sie darauf bestehen, dass wir unangenehme Gefühle beseitigen können und sollten. Viele New-Age-Führer kredenzen fälschlicherweise das Konzept der Erleuchtung, als ob es ein dauerhaft erreichbarer schmerzfreier Zustand wäre. Während meiner fünfundzwanzigjährigen spirituellen Praxis und der zwanzig Jahre, die ich mit psychologischen Studien verbrachte habe, ist mir jedoch noch kein Guru, Therapeut, Lehrer oder Anhänger begegnet, der sich in einem dauerhaft glückseligen Zustand befand und der nicht gelegentlich emotionalen Schmerzen ausgesetzt war. Wie traurig, dass so viele immer noch dieser illusorischen Verheißung nachjagen, und sich weiterhin dafür verachten, dass sie sie nicht erreichen.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich möchte in keiner Weise die wunderbaren Möglichkeiten einer effektiven spirituellen Praktik abwerten. Vielmehr versuche ich den Trugschluss deutlich zu machen, eine spirituelle Praktik könne die Notwendigkeiten einer »emotionalen Praktik« aufheben. Wenn wir nicht die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle akzeptieren und erleben, können wir keine gesunden Menschen sein.
Vielleicht bin ich schlecht informiert und vielleicht gibt es einige seltene Seelen, die wirklich permanente Erleuchtung oder unerschütterliches Glück verkörpern. Vielleicht hat der neueste Avatar eines Abkömmlings des EST-Trainings eine Formel entwickelt, um eine wirklich vollständige Beherrschung der emotionalen Natur zu erreichen. Vielleicht beweist das Gehen auf heißen Kohlen ohne Schmerzempfindung, wie es die Teilnehmer in den aktuell populären Wochenendseminaren tun, dass wir in der Lage sein »sollten«, andere, weniger intensive, emotionale Formen des Schmerzes zu transzendieren. Da ich jedoch diejenigen, die für sich behaupten, den Himmel hier auf Erden gefunden zu haben, bisher nur als anmaßend erlebt habe, scheint es mir, dass die Chancen, unerschütterliche Glückseligkeit zu erlangen, extrem gering sind.
Daher bin ich so dankbar, dass ich R.D. Laings weise Äußerung schließlich verstanden habe: »Der einzige Schmerz, der vermieden werden kann, ist der Schmerz, der entsteht, wenn unvermeidlicher Schmerz vermieden wird.« Ich weiß jetzt, dass der Löwenanteil meiner bisherigen emotionalen Schmerzen, über neunzig Prozent, daher rührte, dass ich gelernt hatte, meine Gefühle zu hassen, zu betäuben und vor ihnen wegzulaufen.
Der größte Wendepunkt in meinem Leben geschah, als ich mein Streben nach dauerhaftem Glück und Transzendenz mit der unbeugsamen Bereitschaft ersetzte, für mich selbst in jedem Gefühlszustand da zu sein. Die Belohnung dafür war wundersam. Manchmal sind meine Tränen wie Juwelen, die durch Brechung strahlende Farbigkeit in mein Leben lenken. Meine Wut erlebe ich jetzt als eine sanfte Flamme, die mich mit einer immer größer werdenden Leidenschaft für das Leben wärmt. Meine Angst ist manchmal ein Leuchtfeuer, das mir neue Wege aufzeigt, um eine größere Wertschätzung des Lebens zu erlangen. Mein Neid zeigt mir, was ich in mir noch entwickeln möchte.
Ich habe sogar in Phasen der Depression Wunderbares erlebt. Depressionen führen mich manchmal in die Stille, die mich vom Joch der Zeit befreit; sie laden mich ein zu einem zunehmend intensiver erlebten Ort des Friedens in mir selbst und sie erlauben mir, mich in meinem Körper wohlzufühlen, als wäre er der luxuriöseste Sessel, den man sich vorstellen kann.
Außerdem versetzt mich das Trauern, besonders wenn es intensiv ist, in einen so tiefen Schlaf, dass ich mich wie ein ruhender Samen fühle, der sicher im fruchtbaren Lehm von Mutter Erde geborgen ist und nichts anderes zu tun hat, als darauf zu warten, dass die Sonnenstrahlen ihn wecken.
Die Bereitschaft, ganzheitlich zu fühlen, verleiht uns eine befreiende emotionale Flexibilität. Ich staune immer wieder darüber, wie das Zulassen unangenehmer Gefühle diese Wirkung auslöst und mir viel schneller wieder ein gutes Gefühl verleiht, als es eine Abwehr jemals getan hat.
Unsere Gefühle beleben und bereichern uns in dem Maße, wie wir sie in ihrer Vielfalt zulassen. Jetzt ist es an der Zeit, uns von der lähmenden Treue zu den TV-Helden zu befreien, die uns einzelne monotone Melodien von Härte, Coolness, Nettigkeit oder gekünstelter Leichtsinnigkeit summen lassen. Unsere Emotionen sind unsere eigene Musik, und kein monotones oder Drei-Noten-Liedchen kann in uns die Leidenschaft für das Leben erzeugen. Wir werden zu Sinfonien, wenn wir uns alle Töne der emotionalen Skala zurückerobern.
Ich selbst war auf einer langen Reise zurück zu meinen Gefühlen, ohne die Orientierung einer Karte, und ich hoffe, dass die Karte, die ich Ihnen hier anbiete, Ihnen eine Abkürzung zu Ihrer emotionalen Genesung ermöglicht. Ich hoffe, dass Sie einige der hier beschriebenen Schätze entdecken werden und dass Sie durch eine umfangreichere emotionale Erfahrung des Lebens beseelt werden. Ich bete, dass Sie das Gefühl der Zugehörigkeit und Erfüllung erleben, das durch die emotionale Freiheit Ihrer selbst und mit Ihren Vertrauten entsteht.