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TAUSEND PLUS TAUSEND JAHRE – EIN LANGER WEG
ОглавлениеKultur hat tiefe Wurzeln. Sie entsteht nicht über Nacht, sondern bedarf der Entwicklung und Konsolidierung in längeren Zeiträumen. Schon lange wird am Rhein auch Musik gemacht, womöglich seit Gründung der römischen Kolonie im Jahre 50 n. Chr. unter Kaiser Claudius als Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Keine Stadt in Deutschland kann hier eigentlich mit Köln konkurrieren. Erste Zeugnisse, dass Köln eine musikfreudige Stadt war, stammen aus jener römischen Zeit. Grabdenkmäler und Darstellungen auf dem Dionysos-Mosaik im Römisch-Germanischen Museum lassen darauf schließen. Im christlichen Gottesdienst (um das Jahr 180 ist die erste Gemeinde mit einer Kirche der Märtyrer in Köln bezeugt) wurde durchweg liturgische Musik praktiziert: bis zur Einführung des Gregorianischen Chorals im ersten Jahrtausend, Psalmodie und Hymnen (syllabisch: Einzelsilbe auf Einzelton) sowie geistliche Gesänge mit reich verzierter Melodik (Alleluja).
Über die Pflege weltlicher Musik finden sich aus der Frühzeit keine konkreten Unterlagen. Erst im Hochmittelalter, als mit den Erzbischöfen Anno, Heribert und vor allem Pilgrim die ersten namhaften Förderer der Musik hervortraten, änderte sich die Lage. Mehr und mehr wurde die Gregorianik mit zunehmender Kunstfertigkeit der Mehrstimmigkeit in den Hintergrund gedrängt. Als herausragende Figur trat Franco von Köln in Erscheinung, 1243 als Domscholastiker bezeugt; er erwies sich nicht nur als einer der führenden Theoretiker der Ars antiqua, sondern auch auf dem Sektor der mehrstimmigen Motette als überaus fortschrittlich. Aus Stiftungen musikliebender Bürger wurden bereits damals Institute gegründet, die sich der Musikpflege in Kirche und Stadt widmeten. Das führte dazu, dass sich profanes und sakrales Musizieren in Köln mehrere Jahrhunderte hindurch unabhängig voneinander entwickeln konnte, was wiederum nicht ausschloss, dass es sich gegenseitig durchaus konstruktiv befruchtete. Zunächst waren es die Kirchen- und die Ratsmusik, die das musikalische Leben institutionell bestimmten. Sozusagen bei jedem Anlass nach eigenem Gusto.
Für ein Bündnis beider war die Zeit aber noch nicht reif. Denn es waren zwischen Klerus und Stadtverordneten vielerlei Widerstände zu überwinden. Die andauernden Kämpfe zwischen dem unbeliebten Kölner Erzbischof Anno und den Ratsherren um Souveränität und größere Selbständigkeit, die 1074 mit der Niederwerfung des Aufstandes der Kölner Bürger endete, geben davon frühe Kunde. Erst die Schlacht von Worringen führte 1288 die erhoffte Wende herbei: Fortan hatten Kirchenmänner Kölner Bürgern nichts mehr zu befehlen. Dennoch werden gerade Annos überragende Verdienste im überlieferten Annolied eines unbekannten Dichters des 12. Jahrhunderts uneingeschränkt verherrlicht.
Auch später war Einigkeit zwischen den Fronten in Köln nur schwer zu erzielen. Sie erreichte man nur, wenn Konflikte von außen herangetragen wurden: beispielsweise in Zeiten der napoleonischen Besetzung (1794-1814), als öffentliche Veranstaltungen rundum strikt verboten wurden, und auch in Gotteshäusern alle Musik zu schweigen hatte. Von dieser Zumutung ließen sich jedoch fromme wie kulturbeflissene Bürger nicht kujonieren. Sie reagierten mit ortsüblicher Schläue, indem sie streng geheim, privat oder anonym über die ganze Stadt verteilt, ein Geflecht von Musikveranstaltungen organisierten, was unter dem Druck der Besatzer so viel Mut wie Tatkraft erforderte. Dabei wurde sogar mehr zustande gebracht als beabsichtigt war; denn über das eigentliche Ziel hinaus wurde mit ihrer kühnen Strategie und Konsequenz ein wichtiger Anstoß für eine neue Ära gegeben. Aus deren weitreichenden Impulsen konnte sogar bis in die unmittelbare Gegenwart hinein unermesslicher Nutzen gezogen werden. Das Musikleben des großbürgerlichen Zeitalters, das mit dem 19. Jahrhundert begann und für Kirche und Kommune durch private und öffentliche Zuwendungen die existenziellen Voraussetzungen für die moderne Praxis schuf.
Schon 1808 war in Köln ein »Verein der Dommusik« gegründet worden, in dessen Folge überall Liebhaberkonzerte eingerichtet wurden. Kurz danach entstand in der Stadt ein eigener »Quartettverein«, überdies die »Musikalische Gesellschaft«, dazu der »Städtische Gesangsverein« und der »Singverein«, überdies 1827 die renommierte und bis heute existierende »Concertgesellschaft Köln«, die für den strukturellen wie funktionellen musikalischen Aufbau das Fundament bildete. In der Gründungszeit hatte es noch den Anschein, als sei dank Napoleon ein Ruck durch die Bevölkerung gegangen. In der aufkommenden Sehnsucht nach Geselligkeit schlossen sich bald Amateure und Liebhaber zusammen, um füreinander wie in der Öffentlichkeit Musik zu machen: solistisch, in Gemeinsamkeit von Liedern und Kammermusik, in größerem Umfang mit Chor- und Orchestermusik. In der Not geboren und durch politischen Widerstand geschärft, konnte mit enorm tiefgreifender sozialer Motivation der Musik damals ein spürbarer Antrieb gegeben und der illustren Stadtgeschichte ein ehrenvolles neues Kapitel hinzugefügt werden.
Natürlich fehlte es anfangs noch an genuinen Persönlichkeiten, die ihre kreativen Kräfte und Ideen einbringen, den musikalischen Weitblick entfalten und mit fest integrierter kommunaler Unterstützung die neue bürgerliche Musikkultur vorantreiben konnten. An ihnen jedoch litt Köln, wie die Geschichte lehrt, dann aber bald keinen Mangel mehr. Im Gegenteil. Den jeweils in der Rheinmetropole residierenden Oberhäuptern widerfuhr seither musikalisch zuweilen sogar unverdientes, fast abenteuerliches Glück, mit dem sie zunächst für den eigenen Machterhalt und obendrein für die Stadt Köln Ruhm und Ehre mehren konnten. Gewiss nicht allein mit Musik.