Читать книгу Yes, das Leben ist genug ... - Peter Eichner - Страница 28
Auge um Auge, Zahn um Zahn
ОглавлениеAusgesprochen demoralisiert packten sie abends zusammen und machten sich am nächsten Morgen auf den Weg nach Göteborg. Da eine Baustelle die Weiterfahrt auf der Autobahn verhinderte, mussten sie auf die Landstraße ausweichen. Als sie gerade durch ein kleines Dorf mit wenig mehr als einer Handvoll Häusern fuhren, realisierten alle den roten Blitz. Zu schnell gefahren! Auch das noch! Ein weißer Volvo überholte und wies sie an zu halten. Polizei! Erich Hitchfel saß am Steuer. Umgerechnet 200 DM wollte sie für die Geschwindigkeitsübertretung von 21 km/h kassieren. “So viel Bargeld haben wir nicht mehr dabei!“, erklärte Erich. „O.k., dann müssen sie eben mit aufs Revier! Ohne Bezahlung kommen sie nicht weiter!“
Peter murmelte etwas wie: …verdammtes, von allen guten Geistern verlassenes Nest … reine Abzockerei! ... alles Schikane!“ „Schikane hin oder her“, meinte Erich, „Tatsache ist, dass wir das Geld wirklich nicht haben!“ Inzwischen kramten alle in ihren Geldbörsen. 320 DM waren das Ergebnis des gemeinsamen Kassensturzes. Die Passage von Schweden nach Holland war zwar bezahlt, aber essen mussten sie ja schließlich auch noch etwas und die Benzinkosten von Amsterdam nach Mannheim hatten sie ebenfalls noch zu berappen.
Inzwischen waren sie auf dem Revier angekommen und warteten auf die Rückgabe ihrer Reisepässe, die die beiden Beamten zur Überprüfung der Daten an sich genommen hatten. Endlich ging die Tür wieder auf: „Glück gehabt – gegen sie liegt nichts vor! Das soll aber nicht heißen, dass sie ohne zu bezahlen gehen können! – Entrichtung der Strafgebühr gegen Reisepässe!“
Erich stand auf, zwinkerte den anderen unmerklich zu, ging zum Fenster und öffnete es. Ganz ruhig und besonnen sagte er: “Wenn sie uns nicht die Möglichkeit geben diese Strafe von Deutschland aus zu begleichen, werde ich aus dem Fenster springen!“
Alle Beteiligten schwiegen und blickten zu Erich, der nach wie vor am Fenster stand und keine Miene verzog. Der Polizeiobermeister zündete sich derweil eine Zigarette an und inhalierte genüsslich. „Na los, springen sie! Ich schau‘ ihnen gern dabei zu!“
Peters Renate, die ihn seit jenem Tag zu allen Rennen begleitete, konnte die Tränen kaum noch zurückhalten. Verzweifelt versuchte sie nun den Beamten klarzumachen, dass sie zwar bezahlen könnten, aber dann keinerlei Reserven mehr hätten, um ihre Reise nach Deutschland fortzusetzen. „Das hätten sie sich vorher überlegen müssen! Schließlich hat sie niemand gezwungen, so schnell zu fahren!“
Mit einem breiten, verächtlichen Grinsen kramte er dann einen Quittungsblock aus seinem Schreibtisch und schaute erwartungsvoll in die Runde. Alle zückten ihre Geldbeutel und legten auf den Tisch, was sie entbehren konnten oder wollten. Der Polizist rechnete kurz um und zählte anschließend die entsprechende Summe ab. Nur ein wenig Kleingeld blieb übrig. Quittung und Pässe wurden übergeben.
Schweigend verließ das Team die Behörde und machte sich auf den Weg zum Hafen. Erich meinte grummelnd: „Ich bin mir sicher, dass der Alte noch Schäden vom letzten Krieg mit sich herumträgt. Anscheinend hat er nicht mal mitbekommen, dass seine Königin eine Deutsche ist. So ein Unmensch!“ „Vielleicht kann er die ja auch nicht leiden“, meinte Renate, bei der die Traurigkeit inzwischen in Wut umgeschlagen war.
In der Nähe des Fährhafens suchten sie sich einen Parkplatz. Peter stellte fest, dass die Parkuhr „gefüttert“ werden musste. „Erich hast du vielleicht noch eine Krone? Nicht, dass wir noch eine Geldbuße bekommen!“ Als der dann in seiner Hosentasche fündig wurde und Peter die Münze zusteckte, stach ihn plötzlich der Hafer: “Wisst ihr was, wir bezahlen nichts und sägen stattdessen die Parkuhr einfach ab! Mit irgendwas müssen wir die doch „bestrafen!“
In Erich erwachte offensichtlich die Lust zur Rache – oder das Kind im Manne? „O.k., ich fahre einen Meter vor. Dann öffnest du, Peter, die Wagentür, damit die Sicht von vorne verdeckt ist und du Renate stellst dich nach hinten und gibst uns sofort Bescheid, wenn sich irgendjemand nähert!“
Keiner zögerte auch nur eine Sekunde. Erich holte die Eisensäge aus dem Kasten unterhalb des Fahrerhauses und begann sofort zu sägen. Ungefähr fünf Minuten dauerte es, bis er die Hälfte des Durchmessers der Parkuhrstange erreicht hatte. Da zischte Renate plötzlich:
“Achtung – Polizei!“
Peter riss Erich die Säge aus der Hand, schleuderte sie in den Kasten und Renate knallte ihn zu. Zur gleichen Zeit umwickelte Erich rasend schnell und mit gekonntem Griff die Schnittstelle mit grauem Klebeband. Die Rolle hatte er schon von Anfang an in der Hosentasche gehabt. Man konnte ja nie wissen! Inzwischen hatte sich der Polizeiwagen quer vor den Lkw positioniert. „Was geht hier vor, was machen sie hier?“
Peter stammelte: „Parken!“ Die beiden Beamten begannen damit, das Fahrerhaus und die Sitzkästen zu inspizieren und forderten Erich dann auf, den Laderaum zu öffnen. Mehr als erstaunt reagierten sie, als sie den Rennwagen sahen und der jüngere von beiden stellte sofort eine Menge Fragen – allerdings nur zum Thema Autorennen! Noch nie hatte Erich so ausführlich und freundlich geantwortet.
Der ältere Polizist widmete sich in der Zwischenzeit der Anzeige auf der Parkuhr: “Ich muss feststellen, dass sie zwar hier parken, die Parkgebühr aber noch nicht bezahlt haben!“, ließ er vernehmen. Sofort zog Peter die Münze aus seiner Tasche und drückte sie ihm in die Hand: „Sie waren es, die uns daran gehindert haben, die Krone einzuwerfen. Wir waren gerade dabei als sie uns hier mit ihrem Wagen einbauten!“ „Na gut, dann holen sie es eben jetzt nach!“ Die Krone wechselte erneut den Besitzer.
„Wir wünschen ihnen eine gute Reise! Es sieht so aus als würde die Überfahrt ziemlich stürmisch werden… Also essen sie vorher nicht zu viel!“
Mit diesen Worten stiegen sie wieder in ihren Streifenwagen und fuhren davon.
„Nichts wie weg!“, meinte Erich – etwas blass um die Nase – „nichts wie weg und aufs Schiff – aber schnell!“
***
Leinen los! Musik in ihren Ohren! Ungefähr eine halbe Stunde später war die Frage „Was essen wir heute Abend?“ überhaupt kein Thema mehr! Über den Bordlautsprecher wurden alle Passagiere direkt vom Kapitän gewarnt: „Es tut mir leid ihnen mitteilen zu müssen, dass wir auf der Überfahrt mit sehr rauer See rechnen müssen. Ein O R K A N auf der Nordsee ist nicht wirklich lustig. Wir erwarten Windstärke 12, meine Damen und Herren! Wenn sie können, beschäftigen sie ihren Magen, essen sie etwas – auch wenn’s nur wenig ist. Wenn nicht, legen sie sich hin oder schauen zum Horizont, sofern sie ihn überhaupt noch sehen können. Wichtig ist, dass sie wissen, wo die nächste Toilette ist oder der nächste Eimer!“ Na, der hatte ja einen Galgenhumor! Renate begann vor sich hin zu summen: „Eine Seefahrt die ist lustig, eine Seefahrt die ist schön…“ Peter sah Erich an. Dessen Gesichtsfarbe gefiel ihm gar nicht! Augenblicklich beschlossen sie den sofortigen Rückzug in die Kajüten. Frühstück sollte es eine Stunde vor der Ankunft geben! Doch darauf freute sich schon bald niemand mehr. Es wurde gestrichen – und zwar ersatzlos.
Nach Ihrer Ankunft in Amsterdam stellten alle miteinander fest, dass es schlimmer nicht hätte kommen können. Mit viel Optimismus konnte man ihre Gesichtsfarben als bleich bezeichnen, aber in Wirklichkeit schauten sie ziemlich „grün“ aus der Wäsche. Keine Minute hatten sie schlafen können. Der Wellengang schleuderte sie ständig von einer Seite auf die andere – und alles drehte sich – ununterbrochen. Am schlimmsten aber war der Geruch an Bord. Wer selbst noch nicht seekrank war, dem wurde schließlich schlecht von dem unerträglichen Gestank, der in den Gängen waberte.
Die frische Nordseeluft an Land half ein wenig. Zügig fuhren sie in Richtung Deutschland. In Mannheim angekommen, vereinbarten sie, das Erlebte jetzt erstmal drei Tage sacken zu lassen und sich zu erholen. Danach wollten sie dann miteinander telefonieren und besprechen, ob – und wenn ja – wie es im nächsten Jahr weitergehen sollte.