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THEATRUM MUNDI – KIRCHE UND THEATER

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In weit über eintausend Jahren entwickelte sich die Musik des Abendlandes, von der frühen Einstimmigkeit des Gregorianischen Chorals und dem mehrstimmigen Organum des Mittelalters bis zur Neuen Musik der Gegenwart. In seiner Geschichte fast doppelt so alt, machte sich Köln diese Kunst ziemlich schnell zu eigen: Schon im Jahre 855 soll es hier den ersten christlichen Kirchengesang gegeben haben. Wer in der Schatzkammer des Domes die prachtvoll ausgestatteten Kodizes der kirchlichen Messordnung, des Graduale Romanum, betrachtet, kann auch optisch wahrnehmen, welche außerordentliche Bedeutung damals die musikalische Ausstattung des Gottesdienstes hatte.

Auch lange nachdem sich Bürger und Ratsgemeinschaft endlich von der Residenz der Bischöfe befreit hatten, blieb ihr Stolz auf die Bischofskirche unangetastet. Nur deshalb konnte sich das Domkapitel dank mehrer Stiftungen und Spenden für die oft prunkvollen Feierlichkeiten in der Kathedrale, dem Wahrzeichen der Stadt, ungehindert eine eigene wohlbestallte Musikkapelle mit Sängern und Instrumentalisten leisten. Neben der offiziellen Ratsmusik dürfte sie für das aufkeimende institutionelle Musikleben in der Rheinmetropole die wichtigste Keimzelle gewesen sein.

Viele Jahrhunderte hindurch zehrte die Musikpraxis in Dom und einigen Kölner Kirchen bei Hochämtern, Vespergottesdiensten und Andachten (neben Gregorianik) von einem sich stets erneuernden Bestand an Motetten, Messen und Psalmen, instrumental fast ausschließlich von Orgelmusik. Andererseits kann man aus vielen Aktivitäten im weltlichen Bereich schließen, dass Musik auch beim einfachen Volk (anfangs mit Dudelsack, Hackbrett, Trommel, Violine, später mit anderen Instrumenten) gern praktiziert wurde. Es gab sie bei allen möglichen Anlässen nahezu überall, bei Prozessionen und Begräbnissen (mit deftigen Musikkorps und »Tröötemännern«) wie in der Karnevalszeit (mit Schlagwerk »Decke Trumm« und später auch der Ziehharmonika, dem unverzichtbaren »Quetschebüggel«).

Dass der sich häufig selbst schmeichelnden Kölner Mentalität zuweilen auch eine Menge Komödiantisches beigegeben ist, könnten die römischen Urahnen, denen solches noch mehr als anderes angeboren sein mochte, als bleibendes Vermächtnis hinterlassen haben. Diese unnachahmliche Affinität offenbart sich vornehmlich in der Tradition des Karnevals überzeugend und handfest im sogenannten »weltlichen Krippenspiel«, dessen Hauptgestalt das spottlustige »Hänneschen« ist, der Kölnische Hanswurst. Er gilt im nach wie vor florierenden Kölner Stockpuppentheater als waschechtes Pendant zu den komischen Bühnenfiguren der Commedia dell’arte, der an Gaunerei und Schalkhaftigkeit unschlagbaren italienischen Stegreifkomödie des Früh- bis Spätbarock. Zum schelmischen Tausendsassa gehört auf der rheinischen Marionettenbühne das Bärbelchen als ewige Braut, dessen Figur mit Bauern (»Boore«) und anderen Kölner Prototypen bis hin zu »Tünnes un Schäl«, dem original Kölner Komikergespann, zeitlos und sich immer wieder selbst erneuernd fortlebt. In dieser freizügigen, im Wahrheitsgehalt aber meist auf den Punkt kommenden Clownerie, die weder vor Honoratioren noch Hochwürden halt macht, entpuppt sich das fröhliche wie traurige Kölner Naturell in reiner Verwirklichung. Sie dringt hier in alle Poren ein. Ohne sie läuft in Politik wie Juristerei, in der Begegnung mit Menschen im Alltag vieles gar nicht. Im persönlichen Umgang dagegen kann die hinter dieser Fassade bisweilen hellwach lauernde Verschlagenheit und Gerissenheit nicht ungefährlich sein. Bei solchen »Urkölnern« läuft man da als Zugereister schnell ins Messer.

Wer nun demonstriert diese durchtriebene Eigenart spielerisch am besten? Am stärksten die von Einheimischen wie Touristen durchweg gut besuchten Privattheater, allen voran die Puppenspiele am Heumarkt und die Millowitsch-Bühne an der Aachener Straße. Sie sind eine echte Fundgrube! Schade, dass ihre Leistungen hier nur am Rande skizziert werden können. Wer wollte bezweifeln, dass die lebensnahe Unterhaltungskunst des Volkstheaters für die subventionierten Schauspiel- und Opernbühnen ein unverzichtbares Reservoir der Anregung ist.

Selbstredend war es daher für die musikalischen Belange äußerst förderlich, dass anfangs Wanderbühnen und durchreisende Opernensembles ohne feststehendes Bühnenhaus nach Köln kamen. Sie benötigten ein Theaterorchester, das sie der Kosten wegen nicht auch noch herbeizuschaffen vermochten. Das konnte nur in städtischer Hand bestehen, wenn auch ohne feste Garantie. Quellen indes, in denen behauptet wird, dass es schon vor Erfindung des Genres Oper, also bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts, in der Stadt musiktheatralische Darbietungen gegeben habe, lassen es an Beweiskraft fehlen. Wohl eher müsste es sich dabei um Lustspiele mit Couplet- und Tanzeinlagen englischer Komödianten gehandelt haben, wie sie zeitüblich waren.

Allerdings hatte es vorher (von Jesuitenschülern aufgeführt) Schuldramen mit Gesang, Tanz und Musik gegeben, die jedoch durchgehend mit Arien italienischer Provenienz ergänzt waren. Als Musiktheater im eigentlichen Sinne galt das allemal nicht, eher als bescheidener Ansatz dazu. Denn die Gattung Oper, dann und wann einmal in sparsamster Form einer Opera buffa von Italienern serviert, kam erst etwas später in die Stadt. Schon eine Weile eher, das muss neidlos anerkannt werden, hatte in Düsseldorf der prachtliebende Barockfürst Jan Wellem, der »Sonnenkönig vom Rhein«, mit seiner zweiten Gemahlin, der Malerei, Musik und Schauspiel sehr zuneigenden Anna Maria Luisa de’ Medici, 1696 das erste rheinische Opernhaus entstehen lassen, das die Residenzstadt mit der zugleich gegründeten Hofkapelle im Nu zu höchster künstlerischer Blüte brachte.

Die erste professionell arrangierte Opernaufführung in Köln fand wohl erst um 1757 statt, vermutlich in einem dafür eigens errichteten Holzgebäude in der Nähe des Heumarktes oder im stadteigenen Haus am Quatermarkt gegenüber dem Gürzenich. Das erste kommunale Kölner Theatergebäude wurde 1768 auf dem Neumarkt errichtet, ein vierstöckiges Fachwerkhaus, in dem bis 1785 (von der Truppe des Prinzipals Johann Heinrich Böhm) erstmals Glucks Oper Alceste und Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail, insgesamt immerhin 30 Opern von Grétry, Benda, Salieri, Piccini und anderen aufgeführt wurden. Der Bau wurde bald hinfällig und abgerissen. Das erste aus Stein gemauerte Theater, in dem 800 Zuschauer Platz fanden, entstand 1783 in der Schmierstraße, der heutigen Komödienstraße. In diesem städtischen Komödienhaus erlebten Mozarts Don Giovanni und Zauberflöte, ferner Haydns Orlando paladino und Grétrys Richard Cœur de Lion frühe Kölner Premieren.

Die 1794 eingerückten Franzosen ließen nur ihre Soldaten auf der Bühne spielen. Daher konnte die Administration erst nach deren Abzug wieder hinlänglich geordnete Verhältnisse schaffen. Bedeutsam war das Jahr 1822, als der Rat Friedrich Sebald Ringelhardt beauftragte, ein stehendes Theater einzurichten. Obwohl er wie die Vorgänger seine Tätigkeit auf persönliches Risiko betreiben musste, war er der erste amtlich bestellte Theaterdirektor der Stadt Köln, in dessen zehnjähriger, ungemein kreativer Amtszeit wieder zahlreiche Opernerstaufführungen stattfanden: unter anderem Webers Freischütz, Rossinis Barbier von Sevilla, Beethovens Fidelio und Mozarts Così fan tutte. Obendrein zählte auch die Künstlerfamilie Lortzing, darunter der junge Albert als Tenor, zum Kölner Ensemble. Aber allem zum Trotz war auch dieser Schuppen 1828 schnell reif zum Abriss. Binnen neun Monaten konnte an derselben Stelle aber mit 1500 Sitzplätzen optimal Ersatz geboten werden.

Nach der Demission Ringelhardts erlebte das Kölner Theater erst wieder um die 1840er Jahre einen Aufschwung. Die Wende kam mit der Berufung des neuen Direktors und der Verpflichtung des Kapellmeister-Komponisten Konradin Kreutzer zum ersten städtischen Musikdirektor. Er leitete zugleich die Concertgesellschaft und dirigierte zum Auftakt Beethovens Neunte Sinfonie. Es war ein Gastspiel von nur kurzer Dauer. Als seine kühnen Pläne zum Ausbau des Musiklebens sich zunehmend im Dunst verloren, gab Kreutzer nach nur zwei Jahren auf. Die Differenzen zwischen ihm und den Ratsherren schienen unüberbrückbar. Musikalisch war Köln eine unbehauste Baustelle, kein Zufluchtsort wie das üppigflorierende Wiener Kärntnertortheater, von dem man den berühmten Musiker mit allzu vagen Versprechungen an den Rhein gelockt hatte.

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