Читать книгу Musikmetropole Köln - Peter Fuhrmann - Страница 8
INTRADA
ОглавлениеAlle Welt bewundert Köln, am meisten und mit eindrucksvollem Stolz der eingefleischte Kölner selbst. Denn freilich ist diese Stadt am Ufer des Rheins alt, ehrwürdig, gastfreundlich und für den Tourismus attraktiv. Schon Francesco Petrarca, der bedeutende Lyriker der Renaissance und Mitbegründer des Humanismus, hatte sich von ihrer »Schönheit« berauschen lassen und war von der »gesetzten Haltung der Männer und dem schmucken Benehmen der Frauen« höchst angetan.
Schaut man auf die dokumentarischen Fotos von August Sander, muss Köln tatsächlich einmal eine schöne Stadt gewesen sein. Doch nach ihrer Zerstörung im Krieg, vor allem infolge der städtebaulichen Verunzierungen in der Nachkriegszeit, ist sie mehr verschandelt als verschönert worden. Wer ästhetisch empfindlich ist, käme heute niemals darauf, Köln im Vergleich zu München oder Hamburg als »Schönheit« anzupreisen. Nicht wenigen gilt sie sogar als ausgesprochen schmutzige Stadt, weil man es auf ihren Straßen und Plätzen bisweilen sträflich an Sauberkeit und Ordnung fehlen lässt. Rheinischer Frohsinn und allwaltende Gemütlichkeit allein genügen nicht, der viertgrößten Stadt Deutschlands das entsprechende Image zu verschaffen. Vom kleinstädtischen Bonn, erst recht von der luxuriös-eleganten Landeshauptstadt Düsseldorf unterscheidet sie sich in dieser Hinsicht beträchtlich. Viel älter in seiner Geschichte, berühmt und einmalig in der Pracht von Dom, antiker Ausgrabung und Romanischen Kirchen, scheint Köln aus vielerlei Gründen wohl niemals werden zu können, was eine Weltstadt in Ansehen und Wirklichkeit ausmacht.
Als Musikmetropole hingegen ist Köln, insbesondere in jüngerer Vergangenheit, anderen solchen Zentren weit voraus. Als einstige Hochburg der Avantgarde kommt keine in- und ausländische Stadt an sie heran. Über die spektakulären traditionellen Verwurzelungen hinaus hat sich das spezifische Kölner Schwergewicht in dieser Sparte eher zufällig aus überaus günstigen Konstellationen entwickelt, dem notgedrungen eilfertigen Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerbombten Stadt. Zu den ursprünglichen kulturellen Eckpfeilern des Kulturlebens fügten sich die Neubauten wie Opernhaus, Philharmonie und Kölnarena – seit 2008 Lanxess Arena – hinzu, obendrein der unschätzbare Zugewinn des in Domnähe etablierten WDR. Mit ihrer zügigen Ausweitung wurde die Musikhochschule sogar zur größten Ausbildungsanstalt dieser Art in Europa mit gegenwärtig weit über eintausend Studenten. Vollends im Trend der Zeit entwickelte sich auch der engagierte Ausbau der vorwiegend auf Kinder-, Jugend- oder Laienarbeit spezialisierten Rheinischen Musikschule im Elementarbereich.
So fragt man sich zu Recht, wo in aller Welt vergleichbare Institutionen und Initiativen auszumachen wären: für Neue und Alte Musik, für die Förderung von Jazz, Volks- und experimenteller Musik, für Kirchen- und Chormusik, für Musiktheater und Freie Szene. Schon lange hat es sich denn auch herumgesprochen, dass Köln als Messezentrum, Kunstmetropole und Medienbrennpunkt von hohem internationalen Ruf dem Liebhaber klassischer Töne wie so manchem Verfechter avantgardistischer Klänge neben dem Traditionellen auch hinlänglich Neuartiges, Wiederentdecktes oder Unbekanntes anzubieten hat.
Gleichwohl könnte man bei einem derart exzeptionellen und durchaus beneidenswerten Angebot einwenden, ob die Rheinmetropole an Kapazität überhaupt so viel Musik (tagtäglich fast rund um die Uhr) verkraftet. Anderes könnte dadurch leicht auf der Strecke bleiben. Von Interesse wäre womöglich auch, was es mit der allenthalben so genüsslich hochgejubelten Musikalität der Kölner allgemein – ohne das Idiom des knallsüchtigen Karnevals – auf sich hat.
Schon 1907 hatte die Rheinische Musik- und Theater-Zeitung da erhebliche Zweifel geäußert: »Der wohlhabende Kölner Bürger ist im Grund wahrscheinlich nicht sehr musikalisch.« Die so Gescholtenen konnten sich damals gleichwohl trösten. Andernorts hatte es bereits von höherer Warte deftigere Verunglimpfungen gegeben. Johannes Brahms disqualifizierte in einem Brief an Gustav Mahler die Bremer schlichtweg als »unmusikalisch« und hielt die Hamburger, das Publikum seiner Geburtsstadt, aus schierer Verzweiflung gar für absolut »antimusikalisch«. Dabei trieb der Adressat Mahler das harsche Verdikt indes noch auf die Spitze, indem er den Musikfreunden an der Alster sogar »totale Gehörlosigkeit« unterstellte. Davon nahm der viel später an der Hamburger Musikhochschule viele Jahre lehrende Komponist György Ligeti nicht das Geringste zurück. Niemals sei er, wie er betonte, das Gefühl losgeworden, in der Weltstadt Hamburg »im schalltoten Raum« leben zu müssen.
Dagegen vermochten die Kölner wahrlich nur zu triumphieren. Als sei es Balsam für die zarte rheinische Seele, konnten sie in diesem Befund stolz auf Gustav Mahler verweisen, der sich 1904 nach der Uraufführung seiner Fünften Sinfonie im Gürzenich der tollkühnen Hoffnung hingegeben hatte, in der Domstadt endlich seine künstlerische Heimat gefunden zu haben. Zu solchem Euphemismus neigte der coole und berechnende Bajuware Richard Strauss mitnichten, dessen geniales frühes Schelmenstück Till Eulenspiegels lustige Streiche bereits neun Jahre vorher in Köln uraufgeführt worden war: »Wollen wir diesmal unsere lustigen Kölner selbst die Nüsse aufknacken lassen, die der Schalk ihnen verabreicht,« hatte er listig in sein Tagebuch notiert.
Unzählige Ereignisse und Begebenheiten ehren Köln als offen-liberale Kommune mit einem musikalischen Reichtum, der die Stadt durch die Innovationen der Neuzeit ins Blickfeld singulärer internationaler Würdigung und Wertschätzung gerückt hat. In diesen Lustgarten tönend-bewegter Geschichte und Aktualität möchte das Buch den neugierigen Leser führen.