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KUNST UND POLITIK – NEUORIENTIERUNG IN DER STILLE

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Aus heutiger Sicht war die Welt noch relativ in Ordnung, als die Kölner Musikhochschule am 5. Oktober 1925 mit einem Festakt im Gürzenich feierlich ihre Arbeit aufnahm. Adenauer nutzte die Gunst der Stunde, mit Hermann Abendroth und Walter Braunfels als gleichberechtigten Direktoren und mit dem ebenfalls aus München verpflichteten Leiter der Rheinischen Musikschule, Richard Trunk, einen Verein der Freunde und Förderer anzuregen. Ein kluger Ratschlag, da man in den kommenden Jahren auch am Rhein in die Fährnisse der Weltwirtschaftskrise geriet. Zum Glück konnten in die Hochschule, deren hauptamtliche Lehrkräfte sich im Unterricht mit den Kollegen der Rheinischen Musikschule austauschten, noch Schulmusik und Kirchenmusik als eigene Abteilungen integriert werden.

Dann zogen dunkle Wolken auf. Die Aufbruchstimmung und die Lebenslust der 1920er Jahre verflogen ab 1930. Mit Hitlers Machtübernahme wurden 1933 auch alle kulturellen Aktivitäten neu organisiert, die Prinzipien des »Führerstaates« in allen Bereichen realisiert, was für die Musik und das Musikleben in Deutschland nicht ohne schwere Folgen blieb. Von der Gleichschaltung, der Aufhebung demokratischer Strukturen zum Zweck des neuen NSDAP-Kurses, waren auch die Lehrinstitute betroffen, die von den Nazis zu durchgreifenden rassistischen und ideologischen Säuberungen gedrängt wurden. Konkret lag darin die Forderung: Aufhebung aller Liberalität und aller antagonistischen Positionen, die systematische Ausschaltung der Dissidenten und »undeutschen« Praktiken sowie die absolute Unterordnung unter das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda mit seiner Reichskulturkammer. Allein diese Maßnahme zog die Ausreise oder innere Emigration einer in Deutschland schon lange integrierten hohen Elite an Musikern nach sich und förderte rasant den Aufstieg des seine einmaligen Chancen witternden Mittelmaßes. Auch und gerade an der ehrgeizigen Kölner Musikhochschule.

Freilich ist zu bedenken, dass damals große Teile der Bevölkerung infolge der Weltwirtschaftskrise verelendet, die Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst in Deutschland gewaltig waren. In der Berufszählung vom Juni 1933 betrug die Nichtbeschäftigung bei Arbeitern und Angestellten knapp 30 Prozent, bei Sängern und deren Pädagogen dagegen deutlich über 40 Prozent, unter Interpreten, Musiklehrern und Kapellmeistern sogar noch mehr. Das war Wasser auf die Mühlen der machtergreifenden Nationalsozialisten, deren System manchen Dozenten und Studenten zum Verhängnis wurde, weil es schonungslos die jeweiligen Charaktere offen legte, das Anpassung, Dummheit, Opportunismus oder Denunziantentum Vorschub leistete und nicht Mut und Widerstand.

Die Kölner Musikinstitute hatten sich trotz aller internen Meinungsunterschiede 1933 weitgehend widerstandslos in die NS-Bildungsvorstellungen einbeziehen lassen, obwohl schon damals zu befürchten war, dass die Nazi-Ideologie auf einen fatalen Zielpunkt zusteuerte, die Ausgrenzung und Ausrottung des Judentums. Das allein hätte viele Verantwortliche hellhörig machen müssen. Das Gegenteil geschah: Eines der ersten Opfer war der »Halbjude« Walter Braunfels, der 1933 von Adenauers Nazi-Nachfolger Günter Riesen als Hochschul-Direktor entlassen wurde. Dass die leitenden Kollegen Hermann Abendroth und Richard Trunk dagegen protestiert hätten, ist nicht bekannt. Doch geriet Abendroth 1934 (als er noch nicht selbst Parteimitglied war) sogar selbst in lokale Bedrängnis und wurde nach Furtwänglers Intervention beim Reichspropagandaminister als Gewandhauskapellmeister nach Leipzig versetzt.

Weitere »Säuberungen« folgten, obwohl die Mehrzahl des Führungs- und Dozentenpersonals damals politisch eher desinteressiert oder weltanschaulich konservativ eingestellt war. Der berühmte Pianist und Pädagoge Eduard Erdmann reagierte 1935 mit seiner Kündigung und zog sich wie Braunfels in die innere Emigration zurück. Doch standen nicht wenige Mitläufer und Nutznießer schon bereit, bedenkenlos in die Fußstapfen der Opfer zu treten: Richard Trunk, nebenher Leiter des Kölner Männer-Gesang-Vereins, ein windiger Typ; Hermann Unger, Theorielehrer, Komponist und Verfasser regimetreuer Texte, haarsträubender Publizist und wie Trunk bereits seit 1931 überzeugtes NSDAP-Mitglied; ferner Edmund Joseph Müller, der Abendroth 1934 umgehend zur Eingliederung der Kölner Hochschuldozentenschaft in den NS-Lehrerbund gedrängt hatte; Walter Trienes, ein nazistischer Bannerträger der Extraklasse, der schon im Lehrplan des Wintersemesters 1933/34 eine Vorlesung über »Musikgeschichte im Lichte der Rassenforschung« anberaumt hatte. Braunes Sumpfgebiet allerorts. Wen verwunderte das, da Musiker – das mag heute vielleicht anders sein – in der Mehrzahl politisch uninteressiert und ideologisch eher konservativ waren. Damals galten sie als politische Mitläufer, die sich auch passiv verhalten hatten, als die Presseorgane der Nazis Walter Braunfels schon vor der Machtergreifung heftiger als das übrige Hauspersonal angriffen. Unger, der offenbar nur ein Ziel verfolgte, nämlich die Nachfolge von Braunfels anzutreten, dürfte daran nicht unbeteiligt gewesen sein.

Nach dem Ausscheiden von Braunfels und Abendroth wurde 1935 aus heute unergründlichen Motiven nicht Unger, sondern der linientreue Komponist und Publizist Karl Hasse aus Tübingen zum neuen Hochschuldirektor berufen. An der ideologischen Schulung, die nun unumgänglich wurde, war maßgeblich auch der spätere Direktor der Rheinischen Musikschule, Hugo Wolfram Schmidt, damals Dozent in der Schulmusikabteilung, beteiligt.

Nicht unerwähnt sollen zwei Absolventen der Kölner Musikhochschule bleiben: Der im Konzentrationslager Wülzburg bei Weißenburg in Bayern am 18. August 1942 ermordete tschechische Komponist Erwin Schulhoff und der Pianist Karlrobert Kreiten, der 1943 wegen »zersetzender« Äußerungen (»Der Krieg ist verloren«) von den Nazis hingerichtet wurde und seinen Eltern in damaliger Amtssprache »die Kostenrechnung fürs Erhängen und für den Gefängnisaufenthalt in Höhe von 639.20 Reichsmark zur Begleichung« hinterlassen musste. Am 12. Januar 1943 hatte er noch mit dem Gürzenich-Orchester das Es-Dur-Klavierkonzert von Hans Pfitzner gespielt.

Doch wäre es nicht vertretbar, in diesen Schilderungen nur die Makel und Verhängnisse von Musikern im »Dritten Reich« anzuführen. Wendet man den Blick zurück, findet man auch unbestreitbare Pionierarbeiten, die trotz der politischen Unbilden zwischen 1933 und 1945 geleistet wurden. In Sachen Alter und Neuer Musik zum Beispiel, die für Köln bis in die Gegenwart höchste Attraktivität erreichen sollten. Lange vorher hatte bereits Wilhelm Heyer, Papierfabrikant und Vorstandmitglied des Konservatoriums und der Musikalischen Gesellschaft, die Initiative für Gründung und Ausbau eines Zentrums für Alte Musik gegeben. Auf der Basis seiner reichhaltigen Privatsammlung schuf er ein musikhistorisches Museum, das über circa 2.600 Instrumente, 1.700 Autographen, eine Restaurierungs- und Instrumentenbauwerkstatt sowie einen großen Kammermusiksaal verfügte.

Da die Familie die anfallenden Kosten ab Mitte der 1920er Jahre nicht mehr selbst aufbringen konnte, die Stadt Köln sich jedoch weigerte, den unschätzbaren Bestand zu übernehmen, wanderte er 1926 nach Leipzig ab. Dennoch hatte seine vormalige Existenz tiefere Wurzeln gelegt. Paul Grümmer, von 1926 bis 1933 Leiter einer Violoncelloklasse an der Hochschule, und sein begabter Schüler August Wenzinger trieben die Entwicklung der Alten Musik mit Verve voran. Ehrgeizig wurde zu deren planmäßiger Unterstützung bereits um 1930 an der Musikhochschule ein Madrigalchor gegründet sowie eine Konzertreihe auf historischen Instrumenten aufgebaut, die von der Westdeutschen Rundfunk AG gesendet und damit auch breiteren Hörerschichten zugänglich gemacht wurde. Diese das Grauen überdauernden Vorgänge in insgesamt Schrecken erregender Zeit sind nicht vergessen.

Vorausgegangen war die von Oberbürgermeister Konrad Adenauer in die Wege geleitete Wiedereröffnung der Kölner Universität, an der 1921 ein »Musikseminar« und von 1932 an ein musikwissenschaftliches Institut Platz finden konnte. In dieser Zeit konnte sich auch die Neue Musik institutionalisieren. Wiederum waren durch einen Kölner Bürger, den Kunstwissenschaftler und Kunsthändler Herbert Leyendecker, Vorbereitungen getroffen worden. 1921 rief er die Gesellschaft für Neue Musik ins Leben. Die Protagonisten der ersten Stunde waren Theoretiker und Praktiker wie Ernst Bücken, Willy Kahl, Paul Mies, Heinrich Lemacher und auch Hermann Unger.

Sinn und Zweck der Einrichtung konnte man der Einladung zum Eröffnungskonzert entnehmen, in der sich die Gesellschaft verpflichtete, »durch häufigere Wiederholung schwer verständlicher Werke, vor allem auch noch ungedruckter Kompositionen, in einem ernsteren Hörer- und Künstlerkreis das Befremden überwinden zu helfen, welches die neuen Formen in uns hervorrufen, damit dann erst der Weg frei werde zu einer möglichen künstlerischen Wertung dieser Produkte«. In verschiedenen Sälen konnten damals »Porträt-« und »Städtekonzerte« veranstaltet werden, zu denen renommierte Solisten und Ensembles eingeladen wurden. Grundsätzlich sollten darin keine Kölner Komponisten gespielt werden, weil deren Interessen vom auch in Köln Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Tonkünstler-Verein wahrgenommen wurden.

Im Januar 1925 legte die Gesellschaft mit der Einberufung einer Mitgliederversammlung ihre Statuten fest. Mit Heinrich Lemacher an der Spitze wurde ein Vorstand gewählt. Auch dieser Organisation bereitete die Machtergreifung Hitlers ein vorläufiges Ende. Prekär und symptomatisch zugleich war ihre letzte Veranstaltung am 10. Februar 1933, unmittelbar nach dessen Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar. Der (jüdische) Komponist Arnold Schönberg war (das letzte Mal) nach Köln gekommen und hielt bei der Gesellschaft für neue Musik einen Vortrag zum Thema: »Stil und Gedanke oder neue und veraltete Musik.«

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