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IM ZENTRUM DES AUFBAUS – FERDINAND HILLER, FRANZ WÜLLNER, FRITZ STEINBACH
ОглавлениеDie Organisationsstrukturen, nach denen innerstädtische Vorgänge von Rat und Gesellschaft entschieden werden, haben sich in Köln eher durch pragmatische Lösungen von unten als mit zwanghaften Maßnahmen von oben herab entwickeln können. Anders zu handeln wäre unter Bürgern wie diesen, bisweilen so verschlafen wie aufgeweckt, nicht ohne negative Folgen geblieben. Damit käme man in einer Stadt auch nicht voran, in der, wie Adele Schopenhauer schon 1826 urteilte, »alles mit Klüngel gemacht wird.« Dem dürfte noch heute kaum jemand widersprechen wollen, zumal wenn, wie man sich listig und gerne zuraunt, der Klüngel ganz dem Allgemeinwohl dient. Andernorts spricht man da jedoch schlichtweg von Korruption. Und die gibt es schließlich überall.
Aber gerade in der Kultur bestand im Kölner Stadtgefüge schon immer ein dichtes Netz institutioneller und privater Querverbindungen, die ein gedeihliches Zusammenwirken ermöglichten. So betrachtet, hatte der Ausbau des Musiklebens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Köln Vorbildcharakter. Unterstützt von der Kommune gründeten damals Liebhaber und Dilettanten allenthalben Vereine, halfen, wo immer sie konnten, ehrenamtlich und stellten für kostenintensive Aktivitäten generös das nötige Geld zur Verfügung. Bürgerinitiativen entstanden, die in griffiger Verzahnung von Vereinsstruktur, Mäzenatentum, Stiftungen und anwachsendem Öffentlichkeitsinteresse zielgerichtet zur Institutionalisierung unter kommunaler Obhut führten.
Damit war für die anstehenden musikpolitischen Entscheidungen die Basis gelegt. Die Gründung einer Ausbildungsstätte für Musiker, der Rheinischen Musikschule, und die Neugestaltung des Gürzenich zum Konzertsaal entsprachen einem dringenden Bedürfnis. Zu lange nämlich hatte die Stadt die Nachwuchsfrage vor sich hergeschoben und sie kirchlichen wie privaten Kräften überlassen. Andererseits wollten diese ihre Dienstleistungen nicht widerstandslos in die kommunale Zuständigkeit übergehen lassen. Dazu brauchte es eine ziemliche Weile.
Zum Glück kam der Stadt nach der Blamage mit Konradin Kreutzer ein Mann zu Hilfe, der für solche Kärrnerarbeit günstigste Voraussetzungen bot: Heinrich Dorn, 1804 im ostpreußischen Königsberg geboren, Musikdirektor in Riga, wurde 1843 vom Kölner Rat an den Rhein verpflichtet. Ein Praktiker, Pädagoge und Publizist von Rang, wie es hieß. Aber auch sein Übereifer wurde durch frühe Intrigen bitter gedämpft, obwohl er die Zurückhaltung seiner Dienstherren schon kurz nach Amtsantritt klug zu unterlaufen verstand, indem er unentgeltlich ein Institut für das Pianofortespiel ins Leben rief. Dank seiner gleichzeitigen beharrlichen Bemühungen in Ratsversammlung und Musikvereinen führte es bereits zwei Jahre später zur Errichtung der Rheinischen Musikschule am Neumarkt, der Vorgängerin der Musikhochschule. Aber trotz des pädagogischpublizistischen Aufwands, den Dorn betrieb, fiel die Kurve qualifizierter Neuaufnahmen schnell ab. Innerer Widerstand kam hinzu, so dass auch der zweite Mann im Amt des städtischen Musikdirektors wieder Ausschau nach einem neuen Betätigungsfeld hielt. Im Herbst 1849 reichte er dem Stadtrat sein Entlassungsgesuch ein und siedelte auf Empfehlung von Giacomo Meyerbeer als Hofopernkapellmeister nach Berlin über. Auch ihn hatte es am Rhein nicht lange gehalten.
Am gleichen Tag, dem 25. Oktober 1849, an dem Heinrich Dorns Antrag stattgegeben wurde, berief der Rat in öffentlicher Sitzung den seit 1847 als Nachfolger Robert Schumanns in Düsseldorf amtierenden Musikdirektor Ferdinand Hiller, den der scheidende Dorn sogar noch selbst vorgeschlagen hatte. In vielfältiger Funktion als Dirigent, Konzertpianist, Komponist und Pädagoge schien er für Köln, wie sich bald erweisen sollte, die beste Wahl zu sein.
Hiller, der allerdings für einige Zeit auch in Paris am Théâtre Italien wirkte, gelang es dennoch, den Musikbetrieb neu zu organisieren. Mit seiner imponierenden Arbeitsvielfalt gewann er viele Freunde. An erster Stelle Mendelssohn, Schumann, Wagner und dessen Antipoden Verdi, den er 1877 immerhin zur Erstaufführung seines Requiems beim 54. Niederrheinischen Musikfest nach Köln locken konnte. Er habe, schrieb Verdi nach seiner Rückkehr nach Italien, gewiss schon sehr viele Ehrenbezeugungen in der Welt erfahren, »allein einen Empfang, wie Köln ihn bietet, habe er noch nicht erlebt.« Bis 1884, ein Jahr vor seinem Tod, blieb Hiller im Amt, in dem er auch im Bereich der Musikpädagogik hohe Verdienste erwarb.
Die Rheinische Musikschule zog schon bald in die Räume der Musikalischen Gesellschaft am Marienplatz hinüber. Sie erhielt eine geregelte Satzung, nahm mit acht Lehrkräften und siebzehn Studierenden an Kapazität zu und hatte sich binnen kurzer Zeit fest etabliert. 1858 wurde die Lehranstalt in »Conservatorium für Musik in Coeln« umbenannt. Wie zuvor mussten dafür finanziell überwiegend Stifter und Mäzene aufkommen, weil die Schulgeldeinnahmen zu gering waren, und die öffentlichen Subventionen noch spärlicher ausfielen. Aus heutiger Betrachtung erscheint es ziemlich unverhältnismäßig, dass die pekuniäre Unterstützung von privater Seite dreimal so hoch war wie der städtische Zuschuss und indes auch notwendig, um dem hohen Anspruch dieser aufstrebenden Einrichtung zu genügen.
Nachdem das Konservatorium 1873 mit idealer Ausstattung (weitläufigen Unterrichts- und Vortragsräumen, Bühnen, Bibliothek und Konzertsaal mit Orgel, Orchesterpodium und 350 Sitzplätzen) in die Wolfstraße umgezogen war, wuchs die Zahl an Studierenden auch aus dem Ausland beträchtlich; 152 waren es beim Abgang Hillers. Neben vielen anderen waren Max Bruch und Engelbert Humperdinck Schüler seiner Kompositionsklasse gewesen. Dreieinhalb Jahrzehnte hatte Ferdinand Hiller als Dirigent der Concertgesellschaft und des Konzertchors sowie als Konservatoriumsdirektor sein reichlich ausgefülltes Amt bekleidet.
Franz Wüllner, 1832 in Münster geboren, wurde sein Nachfolger. Er war mit ähnlichen Tugenden ausgestattet wie der in Geschick, Instinkt, Theorie und Praxis rundum beschlagene Hiller. Auch er hatte sich als vorzüglicher Pianist, Dirigent, Komponist und Pädagoge in Aachen, München, Dresden und Berlin Meriten verdient, um in Köln dessen Erbe erfolgversprechend anzutreten. Das gelang ihm unversehens mit der Umwandlung des Gürzenich-Orchesters in ein städtisches Unternehmen im Jahre 1888. Mit 43 Planstellen stand es nunmehr Oper und Konzert ständig zur Verfügung. Wüllner, den eine lebenslange, innige Freundschaft mit Johannes Brahms verband, setzte sich mit Nachdruck für Komponisten der jüngeren Generation ein.
Enorme Fortschritte erzielte Wüllner bald im berufsbildenden Ausbau des Konservatoriums, der Einrichtung von Orchester-, Chor- und Opernabteilungen, eines Klavierseminars und zeitweise auch einer Schauspielschule. Nicht nur Lehrer, sondern auch Praktiker aller Art sollten dort fachkundig ausgebildet werden. Bereits um die Jahrhundertwende war die Zahl der Lehrer auf 50, die der Studierenden auf 500 angestiegen. In den knapp zwanzig Jahren seines Wirkens hatte Wüllner besonderen Wert darauf gelegt, neben renommierten einheimischen auch internationale Künstler als Dozenten zu verpflichten: Humperdinck und Arnold Mendelssohn als Komponisten, Friedrich Wilhelm Franke und Franz Bölsche für Orgel und Theorie sowie Max von Pauer und Isidor Seiß als Pianisten, wodurch das Kölner Konservatorium für die Lehranstalten von Wien bis London gewissermaßen Modellcharakter gewann.
Die hohe künstlerische Qualität des Chores hatte Johannes Brahms sogar bewogen, ihm seine drei doppelchörigen Motetten zu überlassen. Beizeiten hatte Wüllner auch auf den jungen Richard Strauss gesetzt, der ihm drei Jahre nach Till Eulenspiegel auch den Don Quixote zur Uraufführung gab.
Mit ähnlichen Zielen wie Wüllner bahnte sich bald ein neues Talent in bewährter Doppelfunktion von Kapellmeister und Konservatoriumsdirektor den Weg. Es hatte neben so berühmten Namen wie Felix Mottl, Eugen d’Albert und Felix von Weingartner zur Wahl gestanden: Fritz Steinbach, 1855 im Badischen geboren und seit 1886 Nachfolger Hans von Bülows bei der berühmten Meininger Hofkapelle. Die Zusammenführung von Amt, Lehrinstitut und Orchester war 1903 bei seinem Antritt durch die solide Kooperation von Mäzenen, Vereinen und Stadtrat zwar nicht gerade reibungslos, aber dennoch unumkehrbar vollzogen worden.
Die in langer Vergangenheit entwickelte Gemeinsamkeit von Kunst und allgemeiner Kultur hatte sich auch in der Formung des Musiklebens für die Zukunft als stabilisierendes Element ausgewiesen. Als Steinbach kurz vor Kriegsbeginn im Juli 1914 aus gesundheitlichen Gründen seine Ämter aufgab, konnte er stolz auf eine erfolgreiche Ära zurückblicken. Ihm war das Beste gerade gut genug gewesen: Er hatte das Lehrangebot in Vorschule und Konservatorium erweitert, Meisterklassen für hochbegabte Talente eingerichtet und als neues Fach Rhythmische Gymnastik eingeführt. Darüberhinaus hatte er gegen alle Usancen der Zeit Künstlerinnen wie Elly Ney oder Lonny Epstein ins Lehrerkollegium berufen und obendrein Top-Größen wie Carl Friedberg, Lazzaro Uzielli, Bram Eldering und andere Koryphäen an die Musikhochschule verpflichtet. Sie erzeugten ihrerseits wiederum eine imposante Schülerprominenz: Fritz Busch, Karl Delseit, Karl Hermann Pillney, Hermann Zitzmann, Willy Stross, Siegfried Borries, Hans Knappertsbusch und Hans Wilhelm Steinberg.
Darüber hinaus wurden von Steinbach regelmäßig Star-Dirigenten wie Arthur Nikisch, Bruno Walter, Leo Blech, Hans Pfitzner oder Richard Strauss sowie ein Aufgebot berühmter Sänger und Solisten als Gäste des Gürzenich-Orchesters eingeladen. Größtes Aufsehen erregten auch die Uraufführungen, die in Steinbachs illustre Epoche fallen. Man denke nur an Mahlers Fünfte Sinfonie (1904) oder an Kompositionen von Johannes Brahms, dessen Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester schon 1887 (unter Wüllner) vorausgegangen war. Brahms war auf Steinbachs Konzertprogrammen an erster Stelle. Kein anderer Dirigent hat dessen Werke nachweislich so häufig in Köln aufgeführt wie Fritz Steinbach. Er ließ nicht locker, um die in der größeren Öffentlichkeit noch reichlich unbekannte Materie zu Gehör zu bringen: siebzehn Jahre lang in Diensten der exzellenten Meininger Hofkapelle, dann für das Auditorium am Rhein, dessen Schutzgeistern er die Orchesterwerke des hochverehrten Freundes als wertvollstes Geschenk zu Füßen legte.